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Mi., 04.02.2015, 10:46
Nun, Doktorspiele fangen schon recht früh an, mit vier oder so, was beweist, dass Kinder durchaus ein Interesse an der Materie haben, oder zumindest wissen, dass da was ist. Sie spielen "Mutter Vater Kind", was beweist, dass ihnen auch die sozialen Ausläufer der Sexualität bewusst sind. Als älteste Schwester von einem Haufen Geschwister wurde ich von allen bereits sehr früh gefragt, was dieses oder jenes bedeutet. Die Eltern oder Lehrer trauten sie sich nicht fragen und in der Schule wurde es (noch) nicht thematisiert. Manche wussten trotzdem schon, was Sex präzise ist. Ich selbst habe heimlich die Medizinbücher meiner Eltern nach diesem Thema durchforscht, mir heimlich Sachbücher über Aktfotografie geschnappt, weil ich genaueres wissen wollte und nicht zuletzt lagen da ein paar Liebesromane mit Sexszenen herum, und ich konnte schon als Kind sagen, auf welcher Seite man statistisch eine derartige Stelle findet, in der man mal etwas erfährt, was sonst keiner erzählt. Nämlich wie genau und was, und dass das ja auch mit Gefühlen zusammenhängt und Sehnsüchten.
Wenn Eltern denken, die Kinder werden durch die Thematisierung von Sex und seine Vielfalt traumatisiert, kennen sie ihre Kinder schlecht. Denken sie, ihre Kinder sind an der Thematik noch nicht interessiert, liegt es wohl eher daran, dass die Kinder die Vorbehalte der Eltern bei dem Thema spüren, die sind da enorm feinfühlig und hören sehr genau, wenn die bei einem Fernseh- oder Zeitungsbericht oder einer Tratschrunde mit Bekannten sich negativ über frühe Aufklärung äußern. Zack, das Kind wird nicht die Eltern fragen, sondern andere Kinder, sogar lieber irgendwelche Nachbarn.
In einer Welt, in der gewisse Dinge nicht vorkommen, warum auch immer, kann natürlich ein Inhalt wie: "Leute, es gibt da draußen Schwule", irritieren. In dieser Welt leben wir aber nicht (mehr.) Mit Ende der Grundschule haben Kinder 8.000 Morde gesehen – und vermutlich so ziemlich alle Abstufungen an Sünden darunter. Die meisten haben Handys und Zugang zum Internet und können Suchanfragen besser stellen, als ihre Eltern.
Ein Kind, das "anders" ist, weiß das auch ohne Unterricht. Ob intersexuell, schwul oder sonstwas, die Idee stammt nicht aus einem Werbespot, sondern ist eine tief verwurzelte Tatsache. Wenn es "das nicht gibt", können es manche abspalten, sogar bis sie fünfzig sind. Mit einer Menge psychischen Leides. Auch wenn es im Unterricht besprochen wird, und es als okay dargestellt wird, wird es noch genug Probleme geben, aber das bloße Wissen, dass man kein Alien ist und noch nie ein Mensch zuvor derartige Gefühle zu sich hatte, ist abgeschwächt. Es gibt immer noch genug Gründe, sich in der Gesellschaft deplatziert zu fühlen, zumindest für sich selbst sollte man anerkennen dürfen, wer man ist. Statistisch sitzen in einer Schulklasse mindestens drei Kinder, die "anders" sind ... und noch einige, die unter "anderen" Lebensumständen aufwachsen, die Fragen nach sich ziehen. Ein Gegengewicht zur Internetrecherche darf es da ruhig geben.
Kinder für naiv halten, ist naiv. Was sie verstehen können, wollen sie wissen, was sie noch nicht verstehen, interpretieren sie entsprechend, aber das Wissen bleibt abrufbar für die Zeit, in der es interessant wird.
»Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit hinreichend ist.« [Hanlon's Razor]
»Wir sind lieber die Bösen als die Dummen.« [Richard David Precht]