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Sa., 30.03.2019, 10:39
Liebe Ina,
ich bin gerade auf dem Weg nach draussen, daher nur kurz:
Schau, ich bin 44 Jahre alt. Ich weiss nicht, wie es anderen geht, aber für mich war das alles immer total normal - jemanden in meinem Kopf zu haben, auf Nachfragen von anderen nicht zu wissen was an einem bestimmten Zeitpunkt war, mich durchzularvieren mit "erst mal aunauffällig gegenchecken woher wir uns kennen könnten / Allgemeinplätze von mir geben / Stichworte geben um zu schauen was an diesem Abend wohl gewesen ist".
Meine Amnesie war mir als solche nicht bewusst- ich habe das mal ziemlich wütend zu meiner letzten Therapeutin gesagt " wie soll ich wissen, dass ich eine Amnesie habe, wenn es doch eine Amnesie ist!?" (das sind so Punkte an denen ich mir denke "Leute....!!!!!").
Alles was ich jetzt weiss sind reine Zufallsbefunde oder - wie im Fall dieser langen Strecke - ein rantasten über die beiden Pole des Wissens. Das hat ewig gedauert und war wirklich Zufall- irgendwann ist mir z. B. aufgefallen, dass ich, die ich wirklich gerne und oft umziehe, nur in bestimmten Bett -> Türkonstellationen gut schlafen kann, und bin meine Wohnungen / Häuser durchgegangen um festzustellen "oh, da gibt es Null Informationen dazu, bzw, mein Gehirn überschreibt einfach mit etwas, was nicht stimmen KANN". Nachdem ich auch als Kind sehr oft umgezogen wurde, ist es leichter, klare Altersgrenzen fest zu machen und sich dann entlang zu hangeln, Stückchen für Stückchen. (Schöner kann ich es leider nicht beschreiben, es tut mir leid). Deshalb finde ich persönlich die Frage im DES nach Erinnerungslücken bez. wichtiger Ereignisse vollkommen banane, denn sie holt nur die Leute ab, die sich bereits an ihre schwarzen Lücken herangetastet haben- das Gehirn ist pfiffig genug, um die schwarzen Löcher so zu verkaufen, dass es erst mal nicht auffällt bei so langen Strecken.
Die Frage zwischen vergessen und weg: ich bin verheiratet und habe eine Tochter, das sind meine ausgelagerten Gedächntnisse und Tageszeugen, das ist enorm hilfreich. Vergessen habe ich es, wenn meine Tochter sagt "nee Mama, weisste nicht mehr, wir waren da und da" und es kommt ein Bild, eventuell bisschen farblos, aber es kommt ein Bild. Weg wäre: egal wie sehr sie mir beschreibt, was war und wo wir waren, es bleibt schwarz. Wie bei einer Ohnmacht- da-zack schwarz-da.
Grüner Balken: ich checke zweimal täglich ein, zur gleichen Uhrzeit. (aktuell mach ich allerdings gar nix, weil ich gerade die Nase ziemlich voll habe und einfach nur vor mich hinpusseln will, das wird sich aber wieder ändern).
Dann gehe ich den Tag durch, nachdem ich eh schon immer Uhrzeiten geistig mitprotokolliere (siehe oben, für mich ist das normal, immer die Uhr im Blick zu haben, ich habe mir das mal angewöhnt), kann ich an einem guten Tag stringent von Aufstehen - jetzt abarbeiten. Ganz normal " aufgestanden, dann ins Bad gegangen, dann mit dem Hund raus, dann gearbeitet, dann mit dem Hund raus, dann..." Wenn ich allerdings da sitze und mir denke " aufgestanden.... Schal gekauft.......ömmm moment mal, wie kam ich denn überhaupt gegen 12 Uhr in dieses 50 km entfernte Geschäft?!"... dann muss ich wieder anfangen mich über die beiden Pole ranzutasten - was war das letzte und was war das erste woran ich mich erinnnere. Das was fehlt, ist dann der grüne Balken.
Das, was Du beschreibst stelle ich grau dar. Diese Zeiten sind leider um ein vielfaches länger.
Im Schnitt sind die grünen Balken zwischen 30 Minuten und 2 Stunden, mal mehr mal weniger.
Dieses total fremde, - ich wollte da jetzt nicht die Pferde scheu machen, aber jetzt schreibe ich es doch - ich kenne das gut. Vor einigen Wochen wuselte etwas vollkommen fremdes nach vorne, knallte einen Satz raus, und entschwand wieder. ich wurde nach rechts geschoben, saß da, dachte mir " und wer bist jetzt DU!?". Manchmal ist es auch so, dass ich eine Wucht nach oben geschoben bekomme aus Angst, unabdingbarer Trauer, Ekel, ..... und alle abklappere, die ich kenne nach dem Motto " wer war das jetzt?!". Hin und wieder kommt es vor, dass alle die schultern zucken (im übertragenen Sinne) und keiner so recht weiss, wo es herkommt. Dann hilft es mir, auf ganz leisen Sohlen nachzuforschen, das kann dann entweder ins Leere führen oder ich explodiere wie eine reife Tomate und denke mir " ok, nächstes Mal weiss ich es besser" (merke mir das dann aber nicht). Deshalb würde ich Dir, aus der Ferne wirklich den lieb gemeinten Rat geben, solche Aktionen nur unter Aufsicht durchzuführen. Wie eine reife Tomate zu explodieren kann sehr unangenehm sein und je nach Tomatenart mich auch an einen Punkt bringen, der mit dem Leben nur noch schwer zu vereinbaren ist.
<3
NEVER WASTE A GOOD CRISIS.