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r.l.fellner
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Post Wed, 06.Jun.07, 9:22      Präsuizidales Syndrom Reply with quoteBack to top

Der Begriff "präsuizidales Syndrom" stammt vom Wiener Psychiater Dr. Erwin Ringel, der die Gemeinsamkeiten im seelischen Erleben von Überlebenden untersuchte.

Er spricht von drei Punkten:
  1. Einengung
  2. Gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete Aggression
  3. Selbsttötungsphantasien

Durch das Zusammenspiel dieser drei "Bausteine" kommt es zu einem Teufelskreis, in dem sie sich gegenseitig verstärken.
  1. Einengung
    • Situative Einengung (Einengung der persönlichen Möglichkeiten)
      Das menschliche Leben ist durch eine Fülle von Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten geprägt. Im Zustand des präsuizidalen Syndroms ist dieses Gefühl jedoch weitestgehend nicht mehr vorhanden. Die Lebensumstände werden als bedrohlich, unveränderbar und unüberwindbar erlebt. Die eigene Person wird als klein, hilflos, ausgeliefert und ohnmächtig empfunden, die den übermächtigen Umständen ausgeliefert ist.

    • Dynamische Einengung (Einengung der Gefühlswelt)
      Die Stimmung, Gedanken, Vorstellungen und Assoziationen gehen nur mehr in eine Richtung. Durch diese einseitige Ausrichtung kommt es zu Depression, Verzweiflung, Angst und Panik oder zumindest nach außen hin zu einer unheimlichen Ruhe. Im Moment der Selbsttötung erreicht die dynamische Einengung ihren Höhepunkt. Nur ein gefühlsmäßiger Vorgang und nicht eine bloß rationale Überlegung vermag dies zu bewirken.

    • Einengung der zwischenmenschlichen Beziehung
      Für die Selbsttötung gefährdete Menschen sind einsam, isoliert, fühlen sich von anderen Menschen verlassen und unverstanden.

    • Einengung der Wertewelt
      Es tritt eine Störung der Wertbezogenheit auf, nichts hat mehr einen "Wert". Mangelnde Wertbezogenheit resultiert in Interessenslosigkeit, Gleichgültigkeit, "Verdünnung" des Lebens, Langeweile. Eine Folge ist die unzureichende praktische Wertverwirklichung, wodurch das Selbstwertgefühl weiter geschädigt oder zerstört wird. Das Überhandnehmen subjektiver Wertungen verstärkt die gefühlsmäßige Außenseiterpoition.


  2. Gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete Aggression
    Adler definiert Selbsttötung als eine klassische Racheaktion, wobei man zwar sich selbst treffe, damit aber zugleich andere für alle Zeiten vorwurfsvoll belaste.
    Selbsttötung erfordert eine enorm aggressive Haltung, in der sich die Aggression gegen die eigene Person richtet, obwohl im Grunde andere Menschen, auch in ihre Gesamtheit, also als "die Gesellschaft", das in Wirklichkeit gemeinte Ziel darstellen.
    Damit dies eintritt, müssen ein starkes Aggressionspotential vorhanden sein und eine Abreaktion nach außen muß verhindert sein.

  3. Selbsttötungsphantasien
    Viele Menschen haben schon einmal mit dem Gedanken gespielt, sich umzubringen. Bürger-Prinz meinte einmal, dass wir alle tot wären, wenn wir an unserem Körper eine Vorrichtung hätten, die ähnlich einem Lichtschalter auf "aus" gestellt werden kann.
    Solche gelegentlichen Ideen führen üblicherwiese nicht zum Suizid, sie sind an sich auch nicht als krankhaft zu sehen.
    Im Zustand des präsuizidalen Syndroms unterscheidet sich die intensive gedankliche Beschäftigung mit der Selbsttötung davon grundlegend. Es läßt sich zwischen den zunächst aktiven, das heißt willentlich intendierten, Suizidvorstellungen unterscheiden und den späteren passiven, welche sich einfach, oft gegen den Willen und auch in Form von Zwangsgedanken aufdrängen. Was zunächst ähnlich wie ein Entlastungsmechanismus wirkt, kann sich zu einer heftigen Bedrohung entwickeln, wenn sich die Phantasien verselbständigen. Jede derartige Phantasie ist allerdings eine Flucht aus der Wirklichkeit. Dies gilt auch für die Vorstellung tot zu sein. Meist verstehen die Betroffenen schon einige Tage später nicht mehr, wie sie ursprünglich nur auf derartige Gedanken kommen konnten.

Die Inhalte der Phantasien lassen sich in drei Stufen unterteilen:
  • Die Vorstellung, tot zu sein
    Es geht bei dieser Phantasie um den Lustgewinn und Effekt, den dieses Ereignis bei den Mitmenschen auslöst und nicht um den Akt des Sterbens selbst. Es geht nicht um den Akt der Selbsttötung, sondern nur um das Ergebnis. Der Vorgang des Sterbens selbst wird übersprungen. Als "Toter" bleibt man in der Phantasie sozusagen am Leben und genießt den "Lustgewinn". Wie in den Phantasien oder Tagträumen von Kindern kann der Tod dabei jederzeit ungeschehen gemacht werden.

  • Die Vorstellung, Hand an sich zu legen
    Die zweite Stufe besteht in der Vorstellung, Hand an sich zu legen, ohne dass dabei konkrete Methoden oder Vorgehensweisen phantasiert werden.

  • Die detaillierte Vorstellung der Methode der Selbsttötung
    In der dritten Stufe, in welcher höchste Gefahr besteht, wird die konkrete Durchführung, oft bis in das kleinste Detail gehend, geplant. Von hier zur aktuellen Durchführung ist es nur mehr ein kleiner Schritt.

(Quelle: persönlichkeit & psyche)

Suizidphantasien und Suizidgedanken treten auf, wenn ein fortgeschrittenes depressives Störungsbild vorliegt. Depressionen sind heute gut behandelbar, auch wenn es mitunter eine gewisse Zeit dauern kann, bis Psychotherapie (und fallweise erforderliche Antidepressiva) ansprechen.

Wenn Sie Symptome eines präsuizidalen Syndroms an sich bemerken, wenden Sie sich umgehend an einen Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie oder an einen/Ihren Psychotherapeuten(in). Ein Internet-Forum wie dieses hier kann Ihnen in einer solchen psychischen Situation nicht adäquat weiterhelfen!

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Last edited by r.l.fellner on Tue, 16.Oct.07, 16:59; edited 1 time in total
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Post Fri, 15.Jun.07, 3:19      Re: Präsuizidales Syndrom Reply with quoteBack to top

Hallo Herr Fellner,

Ihre Ausführungen haben mich jetzt mal wieder aufhorchen lassen und ich frag mich, als was denn meine - hm - Erlebnisse einzustufen sind.

Möglichst kurz zusammengefasst:
ca. 30 Jahre Depressionen (da gehör ich also endlich mal zu den "Fortgeschrittenen" Wink)
seit 5 Jahren in Therapie und es hat sich auch einiges geklärt und getan
immer wieder mal depressive Phasen

Mittlerweile kann ich Zusammenhänge definieren: Hormonelle Medikamente, Antibiotika, Auslöser im Aussen, Lichtmangel, Bewegungsmangel, Mangel an Freude, mangelnde oder schädliche soziale Kontakte, Essprobleme,... - und es geht bergab. Eine Kombination aus obigen Faktoren - und es geht nochmal weiter runter. (Ich wünsch mir also übrigens einen Arzt, der mir Licht und Liebe auf Kasse verschreibt - falls wer so einen kennt! Wink - Bis dahin arbeite ich erst mal und mit bereits spürbarem Effekt mit ganz gezielter Zufuhr von Nahrungsmitteln und -ergänzungen und obigen Positivfaktoren. Rolling Eyes Ach ja, Schlafentzug ergibt sich so quasi von selbst hier im Netz, ist aber derzeit wirklich nicht schlimm, hab ja Zeit...)

Als sich vor Monaten zwei der o.g. Negativfaktoren (Antibiotika und echt heftiger Auslöser im Außen) überlappt haben, bin ich drei Tage lang auf meiner Couch gelegen und hab eine Suizid-Szene nach der anderen in meiner Phantasie ablaufen gesehen. Oooouughhh - war das elend! Ich konnte nix anderes tun als bleischwer da rumliegen und wollte nur noch, dass jemand die Fernbedienung drückt und dieses miserable Fernsehprogramm ändert. (Und das, wo ich doch so schon seit Jahren nicht mehr fernschau angesichts der üblen Programmqualität! Confused) Am dritten Tag gings mir dann (ich konnte die Parallele zum Auslöser im Außen klar zuordnen) so weit besser, dass ich erst mal aufstehen hätte können. Mein positiver Gedanke zum Tag (neben dem miesen "Film") war: Nein, Du bleibst jetzt auch liegen, Du gehst somit auch ganz sicher nicht zum Fenster, das geht vorbei. Und: Nein, ich bin definitiv nicht selbstmordgefährdet, keine Sorge! Ich habe und hatte auch damals keinerlei Absichten in der Richtung. (Im Gegenteil: Es haben sich danach einige kleine erfreuliche "Zufälle" ergeben, an denen ich mich sukzessive wieder rausgezogen hab und nach einer weiteren Woche hatte ich auch wieder meinen Therapie-Termin.)

Nur: Was bitte ist das, was soll das sein und werden?
Danke gleich vorab für Ihre Info!

Engerl70
(Tschuldigung, ich hätte ein anderes Pseudonym gewählt, wenn ich vorab vorgehabt hätte, zu dem Thema zu schreiben. Shocked)

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Alles ist gut. Und es gibt auch das Gute am Schlechten - man muss es nur finden. Wink
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Post Fri, 15.Jun.07, 7:56      Re: Präsuizidales Syndrom Reply with quoteBack to top

r.l.fellner wrote:

Adler definiert Selbsttötung als eine klassische Racheaktion, wobei man zwar sich selbst treffe, damit aber zugleich andere für alle Zeiten vorwurfsvoll belaste.

In manchen Fällen mag ein Suizid eine solche Racheaktion darstellen, es erschließt sich mir jedoch nicht, warum das immer der Fall sein sollte. Ein Suizid muss nicht notwendig als Vorwurf und damit als Kommunikationsmittel interpretiert werden. Die negativen Folgen für Angehörige können auch als bloße Kollateralschäden gedacht werden und es mag sein, dass manch ein Suizidant diese aus Achtung vor sich selbst und nicht aufgrund von Hass akzeptiert.

r.l.fellner wrote:

Selbsttötung erfordert eine enorm aggressive Haltung, in der sich die Aggression gegen die eigene Person richtet, obwohl im Grunde andere Menschen, auch in ihre Gesamtheit, also als "die Gesellschaft", das in Wirklichkeit gemeinte Ziel darstellen.
Damit dies eintritt, müssen ein starkes Aggressionspotential vorhanden sein und eine Abreaktion nach außen muß verhindert sein.

bloße Behauptungen, die mit vielen Erfahrungsberichten von geretten Menschen, die einen Suizidversuch hinter sich haben, in Widerspruch stehen.

r.l.fellner wrote:
Jede derartige Phantasie ist allerdings eine Flucht aus der Wirklichkeit. Dies gilt auch für die Vorstellung tot zu sein.[/color]

Sicher, es ist meist die Absicht hinter dem Suizid, der erfahrenen Wirklichkeit zu entfliehen und eine Besserung zu erreichen, sei sie auch nur in dem abstrakten Gedanken der Nicht-Existenz fassbar, der Satz ist daher absolut überflüssig.

r.l.fellner wrote:

[list][*]Die Vorstellung, tot zu sein
Es geht bei dieser Phantasie um den Lustgewinn und Effekt, den dieses Ereignis bei den Mitmenschen auslöst und nicht um den Akt des Sterbens selbst. Es geht nicht um den Akt der Selbsttötung, sondern nur um das Ergebnis. Der Vorgang des Sterbens selbst wird übersprungen. Als "Toter" bleibt man in der Phantasie sozusagen am Leben und genießt den "Lustgewinn". Wie in den Phantasien oder Tagträumen von Kindern kann der Tod dabei jederzeit ungeschehen gemacht werden.

Diese Vorstellung kann auch Basis einer ethischen Überlegung sein. Ein ethisch bewusster Mensch macht sich darüber Gedanken, was seine Handlungen für seine Umwelt bedeuten. Der Lustgewinn wird postuliert und steht wohl mit Rache in Verbindung, doch dazu s.o. ..

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Post Wed, 04.Jul.07, 19:47      Re: Präsuizidales Syndrom Reply with quoteBack to top

Hallo, ich möchte etwas aus meinen eigenen Erfahrungen schreiben, aber zunächst mal an alle: Macht so etwas nicht! Es wird nur schlimmer.....ich bin heute froh darüber , dass meine Psychiaterin damals die Gefahr erkannte und mich in eine Klinik einweisen ließ.....
Ich hatte in meiner präsuizidalen Phase die Idee eines "reset", wie beim Computer, dass man sich umbringt und ein "Neustart" beginnt; rational wußte ich, dass das unmöglich ist, aber irrational war ich davon überzeugt "ein neues Leben" beginnen zu können. Also ich wollte sterben, jedoch nicht tot sein, ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke.
Liebe Grüße Arianrhod
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