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Walrus
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Post Wed, 18.Apr.07, 23:31      Kurzgeschichten Reply with quoteBack to top

In einem kleinen weißen Zimmer mit mit Himbeeren bestreuter Gardine sitzt ein Mädchen in seinem Bett und betet um sein Leben. Als es fertig ist, legt es sich hin und betrachtet im Dämmerlicht seine Fußknöchel. Wie kleine Kartoffeln, denkt es. Wie kleine Kartoffeln mit Haut bespannt, und bewegt seine knochigen Kartoffeln hin und her. Man könnte sie leicht herausnehmen, kochen und essen.
Irgendwie ein unheimlicher Gedanke.
Weg von den Füßen, bevor jemand anders auf die gleiche Idee kommt. Das Mädchen zählt die Sterne auf ihrer Bettdecke. Es gibt auch Monde und Sonnen, gelb und rund wie Kartoffelchips, die das Mädchen im Bett isst, die Chips einzelnd auf jeweils eine Sonne oder einen Mond legend. Nun liegt es da im Halbdunkeln von Sternen bedeckt. Als es noch jünger war, hat seine Mutter ihm oft vorgesungen, abends, vorm Einschlafen. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt...Das Gott es auch so oft schon geweckt hat! Irgendwann wird es ihm bestimmt zu blöd dieses langweilige Leben fortzusetzen, dass er jeden Tag beobachten muss.
Jeden Abend betet das Mädchen um eine Verlängerung seines Lebens, und dass seiner Mutter und Schwester, mehr nicht. Wenn man zuviel von Gott fordert, wird er böse und tut gar nichts mehr.
Seine Wimpern werden schwer wie Eisen und ziehen die Augenlieder herunter. Das Mädchen schläft und eine Traum überschwemmt sein Gehirn. Seine Schultern schwanken im Wind, werden hin und hergerüttelt und langsam wacht das Mädchen auf.
Seine Mutter schüttelt es und ihr Gesicht sieht aus wie verschüttete Milch. Das Mädchen reibt sich den Traum aus den Augen und guckt fragend mit kurzsichtigen Augen, groß wie die einer Fliege und glänzend wie Oliven. Papa ist tot! Sagt die Mutter. Huch! macht das Mädchen und wirft die Hände auf den Kopf. Das hätte ich nun gar nicht erwartet! Denkt es. Hätte ich bloß für ihn auch gebetet, das hab ich nun davon.
Im nächsten Moment findet es sich wieder auf dem Bett wieder mit seiner Mutter neben sich, die ihren Arm um es geschlungen hat. Eine Träne rollt ihm über das Gesicht. Aus dem rechten Auge. Aus dem rechten Auge kommt zuerst eine Träne, denkt es. Interessant. Ob das bei mir immer so ist? Und es wartet auf die nächste Träne, die nicht kommt. Das wars wohl. denkt es enttäuscht von sich selbst. Eine Träne, mehr nicht.

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Embarassed Kritisiert mich ruhig mit Verbesserungsvorschlägen, bitte Smile

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Post Sun, 22.Apr.07, 11:29      Re: Kurzgeschichten Reply with quoteBack to top

hallo walrus

habe deine Kurzgeschichte öfters gelesen und sie gefällt mir von den Bildern, die du überträgst sehr gut, obwohl die Bilder nicht einfach zu interpretieren sind.
Eine Zeitrafferaufnahme von einem Mädchen, die eine sehr entfernte und nahe Aufnahme von sich macht. Mitten in den Ereignissen ist und trotzdem
von weitem beobachtet.

Dein Schreib-und Ausdruckstil wird von deiner Vorstellungskraft (Fantasie), in besondere Formen übergeleitet : sie betet um ihr Leben, Mutter schüttelt es und ihr Gesicht sieht aus wie verschüttete Milch,..

Eine sehr tiefe und berührende Geschichte, die aber nicht nur von der Vorstellungskraft, sondern viel mehr durch den Inhalt gewinnt der nicht zu lesen ist.

wünsche dir noch viel Erfolg beim Schreiben

iqchen

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Post Sun, 22.Apr.07, 20:55      Re: Kurzgeschichten Reply with quoteBack to top

Vielen Dank für deinen Kommentar, iqchen Smile Sowas ausführliches gefällt mir sehr gut...(meist kriegt man ja nur Rückmeldungen wie "gefällt mir" oder "irgendwie...komisch ö.ö" oder so *g*)

Hier meine überarbeitete Fassung. Sie hat auch einen Titel (der aber nur aus der not entstanden ist, mit Titeln tu ich mich immer sehr schwer)



Wie Sterne

In einem kleinen weißen Zimmer mit himbeerenbestreuter Gardine sitzt ein Mädchen in seinem Bett und betet um sein Leben. Als es fertig ist, legt es sich hin und betrachtet im Dämmerlicht seine Fußknöchel. Wie kleine Kartoffeln, denkt es. Wie kleine Kartoffeln mit Haut bespannt, und bewegt seine knochigen Kartoffeln hin und her. Man könnte sie leicht herausnehmen, kochen und essen.
Weg von den Füßen, bevor jemand anders auf die gleiche Idee kommt. Das Mädchen zählt die Sterne auf ihrer Bettdecke. Es gibt auch Monde und Sonnen, gelb und rund wie Kartoffelchips, die das Mädchen im Bett isst, die Chips einzelnd auf jeweils eine Sonne oder einen Mond legend. Nun liegt es da im Halbdunkeln von Sternen bedeckt. Als es noch jünger war, hat seine Mutter ihm oft vorgesungen, abends, vorm Einschlafen.
Jeden Abend betet das Mädchen um eine Verlängerung seines Lebens, und dass seiner Mutter und Schwester, mehr nicht. Wenn man zuviel von Gott fordert, wird er böse und macht gar nichts mehr.
Seine Wimpern werden schwer wie Eisen und ziehen die Augenlieder herunter. Das Mädchen schläft und ein Traum überschwemmt sein Gehirn. Seine Schultern schwanken im Wind, werden hin und hergerüttelt und langsam wacht das Mädchen auf.
Seine Mutter schüttelt es und ihr Gesicht sieht aus wie verschüttete Milch. Das Mädchen reibt sich den Traum aus den Augen und guckt fragend mit kurzsichtigen Augen, groß wie die einer Fliege und glänzend wie Oliven. Die Mutter zieht es nach oben wie ein schlaffes Segel. Papa ist tot! Sagt die Mutter. Huch! macht das Mädchen und wirft die Hände auf den Kopf. Das hätte ich nun gar nicht erwartet! Denkt es.
Im nächsten Moment sieht es sich wieder auf dem Bett liegend mit seiner Mutter neben sich, die ihren Arm um es geschlungen hat wie um einen Rettungsring. Eine Träne rollt ihm über das Gesicht. Aus dem rechten Auge. Aus dem rechten Auge kommt zuerst eine Träne, denkt es. Interessant. Das nächste mal muss ich wieder darauf achten, vielleicht ist das immer so mit dem Weinen. Erst das Rechte und dann - Und es wartet auf die nächste Träne, die nicht kommt. Das wars wohl. denkt es, enttäuscht von sich selbst. Eine Träne, mehr nicht.

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Post Tue, 24.Apr.07, 1:02      Re: Kurzgeschichten Reply with quoteBack to top

Zitronenbonbon


Du greifst in eine der großen Taschen deines Trenchcoats und durchwühlst sie nach einer der kleinen Plastiktütchen, von denen du nun schon seit Jahren immer eine dabei hast. Als du endlich das wohlvertraute Rascheln fühlst, entspannen sich deine Gesichtszüge und du lächelst wie jemand, der etwas liebgewonnenes nach langem Hoffen und Bangen wiedergefunden hat.
Das Tütchen ist nur noch zu einem Fünftel gefüllt mit den quitschgelben harten Bonbons, die plastikartig glänzen. Du wiegst das Tütchen in der Hand und wirfst es ein wenig hoch, fängst es. Wirfst es noch ein Stückchen höher. Fängst es. Dieses Spielchen wiederholst du noch einige Male bis du andächtig den Verschluss des Tütchens öffnest und langsam deine Hand bis fast auf den Grund der Tüte steckst, wobei sie leise knistert. Du lässt dir Zeit mit der Auswahl des perfekten Bonbons. Schließlich wählst du einen aus, der eine perfekte glatte Oberfläche und Form hat, der nicht verformt ist oder Bruchstellen aufweist.
Mit der anderen Hand zwirbelst du die Tüte wieder zu und verschließt sie wieder, bevor du sie zurück in die Jackentasche gleiten lässt.
Nun betrachtest du den Bonbon in deiner Hand.
Zitronengelb, rund, glänzend, makellos ist er und wird ausgiebig von dir bewundert bevor du ihn mit geschlossenen Augen Richtung Gesicht bewegst.
Erst richst du an dem Bonbon, ziehst das süße Aroma von Zitronen und Kindheit in deine Nase, stößst seufzend die Luft aus deinem Mund.
Jetzt öffnest du langsam den Mund und legst den Bonbon fast zeremoniell auf die Mitte deiner Zunge, schließt den Mund bedächtig. Der Bonbon liegt schwer auf deiner Zunge, schwer und unbewegt bevor du langsam an ihm zu lutschen beginnst.
Du spürst, wie die angenehme Süße deinen Mundraum erfüllt, sich langsam bis in jede Ecke vorwagt wie auf einem Eroberungsfeldzug.
Als sich dein Mund mit dickflüssiger, süßer Spucke füllt, fangen deine Zähne an, gegen den unerwünschten Eindringling zu rebellieren, zu knirschen, zu knabbern zu beissen und zerhacken den nun um die Hälfte geschrumpften Bonbon in zwei Hälften
- malmen und zerbeissen mit aller Kraft, die deine Kaumuskeln aufbringen können,
zersplittern den Bonbon in tausend kleine Stückchen -
spitze, kleine Bonbonsplitter -
picksen ins Fleisch,
schneiden ein -
"Es tut mir wirklich sehr leid."
ertönt plötzlich eine sonore Stimme.
Mit einem Ruck findest du dich in einem weißen sterilen Büro wieder, vor dir ein Tisch und hinter dem Tisch ein kalt guckender Herr mit zurückgehendem Haaransatz und Brille, der sich die allergrößte Mühe gibt, seinem starren Blick etwas Empathie zu verleihen -
"Herr W. ...?"....



"Herr W!"

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Post Tue, 24.Apr.07, 11:40      Re: Kurzgeschichten Reply with quoteBack to top

hallo walrus (werde keine groß/kleinschreibung beachten)

habe deine erste korrektur gelesen.
hast kleine änderungen angebracht, die klareren ausdruck schaffen. die motive haben sich nicht geändert, also bleibe ich bei meiner ersten beurteilung und dem lob.

die zweite fäng sehr "harmlos" an. eine strikte betrachtung. eine sehr detailierte, eine anleitung für eine "kindliche maschine".
dein erzählstil ist genau und legt sehr viel wert auf aussen/innen erleben.
keine (scheinbar) ernsten motive treiben die sätze voran - bis man auf den großen bruch geführt wird. ein schmerzlicher bruch, dessen geheimnis ich nur erahnen kann, denn du lässt ihn unbeschrieben.

bei aller gedankenweite und unterschiedlichkeit der ersten zur zweiten glaube ich eine fortsetzung zu erkennen.

muss mich wiederholen - sehr gute schreibarbeit, die du leistest.
die erste in mehr brüche unterteilt (mit mehr schmerzlicher tiefe für mich), die zweite bequemer zu beginn für den aussenstehenden bis sie unbequemst endet.

ich habe dir nach der ersten geschichte versucht meine sicht zu vermitteln.
du solltest dich nicht zu sehr wundern, wenn andere nur sagen : "sie gefällt mir" oder "irgendwie komisch.."
du stellst den leser vor eine große herausforderung und diese kann nicht jeder annehmen, selbst wenn er das will.

danke dir für deine geschichte und freue mich auf deine antwort

beste grüße

iqchen

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Post Tue, 24.Apr.07, 15:16      Re: Kurzgeschichten Reply with quoteBack to top

Vielen Dank. Smile


Die zweite Geschichte, da hab ich mir folgendes Gedacht:

Herr W. lässt sich vom Arzt untersuchen, der ihn in sein Büro vorlädt und ihm eröffnet, dass Herr W. ein Krebsgeschwür hat, das so weit vorgedrungen ist, dass es nicht mehr heilbar ist und Herr W. nicht mehr lange zu leben hat. Herr W. flüchtet sofort in seine zuckersüße Welt, die ihm vertraut ist, bis der Arzt ihn mit seinem Pseudomitleid zurück holt, was ihn aber wiederrum paralysiert. (Herr W.?... fragt der Arzt hilflos)
Herr W. findet sich nicht "in der Praxis" wieder und erkennt in dem Herren seinen Doktor, weil er noch nicht ganz in der "richtigen Welt" ist, er ist gerade erst von seinem Süßen zurück.

In dem bonbonessen habe ich einige Aspekte reingebracht, die Süße breitet sich aggressiv aus (wie'n Geschwür), die Zähne wollen sich wehren, aber der bonbon verletzt den mund auch wenn er bereits zerstört ist. Herr W. ist anfangs noch angespannt von der Neuigkeit aber entspannt sich, als er das Tütchen zückt.

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