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Jenny Doe
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Post Fri, 15.Dec.06, 17:51      Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

„Opfer der Rentenreform“, „Opfer der Gesundheitsreform“, „Opa war kein Nazi, er war Opfer“, „Opfer der Kindheit“, „der brutale Vater war selber Opfer“, „der Vater des brutalen Vaters war auch selber ein Opfer“, …
Leben wir in einer Opfergesellschaft?
Wenn alle Opfer sind, wer sind denn dann die Täter?

Diese Frage stellte ich mir bereits 1993 während eines Klinikaufenthaltes in einer psychoanalytischen Klinik. Während dieses Aufenthaltes wurde mir erklärt, dass ich nur so bin, wie ich bin, weil meine Eltern so waren, wie sie waren. Ich bin eigentlich nur ein Opfer meiner Eltern. Und meine Eltern wiederum sind Opfer ihrer Eltern. Man half mir in dieser Klinik nicht alternative Verhaltensweisen zu erlernen und man gab mir auch keine Problembewältigungsstrategien mit auf den Weg. Das einzige, was man mir mitgab war ein Sündenbock, dem ich die Schuld dafür in die Schuhe schieben konnte, dass ich so bin, wie ich bin.

Meine Kindheit war alles andere als rosig: Schläge, Angeschwiegen werden, Eingesperrt werden, Verwahrlosung, … waren an der Tagesordnung.
Die Kindheit einer Freundin von mir, die ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit kenne, hingegen war rosig. Sie hatte liebevolle Eltern, die sich um sich kümmerten, die immer für sie da waren. Ich habe sie immer beneidet um ihre Familie.
Und dennoch wird auch meine Freundin in unserer Gesellschaft als Opfer angesehen, das Opfer eines fürsorglichen Erziehungsstils, der es ihr unmöglich gemacht hat zu lernen, Probleme alleine zu meistern. Heute beineidet sie mich, da ich in meiner Kindheit auf mich alleine gestellt war und gelernt habe, alleine klar zu kommen, Probleme zu meistern.
Und dennoch werde auch ich in dieser Gesellschaft als Opfer angesehen, weil meine Kindheit eben nicht so rosig war und meine Eltern nicht so fürsorglich waren, wie die meiner Freundin.

Wenn ich mich so umsehe stelle ich fest, dass es eigentlich niemanden auf der Welt gibt, bei dem die Eltern alles richtig gemacht haben. Der eine leidet darunter, dass seine Eltern fürsorglich und liebevoll waren, der andere darunter, dass die Eltern nicht so fürsorglich waren. Alle sehen sich als Opfer ihrer Eltern, der bösen Eltern, wegen denen sie heute dies und jenes nicht können.

Ich will das, was meine Mutter mir angetan hat nicht abwerten. Es hat verdammt weh getan. Und dennoch frage ich mich, warum es in unserer Gesellschaft nicht sein darf, dass negative Erfahrungen auch positive Aspekte haben. Ich habe es in meinen Therapien nur ganz selten erlebt, dass mal nach Fähigkeiten, die ich aufgrund meiner negativen Kindheitserfahrungen entwickelt habe, gefragt wurde. Im Fokus der Aufmerksamkeit stand immer nur der Schaden, aber nie die Stärken, die ich aufgrund meiner Erfahrungen entwickelt habe. Ich hatte immer das Gefühl, das darf nicht sein, dass negative Erfahrungen auch positive Aspekte haben. Ich habe stets das Gefühl gehabt, an der Opferrolle festgenagelt zu werden. Wenn ich in meinen Therapien anmerkte, dass meine negativen Erfahrungen ja auch dazu geführt haben, dass ich heute ein Mensch bin, der sich selber zu helfen weiß, wurde dies als Verleugnung dessen, was man mir angetan hat, angesehen und meine Aufmerksamkeit wurde direkt wieder auf den negativen Aspekt gerichtet.

Es darf offensichtlich nicht sein, dass es jemand wagt, aus dem Opferdasein auszubrechen.
Im Gegenteil. Mir fällt immer wieder auf, dass Menschen in unserer Gesellschaft die Decke hochgehen, wenn man das Wort „Eigenverantwortung“ in den Mund nimmt. Sagt man z.B., dass sie sich selber versichern müssen, um im Rentenalter abgesichert zu sein und um ihren Lebensstandard zu halten, dann ist die Rede von Verantwortung, die andere für sie haben.
Die Schuld wird immer anderen zugeschoben und am Opferstatus darf nicht gekratzt werden.

Jenny

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Therese28
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Post Fri, 15.Dec.06, 19:51      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

hallo Jenny,


interessanter post von dir ok

Jenny Doe wrote:
Es darf offensichtlich nicht sein, dass es jemand wagt, aus dem Opferdasein auszubrechen.
m.e. ist hier weniger von dürfen, sondern von können zu sprechen; in diesem fall dem nicht-können. also dem unvermögen für sich selber einzustehen und "auszubrechen" aus der opferrolle. wie ich das sehe, mangelt es nämlich oftmals am können eigenverantwortung zu übernehmen. wir sind also nicht immer in der lage lang gelebte rollen so einfach aufzugeben. wie schwierig sich das oft erweist, wissen wir alle.

Quote:
Und dennoch frage ich mich, warum es in unserer Gesellschaft nicht sein darf, dass negative Erfahrungen auch positive Aspekte haben.
hier sehe ich keine diesbezüglichen richtlinien oder erwartungshaltungen der gesellschaft.
der gedanke in der eigenen störung auch positives zu sehen, gefällt mir. flower wüßte aber nicht, seit wann dieser nicht gedacht werden dürfte... gruebel

frei nach einem dichter zitiert:
    du mußt tiefes leid gespürt haben, um wahre glückseligkeit empfinden zu können
-die krankheit also als tor zu einem neuen gefühlsspektrum?!

so -oder so änhlich zwinkernd..- könnte man sich also daran machen, die eigene abnormität in ein anderes licht zu rücken und nach dem positiven zu suchen, das ihr innewohnt.



lieben gruß
menis
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carö
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Post Fri, 15.Dec.06, 21:02      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

hallo jenny doe,

Quote:
Und dennoch werde auch ich in dieser Gesellschaft als Opfer angesehen, weil meine Kindheit eben nicht so rosig war und meine Eltern nicht so fürsorglich waren, wie die meiner Freundin.


fühlst du dich denn als opfer ? wie kommst du darauf, dass du als opfer angesehen wirst ? könnt es sein, das du auch deinen teil dazu beiträgst, so wahgenommen zu werden ?

ich bin sicherlich auch ein opfer meinern eltern oder lebensumstände gewesen und es gehört m.E. für eine positive entwicklung auch dazu, dieses leid für sich selbst auch anzuerkennen, weil man sich damit sonst etwas antun/ wegnehmen würde: die möglichkeit der trauer... des ganzseins... das anerkennen, dass man als kind auch ein hilfloses opfer war... ds nicht anzuerkennen, würde glaube ich etwas wichtiges überspringen... ja, etwas verleugnen... etwas was man auch war und zu einem dazugehört.

gleichzeitig bin ich z.b. aber auf einen guten weg, mich nicht mehr zum opfer machen zu lassen, rückschläge inclusive. ich sehe es auch so, wie menis: es geht eher darum anzuerkennen, dass es sehr schwer sein kann/ist, zu sich und seiner eigenverantwortung zu stehen und nicht die schuld auf andere zu schieben.

aus dem opfersein nicht auszubrechen zu dürfen, habe ich auch noch nie gehört. jeder einzelne hat so seine päckchen zu tragen und der eine schafft es vielleicht eher, der andere später, mancher nie, sich aus der rolle des opfers und jammerers und schuld_auf_andere_schiebers zu befreien.

viele menschen - auch ich - müssen/mussten erst lernen, dass man das eigene leben auch gestalten kann/darf/muss ... bei mir dauerte es auch sehr lange bis ich begriff, dass ich auch eine andere sein kann, als nur ein opfer grinsend musste das recht mühsam lernen. vielleicht trägst du da auch noch so ein inneres bild mit dir herum ? weil ich das z.B. gar nicht so erlebe, dass man sich nicht aus der opferrolle befreien dürfte. im gegenteil grinsend es ist vielmehr ein nicht können, als ein nicht dürfen.

Quote:
Man half mir in dieser Klinik nicht alternative Verhaltensweisen zu erlernen und man gab mir auch keine Problembewältigungsstrategien mit auf den Weg. Das einzige, was man mir mitgab war ein Sündenbock, dem ich die Schuld dafür in die Schuhe schieben konnte, dass ich so bin, wie ich bin.


an dieser stelle klagst du die klinik an, so mein eindruck (meine das nicht als vorwurf, hoffe du verstehst es nicht so) ... da verharrst du in der opferrolle, das du nicht sein willst. könntest du dir auch denken, dass damals insgesamt die zeit nicht reif war oder was anderes mitgespielt hat, dass du es so empfunden hast? ich finde es wichtig, sein eigenes mitwirken zu erkennen. nur so befreit man sich aus der passiven opferrolle und kann zum aktiven mitgestalter werden.

Quote:
Im Fokus der Aufmerksamkeit stand immer nur der Schaden, aber nie die Stärken, die ich aufgrund meiner Erfahrungen entwickelt habe.

hm, verstehe, was du meinst. ich habe auch ab und zu solche gefühle entwickelt, konnte das aber bisher immer gut mit dem thera klären. vielleicht auch deswegen, weil ich mich vehement gewehrt habe, wenn ich den eindruck hatte, er übersieht etwas gutes - zumindest war es immer ein anlass, dieses missverständnis aufzulösen. im fokus der therapie steht aber nunmal das, was einen im leben behindert. könnten es sich da nicht um eher individuelle erlebnisse von dir handeln, anstatt um ein "gesellschaftliches oder therapeutisches konzept"?


lieben gruß
caroline

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Jenny Doe
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Post Fri, 15.Dec.06, 22:21      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Hallo Caroline!

Quote:
fühlst du dich denn als opfer ?


Mir ging es darum aufzuzeigen, wer alles als Opfer angesehen und bezeichnet wird: die einen, weil sie einen fürsorglichen Erziehungsstil genossen, die anderen, weil sie eben nicht fürsorglich erzogen wurden, …
Mir fällt halt auf, dass überall und bei allem, die Rede von „Opfer“ ist und den Menschen Glauben gemacht wird, sie seien Opfer. Vor kurzem hörte ich im Fernseher: „Die Opfer der Rechtsschreibreform sind ….“, „die Opfer der Gesundheitsreform sind …“. Es wird nicht an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert, sondern es wird betont, dass sie Opfer sind und so fühlen sie sich dann auch.

Zu der Frage, ob ich mich als Opfer fühle: Ich habe mich selber immer als ein Mensch wahrgenommen, der zwar schlimme Dinge erlebt hat, aber aus seinen Erfahrungen auch sehr viel Positives mitnehmen konnte. Doch das Positive blieb in meinen Therapien zu sehr auf der Strecke. Klar, man macht Therapie, weil man Probleme hat. Aber es hätte mir mehr geholfen, wenn man meine bereits vorhandene Ressourcen, Stärken und Fähigkeiten mehr gefördert hätte. Stattdessen passierte was anderes. Durch die Fokussierung meiner Aufmerksamkeit auf all das, was man mir angetan hat, hatte ich das Gefühl, meine Symptome seien berechtigt, denn schließlich bin ich ja Opfer. Diese Fokussierung hatte meine Symptome bestärkt, bestätigt und gefördert.
Interessant fand ich gestern das Gespräch mit meiner Freundin, der in der Therapie ebenfalls erklärt wird, sie hätte die und die Probleme, weil sie Opfer des fürsorglichen Erziehungsstils ihrer Eltern ist.

Quote:
wie kommst du darauf, dass du als opfer angesehen wirst ?


Ich habe mich in meinen Therapien so behandelt gefühlt.

Quote:
die möglichkeit der trauer... des ganzseins... das anerkennen, dass man als kind auch ein hilfloses opfer war. (…)


Da gebe ich dir Recht, Trauer muss sein, um sich weiter entwickeln zu können, um loslassen zu können. Und als Kind ist man auch hilflos, zweifelsfrei. Doch man ist in der der Therapie nicht mehr das kleine und hilflose Kind. Das kleine und hilflose Kind ist erwachsen geworden und hat überlebt und Stärken entwickelt, sonst hätte es vielleicht nicht überlebt.

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Jenny Doe
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Post Fri, 15.Dec.06, 22:22      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Quote:
mich nicht mehr zum opfer machen zu lassen


*Nick* Und genau das meine ich. Ich beobachte aber eher das Gegenteil, nämlich eine Sehnsucht danach, ein Opfer zu sein, als Opfer angesehen zu werden und habe das Gefühl, dass dieses Denken in den Therapien und auch in den Medien gefördert wird.

Quote:
weil ich das z.B. gar nicht so erlebe, dass man sich nicht aus der opferrolle befreien dürfte


Befreien dürfen vielleicht schon, aber wer tut das freiwillig in unserer Gesellschaft, wenn überall die Rede von „Opfer“ ist, wenn einem überall gesagt wird, man sei Opfer? Stagniert man da nicht eher, als dass man Eigenverantwortung lernt?

Quote:
könntest du dir auch denken, dass damals insgesamt die zeit nicht reif war


Ich hatte mich schon in der Therapie dagegen gewehrt und bin mit meiner Therapeutin immer wieder aneinandergeknallt.

Quote:
im fokus der therapie steht aber nunmal das, was einen im leben behindert.


Das ist richtig. Aber man hat die Kindheit überlebt, d.h. man verfügt eigentlich bereits über Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen.

Mir wird der Unterschied während meiner jetzigen Therapie erst so richtig bewusst. Meine derzeitige Therapeutin arbeitet auch mit meiner Kindheit und natürlich auch an meinen Problemen. Aber sie nagelt mich nicht an der Opferrolle fest. Sie sagt nicht, wie z.B. meine Analytikerin, „ihre Eltern sind Schuld“, sondern zeigt mir Lösungswege auf und vermittelt mir alternative Verhaltensweisen. Sie hilft mir aus der Opferrolle raus zu kommen.

Quote:
könnten es sich da nicht um eher individuelle erlebnisse von dir handeln, anstatt um ein "gesellschaftliches oder therapeutisches konzept"? .


Dieser Thread von mir ist eine Mischung. Meine Wahrnehmung ist die, dass die Opferrolle allgemein gefördert wird, sowohl in den Therapien als auch z.B. in den Medien.
Ich habe vor kurzen einen Text gelesen, dass die Nazis im zweiten Weltkrieg, die Menschen getötet haben, eigentlich keine Täter sind, sondern selber Opfer. Und so entstand bei mir die Frage, wenn doch alle in unserer Gesellschaft als Opfer angesehen werden, wer ist denn dann eigentlich Täter, wer trägt denn dann eigentlich wirklich die Schuld. Denn ich kann ja dann auch nicht sagen: „Mein Eltern sind Schuld“, denn sie sind demnach ja selber Opfer ihrer Eltern.

Gruß
Jenny

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Post Fri, 15.Dec.06, 22:33      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Hallo menis!

Quote:
m.e. ist hier weniger von dürfen, sondern von können zu sprechen; in diesem fall dem nicht-können. (...) wie ich das sehe, mangelt es nämlich oftmals am können eigenverantwortung zu übernehmen. wir sind also nicht immer in der lage lang gelebte rollen so einfach aufzugeben.


*Nick* Und genau das fehlt mir, nämlich, dass die Menschen zur Eigenverantwortung erzogen werden. Ich beobachte, wie schon erwähnt, eher das Gegenteil, nämlich das überall die Rede von "Opfern" ist.

Quote:
der gedanke in der eigenen störung auch positives zu sehen, gefällt mir. wüßte aber nicht, seit wann dieser nicht gedacht werden dürfte...


Da hast Du Recht, da gibt es kein Gesetzt, das dies verbietet. Das ist so eher meiner persönliche Erfahrung, dass das nicht sein darf.

Gruß
Jenny

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Anne1997
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Post Sat, 16.Dec.06, 7:35      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Hallo Jenny Doe und alle anderen Schreiber,

der Thread ist interessant. Denke auch, dass in unserer Gesellschaft die "Opferkultur" progressiv ist:
- die Polititker sind schuld
- die Wirtschaftsbosse sind schuld
- die Lehrer sind schuld
- die Männer / Frauen sind schuld....
- die Familie / Eltern ist / sind schuld...
- die Gesundheitsreform macht mich zum Opfer
etc.
Es ist schon etwas dran an einer Gesellschaft, die "autistisch" ist und nicht erwachsen, d.h. auch eigenverantwortlich, werden will (Lit. R. Lempp, V. Chu).
Es rennen genügend bezüglich des Alters erwachsene Menschen herum, die sich damit ein scheinbar "wohliges" Leben zimmern.

Auf der anderen Seite ist es schon so, dass ich, um reifen zu können, Leid anerkennen muss, um trauern zu können - man war als Kind (wie Caroline schrieb) auch hilflos. In meiner eigenen (Gestalt)Therapie war das ein ziemlich entscheidender Schritt, da ich jede Stunde damit begonnen habe aufzuzählen, wo Menschen in aller Welt und in meiner näheren Umgebung mehr leiden als ich und dass ich - relativ gesehen - gar keine Probleme habe und auch meine Kindheit viel glücklicher war als die von anderen.
Heute sehe ich das etwas relativierter, kann mich mehr auf mich konzentrieren, damals (vor 1/2 bis 1 Jahr) war das fast unmöglich.
Ich beginne meine Stunde heute immer damit zu erzählen, was positiv war (die für mich neg./belastenden Dinge) kommen ja noch und mein Therapeut versucht auch, das Positive zu unterstützen (z.B. berufl. Entscheidungen).
Ich bin für mich verantwortlich, z.B. ein Zweitstudium nicht beendet zu haben (schmerzt mich noch heute), dafür erfolgreich in einem ähnl. Bereich zu arbeiten, jetzt - auch durch die Therapie - es zu wagen, mich weiter zu entwickeln. Ich bekomme mehr Mut, habe aber auch manchmal ziemlich große Angst vor den sich auftuenden mehr Möglichkeiten.

Und: jeder Mensch hat sein "Päckchen zu tragen" - ich bin nicht allein, wir können teilen und daran wachsen, anerkennen was war - und neue Pfade finden.

In manchen Momenten fand ich es schon "verrückt", dass soundsoviele Menschen als "Opfer" in Therapien sitzen, deren Nachkommen wieder in Therapien sind usw. - quasi der Mensch als merkwürdige (Opfer-Fehl-)Konstruktion. Das kann nicht ausschließlich der Sinn einer Therapie sein. Meine Therapie begreife ich immer mehr als prof. Begleitung auf meinem Weg (komme mir manchmal wie ein sokratischer Schüler) und bin froh, dass ich mich aus familiären Verstrickungen mehr und mehr (ich gebe zu: mit Rückschlägen) lösen kann und mehr aufregende Unabhängigkeit spüre.

Soweit mal etwas ungeordnet,
LG,
Anne Smile


Last edited by Anne1997 on Sat, 16.Dec.06, 11:00; edited 3 times in total
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Claude
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Post Sat, 16.Dec.06, 10:11      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Jaja, es sind grundsätzlich "die Anderen" schuld.

Daran, dass Mann heutzutage auch etwas tun muss, um eine Frau zu bekommen, daran sind die bösen bösen Frauen schuld.
An der Wirtschaftslage sind die faulen faulen Arbeitslosen schuld, denn die wollen ja schließlich gar nicht arbeiten, denn Arbeit gäb's ja schließlich genug (zB als Türsteher im Irak o.ä.).
Und nicht zu vergessen die Amokläufe, denn daran sind selbstverständlich die Computerspiele schuld.

Das ist insofern recht bequem, als dass man bei dieser Methode keinerlei Verantwortung übernehmen muss. Und nicht weiter nachdenken muss. Sind ja sowieso die anderen schuld.

Das fängt an beim Dreijährigen, der irgendetwas kaputt macht und dann jedesmal meint "War ich nicht." und hört auf bei denjenigen Rentnern, die einem erzählen wollen, sie wussten nichts vom Holocaust.
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Post Sat, 16.Dec.06, 13:42      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

hallo jenny,

Quote:
..hörte ich im Fernseher: „Die Opfer der Rechtsschreibreform sind ….“, „die Opfer der Gesundheitsreform sind …“. Es wird nicht an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert, sondern es wird betont, dass sie Opfer sind und so fühlen sie sich dann auch.
es ist schon richtig, dass besonders die medien oft sehr pauschalisieren und überzeichnen. das wundert mich auch nicht. fraglich finde ich es aber, ob sich diese menschen/gruppe, die als opfer bezeichnet werden, dann auch wirklich so fühlen... da fängst du an zu pauschalisieren und das finde ich nicht gerechtfertigt. aber nimm es doch als anlass darüber nachzudenken, dass es sehr menschlich ist, dazu zu neigen, in einer komplexen welt nach einfachen erklärungen zu suchen. und es gibt sicherlich die neigung – ich nehmen mich nicht aus – gerne eine simple antwort auch mal anzunehmen. und man muss sich dessen bewusst sein, um diese bequeme haltung immer wieder zu hinterfragen. es gibt auch in den medien andere stimmen, die mehr eigenverantwortung fordern, das ist aber anstrengend und kann beängstigend sein. du kennst vielleicht das schöne buch von erich fromm: die furcht vor der freiheit? finde das eine zutiefst menschliche und differenzierte betrachtung eben dieser schwierigkeiten. du kannst es letztlich auch an wahlen sehen: die vertreter liberaler ansichten erreichen tendenziell nie so eine masse der bevölkerung, wie jene, die gerne heiapoppeiaüberversorgung versprechen...
medien prägen sehr stark unsere haltungen und einstellungen. differenzierte betrachtungen gehen leider oft unter in der masse der BILDzeitungsopfergeschichten. ja du hast schon recht damit, dass eine vielzahl von menschen nicht gerne genau hinsehen und nicht gerne auch ihren anteil am geschehen erkennen wollen. aber es gibt sie – jene menschen, die sich darum bemühen hinter die kulissen zu schauen und auch darüber sprechen.

Quote:
ich habe mich selber immer als ein Mensch wahrgenommen, der zwar schlimme Dinge erlebt hat, aber aus seinen Erfahrungen auch sehr viel Positives mitnehmen konnte. Doch das Positive blieb in meinen Therapien zu sehr auf der Strecke.

das klingt ja fast so, als wären deine therapien schuld an deinen schwierigkeiten?!

Quote:
Durch die Fokussierung meiner Aufmerksamkeit auf all das, was man mir angetan hat, hatte ich das Gefühl, meine Symptome seien berechtigt, denn schließlich bin ich ja Opfer. Diese Fokussierung hatte meine Symptome bestärkt, bestätigt und gefördert.

schwierig, dazu etwas zu schreiben. ich kenne deine gefühle, habe durchaus so was auch erlebet. allerdings war an dieser stelle zum glück nicht der ende des weges erreicht. wie gesagt: solche gefühle liessen sich als missverständnis auflösen. ich habe den eindruck, dass du noch sehr an den alten therapien zu knabbern hast. da ist sicher gewaltig was schief gelaufen, was mir wirklich leid tut für dich.

Quote:
Interessant fand ich gestern das Gespräch mit meiner Freundin, der in der Therapie ebenfalls erklärt wird, sie hätte die und die Probleme, weil sie Opfer des fürsorglichen Erziehungsstils ihrer Eltern ist.

und kann sie nicht ihre gegensicht dazu erklären ? therapie ist doch ein austausch.

forts.

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Post Sat, 16.Dec.06, 13:43      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Quote:
Aber sie nagelt mich nicht an der Opferrolle fest. Sie sagt nicht, wie z.B. meine Analytikerin, „ihre Eltern sind Schuld“, sondern zeigt mir Lösungswege auf und vermittelt mir alternative Verhaltensweisen. Sie hilft mir aus der Opferrolle raus zu kommen.


das ist schön grinsend so sollte das sein. das bestätigt doch eigentlich, dass es nicht "die therapien" gibt zwinkernd..

Quote:
Ich beobachte aber eher das Gegenteil, nämlich eine Sehnsucht danach, ein Opfer zu sein, als Opfer angesehen zu werden und habe das Gefühl, dass dieses Denken in den Therapien und auch in den Medien gefördert wird.
ja, diese sehnsucht gibt es sicherlich, siehe oben.... durch die medien gefördert ? da habe ich meine zweifel, weil niemand einen zwingt, sich einnebeln zu lassen - wir sind ja keine dumpfe graue masse von menschen, die alles glauben müssen zwinkernd..

eigenverantwortung zu übernehmen war schon immer der unbequemere und anspruchsvollere weg – aber mit dem gewinn, ein selbstgestaltetes und eigenverantworliches leben zu führen und eben nicht „gelebt“ zu werden. früher hat z.B. die kirche das übernommen, was heute vielleicht die medien (anders) übernehmen (o.k. da könnte man sicher lange abhandlungen dazu schreiben) – es ist einfach nichts neues, dass viele/manche menschen dazu neigen, sich in die verantwortung eines anderen zu übergeben. aber letztlich war es schon immer eine höchstpersönliche und individuelle aufgabe, sein leben selbst in die hand zu nehmen.

liebe grüße
caroline

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Post Sat, 16.Dec.06, 14:09      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Hallo Caroline!

Quote:
fraglich finde ich es aber, ob sich diese menschen/gruppe, die als opfer bezeichnet werden, dann auch wirklich so fühlen... da fängst du an zu pauschalisieren und das finde ich nicht gerechtfertigt.


Bisher habe ich noch keine Gegenerfahrungen machen können als die, dass alle klagen, z,B. "jetzt muss ich mich mit der neuen Rechtschreibreform auseinandersetzen, obwohl ich gar keine Zeit habe", "wieder sind es die Armen, auf deren Köpfen das ausgetragen wird", ...

Quote:
das klingt ja fast so, als wären deine therapien schuld an deinen schwierigkeiten?!


Schuld kann man nicht sagen. Es ist eher so, dass ich heute merke, dass mir der Ansatz "die Schuld bei meinen Eltern zu suchen" nichts gebracht hat. Ich bekam nur eine Erklärung und einen Sündenbock geliefert, aber keine Problembewältigungsstrategien und andere Verhaltensweisen vermittelt. Kurz: Dueser Ansatz half mir eben nicht dabei aus der Opferrolle rauszukommen, sondern nagelte mich vielmehr in dieser fest.

Quote:
und kann sie nicht ihre gegensicht dazu erklären ? therapie ist doch ein austausch


Genau das ist der Punkt, was ich meine. Klar ließe sich das klären, wenn man sich dessen bewusst wäre. Ich kenne diese Freundin ja schon viele viele Jahre, kenne ihre Familie. Und früher hat sie den Erziehungsstil ihrer Eltern nicht als schädigend erlebt. Im Gegenteil, sie hat sich zu Hause sehr wohl gefühlt. Erst jetzt, wo man ihr sagt: "Das liegt an ihrer Kindheit", da begann sie sich als Opfer ihrer Kindheit wahrzunehmen und macht jetzt ihre Eltern dafür verantwortlich, dass sie dies und jenes nicht kann.

Quote:
das ist schön so sollte das sein. das bestätigt doch eigentlich, dass es nicht "die therapien" gibt


Da stimme ich dir voll zu.

Quote:
ja, diese sehnsucht gibt es sicherlich, siehe oben.... durch die medien gefördert ? da habe ich meine zweifel, weil niemand einen zwingt, sich einnebeln zu lassen


Gezwungen wird man natürlich nicht, aber es wird einem leicht gemacht. Ich denke da gerade an den Artikel, den ich gelesen habe, "Opa war kein Nazi" oder auch an meine Mutter, die ihr Verhalten mir gegenüber damit erklärte, dass sie ja selber nur Opfer ihrer Mutter war", ... Und sie bekam dies von ihrer Umwelt bestätigt.

Quote:
solche gefühle liessen sich als missverständnis auflösen


Und genau das war nicht möglich. Es wurde als Verleugnung abgetan.

Gruß
Jenny

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Post Sat, 16.Dec.06, 14:18      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Hallo Anne!

Quote:
Auf der anderen Seite ist es schon so, dass ich, um reifen zu können, Leid anerkennen muss, um trauern zu können - man war als Kind (wie Caroline schrieb) auch hilflos.


Ich glaube, wir denken hier in diesem Thread alle an unterschiedliche Fälle, wenn wir das Wort "Opfer" hören.

Ich gebe Dir da absolut Recht. Wenn z.B. ein Kind geschlagen wird, dann muss es im Erwachsenenalter trauern, verarbeiten und auch seine Wut rauslassen, um loslassen zu können und um reifen zu können. Das ging mir nicht anders.

Gruß
Jenny

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Post Sat, 16.Dec.06, 14:35      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

hi jenny,

nur kurz dazu:

Quote:
Bisher habe ich noch keine Gegenerfahrungen machen können als die, dass alle klagen, z,B. "jetzt muss ich mich mit der neuen Rechtschreibreform auseinandersetzen, obwohl ich gar keine Zeit habe", "wieder sind es die Armen, auf deren Köpfen das ausgetragen wird", ...
es ist sicher auch eine definitionsfrage, was man unter opfer eigentlich versteht. da hat sicher jeder auch so seine eigenen ansichten.

deine aufgeführten beispiele fallen bei mir z.B. nicht in diese kategorie. manches ist einfach fakt. ist doch klar, find ich, dass es nervt, sich mit der rechtschreibereform beschäftigen zu müssen... aber bin ich dann ein opfer ?

und "die armen".... aber ja, es gibt menschen, die haben nachteile durch z.b. sog. "reformen" und es ist auch ein fakt, dass besonders menschen "am rande der gesellschaft" ohne job, ohne ausreichende bildung oder ausbildung schneller übergangen werden, als jene, die sich gut organisieren und "im system" agieren können... große unspezifische gruppen haben es schwerer, eine schlagkräftige lobby zu etablieren... und da gibt es dann auch wieder gegengruppen, die solche ungegerechtigkeit nicht hinnehmen wollen... komplexe welt halt.

grüße
caroline

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Post Sat, 16.Dec.06, 15:18      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Hallo Caroline!

Quote:
es ist sicher auch eine definitionsfrage, was man unter opfer eigentlich versteht.


*Nick* Und es scheint so, dass wir beide ähnliche Vorstellungen davon haben, was man unter Opfer versteht.
Was mir jedoch auffällt ist, dass inzwischen fast jeder und alles mit "Opfer" betitelt wird.

Quote:
und es ist auch ein fakt, dass besonders menschen "am rande der gesellschaft" ohne job, ohne ausreichende bildung oder ausbildung schneller übergangen werden (...)


Das muss ich Dir Recht geben.

Gruß
Jenny

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Post Sun, 17.Dec.06, 12:12      Re: Opfergesellschaft?! Reply with quoteBack to top

Quote:
Wenn alle Opfer sind, wer sind denn dann die Täter?

Vielleicht bereits all die, die die Gewalt in unserem auf verbessern und erziehen, auf werden und zielerreichen aufgebauten, an Bedingungen geknüpften Leben nicht erkennen können und sie damit automatisch weitergeben.

Früher brauchte man Blut, um sie als Gewalt zu erkennen, heute erkennt man weit mehr körperliche Gewalt als solche an, seelische Verwahrlosung, sexuelle Gewalt und Mobbing haben manche bereits erkannt. Nach und nach wird man seelische Gewalt mehr und mehr anerkennen. Und vielleicht noch ein bisschen später die Gewalt im „sich selbst antreiben und verbessern“ und vielleicht noch etwas später im Unterschied vom Istzustand des Menschen zu jedem Soll. Die Ziele und Wünsche, die keine kleinen erstrebenswerten Paradieschen, sondern Bedingungen geworden sind.

Die Eigenverantwortung kann m.E. heute noch nicht erkannt werden, weil die Gesellschaft Individualität und Eigenverantwortung zwar formal begrüßt, aber es sollte schon solche sein, die der Gesellschaft auch passt. Alles, was wir heute machen, ist, den Menschen zu Eigenverantwortung zu zwingen und vorwärts zu schubsen. In Bahnen. Aber allein am zwingen und auffordern merkt man m.E., dass wir den Charakter von Eigenverantwortung nicht verstehen. Wie soll ich jemanden zur Eigenverantwortung locken oder zwingen können. Er wird glauben, er rennt der Möhre freiwillig nach (und zieht den Schlitten). Und er wird irgendwann sehr sehr enttäuscht werden, wenn er merkt, dass ihm die Möhre hingehalten wurde, die er für seinen Willen hielt. Wenn ich dem Menschen vorschreibe, was Eigenverantwortung ist, muss er fremdes zu eigenem machen. Ist das unser Verständnis von eigenem, von einem Selbst?

Vielleicht entsteht Eigenverantwortung viel einfacher...und bereits im Erleben dessen, was man ist, wozu man körperlich und geistig im Gestalterischen fähig ist und wie man es, die Natur, die Menschen und seinen eigenen Körper dabei erleben kann. Im Erleben, im Gestalten, im Wirken, im Fühlen... Zu wenig? Vielleicht.

„Beweg deinen Hintern hoch und sei kein Opfer“ , ist in meinem Verständnis reine Gewalt.
Es zeigt, dass der, der es sagt, nicht erkennt, warum die Kuh nicht Anlauf nimmt und volle Pulle durch den Weidezaun rast, sie kann es einfach nicht. Aber wer hat der Kuh denn beigebracht, dass sie dazu da ist, Milch zu geben und dass sie nicht in der Lage sei, den Zaun zu durchbrechen? Wenn die Kühe ausbrechen, laufen sie wie wild in der Gegend herum und es wäre „auch nicht besser“? Vielleicht brauchen sie ja einfach ein bisschen Zeit, um über Jahrtausende gelerntes zu vergessen und neues aufzunehmen. Wenn sie so lange in der Gruppe muffelten, wie sollen sie dann von heut auf morgen ihr alleinsein aushalten...und vor allem, wie sollten sie es für sich nutzen können? So vieles, was sie im Moment tun, sind nicht ihre eigenen Willensäußerungen, sondern die der Gruppe vergangener Generationen (stammesgeschichtliches Unbewußte) oder die eigener vergangener tage (persönliches Unbewußte). Wer soll das alles so schnell unterscheiden können? Ich kanns nicht. Selbst wer es versucht, kann hier schnell den Mut verlieren.

Wir können uns gern aufregen darüber, dass so viele meckern und schimpfen und unzufrieden sind und doch nichts tun. Aber genau das macht sie doch so pflegeleicht, so berechenbar, so manipulierbar, genau das treibt sie in unsere Kirchen und Sekten, in unsere Schönheitsfarmen und Konsumtempel, in Akademien und Meditationsseminare, in Ehen und Fitnesstempel.
Wer fängt hier wo an. Ich persönlich finde, dass es sehr viel gibt, wo man für sich selber anfangen kann, den Weidezaun hinter sich zu lassen. Und man braucht deshalb ganz und gar kein rasendes Monster sein, aber dass der Wolf im Hund mal beißt, wird man akzeptieren müssen.

Hiob
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