Erinnerungen und Gefühle

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caduta
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Erinnerungen und Gefühle

Beitrag Sa., 01.05.2021, 11:38

Hallo

Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren in Therapie und so langsam habe ich das immer deutlichere Gefühl, dass meine Erinnerungen anders abgelegt sind als bei anderen. Insbesondere fällt mir auf, dass ich keine einzige Erinnerung habe (über mein gesamtes Leben), die mit einem Gefühl verbunden ist. Erinnerungen sind immer Bilder und das Wissen um die Situation, aber nicht mehr. Manchmal weiß ich sogar, dass ich in dem Moment traurig war oder sogar glücklich, aber ich fühle es nicht. Ich kann auch nicht in die Erinnerung hineingehen. Dann 'flutscht' sie weg.

So geht es mir auch in der Therapie. Ich wechsle aktuell sehr stark zwischen verschiedenen Modi, bin unendlich wütend, oder erschöpft abwesend, oder habe das Gefühl mir fehlt doch absolut gar nichts. Dann fühle ich mich verletzt, traurig. Ich weiß das, weil ich Tagebuch führe und es dort nachlesen kann. Wenn ich aber versuche mich in die Situationen zurückzuversetzen - und das kann am Tag vorher gewesen sein - weiß ich zwar noch, dass da was war und vielleicht habe ich auch eine konkrete Situation / Bild im Kopf, aber an die Gefühle komme ich nicht ran.

Mein Therapeut schweigt sich darüber aus, wenn ich frage. Er hat nur einmal gemeint, dass meine Erinnerungen vermutlich nicht angelegt werden, was auch immer das heißen mag. Daher wollte ich mal hier fragen:

1. Aus Gesprächen mit anderen weiß ich inzwischen, dass Erinnerungen wohl normalerweise auch mit Emotionen verknüpft sind, dass man also beim Erinnern die Emotionen mit erinnert. Wenn das bei mir so getrennt ist, spricht man dann von Dissoziation? Gibt es also eine Dissoziation von Gefühlen?

2. Und wenn das so ist, sind dann die Erinnerungen tatsächlich nicht da? Also auch nicht weggeschlossen, sondern tatsächlich nicht existent und können auch nicht irgendwie zurückkommen?

3. Und was ist mit den Gefühlen? Sind die dann ebenfalls nicht mehr da (haben sich also nach dem Fühlen sozusagen verflüchtigt)?

4. Und last but not least... Hat das ganze etwas mit Ego States zu tun? Also sind diese Modi so eine Art gefühlsmäßige Ich-Zustände, die aber untereinander keine Verbindung haben?

Im Internet finde ich irgendwie nichts dazu. Bei Dissoziation geht es immer um Amnesien oder Dissoziative Störungen. Und bei Amnesien geht es immer nur um echte Erinnerungslücken. Ich weiß aber nicht, ob man so etwas als Amnesie bezeichnen würde und ich weiß auch nicht ob ich tatsächlich Erinnerungslücken im Sinne einer Amnesie habe. Ich habe nur insgesamt sehr wenig Erinnerungen.

Mich würde vor allem interessieren, wie ihr das erlebt mit Erinnerungen und Gefühlen. Bei Traumata kommt ja wohl beides wieder zurück. Kann es auch sein, dass da gar nichts mehr ist, was zurückkommen könnte?

LG, caduta

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Pianolullaby
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Beitrag Sa., 01.05.2021, 16:23

Man kann erinnerungen auch ohne Gefühle haben, das ist kein Problem, und ja das ist eine Dissoziation, und die Erinnerungen bzw. Gefühle oder Bilder sind auch nicht einfach weg, die können jederzeit wieder hoch kommen.
Eine Amnesie gibt es für einzelne Ereignisse oder eben auch grössere Lücken, wie ganze Monate oder Jahre, da gibt es extrem viele Abstufungen. Und ja, das kann eine Art Ego state sein
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lisbeth
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Beitrag Sa., 01.05.2021, 20:17

Klar geht das, dass Gefühle und Empfindungen vom Erleben selbst und auch von den Erinnerungen daran abgespalten sind. Und ja, ich würde das wie piano auch schon als eine Form von Dissoziation betrachten. Das heißt nicht, dass die Gefühle nicht da sind. Sondern dass es keine Verknüpfung oder Integration des Erlebten mit deinen Gefühlen gibt.

Welcher Weg dich jetzt zu deinen Gefühlen hinführen kann, wirst du mit deinem Therapeuten herausfinden müssen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Das ist ein Prozess, das braucht Zeit (viel Zeit), und es kann ziemlich verwirrend und anstrengend sein, wenn Gefühle auftauchen, die man sein ganzes bisheriges Leben ziemlich gründlich weggeschoben oder abgespalten hatte.

Hilfreich für mich waren nonverbale Therapieverfahren begleitend zur Gesprächstherapie. Also sowas wie Kunst- oder Körpertherapie, weil ich dadurch viel mehr ins unmittelbare Spüren gekommen bin als übers Reden. Kann aber auch gut sein, dass für dich ganz andere Dinge gut funktionieren. Achtsamkeit wäre auch noch etwas, was ich empfehlen kann. Also zu lernen, im Alltag und bei ganz alltäglichen Dingen genauer hinzuschauen und hinzuspüren: Was macht das mit mir? Wie fühle ich mich dabei? Und zwar auf der Körper- und sensorischen Ebene, denn Gefühle drücken sich idR über unseren Körper aus.

Schematherapie hat nach meiner Erfahrung (Gruppe bei einem Klinikaufenthalt) viele hilfreiche Ansätze, aber gleichzeitig habe ich das auch damals als sehr verkopft empfunden, weil ich mich immer nur gefragt hatte, welches Schema jetzt aktiviert ist und wie ich damit umgehen kannsollmuss... Das hat mir zwar geholfen, ein paar Dinge und Mechanismen besser zu verstehen. Aber in Sachen Gefühle wahrnehmen war das für mich nicht besonders hilfreich. Vielleicht ist das für dich aber auch ganz anders...
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― Anne Lamott

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caduta
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Beitrag So., 02.05.2021, 11:07

Hallo ihr beiden,
Vielen Dank für Eure Antworten und Gedanken! Es hilft mir auf jeden Fall
schon mal, mich besser zu verstehen. Mein Problem ist, dass ich einfach
keinen Vergleich habe. Deshalb ist es mir auch sehr lange nicht aufgefallen.
Es war halt immer schon so.

Mein Therapeut möchte da irgendwie gar nichts in irgendeine Richtung sagen,
vermutlich um mir die Möglichkeit zu geben mich selbst besser zu entdecken.
Aber manchmal würde ich mir schon wünschen, wenn er das eine oder andere
klarer formulieren würde. Auf meine Frage, ob das was mit Dissoziation
zu tun hat, antwortete er derartig ausweichend, dass ich - bildlich gesprochen -
dem Hasen beim Haken schlagen gar nicht mehr nachgekommen bin.

@lisbeth
Du hast in anderen Beiträgen schon von deinen Erfahrungen in der Kindheit
geschrieben, was mich immer sehr berührt hat. Ich hatte immer den Eindruck,
dass wir sehr ähnliche Erfahrungen gemacht haben, nur dass ich sozusagen
bei der Konkurrenz war :)

Interessant fand ich auch, dass du ähnliche Probleme mit der Schematherapie
hattest. Ich fand sie anfangs auch sehr hilfreich um überhaupt erst einmal
zu verstehen, was da bei mir ablief. Aber ich habe mich immer mehr in den
verschiedenen Schemata verloren und wurde immer konfuser und verwirrter.
Auf einmal war alles Schema und nichts mehr real. Wir sprechen jetzt nur
noch über einen verletzten Anteil und das hilft mir doch sehr mich wieder
auf das Eigentliche zu konzentrieren.

LG, caduta

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lisbeth
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Beitrag So., 02.05.2021, 13:05

Vielleicht ist es auch sinnvoller einfach von einer Zustandsbeschreibung auszugehen? So und so ist es gerade (ich nehme meine Gefühle kaum/schlecht/gar nicht/zeitverzögert wahr). Denn eigentlich ist es egal, welches Etikett man auf diesen Zustand klebt, ob das nun Dissoziation heißt oder Entwicklungs/Bindungstrauma oder oder oder... Es gibt mMn keinen standardisierten Weg da heraus. Und was für dich ein wünschenswerter "Idealzustand" wäre, sieht anders aus als für mich und für jeden anderen hier.

Von daher ist es vielleicht gar nicht schlecht, dass dein Therapeut da so zurückhaltend agiert. Weil es dir den Raum gibt, herauszufinden, was für dich wirklich funktioniert. Ist sicherlich anstrengender und komplexer als wenn er dir Vorgaben machen würde, aber im Ergebnis nachhaltiger (glaube ich).

Die Frage wäre: Was brauchst du vom Therapeuten als Unterstützung, um diesen Raum für dich besser nutzen zu können? Ich kenne das von mir, dass so ein großer und scheinbar unüberschaubarer Freiraum mich erstmal überfordert. Und dann geht gar nix. Wie kann der Therapeut dich also dabei unterstützen, mit deinen Gefühlen und Empfindungen besser in Kontakt zu kommen? Meine fragt zB immer sehr dezidiert nach, wenn ich dabei bin, ins Rationale oder auf die Meta-Ebene abzudriften: Was spüren Sie jetzt gerade in Ihrem Körper? Wo? Beschreiben Sie das so ausführlich wie es geht... Haben Sie ein inneres Bild vor Augen? Eine Farbe? Eine Form? Ein Symbol? Darüber ist es dann für mich meistens ganz gut möglich, einen Kontaktpunkt zu den Gefühlen zu finden... Manchmal spiegelt sie mir auch, was sie wahrnimmt, weil wir herausgefunden haben, dass sie da meistens viel zu viel vorausgesetzt hat. Wenn ich zB wütend war, dann war mir das oft überhaupt nicht klar, sie dachte aber, dass mir das bewusst sein müsste, weil es so deutlich war. Inzwischen fragt sie nach, aber sehr offen: zB Kann es sein, dass Sie gerade ziemlich wütend sind? Ich spüre da eine Menge Wut und Ärger auf Ihrer Seite... Auch wichtig: Ich nehme mir dann Zeit und überlege kurz, ob das so ist. Manchmal kommt dann auch ein klares Nein. Aber ihre Frage hilft mir trotzdem um dem auf die Spur zu kommen, was dann da ist...
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― Anne Lamott

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lisbeth
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Beitrag So., 02.05.2021, 13:07

caduta hat geschrieben: So., 02.05.2021, 11:07 nur dass ich sozusagen
bei der Konkurrenz war
Jetzt bin ich aber neugierig... :anonym: Magst du sagen, wo (gern auch über PN)...
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