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Mi., 25.08.2010, 16:13
Ich vermisse heute zwei Menschen, die in den letzten Jahren verstorben sind. Sie wären genau die richtigen Menschen, mit denen ich jetzt über meine Probleme reden könnte, die dabei MICH sähen, die sich genug aus kennen, um mir wertvolle Hilfe angedeihen zu lassen, durch die richtigen Worte - oder die richtigen Ratschläge.
Eine davon ist meine Tante (die nicht leiblich meine Tante war, aber mehr Tante als jeder "echte" - also eigentlich eine ältere Freundin). Ich kann gar nicht aufschreiben, was alles sie so besonders macht - ihr intelligenter Sarkasmus, ihre psychologische und pädagogische Kompetenz, ihr Mut zur Rebellion und sich ohne Angst dem "Feind" entgegenzustellen, ihre Art mit argumenten umzugehen, gerissen zu Formulieren, ihr unverwechselbares Lachen das zugleich nach innen und nach aussen ging, man nie wusste, wem sie ihre Belustigung mehr zeigen wollte, sich selbst, oder anderen. Eine Frau die so akkurat über den Dingen stand ohne dabei je affektiert zu sein. Die einzige Frau in meinem Leben, der es echt gelohnt hat, zuzuhören, weil sie klug, argumentativ schlüssig, dabei menschlich und stukturiert war. Einfach nur blöd Hetzen, wie die meisten Frauen es tun, gab es nie - und wenn, dann als Spott über die Hetzer selbst. Sie konnte so herrlich böse sein. Ich wünsche mir, ich könnte einiges davon selber in mir entfachen.
Der andere ist mein Onkel. Er war ein sehr ruhiger Mensch und der beliebteste Mensch den ich kannte. Nie verheiratet, hatte nie eine Beziehung (ich glaube, er war zu intelligent sich das anzutun, nachdem er sich in der Welt umgeschaut hat) und über alles Begeistert für Musik und Bücher. Er war immer Kindlich, verschenkte gerne kleine besondere Gimmicks die er überall aufstöberte, er konnte über alles Witze reissen, blödeln, er nahm sich selbst am allerwenigsten ernst und erleichterte es so seinem Gegenüber, sich selber nicht so schwer zu nehmen. Man konnte mit ihm über Musik, Bücher, Comix reden wie über Filme, er brachte einen immer mal wieder auf den Geschmack, er respektierte sein Gegenüber auf einer tief menschlichen Ebene, und nicht für das was er tut oder ist. Er respektierte das Kind in seinem Gegenüber, er weckte es und konnte ihm das Gefühl geben, richtig zu sein, völlig egal wie albern man ist, was man albernes tut und wie andere dazu stehen. Dabei war er in sich ein trauriger Mensch, glaube ich, die Musik und die Bücher ein Trost - die Kultur, kann man sagen, hat ihn nicht nur am Leben erhalten, sie hat sein Leben lebenswert und liebenswert gemacht, vermutlich effizienter als vieles was als "gesellschaftlich erwünscht" galt. Man hat sich immer darüber gewundert, keine Beziehung zu haben, nicht zu heiraten, keine Kinder zu haben - und nie äußerte er einen entsprechenden Wunsch. Fragte ich ihn in einer stillen Stunde, sagte er: Schau dich in der Familie um, schau dir deine Tanten an, deine Cousins, deine Onkel... Er wusste, dass er es nie weiter ausführen musste, ich verstand es. Ich bin ihm in vielem ähnlich. Ähnlicher als ich dachte. Als ich 16 war versuchte meine Mutter (seine Schwester) mich zu beleidigen, indem sie meinte, ich würde wohl so werden wollen wie er. Ihre Tränen für seinen Tod verstand ich deswegen nicht. Allerdings, wenn ich ihm mehr gleiche als ihr, dann habe ich gewonnen.
Diese beiden Menschen vermisse ich heut so sehr, dass ich manchmal heule. Wie jetzt gerade. Ich habe sie in den letzten Jahren an Krebs verloren (wie so viele) aber meine Welt ohne sie kommt mir manchmal sehr dumm und kalt vor. Sie haben mich auch als Kind gesehen, im Gegensatz zu meiner Familie, die mich bis heute nicht sehen kann (bis auf meinen Bruder). Für die Beiden aber bin ich froh, dass sie tot sind. Das Leben ist einfach nicht Ok. (Und ich wette, dem würden sie ebenso widersprechen wie zustimmen)
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]