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R3VO
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Post Thu, 28.Jun.07, 20:55      Des Lebens Spiel Reply with quoteBack to top

Langsam, mit nach vorne gebeugtem Kopf schleicht ein junger Mann durch die Menschenmassen einer Großstadt, seine Mundwinkel sind leicht nach unten gezogen, seine Augen leer und ausdruckslos. Als ihn eine gestresste Frau ihn in ihrer Eile anrempelt, fällt er fast um, setzt dann aber seinen ziellosen Weg im gleichen Tempo wie vorher fort. Er nimmt von seinen Mitmenschen keine Notiz, ist ganz in Gedanken versunken, fühlt sich wie ein Versager. Szenen tauchen vor seinem inneren Auge auf, sein Professor, der ihm mitteilt, dass seine Leistungen nicht ausreichen würde, der sagt, dass es ihm leid täte, dass er aber einfach keine Rücksicht auf psychische Erkrankungen nehmen könne, seine Ex-Freundin, die ihn mit verheulten Augen verlässt, sagt, sie liebe ihn aber hielte es nicht mehr aus, sein Abiturszeugnis, die schlechten Noten, die gerade so zum Studium reichten, mit denen er aber niemals eine vernünftige Ausbildung bekäme, seine Wohnung, in der man sich vor lauter Müll und Unordnung kaum noch bewegen kann. Irgendwann biegt er in eine Seitestraße ein, kauft in einem heruntergekommenem Laden eine Flasche Wodka, setzt sich auf eine Parkbank in der Nähe eines großen Flusses, trinkt wie in Zeitlupe mehrere Schlücke, sieht leicht verträumt, seine Umgebung halb wahrnehmend über das Wasser, dann in die Wolken, zu den Vögeln hinauf, dann zu seinen Mitmenschen, zu den anderen Parkbänken, sieht ein frisch verliebtes, hübsches Pärchen, dann eine Gruppe junger Männer mit breitem Grinsen im Gesicht und Bierflaschen in der Hand, die sich ausgelassen unterhält, lächelt leicht, freut sich, dass wenigstens manche andere Menschen glücklich sind, wenn auch vielleicht nur für eine kurze Zeit, steht auf, schleicht zu einem verlassen Hochhaus, dann die Treppen hinauf. Oben angekommen beobachtet er lange den bewölkten Himmel, wird innerlich ganz ruhig, fast ein bischen glücklich, legt sich auf den Boden und denkt nach. Erst plant er, sich das Leben zu nehmen. Angst hat er nicht wirklich, er denkt, sein Bewusstsein würde beim Aufprall nach dem Sprung einfach aufhören zu existieren, vergleichbar mit dem Einsetzen einer Vollnarkose, wobei Bewusstlosigkeit natürlich nicht angemessen beschrieben oder erinnernt werden kann. Mit 18 Stockwerken ist das Haus zumindest hoch genug. Doch, während er so ruhig und losgelöst von jeder Alltäglichkeit auf dem Rücken liegend über sich und die Welt nachdenkt, manchmal traurig wird und weint, manchmal fröhlich-entzückt ist und lächelt, wird ihm bewusst, dass es für ihn zu früh ihn ist. Er hat keinen besonderen Plan, wie es weiter gehen wird, doch dass es weiter gehen wird, ist gewiss. Das Leben spielt manchmal ein seltsames Spiel mit den Menschen, kein Grund, die schönen Seiten nicht auszuschöpfen. Mit einem leichten Lächeln, frei von jeder Pathetik und Manie, geht er schließlich wieder die Treppen herunter und schlendert noch eine Weile durch die Abendsonne.

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Das höchste Gut ist die Harmonie der Seele mit sich selbst. (Seneca)
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Post Thu, 28.Jun.07, 21:14      Re: Des Lebens Spiel Reply with quoteBack to top

Wie anders die Welt doch ist aus dieser Perspektive, die er nun einnimmt während er dem Licht entgegenwandert. Dort oben auf dem Haus war alles hoch und weit, alles schien erreichbar, dem Fliegen war er nahe, was wäre gewesen wenn er an der Schwerkraft gescheitert wäre. Nein, Unsinn diese Frage jetzt, Schritt für Schritt treibt es ihn durch die Häuserschluchten, die Sonne färbt die Fronten golden, es lässt ahnen sich nun dass der Abend naht. Eifrig laufen die Menschen hin und her, geschäftig tragend ihre Tüten und ihre Weisheit die doch nicht ankommt dahin wo sie gehört. Und so geht auch er weiter und fragt sich ob er ankommen wird am Ziel, dass zu ihm passt, der Weg ist so schwer. Leichter wird es nun, die Schluchten lichten sich, es geht noch draußen, hinaus aus der Begrenzung, in der Ferne sieht man die Berge leuchten, die Sonne malt den Horizont als verheißungsvolles Szenario des Lebens. Auf und Ab, Auf und Ab. Die Straße windet sich nun, längst vergangen sind die Schluchten der Quadranten, erkenntlich zeigen sich nun die Behausungen und die Menschen die darin wohnen. Er öffnet die Tür zu dem Ort den er nicht kennt und dessen Geräusche ihm immer fremd waren. So oft ist er davongelaufen aber dieses eine Mal fragt er: Mutter ? Sie hört ihn nicht gleich, wie immer denkt er, als er die Treppe hinaufgeht hört er sie rufen, was ist mit Dir. Eigenartig. Dieser Tag.
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Post Thu, 28.Jun.07, 21:18      Re: Des Lebens Spiel Reply with quoteBack to top

Wow!

sehr schön und interessant, auch wenn ich noch keine angemessene Interpretation habe, sehr sprachgewandt

Ich möchte mehr von dir lesen.

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