Nightingale hat geschrieben: Do., 10.05.2018, 12:07
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Ich will und werde nicht mit einem anderen Mann intim werden, mein Kopf (Hormone?Libido?) macht es mir da allerdings nicht wirklich einfach. Eigentlich ist es ja nicht nur mein Kopf, ich reagiere sogar schon körperlich auf andere Männer, was ich sehr unangebracht finde und was mich belastet
Im Psychoanalyse-Welsch ausgedrückt: Dein
Es will mit zunehmender Macht mit anderen Männern intim werden - Dein
Über-Ich wehrt dieses Begehren mit abnehmender Macht ab und Dein
Ich sitzt ratlos in der Mitte und weiß nicht, wo's lang gehen soll.
Man kann eine starke Libido für eine gewisse Zeit unterdrücken - es gibt so eine Art "Zwischenspeicher", aber irgendwann ist der voll und dann bricht der Damm und genau dann ist die Gefahr sehr groß, von der ausbrechenden Libido wie ein gestürzter Zirkusreiter durch die Manege geschleift zu werden, um mein voriges, wild-romantisches Bild nochmals aufzugreifen. Das kann Dein Leben und das Deiner eventuell vorhandenen oder künftig geplanten Familie nicht nur durcheinanderbringen, sondern regelrecht ruinieren.
"Erkenne Dich selbst!" stand schon weise über'm Orakel von Delphi - und das ist im Grunde der einzige wirkliche Rat, den ich Dir geben kann. Ich bedauere sehr, daß ich mich der psychoanalytischen Sexualtheorie erst sehr spät und aus traurigem Anlass (ich habe mich wegen erheblicher psychischer Störungen zunächst selbst analysieren müssen) befasst habe. Es wäre viel besser gewesen, ich hätte das schon in meiner Jugend getan, spätestens nach dem coming-out meiner ersten Perversionen.
Meine Lektüreempfehlungen für Dich beschränken sich auf einige Werke Freuds - andere, wirklich empfehlenswerte Publikationen über die psychische Seite der Sexualität sind mir bis heute nicht bekannt.
Zum Einlesen: "Das Unbehagen in der Kultur" - das ist auch Freuds literarisch bestes Werk, ein Lesegenuß und eine gute Einführung in seine psychoanalytische Theorie.
Dann: "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" in der 4. Auflage von 1924 - der ursprüngliche Text stammt von 1905. Das ist dann aber hard stuff, der richtiggehend studiert werden muß. Fast über jeden Satz denkt man stunden- und tagelang nach.
Schließlich: die kleineren Schriften, die in der Fischer-TB-Studienausgabe im Band "Über Liebe und Sexualität" zusammengefasst sind.
Freud hat bewußt populärwissenschaftlich geschrieben, wandte sich an das akademische Publikum seiner Zeit, nicht nur an die Fachwelt. Mit solidem Abiturwissen ist er gut zu lesen, zumal er weitgehend auf Fachchinesisch verzichtete.
M.E. findet man in diesen 3 Büchern alles, was man über Sexualität wissen muß - aber man muß es sich erarbeiten. Das ist aber, nur so nebenbei, als "intellektuelle Leistung" auch eine Gelegenheit der Abfuhr von Libido, gehört neben "Muskeltätigkeit", Temperaturreizen und schneller Bewegung durch den Raum (bei Freud ist grotesker Weise vom Eisenbahnfahren die Rede, was die damals schnellstmögliche Fortbewegungsmöglichkeit gewesen war) zu den, wie ich sie nenne, "parasexuellen Reizen".