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gompert
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Post Wed, 01.Aug.07, 22:59      Der Krieg, der Tod und das Vergessen Reply with quoteBack to top

THERAPIE UND WAS IM SIEB ÜBRIG BLEIBT.

In meinem Alter hat wohl jeder jemanden verloren. Meine 4 Angehörigen sind aber alle in meinen jungen Jahren gestorben, in Zeitabständen die es mir ermöglichten mich zu erholen und: päng, da ging der nächste. Sie hatten japanische KZ's überlebt, kehrten 1946 nach Holland zurück.

Als später Nachzügler hörte ich die Mutter nachts weinen. Sie hatte im Japsenlager zwei Tage in der Sonne vor einem auf sie gerichteten Maschinengewehr stehen müssen. Die Kinder, 1 und 3 Jahre alt, krochen herum. Diese Vergangenheit war hier in Holland ein Tabu, koloniale Unterdrücker sollten nicht klagen. Von tabuisiertem Leid konnte man im deutschsprachigen Raum ein Lied singen, kein Wunder daβ ich mich da schon als Kind in den Ferien wohler fühlte als daheim. Daher mein Deutsch.

Die Therapie für Kinder von Kriegs- und Gewaltsopfern habe ich hinter mir. Wir haben alle die gleichen Merkmale: verschwiegene Verantwortung fürs Wohl der Eltern und folgliche Probleme, durch die ich mich schön hindurchgemogelt hatte, die in der Ehe im Winterschlaf untergeschneit waren, die in der Scheidungshitze aber zum Vorschein schmolzen: Aufschieberitis, Sorgenmacherei und ein übergroβes Bedürfnis an Kommunikation mit Partnerin und Kindern. Die aber schwiegen.

Therapie mit Schicksalsgenossen war ein Dampfbad. Ich wurde durchschaut, sträubte mich, muβte schluβendlich meine Kinderseele freilegen. Das war schwer, ich war sicher niemand würde dieses klägliche Kind lieben. Es kam anders. Alle liebten es. Und ich blieb trotzdem ein Mann. Es kamen Gefühle an die Oberfläche, Tränen. Zwei aus der Gruppe und ich lasen uns jede Regung vom Gesicht ab und ich wuβte nicht wer sie waren: mal die ersehnte kleine Schwester, mal eine groβe Liebe, eine Mutter, eine Tochter. Ein Gefühlschaos. Da kam der Abschied wie ein Beil auf uns zu. Gruppentherapie, das Üben von Bindung und Abschied, kein leichtes Unterfangen....

Verändern ist sonderbar. Ich war so einer der unter Freunden Anekdoten erzählt, ein Lied anstimmt. Das ist vorbei. Man sagt ich sei so tranig geworden. Vielleicht. Ich bin dabei michselbst zu werden. Abends gehe ich am Strand durchs Wasser bis weit und breit kein Mensch zu sehen ist, wo ich mal meine Gattin mit Liebhaber ertappte. Auf frischer Tat, und das kann man laut sagen. Wo ist nur meine Wut geblieben? Ich sammle eβbare Muscheln wenn’s welche gibt oder lege mich auf eine Düne in die Sonne. Zögernd kommt da nun endlich das klägliche Kind zu mir. Es hofft daβ ich es endlich liebe. Als es fünf war und ihm der Vater starb, tröstete es die Mutter, jahrelang. Sonderbar: ich tröste das Kind in mir, ich werde mein eigener Vater. Ich kenne michselbst nicht wieder. Ich wachse.

Jetzt kommt der August mit Geburts- und Sterbetagen meiner Toten. Wenn ich daran denke wird mir schlecht. Ich muβ halt mal wieder mittendurch. Und wohl nicht das letzte mal. Es sind die Sachen die man auch mit Therapie nicht los wird.

Das wär mein Wehwehchen. Ob andere auch solchen Einfluβ von elterlichem Elend aufs eigene Leben kennen? Und ob man da noch Hornhaut auf der Seele kriegt?

Schönen Gruβ vom Nordseestrand,


Gompert.


Last edited by gompert on Thu, 09.Aug.07, 13:21; edited 4 times in total
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Nachtvogel
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Post Thu, 02.Aug.07, 9:38      Re: Der Krieg, der Tod und das Vergessen Reply with quoteBack to top

Moin Gompert,

ich bin davon auch betroffen - habe das allerdings erst während meiner Therapie (Depression, Selbstmordversuch) herausbekommen.
Mein Vater war Kriegsfluechtling (Kind zu der Zeit), hat viel schreckliches gesehen, ist später mit der ganzen Verwandschaft in einem kleinen Zimmer untergekommen und sie mussten bei Bombenalarm immer duch die Strassen in die Bunker rennen. Später war er dann in einem Fluechtlingslager - Baracken, mit vielen anderen, die ebenfalls nicht genug zu essen hatten. Sie bettelten, assen Möweneier (wenn sie welche fanden), es gab keine Schule ausser selbstgeschriebenen Handbuechern eines Lehrers, ...

Mein Vater ist menschenscheu und irgendwie emotionsblind: Er kann Emotionen anderer nicht deuten, nicht verstehen. Oder sie machen ihn sogar aggressiv. Ein Vater ist er fuer mich nie gewesen, eher ein kleiner Bruder. Freunde hatten meine Eltern so gut wie keine - nur meine Mutter ein paar, die sie hin und wieder besuchte. Mein Vater hatte sich strenge Regeln ausgedacht, ein Geruest, in dem sein Leben ablief.
Ich habe viel von diesen unterschwelligen Depressionen gelernt, ebenso wie diese "krankhaften" Verhaltensweisen. In Therapie ist er nie gewesen, hat auch nie was davon gehalten. Ich war aber auch menschenscheu, kam nicht gut mit Gleichaltrigen klar etc. Das ist erst mit der Zeit besser geworden - seit ich ausgezogen bin vor 10 Jahren, durch Therapie, ..

Du bist nun älter als ich und deine Eltern waren als Erwachsene vom Krieg betroffen. Die Folgen des WW2 sind jedoch auch noch in anderen Generationen zu sehen sowie im nicht vorhandenen Nationalbewusstsein der Deutschen (im Vergleich zu anderen Völkern).

LG, Nachtvogel
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gompert
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Post Sat, 04.Aug.07, 12:19      Re: Der Krieg, der Tod und das Vergessen Reply with quoteBack to top

Moin auch Nachtvogel,

Ich danke Dir von Herzen für die Schilderung Deiner Vorgeschichte. Obwohl Du sie nicht aussprichst, erkenne ich die geheime Umkehrung der Verantwortung glasklar in Dir wieder. Schreckliches wird Dein vater als Kind gesehen haben. Und dann Betteln, Möweneier, nicht zu fassen. Mit einem solchen Vater konntest Du genauso wenig Kind sein wie ich. Es ist absolut genau as Gleiche. Ich bin sehr gerührt.

„Ich bin davon auch betroffen“, fingst Du an, schlicht und einfach. Dein Vater ist für Dich kein Vater gewesen sondern „eher ein kleiner Bruder“. Du schreibst das so nebenher, fast mit einem entschuldigenden Lächeln. Es ist jedoch ein groβes Drama. Du bist mir fast zu bescheiden und ich kann nur hoffen Du begegnest Verständnis in Deinem Umfeld. Wenn Du erlaubst, nehme ich mir diesen Satz von Dir. Meine Mutter war „eher eine kleine Schwester“. So hatte ich das noch nicht gesehen. Sehr wichtig, ich danke Dir sehr Nachtvogel. Es ist als hättest Du mir einen fehlenden Eckstein besorgt.


Lieben Gruβ vom Nordseestrand,
gompert.
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