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Mo., 19.10.2020, 20:19
Hi Salina,
ich finde das auch sehr einfach, wenn man einfach sagt, nun wäre man ja erwachsen. Würde ich das in Therapie hören, könnte ich auch nichts damit anfangen.
Ich kann mir, glaube ich, recht gut ausmalen, wie sehr dich die gemeinen/verletzenden/respektlosen Sätze aus deiner Kindheit geprägt haben.
Und ich kann bestätigen, dass man da kopfmäßig völlig verloren hat, wenn man dagegen angehen will.
Ich kenne solche Sätze auch. Das Ausmaß und die Bösartigkeit war bei dir aber um einiges schlimmer als bei mir! Sooo krass wie bei dir war es bei mir nicht, aber auch das hat für mich gerreicht.
Und ich habe einiges von früher einfach in mir.
Das ist einfach da und das geht auch willentlich nicht weg.
Ich sage da immer folgendes: Eltern können Kindern sehr viel mitgeben. Wenn Kindern über die gesamte Kindheit/Jugend mitgegeben wird, dass sie wertvoll sind, liebenswert, toll, schön, intelligent usw, dann wird das zur Wahrheit für das Kind, glaube ich.
Das kommt im Innersten bei einem an. Was nicht heißt, dass man dann nie an sich zweifelt. Aber ich glaube, das sichere Grundgerüst das behält man.
Genauso wenn das Gegenteil passiert. Wenn dir lange genug rückgemeldet wird, dass du hässlich, dick, nicht liebenswürdig oder so bist, dann wird auch das zu deiner Wahrheit.
Mein Kopf weiß , dass ich genausoviel wert bin wie andere. Aber mein Gefühl sagt mir etwas ganz anderes. Und bei manchen Theme weiß es nichtmal mein Kopf.
Für mich gibt es z.B. immernoch eine spezielle Situation, in die begebe ich mich nur mit Tranquilizer. Ich verrate nicht, um was es da geht, aber ich spreche von einer Situation, die die meisten Menschen wohl sogar gern machen.
Und ich verrecke dabei schier, ich hasse es, wie die Pest. Und ich bringe da Höchstleistung an Druchstehen und das trotz Medikament intus. Weil ich in dieser Situation eben mit Sachen von früher beschäftig bin. Weil da in voller Wucht rauskommt, was ich selbst von mir denke oder besser gesagt, weil ich da spüre, was in mir für mich wahr ist. Manches , was mir gesagt wurde, wurde zu meiner gefühlten Wahrheit.
Vorstellungsübungen, wo man sich selbst als Kind sehen soll um das man sich liebevoll kümmern soll, selbst das klappt bei mir nicht. Ich kann mir das bei jedem Kind vorstellen und bin überzeugt davon, dass ich auch in der Realität einen sehr liebenvollen respektvollen Umgang mit Kindern habe. Aber wenn ich mir in Gedanken mich selbst als Kind vorstellen soll, dann klappt das nicht. Es geht einfach nicht. Ich selbst, finde das Kind, das ich da sehe, genauso bäh wie es mir früher gesagt wurde. Ich kann in der Vorstellung nicht sonderlich nett zu mir als Kind sein. Höchstens aus Mitleid.
Mir ging es in Therapie so, dass ich mit diesem heute-ist-alles-anders-Gelaber nichts anfangen konnte.
Mir hätte es zuerst total gereicht, einfach mal das Gefühl zu haben, gesehen zu werden. Dass respektvoll geachtet wird, wie schlimm es ist, wenn man mit abwertenden Bemerkungen aufwächst. Es muss erstmal Platz haben und da sein dürfen, finde ich. Und nicht gleich wieder weggeballert werden mit "das sind doch alles Sachen von früher, jetzt sind Sie erwachsen".
Ich glaube, wenn einem z.B. jahrelang gesagt wurde "du bist zu dick, du bist hässlich", dann glaubt man das. Ewig.
Und ich glaube es braucht gegenteiliges ERNSTGEMEINTES EHRLICHES feedback. Ich glaube, wenn man das oft genug ERFÄHRT, dass man es dann langsam verinnerlichen kann und irgendwann zumindest teilweise auch glaubt. Dann hat man es erlebt und es sich nicht zwanghaft in den Kopf gehämmert.