Scham wegen Dissoziation

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Philosophia
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Beitrag Do., 13.10.2022, 11:41

Ich verstehe aber nicht, warum es nicht geht, das zu notieren und dann in der Stunde vorzulesen, wenn es sonst schwer zu kommunizieren ist? Ich sehe das mit der Mailerei echt kritisch (außer in nem Notfall vielleicht). Diese 50-Minuten-Einheiten gibts nicht ohne Grund...
Ich finds gut, Emotionen, die im Nachhinein kommen, zu verschriftlichen, doch die dann prompt an die Therapeutin zu adressieren, finde ich schwierig. Kann doch dann alles in der Stunde geäußert werden. Die Therapeutin wird schließlich auch nur dafür bezahlt. Oder bezahlt ihr eure Therapeutinnen für die Zusatzarbeit? Oder nehmen sich eure Therapeutinnen ne extra Stunde von eurem Kontingent dafür?
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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Shukria
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Beitrag Do., 13.10.2022, 12:13

Warum sollte das schwierig sein? Ist ja ne individuelle Vereinbarung. Ich schau auf meine Grenzen, sie auf ihre.

Mir ist wichtig vorher zu verstehen warum ich maile und das es hierzu im Vorhinein ne klare Absprache /Rahmen gibt und die Verantwortung für mich bei mir bleibt. Auch ist es abhängig vom Prozess. Mal mehr, mal weniger, mal gar nicht.

Ich denke da muss jeder seinen eigenen Weg finden und manches muß auch ausprobiert und verworfen werden (können).

P. S.
Dafür sind meine Sitzungen auch öfter mal nur 40min. Einfach weil das Thema rund ist und ich nichts neues anfangen will. Für mich gleicht sich das damit irgendwie wieder aus, für sie offensichtlich auch.

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Sindy
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Beitrag Do., 13.10.2022, 13:04

Zum Thema Mail bin ich eher bei Philosophia, aber nicht aus dem Grund, dass es der Therapeutin unbezahlte Arbeit macht. Ich sehe es kritisch, weil man dadurch quasi Zeitverzögert eine Antwort auf die Emotionen die man aufschreibt bekommt. Wenn die Antwort z.B. erst am nächste Tag erfolgt, dann ist diese Rückmeldung vielleicht garnicht mehr passend zu den aktuellen Gefühlen. Außerdem würde mir auch das visuelle Feedback fehlen: Wie schaut der Thera in diesem Moment? Freudig, kritisch, nachdenklich? Und er hat weniger Zeit über seine Antwort nachzudenken, was seine Antwort (aus meiner Sicht) authentischer macht.

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Philosophia
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Beitrag Do., 13.10.2022, 13:17

Shukria hat geschrieben: Do., 13.10.2022, 12:13 Warum sollte das schwierig sein? Ist ja ne individuelle Vereinbarung. Ich schau auf meine Grenzen, sie auf ihre.
Weil das kein Freundschaftsdienst ist. Das ist ein Job, der bezahlt gehört. Stell dir vor jeder Patient oder nur jeder zweite schreibt die Therapeutin in der Freizeit an, das läppert sich. Und selbst wenn du zehn Minuten eher gehst, wird sie am Ende des Tages deswegen nicht eher heimkommen (es sei denn, du bist die Letzte am Tag) - und dann immer noch mit Patienten rummehren, halte ich auch arbeitsmedizinisch für ungesund.
Und Sindy hat zusätzlich noch nen wichtigen Punkt angesprochen: das richtige Feedback fehlt. In Schriftliches kann so viel Mist reininterpretiert werden, der dann einen Nebenschauplatz eröffnet.
Ich finde Mails nicht generell schlimm - für den Notfall mag das wirklich mal nützlich sein. Aber ansonsten wird der Stundeninhalt in die unbezahlte Zeit gelagert, was ich für problematisch halte. Ich finde es total schwierig, wenn Therapeut:innen das grundsätzlich anbieten (also jederzeit schreiben zu dürfen) - das suggeriert eine Dauerverfügbarkeit, die gar nicht existiert. Ach ja, und nicht wenige werden davon noch ungut abhängig und kommen dann nur schwer wieder raus. Dann muss der/die Therapeut/in irgendwann das reduzieren, was meist Stress gibt (weil man durfte es ja früher usw.). Der Patient lernt dabei langfristig jedenfalls eher Gefühle und Probleme auf wen anders auszulagern anstatt die für sich zu fühlen.
Zuletzt geändert von Philosophia am Do., 13.10.2022, 13:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Montana
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Beitrag Do., 13.10.2022, 13:18

Mails zu schreiben ist doch nicht automatisch mit der Erwartung verbunden, auch eine Antwort per Mail zu erhalten.

Ich schreibe auch Mails, beantwortet werden die nie. Das ist aber auch gar nicht nötig, weil sie nur dem Transport von Informationen dienen, die anders nicht transportiert werden können.

Damit entfällt der Aufwand für eine Antwort. Sie werden gelesen, aber wie und wann, das weiß ich nicht und das kann der Therapeut machen wie er will. Es kann auch 5 Minuten vor meiner Stunde sein. Wichtige Sachen wie Terminverschiebungen verpacke ich nicht dazwischen, sondern dafür spreche ich meist auf den AB, damit es ganz sicher rechtzeitig ankommt.

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Philosophia
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Beitrag Do., 13.10.2022, 13:22

Und wie oft machst du das, Montana (also das Mailen)?
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Betti
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Beitrag Do., 13.10.2022, 14:00

Ich habe mittlerweile die dritte Therapeutin und bei keiner war es ein Problem, dass ich Mails schicke. Ich sehe es auch so wie Shukria. Da muss jeder seine eigenen Grenzen wahren.

Ich erwarte mir auch keine Antwort, weil ich weiß, dass im Normalfall keine kommt. Wenn es mir sehr schlecht geht, dann schreibt sie mal zurück aber sonst ist der Inhalt der Mail Thema in der nächtsten Stunde. Das passt für mich auch so. Es fällt mir leichter alles was sich in mir dann abspielt, z.B. so wie gestern nach der Stunde, gleich zu verschriftlichen und auch abzuschicken. Denn in der Stunde würde ich ihr das NIE geben. Da sind wir wieder bei der Scham.

Ich habe mich mittlerweile glaub ich auch schon zehnmal rückversichert ob es passt, wenn ich ihr was schreibe. Und sie ehrlich darum gebeten mir rückzumelden, wenn sie das nicht will. Ich schätze sie schon so ein, dass sie das auch sagen würde. Sie versichert mir jedes mal, dass es passt und befürwortet es auch sehr. Weil ich eben in der Stunde sonst eher sehr zurückhaltend bin.

Ich schicke ihr die Mails meist irgendwann in der Nacht, da ich tagsüber wenig Zeit dafür habe. Und ich weiß, dass sie sie am nächsten Tag liest. Aber wie gesagt, egal wie es mir geht - ich erwarte keine Antwort.

Aktuell schreibe ich ihr meist einmal die Woche, oft nach der Stunde, da eben so vieles hochkommt. Es gibt aber natürlich auch Zeiten wo ich nichts schreibe. Über den Sommer habe ich zwei Monate nichts von mir hören lassen via Mail und da hat sie dann tatsächlich auch nagefragt warum ich denn nichts mehr schreibe. Sie findet es gut und ich darf ihr gerne wieder etwas schicken.

Sie wird dafür nicht extra bezahlt. Aber wie gesagt, ihre Grenze muss sie selber ziehen. Mehr wie nachfragen kann ich nicht.

Ich arbeite auch mit Patienten und mache sehr viel außerhalb der Zeit in der sie bei mir sind. Dafür wird natürlich auch nichts verrechnet, weil es meine Sache ist, was ich sonst noch alles vorbereite, lese, für sie telefoniere etc. Manchmal ist das viel Zeit und ich denke mir selber, Betti runter vom Gas und manchmal brauche ich gar keine Zeit außerhalb der Stunde. So ist das bei mir. Da muss ich auch meine eigene Grenze ziehen.

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Philosophia
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Beitrag Do., 13.10.2022, 14:08

Du hast vollkommen Recht, Betti, die Grenze zu ziehen liegt keinesfalls an dir, sondern bei deiner Therapeutin! Doch du siehst ja selbst, was es bedeutet, außerhalb der Arbeitszeit noch mehr für die Patienten zu tun als nötig, geplant und bezahlt.
Mich nervt es, dass das heutzutage einfach schon fast als Unding dargestellt wird, wenn da einer ne Grenze setzt. Wie haben das bloß die Menschen früher ohne Mails geschafft, als es das Mailformat noch nicht gab? Haben sie andauernd Briefe geschrieben, permanent angerufen? Ich glaube ja kaum. Mailen ermöglicht schnellere Kommunikation und ständige Verfügbarkeit - und ich sehe das eben echt kritisch. Ich glaub dir sogar, dass deine Therapeutin dein Mailen gut findet, wenn sie sonst in der Stunde nicht weiterkommt. Aber die Frage ist: Ist das wirklich hilfreich oder sorgt es nur dafür, dass du in deiner Komfortzone bleibst? (unabhängig von der Workaholic-Attitüde deiner Therapeutin)
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Shukria
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Beitrag Do., 13.10.2022, 14:18

@Philosophia, das muss jede Vertragspartei selber für sich entscheiden ob die individuellen Vorteile die Nachteile aufwiegen. Es gibt kein pauschales gut oder schlecht.

Du hast gefragt ob es bezahlt wird, ich schrieb dir ja das sie öfter mal Zeit von meiner Stunde übrig hat. Jetzt hat es für dich nur Gültigkeit wenn sie eher gehen kann? Warum? Sie kann ja zb Gutachten in der Zeit schreiben etc. Ich finde es irritierend das du da besser weißt wie es sein muss, als die Menschen die es betrifft. Was stört dich denn wirklich oder kannst du nicht glauben das es auch gute Arrangements gibt oder darf es sowas nicht geben?

Es mag für Dich in dieser Form nicht passen, für mich passt es. Und ich hab auch schon Erfahrungen aus vorherigen Therapien wo es nicht gepasst hat. Also kann das gut für mich einschätzen.

Übrigens hat Mail schreiben nichts mit forcieren von emotionaler Abhängigkeit zu tun. Es ist ein Medium mehr nicht. Die Frage wäre dann eher wie es genutzt wird. Ich war von meiner ersten Therapeutin sehr abhängig und das ohne Mails, als die noch dazukamen wars die Spitze vom Eisberg.
Jetzt kann ich schreiben wie ich mag, oder es lassen und auch entscheiden ob ich ne Antwort möchte oder nicht. Und mir hilft das Schreiben sehr Prozesse zu entschleunigen. Da stehen keinerlei Abhängigkeitsgefühle dahinter. Solange der gemeinsam vereinbarte Rahmen gewahrt wird, ist es für mich eine gute Ergänzung und für sie auch.

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Thread-EröffnerIn
Betti
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Beitrag Do., 13.10.2022, 14:24

Ich kann jetzt nur von mir reden, aber in meinem Job gehört es dazu, auch außerhalb der regulären Zeit mit dem Patienten, Zeit für gewisse Dinge aufzuwenden. Das ist in unserem Berufsgesetz sogar so verankert, dass dies oder jenes eben nicht in der Therapiezeit stattfinden darf/kann/soll. Von daher passt das für mich. Und ich habe keine Ahnung wie das bei Psychotherapeuten ist. Da wird es auch ähnliches geben. Und das Lesen einer Mail dauert in Normalfall nicht lange. Also glaube ich jetzt nicht, dass sie damit Unmengen an Stunden verbringt. Und vermutlich wird sie auch ausreichend Klienten haben, die es besser als ich hinbekommen und all das was sich in ihnen abspielt ohne Probleme in der Stunde ansprechen können.

Früher waren Menschen nicht in der Psychotherapie. So vermute ich. Keine Ahnung wie lange es diesen Beruf in dieser Art und Weise schon gibt. Seit wann man "psychisch krank sein darf" ohne dabei gleich in der Narrenanstalt (so der Ausdruck meiner Eltern) zu landen. Heute gibt es eben die Möglichkeit sich auch via Mails mitzuteilen und ich für meinen Teil zumindest finde das gut.

Für mich ist es definitv hilfreich diese Mögichkeit zu haben und dafür bin ich auch dankbar. Ansonsten wäre ich sicher noch nicht da wo ich jetzt bin. Auch wenn es mir immer zu langsam geht. :->

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Sinarellas
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Beitrag Do., 13.10.2022, 14:31

> Es fällt mir leichter alles was sich in mir dann abspielt, z.B. so wie gestern nach der Stunde, gleich zu verschriftlichen und auch abzuschicken. Denn in der Stunde würde ich ihr das NIE geben. Da sind wir wieder bei der Scham.
Ja und das ist auch völlig in Ordnung und korrekt so. Das ist doch (auch) die Magie hinter der Dissoziation, dann, wenn man da ist, ist all das was war manchmal gar nicht mehr im Kopf vorhanden. Das können sich Menschen die nicht mit pathologischer Dissoziation zu tun haben, kaum vorstellen. Ganz viele nutzen das auch so und es kann ein wirklich elementares Kommunikationswesen sein, was man damit aufbaut.
Also alles gut.

Umgekehrt ist es in meinem Job auch so, ich tue auch immer wieder Dinge außerhalb der Abrechenbaren Zeit und das ist auch vollkommen in Ordnung so, sofern ich meine Grenzen weiß und mein Gegenüber auch (dass ich bspw. nicht verpflichtet werden kann außerhalb meiner Arbeitszeit da was zu tun).
>Haben sie andauernd Briefe geschrieben, permanent angerufen? Ich glaube ja kaum. Mailen ermöglicht schnellere Kommunikation und ständige Verfügbarkeit - und ich sehe das eben echt kritisch.
ich sehe es echt kritisch, dass du da so eine ungesunde Konnotation reinbringst.
Es ist ein Kommunikationsweg, der unglaublich hilfreich für viele ist und nur weil es "das damals noch nicht gegeben hat" heißt das nicht, dass das ein schlechter Weg sei. Der Umgang damit ist relevant und da gehören Grenzen gesetzt oder Regeln aufgestellt.
Bspw. kenne ich Vereinbarungen, dass man mailen darf, aber man keine Antwort erwarten darf oder es gibt Abmachungen Eine E-Mail von 5 Sätzen ist in Ordnung zwischen den Stunden oder oder oder.
Nur weil es nicht hochdissoziativen Menschen leicht fällt, Thematiken innerhalb der Stunde anzusprechen, heißt das nicht, dass es für uns Hochdissoziative überhaupt möglich ist.
Nicht der Zugang zu einem zusätzlichen Kommunikationskanal ist also kritisch zu bewerten, sondern wenn es keine klaren Regeln gibt, denn das bringt beide also Patient und Arzt in die Bredouille (#therapeutenüberforderung und #patientenabhängigkeit).

Ich persönlich kann gar nichts mit dem Kommunikationskanal anfangen und habe ihn trotz Angebote nie genutzt.
Für mich war es sinnvoll Themen der Woche auf einen Zettel zu schreiben und ich hatte das Glück, dass ich den Zettel meist stupide vorgelesen habe. Zu 60% waren mir die Punkte aber so fremd (#dissoziation), dass ich gar nichts weiter dazu sagen konnte und die Punkte nicht bearbeiten konnte. Aber wenn sie bspw. 5x auf dem Zettel standen, hat man sich dem dann doch irgendwann mal gezielter annehmen können.
..:..

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Philosophia
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Beitrag Do., 13.10.2022, 14:39

@Shukria: Ja, ich versteh schon, dass sich das gut anfühlen mag. Das sagen übrigens viele Patienten, die mehr Dinge als die, die grundsätzlich in einer Therapie zu erwarten sind, bekommen. Das ist auch kein Wunder, da es sich in der Regel um emotional bedürftige und ausgehungerte Patienten handelt - natürlich freuen die sich über Zusatzzuwendung.
Klar muss das, wie du sagst, jede Vertragspartei selbst entscheiden. Nur wie gesagt: Ne Therapie ist kein Freundschaftsdienst. Ich habe manchmal den Eindruck, dass manche Therapeuten sich für omnipotent halten, die so was anbieten. Sie sind für mich miese Vorbilder im Grenzeziehen und Rolleneinhalten.
Übrigens, wenn du zehn Minuten eher gehst, wird deine Therapeutin wohl kaum in der Zeit anständig ein Gutachten verfassen können - höchstens halbherzig.
Ich stört diese scheinbare Dauerverfügbarkeit. Mich stört, wenn Menschen ihre Eigenverantwortung auf andere auslagern. Ich stört, wenn Kompetenzen überschritten werden. Das ist ein bissl so, wie es mittlerweile auch beim Notarzt passiert: Da rufen Leute an, weil sie nen Albtraum haben.
@sinarellas: Du hast Recht, ich will auch nicht sagen, dass Mails per se schlecht sind. Ich meine aber in erster Linie dieses unbegrenzte. Ich hab den Eindruck, ich kann mich nicht verständlich machen. Ich meine, dass durch so etwas die Problematik eben auch am Laufen gehalten werden kann. Da ist verdammte Vorsicht geboten. Ich finde eben, dass Ausnahmen die Regel bestätigen sollten und nicht umgekehrt.
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Montana
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Beitrag Do., 13.10.2022, 16:07

Mein Therapeut hat genau zwei Patienten, die regelmäßig Mails schreiben. Ich bin eine davon. Und ich weiß, dass er nicht nur nichts dagegen hat, sondern dass darüber Informationen laufen, die sonst keinen Weg finden würden. Wirklich gar keinen. Darum findet er das sogar gut. Wie Therapie aussieht, wenn dieser Weg nicht geht, weiß ich halt schon. Ich habe bereits jahrelang schweigend in Therapien gesessen. Vermutlich nicht ausschließlich schweigend, aber Erinnerungen an Inhalte habe ich nahezu keine. Und so bringt das nichts.
Ich erfahre selbst interessante Dinge durch die Mails, die ich ja ebenfalls lese. Außerdem höre ich Audio-Aufnahmen der Stunden.
Könnte ich mich einfach so jederzeit an alles erinnern UND könnte ich Dinge sagen, die ich sagen möchte, dann wäre im Grunde mein Hauptproblem behoben und ich könnte die Therapie beenden. Es geht beim Nicht-Sprechen-Können nicht darum, sich zu überwinden, es zu tun. Es funktioniert auf einer anderen Ebene nicht, den Mund zu bewegen usw.
Es wurde gefragt, wie oft ich Mails schreibe. Es können schonmal 6 oder sogar mehr innerhalb einer Woche sein. Die drehen sich dann aber nicht um ein und dasselbe Problem, sondern in der Regel haben sie nichts miteinander zu tun. Oder es gehören zwar welche zum gleichen Thema, betrachten es aber auf völlig gegensätzliche Weise und dem liegen unterschiedliche Informationsstände darüber zugrunde.

PS: Emotional bedürftig und ausgehungert bin ich übrigens nicht, sondern glücklich verheiratet und Mutter.

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Philosophia
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Beitrag Do., 13.10.2022, 16:17

Ja, ok, ich verstehe das ja durchaus, Montana, und leuchtet mir ein. Ich glaube auch, dass da viel mitzunehmen ist. Aber dann sollte eben diese Zusatzzeit auch vergütet werden. Es muss halt klar sein, dass das notwendig und indiziert ist - und eine Aufwandsentschädigung sollte m.E. einfach dazugehören. Wozu wurde letztens erst die Arbeitszeiterfassung diskutiert? 6 Mails pro Woche ist ja quasi eine schriftliche Dauerbetreuung, die null vergütet wird.
PS: Eine Ehe und das Mutterdasein sagen für mich nichts darüber aus, ob da in einem ein emotionales Loch klafft.
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Montana
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Beitrag Do., 13.10.2022, 16:30

Wo siehst du eine schriftliche Dauerbetreuung? Die Mails werden nicht beantwortet. Für das Überfliegen von Mails vor der Stunde braucht man vielleicht ein paar Minuten. Das sind ja keine Romane. Und sie sofort zu lesen ist auch nicht erforderlich, weil sie eben nicht beantwortet werden und es keinen Unterschied macht, ob er sie sofort liest oder irgendwann später. Wenn er Zeit aufwendet, die er vergütet haben möchte, muss er das halt sagen. Die Therapie ist nicht kassenfinanziert.

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