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Do., 26.09.2019, 17:24
Natürlich kann er das beim Erstkontakt nicht wissen, aber hier in diesem Fall war es ja so, dass die TE weiß, dass die Schwester dort hin gehen will. Allgemein besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass je näher der Kontakt zwischen den beiden Personen ist, die auch von einander wissen, dass sie zum selben Therapeuten gehen (wollen) und können den Therapeuten darüber informieren.
Wenn das nicht der Fall ist, wird er es wahrscheinlich schnell herausfinden, wenn er die Anamnese macht. Wenn 2 Leute spezifische Details aus der gleichen Familie oder dem gleichen sozialen Umfeld erzählen, dann fällt das i.d.R. schon auf. Ich arbeite ja im sozialen Bereich, wo es ähnliche Interessenskonflikte und Schweigepflichtsprobleme gibt. Ich nehme diesbezüglich auch regelmäßig Supervision in Anspruch und da ist das mal passiert, dass ich einen jugendlichen Klienten von mir vorgestellt habe und nachdem ich einiges über ihn erzählt habe, darüber dass er in einer Patchworkfamilie lebt, in der es Schwierigkeiten mit einem Stiefbruder gab und ein paar Details erzählt habe, meinte eine Kollegin von mir: "Du der Stiefbruder heißt nicht zufällig X?" Als ich das bestätigte, sagte sie mir, dass sie X als Klienten hat und wir haben uns mit der Supervisorin sofort geeinigt, dass wir diese beiden Jugendlichen nicht dort in der Supervisonsgruppe besprechen können, weil das unser beider Unvoreingenommenheit gefährden würde. Völlig normales Vorgehen in meinem Beruf, und das sehe ich halt im Therapeutenberuf genauso.
Wenn der Therapeut selbst nach der Anamnese und im Behandlungsverlauf keine Ahnung davon hat, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Patienten gibt, dann kann er natürlich auch nicht darauf reagieren. Das ist aber dann auch nicht schlimm, weil er ja nicht weiß, dass wenn z.B. Patientin A über Freundin B schimpft, damit seine Patientin B meint und kann daher auch nicht in seiner Unvoreingenommenheit gegenüber B beeinflusst werden. Und da er ja nicht weiß, dass es im Gespräch mit A um B geht, kann er sich auch nicht aus Versehen "verraten" und damit die Schweigepflicht gefährden. Zum Problem wird das ganze ja erst, wenn er da sitzt und weiß, dass Patientin A gerade über Patientin B abhetzt (oder sie anhimmelt oder was weiß ich). Dann würde er fast zwangsläufig nicht mehr gleichermaßen auf der Seite beider Patientinnen stehen, sondern müsste sich für eine Version der erzählten Begebenheiten entscheiden. Und es ist halt die Aufgabe des Therapeuten "Partei" zu sein und nicht neutraler "Schiedsrichter". Wenn beide Parteien einen Schiedsrichter wollen, müssen sie zum Mediator gehen und nicht zum Therapeuten.
It is better to have tried in vain, than never tried at all...