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Somnambule
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Post Mon, 23.Apr.07, 16:42      Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

Hallo,

zwei Dinge möchte ich ansprechen. Kennt das jemand – dass man sich ständig schuldig fühlt, wegen allem und jedem? Und dass man nichts wirklich genießen kann, weil man denkt, man hat das Gute nicht verdient?

Könnte dieses ewige Schuldgefühl nicht auch ganz raffiniert dafür sorgen, dass man sich nicht wirklich mit seinem Gegenüber auseinandersetzt und keine Verantwortung für sein Tun übernimmt?

Anderes Thema, seit Oktober mache ich eine Gesprächstherapie wegen meiner schon seit frühester Kindheit bestehender Schokoladensucht. Anfangs ging es total super, ich habe direkt 8 Wochen ohne Schoko hinbekommen. Dann wieder ein Rückfall, dann wieder ein paar Wochen die Kurve gekratzt, dann wieder Rückfall etc. Ich esse insgesamt weniger Schokolade als vor Beginn der Therapie, aber von einem normalen Verhältnis zur Schokolade kann keine Rede sein. Nun habe ich in meiner letzten Therapiesitzung von einem Projekt gesprochen, dass ich bis zum Herbst beendet haben will. Darauf meinte mein Therapeut, das sei doch ein schönes Ziel und vielleicht könnte man sich ja auch vornehmen, bis dahin auch die Schokoproblematik ad akta zu legen. Was dann geschehen ist, ist sehr sonderbar. Alles in mir hat sich gewehrt, und jede Zelle meines Körpers hat förmlich „nein“ geschrieen, ich spürte totalen Widerstand – aber wieso? Ich will doch endlich weg aus diesem Teufelskreis, deshalb mache ich doch Therapie? Aber seitdem habe ich totalen Hunger, nicht nur auf Schokolade, auf ALLES ich könnte die ganze Zeit fressen, fressen, fressen – was ist da los? Vor was beschützt mich das Essen?
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lornaundich
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Post Wed, 25.Apr.07, 7:50      Re: Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

Hi Somnambule,

die ewigen Schuldgefühle kenne ich auch, empfinde mich als nicht gut genug für diese Welt und wundere mich extrem darüber, wenn mich jemand ganz offensichtlich mag. Mehr noch: ich g l a u b e es gar nicht.

Hast Du eine Ahnung, woher Deine Schuldgefühle kommen? Haben sie etwas mit Deiner Schoko-Geschichte zu tun? Hast Du nur mit der Schokolade solche Schwierigkeiten oder eher generell mit dem Essen? Ich meine, in Deinem letzten Absatz klinge so was an.

Mit kompliziertem Essverhalten kenne ich mich leider aus. Ich war diesbezüglich nie(!) "normal", werde es, so wie es aussieht, auch nicht mehr.

Liebe Grüße, lui

_________________
das ist jetzt erst mal so PUNKT und dann sehen wir weiter
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liv1
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Post Wed, 25.Apr.07, 9:24      Re: Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

hi Somnambule,

Quote:
Kennt das jemand – dass man sich ständig schuldig fühlt, wegen allem und jedem? Und dass man nichts wirklich genießen kann, weil man denkt, man hat das Gute nicht verdient?


Kenne ich sehr gut. Habe ich was echt gut gemacht und werde dafür "gelobt" (oder auch nur, wenn ich merke, dass mich jemand mag), fühle ich mich immer, wie sich wohl jemand fühlen würde, der an der Olympiade Gold gewonnen hat und nur er selber weiss, dass er gedopt war. So dieses "ich habe das doch nicht verdient" oder "ich hätte es noch besser machen können/sollen" und oft auch "wenn die wüssten, was für ein nichts ich bin ... ".

Das Schokoladen-Sucht-Thema interessiert mich sehr. Wie ist das denn bei Schokolade: bei Heroin/Alk/... ist es (bei einer bestehenden Sucht) leichter die Finger voll und ganz davon zu lassen, also die totale Abstinenz.

Ist das bei Schokolade auch so? Also ist das eigentliche Ziel "nie wieder Schokolade essen"? Shocked Ich dachte immer, wenn man eine extreme Gier nach einem Lebensmittel hat, sei es vernünftiger, sich hin und wieder etwas davon zu gönnen (z.B. mehrmals täglich ein kleines Stückchen Schokolade), um keinen Heisshunger und somit keine "Fressattacke" zu riskieren.

Dass dieses Ziel, welches Dein Therapeut vorgeschlagen hat, bei Dir innerlich auf Widerstand gestossen ist, kann ich gut verstehen. So ein Ziel lässt einem halt keine Hintertörchen auf und das fühlt sich halt nicht gut an. Das hiesse ja auch, dass Du Deinen "Rückhalt" (oder was Schokolade für Dich bedeutet) zumindest vorübergehend verabschieden müsstet - und das macht unsicher und Angst.

Oder meinte Dein Therapeut, dass Ihr das Thema Schokolade mal "beiseite schiebt" - es bringt manchmal echt was, wenn man sich mal nicht mehr so intensiv mit dem Problem befasst und guckt was dann passiert (manchmal entschärft sich die Gier ja, wenn man sich nicht zu stark auf die krampfhafte Abstinenz versteift und etwas "loslassen" kann)

Quote:
Aber seitdem habe ich totalen Hunger, nicht nur auf Schokolade, auf ALLES ich könnte die ganze Zeit fressen, fressen, fressen – was ist da los? Vor was beschützt mich das Essen?


Versuchst Du Dir denn allgemein, das Essen zu verkneifen? Oder, isst Du regelmässig (bestenfalls 5 "kleinere" Mahlzeiten am Tag). Meine Erfahrung ist einfach, dass wenn man sich zu zuwenig Essen "zwingen" möchte, dann eben solche Heisshungeranfälle auftreten, wo man dann zuviel isst.

Wie hast Du es mit dem Trinken? Trinkst Du genug? Ich trinke oft gut 5 Liter Mineral am Tag - das gibt mir schon ein Gefühl von immer leicht "gesättigt" sein. Oder wenn ich Lust auf Essen habe, aber weiss, dass ich sicher keinen Hunger habe, trinke ich eine grosse Tasse mit süssem (Süssstoff) Kaffee und etwas Milch.

Ich grüsse Dich, liv
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Somnambule
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Post Wed, 25.Apr.07, 19:45      Re: Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

Hallo lui und liv1,

vielen Dank für eure Antworten!

Dass man seine Leistungen schmälert und stets an seinen Erfolgen zweifelt, kenne ich auch, aber ich arbeite daran - immerhin denke ich jetzt nicht mehr, ich habe mich durch Schule, Studium und mein bisheriges Leben geschummelt, sondern ich denke, ich habe mich GUT durchgeschummelt Wink Mit schuldig fühlen, meine ich eher, dass man in schwierigen Situationen sofort bereit ist, die Schuld bei sich zu suchen. Und ich frage mich, ob man sich zum einen nicht viel zu wichtig nimmt – es hängt nicht immer alles von einem selbst ab, und zum anderen ob dieses sofortige "Schuld auf sich nehmen" nicht dazu führt, dass man damit auch Konfrontationen sehr schön aus dem Weg gehen kann.

Zur Schokoladensucht, bei mir ist es ähnlich wie bei einem Alkoholiker, für mich ist es das Beste ganz auf meine Droge zu verzichten. Wenn ich mir wenig am Tag erlaube, bin ich sukzessive innerhalb von ca einer Woche wieder bei 400 – 500 gr am Tag.. 8 Wochen ohne Schokolade war die bisher längste Zeit ohne Schokolade, sobald ich dann irgendetwas mit Schokolade esse, ist das Suchtgefühl wieder da. Wenn ich den Einstieg dann geschafft habe, sind in den Phasen ohne Schokolade mein Wille und die Motivation immer sehr stark und ich vermisse Schokolade gar nicht so schlimm, aber dann *kling* wache ich eines morgens auf und weiss schon in diesem Moment, dass ich heute Schokolade kaufen werden. Ich habe versucht, das dann hinaus zu zögern, aber eigentlich weiss ich an diesen Tagen ganz genau, dass ich es nicht schaffen werde. Was macht mich in den Abstinenzphasen so stark und wieso ist es dann von einem auf den anderen Tag vorbei?

Ansonsten esse ich relativ normal und auch genüsslich, die Sucht bezieht sich nur auf Schokolade und das schon seit ich ungefähr 9 Jahre alt bin, mein gesamtes Taschengeld habe ich jahrelang in Schokolade umgesetzt.

Wie ist das bei euch - was sind eure Drogen und was habt ihr bisher getan, um ihnen zu widerstehen?

Viele Grüße

Somnambule
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liv1
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Post Sat, 28.Apr.07, 11:48      Re: Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

hi Somnambule,

wie geht`s?

Quote:
immerhin denke ich jetzt nicht mehr, ich habe mich durch Schule, Studium und mein bisheriges Leben geschummelt, sondern ich denke, ich habe mich GUT durchgeschummelt Wink


Very Happy Das ist eine guuute Einstellung, gefällt mir sehr und versuche ich auch etwas zu übernehmen.

Quote:
Mit schuldig fühlen, meine ich eher, dass man in schwierigen Situationen sofort bereit ist, die Schuld bei sich zu suchen.


Ach so. Die Schuld bei mir zu suchen, mache ich automatisch.

Quote:
Und ich frage mich, ob man sich zum einen nicht viel zu wichtig nimmt


Ein interessanter Gedanke. Bei mir jedoch, denke ich, trifft das nicht zu. Ich bin eher so der Typ Mensch, der das Gefühl hat, anderen meist lästig und absolut überflüssig zu sein. Wieso ich das so habe, weiss ich nicht, da mich im Alltag die meisten Leute schnell mögen.

Weisst Du, da bin ich ein halbes Leben lang (Drogen-/Alk-) abhängig und befasse mich stark mit dem Thema - aber unter Schokoladensucht habe ich mir bisher nicht viel vorstellen können/mir kaum Gedanken dazu gemacht. Wenn es so ist, wie bei einem Alkoholiker, dann gibt es anscheinend für Dich auch nur die Möglichkeit der totalen Abstinenz. Kannst Du Dir denn vorstellen, Dein Leben lang keine Schokolade mehr zu essen? Und was fühlst Du bei diesem Gedanken? Wie gehst Du jeweils hinter einen "Entzug"? Also, denkst Du "jetzt nie wieder" oder machst Du es wie ich und denkst "nein, heute nicht und was morgen kommt, sehen wir ja dann"?

Sorry, bin etwas neugierig: Merkst Du das physisch, wenn Du von einem Tag auf den anderen, die Schokolade weglässt (Du nimmst dann ja bestimmt wesentlich weniger Zucker zu Dir)? Dein Körper ist sich ja gewohnt, täglich 500g Schokolade zu bekommen ... .


Quote:
sobald ich dann irgendetwas mit Schokolade esse, ist das Suchtgefühl wieder da.


Wie ist das denn, wenn Du z.B. Bonbons mit Schokoladegeschmack isst; reicht dieser Geschmack, um einen "Rückfall" zu provozieren?

Quote:
aber dann *kling* wache ich eines morgens auf und weiss schon in diesem Moment, dass ich heute Schokolade kaufen werden.


Bahnt sich das bei Dir nicht auch langsam an? Bei Drogen und Alkohol, fängt/fing bei mir die Spirale immer fast unmerkbar langsam an. So von daran denken, auf Lust bekommen, es im Kopf (mehr als Spiel) zu planen .... bis dann die Gier (und die Erinnerung daran) so stark wird/wurde, bis ich dann hinmarschier(t)e und mir was hol(t)e. Also, dass der Plan (wenn auch unbewusst) sich langsam, wie ein Geschwür im Kopf ausbreitet - und wenn es dann einen gewissen Punkt erreicht hat, ist der Rückfall so gut wie sicher und es ist extrem schwer, dann nein zu sagen. Achte doch mal darauf, ob Du die Tage vor dem Rückfall vermehrt an Schokolade denkst (z.B: dass Dir mehr Leute auffallen, die Schokolade essen und Du diese etwas darum beneidest, beim einkaufen einen Umweg machst, um am Schokoladengestell vorbeizukommen, ..). Wenn das so ist, wäre es eine Chance, dies frühzeitiger wahrzunehmen und "Notfall-Strategien" für sich herauszufinden.

Quote:
was sind eure Drogen und was habt ihr bisher getan, um ihnen zu widerstehen?


Meine Drogen waren früher Heroin, Koks, Benzos, Akohol, ... naja, alles, was ich in die Finger bekam. Seit Jahren nun, bin ich clean bis auf den Alkohol. Da kämpfe ich gerade mal wieder. War jetzt zwei Monate trocken und habe letzten Montag mal wieder getrunken - seither klappt es wieder einigermassen. Meine längste Trockenzeit waren etwa 9 Monate - da habe ich, wie auch jetzt, einen Tag nach dem anderen genommen. Denn wenn ich immer "nur heute trocken" bin, fällt mir das vom Kopf her einfacher und das Resultat wäre ja eigentlich super.

Gruss liv

PS: Fragen nur beantworten, wenn Du magst!!
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sm
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Post Sat, 28.Apr.07, 13:02      Re: Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

Quote:
Und ich frage mich, ... ob dieses sofortige "Schuld auf sich nehmen" nicht dazu führt, dass man damit auch Konfrontationen sehr schön aus dem Weg gehen kann.

Interessanter Ansatzpunkt! Ich hab' in einem Büchlein (Quelle siehe diesen Link) mal folgendes gelesen, was ich insofern interessant fand als ich es aus diesem Blickwinkel bisher noch nicht betrachtet habe:

"Unsere Schuldgefühle müssen uns auch Vorteile gebracht haben, denn sonst hätten wir längst aufgegeben, uns mit Schuldgefühlen zu maltärtieren. ... Worauf hoffen wir, wenn wir uns Schuldgefühle machen? Was ist unser Gewinn?"

Aufgeführt ist u.a. auch:

"Wir brauchen nicht offen zu unseren Gedanken und Gefühlen Stellung beziehen und möglicherweise Konflikte riskieren." zwinkernd.. ...neben Gedanken wie u.a. folgende:

"* Wenn wir uns Vorwürfe machen, was wir früher alles hätten anders machen können, brauchen wir uns nicht um gegenwärtige Probleme kümmern.

* Wir brauchen nicht daran zu arbeiten, uns zu vergeben.

* Wir hoffen darauf, uns von unseren Fehlern reinzuwaschen, indem wir uns deswegen intensive Schuldgefühle machen. ...

* Wir bekommen Mitleid von anderen, weil es uns so schlecht geht."
und so weiter - mit dem Haken, dass man sich durch Schuldgefühle i.d.R. selbst schadet, wie dann im folgenden aufgeführt ist Confused friend.
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Somnambule
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Post Wed, 02.May.07, 21:12      Re: Schuldgefühle und Widerstände Reply with quoteBack to top

Hallo Liv,

wie bewundernswert, dass du bis auf den Alkohol von den Drogen weg gekommen bist!!! Die Methode, den Entzug immer Tag für Tag an zu gehen, finde ich gut. Irgendwo habe ich hier im Forum von einer Betroffenen gelesen, die an ganz schlimmen Tagen sogar in 10Minuten-Schritten vorgeht.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, für immer auf Schokolade zu verzichten. Wenn ich einen Schokoentzug beginne, denke ich zunächst nur an zwei Wochen und wenn’s dann gut läuft mache ich weiter. Meine Einbrüche haben sich nicht schon vorher angekündigt, sondern es ist wirklich so, wie ich schon geschrieben habe, ich wache auf und *pling* mein erster Gedanke ist Schokolade, ich weiß, ich werde Schokolade essen. Gerade in diesen Situationen habe ich dann versucht, in Ein-Stunden-Schritten zu denken, aber das war dann nur eine Verzögerung, ich bin schon nachts zur Tankstelle gefahren um Schokolade zu kaufen. Aber ob ich die Abhängigkeit physisch merke - hm, eigentlich nicht, aber ich habe es ja auch noch nicht geschafft so einem flash zu widerstehen - der nächste Schritt ist, diese Situation auszuhalten. Und meistens ist diese erste Tafel wirklich göttlich, man könnte ja denken, dass sie vielleicht nach längerer Abstinenz gar nicht mehr schmeckt, aber leider schmeckt es mir immer wieder und es ist so ein Gefühl, wie wenn man nach einer langen Reise wieder zu Hause ankommt......

Ich wünsche dir Liv, dass du den Alkohol auch noch besiegst!!javascript:emoticon('Wink')

Hallo Sternenmeer,

vielen Dank für den Buchtipp, das klingt interessant und korrespondiert mit meinen Gedanken zum Thema „Schuldgefühle“

Grüße Somnambule

woran liegt es, dass mein Computer JEDESMAL abstürzt, wenn ich versuche hier einen Beitrag zu schreiben????
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