Neues Forum! [Info]
Post new topic Reply to topic    Print
Author Message
Cartoon Hero
Helferlein
Helferlein


Posts 126
Wohnort Deutschland
W, 24


Post Mon, 24.Sep.07, 12:13      Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo Mitleser,

Ich habe ein sehr grundlegendes Problem: Ich besitze keine Disziplin oder das, was man als "Durchhaltevermögen" titulieren könnte.
Bereits als Kind wurde bei mir ADHS diagnostiziert, und ich schlage mich täglich mit den Folgen durch's Leben. Dazu kommt, dass ich bereits im Schulalter gelernt habe, zu vermeiden. Das setzt sich bis heute fort. Fühle ich mich überfordert (was nicht so selten vorkommt), vermeide ich die Tätigkeit, statt mich "durchzubeißen". In Schule, Ausbildung und Arbeit resultiert das dann im krank machen, bzw. dem krank werden - ich ertrage die Situation dann tatsächlich nicht und werde krank.
Dass das keine Basis ist, um erfolgreich durch's Leben zu gehen, ist mir klar. Deshalb möchte ich endlich Disziplin lernen und mich Herausforderungen stellen. Aber wie mache ich das? Durch meine immense Konzentrationsschwäche fällt es mir sehr schwer, Aufgaben gründlich und gewissenhaft zu erledigen, was dann wiederum zu Fehlern und Frust führt. Ich habe das Gefühl, dass es nichts im Leben gibt, das ich wirklich gut genug kann, um damit in der Gesellschaft zu bestehen. Ich habe zwar eine abgeschlossene Berufsausbildung, aber das auch nur mit Hängen und Würgen und entsprechenden Noten.

Wie ändere ich daran etwas?

Ritalin habe ich bereits in Zusammenarbeit mit meinem Arzt versucht. Das ging einige Wochen lang auch wirklich gut, ich war motiviert, habe Dinge zuende gebracht und konnte mich konzentrieren. Dann setzten heftige Nebenwirkungen ein, weshalb ich das Präparat absetzen musste Sad

Ich bin wirklich verzweifelt, innerlich total frustriert, schlafe nur noch schlecht und möchte endlich "erfolgreich" und "normal" im Leben stehen, wie es jeder andere Mensch auch tut. Es muss doch einen Weg geben?

Ich möchte noch hinzufügen, dass man mir das völlig fehlende Selbstvertrauen im täglichen Leben nicht anmerkt. Ich bin ziemlich redegewandt, achte auf mein Äußeres und werde üblicherweise als ziemlich kontaktfreudig, kompetent und selbstbewusst eingeschätzt.

In Wirklichkeit habe ich nur gelernt, meine totale Unsicherheit hinter dieser Schutzmauer zu verbergen. Ich habe sehr viele Ängste, vor allem die immerwährende Versagensangst. Ich habe in meinem Leben niemals ein wirkliches Erfolgserlebnis gehabt, immer nur versagt. Meine Umwelt beschimpfte mich als unwillig, faul, etc.
Meine Angst geht schon so weit, dass ich mich völlig abgrenze und isoliere. Mein bester Freund hieß für eine lange Zeit Alkohol. Ich würde so gerne etwas schaffen ... für mich selbst, und auch für meine Eltern, die mich immer nur als die Tochter behandeln, die nichts auf die Reihe bekommt.

Es muss doch einen Weg geben, ein normales Leben zu führen wie jeder andere auch ... in einem Beruf, der mir keine Angst macht, und in dem ich auch in 40 Jahren noch arbeiten kann. Ich bin wirklich verzweifelt...


Eure,
Cartoon
Find all posts by Cartoon Hero
Werbung
Karola
Forums-InsiderIn
Forums-InsiderIn


Posts 354
Wohnort Deutschland
W, 33


Post Wed, 26.Sep.07, 14:31      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo Cartoon Hero,

ich habe selbst Schwierigkeiten mit Disziplin und glaube, das kann man nicht so einfach lernen. Weiß nicht, ob das Veranlagung ist.
Ich schiebe alles mögliche auf, gebe zu viel Geld aus (da ich natürlich nicht die Disziplin habe, nur das zu kaufen, was ich benötige). Kann Dir leider keinen guten Rat geben außer Dir ein berufliches Umfeld zu suchen, wo Du mit ADS einigermaßen klarkommst. Ich dachte auch schonmal, ich hätte ADS, aber bin noch an keinen Arzt geraten, der sich damit auskannte. Die meisten kennen immer nur ADS mit Hyperaktivität, was ich nicht habe.

Karola
Find all posts by Karola
fra
Helferlein
Helferlein


Posts 130
Wohnort Österreich
M, 23


Post Wed, 26.Sep.07, 16:36      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Für einen großen Betroffenenanteil (zweistelliger Prozentbereich) des unaufmerksamen Typs wird langsam versucht einen eigenen Begriff einzuführen: SCT (sluggish cognitive tempo). Einen englischen Artikel gäbe es hier: Link (Quelle).

Falls du zu dieser Gruppe gehörst, kann demnach Adderal eine höhere Wirksamkeit als Ritalin erreichen. Ansonsten wüsste ich auch keine Lösung. Koffein (Kaffee/Cola) ist momentan ziemlich das einzige, was ich nehme um notgedrungen munter zu werden. Hilft aber leider nicht gegen Motivationsprobleme. Beim unaufmerksamen Typ scheinen aber leider häufig Medikamente eh nicht zu wirken und Social-Skills-Trainung und Verhaltenstherapie angebrachter.
Find all posts by fra
Cartoon Hero
Helferlein
Helferlein


Posts 126
Wohnort Deutschland
W, 24


Post Thu, 27.Sep.07, 15:48      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo oimdood,

danke für deine Antwort. Ich lese gerade nebenher den Link, stelle aber jetzt schon fest, dass ich wohl in der Hauptsache eher zum hyperaktiven Typ gehöre. Die körperliche Hyperaktivität hat sich zwar mit den Jahren "verwachsen", allerdings ist mir eine tiefe innere Unruhe gelieben. Ich kann nicht abschalten, entspannen, etc.

Die beschriebene Wirkung von Nikotin und Koffein trifft ebenfalls voll auf mich zu. Ich bediene mich dieser beiden "Ersatzdrogen" schon seit geraumer Zeit, um wenigstens einigermaßen zu gebrauchen zu sein. Habe immer eine Packung starker Koffeintabletten im Haus ....

Mit Zahlen kann ich übrigens tatsächlich überhaupt nicht umgehen. Ich kann mir Zahlen zwar ironischerweise besser merken als Buchstaben, aber selbst bei den Grundrechenarten versage ich im Kopf. Das trägt natürlich auch nicht wirklich dazu bei, sich intelligent und produktiv zu fühlen Sad

Quote:
Individuals with ADD have difficulty maintaining a sufficiently high level of motivation to complete a task and grow bored quickly, perhaps tiring because the working memory demands of the task exhaust them. They go looking for something else to do or think about because they are bored, rather than being unable to inhibit the pull of distractions. Their problem is not so much that are distractible as that they are easily bored. When engaged in an activity they enjoy they are fully able to successfully ignore even potent distractions. To remedy a general lower arousal level, they may seek risks that increase their level of arousal and attentiveness.


Quote:
They also tend to be impulsive (APA, 1994) and are inclined to be very disorganized and sloppy, because they are often too impatient to carefully attend to detail or to put things away. They can have trouble waiting their turn, may blurt out an answer before hearing the whole question, and may interrupt others. They may intrude on others' conversation or game, without considering beforehand that it might be inappropriate.


... trifft ebenfalls voll auf mich zu. Ich persönlich würde mich als "Mischtyp" zwischen ADHD und ADD bezeichnen.



Bringen Verhaltenstherapien bei ADS bzw. ADHS denn wirklich etwas? Ich kann mir darunter nur sehr schwer etwas vorstellen, bzw. frage ich mich, wie erfolgreich solche Therapien bei Menschen sein können, die "naturgegeben" ohnehin enorme Probleme damit haben, Verhaltensmuster zu verinnerlichen und auszuführen.
Find all posts by Cartoon Hero
Werbung
fra
Helferlein
Helferlein


Posts 130
Wohnort Österreich
M, 23


Post Fri, 28.Sep.07, 16:17      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Da ich mir nicht sicher war, welcher Typ auf dich zutrifft, habe ich den Link auch eher allgemein gepostet. War also nicht unbedingt für dich gedacht. Gab bloss hier im Forum noch nichts dazu und vielleicht interessierts ja jemanden. Für komorbides ADS gibts sicher bessere Artikel.

Nikotin beruhigt mich auch irgendwie, ist aber als Nichtraucher leider keine Lösung und Nikotinpflaster will ich mir nun doch nicht anfangen. grinsend Koffeintabletten hätt ich mir selbst schon überlegt, aber sind meines Wissens bei zuviel Gebrauch sehr ungesund. Wahrscheinlich wegen des Herzens und der beschriebenen Wirkung der schrumpfenden Adern des Gehirns.

Verhaltenstherapien sind klarerweise nur bedingt erfolgreich. Die "naturgegebenen" Probleme werden auch meist mit dem Medikamenten abgeschwächt. Damit lassen sich Routinen besser aneignen. Glaube auch, dass es bei den meisten trotz aller Anstrengungen nicht so "normal" wird wie bei anderen, aber besser etwas Besserung als gar keine. Muss mich selbst bei Gelegenheit noch erkundigen, wie die Herangehensweise bei ADS wäre. Leider wird man das einstudierte Verhalten wohl lebenslang machen müssen. Setzt man eine Weile aus, fällt man womöglich wieder in den alten Trott zurück.

Mit dem hyperaktiven Typ kenne ich mich jedoch nicht wirklich aus. Lese mich auch erst seit 2 Wochen genauer in ADS ein. Dazu kramst du besser die alten Beiträge raus oder schaust in ADHS-Foren. Zur Verbesserung der Symptome gibt es anscheinend schon so viele Vorschläge wie Sand am Meer. grinsend
Von glutenfreier Nahrung über Lachsöl-Kapseln zu viel Sport. Lachsöl-Kapseln und kleine Dosen von DL-Phenylalanin (500mg-1000mg) probier ich zur Zeit zur Selbstmedikation. Obs was bringt, müsste ich noch abwarten.
Find all posts by fra
Hiob
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie


Posts 607
Wohnort Berge
M, 32


Post Sun, 30.Sep.07, 11:43      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo cartoonhero.

Quote:
von cartoon hero:
In Schule, Ausbildung und Arbeit resultiert das dann im krank machen, bzw. dem krank werden - ich ertrage die Situation dann tatsächlich nicht und werde krank.
Dass das keine Basis ist, um erfolgreich durch's Leben zu gehen, ist mir klar.

Du meinst, dir fehlt Disziplin. Wenn du sie hast, wirst du besser ausgenutzt werden.
Man kann dich jeden Morgen um die gleiche Zeit aus dem Bett pelzen, dich 8 Stunden in ein Büro sperren und abends wirst du vor dem Fernseher und im Fitnesstidio und in Retaurants ENTntspannen. Warum willst du dich erst ANspannen lassen, bleib doch wie du bist?

Quote:
Ich bin wirklich verzweifelt, innerlich total frustriert, schlafe nur noch schlecht und möchte endlich "erfolgreich" und "normal" im Leben stehen, wie es jeder andere Mensch auch tut. Es muss doch einen Weg geben?

Ich meine, du könntest dich damit beschäftigen genauer hinzusehen, ob die anderen wirklich etwas damit erreichen, dass sie durchgehalten haben und diszipliniert den Anforderungen der anderen folgten. Du setzt bei deinen Bestrebungen „wie die anderen“ zu sein voraus, dass sie es zu Glück gebracht haben.

Quote:
Ich möchte noch hinzufügen, dass man mir das völlig fehlende Selbstvertrauen im täglichen Leben nicht anmerkt. Ich bin ziemlich redegewandt, achte auf mein Äußeres und werde üblicherweise als ziemlich kontaktfreudig, kompetent und selbstbewusst eingeschätzt.

Vielleicht sieht man den anderen ebenso nur nicht an, wohin sie ihre Disziplin gebracht hat?

Quote:
Ich bediene mich dieser beiden "Ersatzdrogen" schon seit geraumer Zeit, um wenigstens einigermaßen zu gebrauchen zu sein.

Den Satz finde ich ganzschön traurig. Ein Mensch ist da, er passt nicht in das Muster der Gesellschaft (das Kind zappelt in der Bankreihe herum...es ist noch nicht so hölzern geworden, wie die anderen holzgewordenen Kinder) und wird mit Ritalin auf Norm getrimmt, funktionsfähig gemacht...und dann ist er halbwegs zu gebrauchen. Vielleicht forschst du ein bisschen, warum ich das so traurig finde.

Viele Grüße und alles Gute
Hiob
Find all posts by Hiob
Werbung
fra
Helferlein
Helferlein


Posts 130
Wohnort Österreich
M, 23


Post Thu, 11.Oct.07, 22:02      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Auf eine gewisse Weise hast du schon recht, nur steigen die Arbeitsanforderungen langsam aber doch und irgendwie muss man sich doch seine Brötchen verdienen. Sobald dein Haus oder deine Wohnung abbrennt, weil der Elektriker vergessen hat den Strom abzudrehen, ist die Toleranz sicher nicht mehr so groß. Laughing

Aber weils oben um Therapien ging: ich bin gestern zufällig auf CogMed gestoßen (Quelle: 1 bzw. 2 bzw. 3). Bei Aufmerksamkeitsdefiziten ist ein schwaches Arbeitsgedächtnis oft ein zentrales Problem, deswegen versucht man sich von dieser Seite zu nähern. Wird auch als Alternative zu Ritalin gesehen. Suche nach so etwas ähnlichem allgemein zum Training schon seit langem, ist nur leider nicht für den Heimgebrauch erhältlich.
Find all posts by fra
Hiob
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie


Posts 607
Wohnort Berge
M, 32


Post Fri, 12.Oct.07, 20:34      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Quote:
von oimdood:
Auf eine gewisse Weise hast du schon recht, nur steigen die Arbeitsanforderungen langsam aber doch und irgendwie muss man sich doch seine Brötchen verdienen. Sobald dein Haus oder deine Wohnung abbrennt, weil der Elektriker vergessen hat den Strom abzudrehen, ist die Toleranz sicher nicht mehr so groß.


Das ist das typische Ja-Aber-Gerede. „Ich würde ja gern leben, aber ich muss Realität erkennen“. Ich muss krank werden, weil alle krank sind. Sei doch in deinem eigenen Häuschen dein eigener Elektriker, dann weist du, wer dafür verantwortlich war.

Ich würde das ganze auch gern sehr theoretisch sehen und „wenn und aber“ abwägen, wenn ich nicht jeden Tag die Menschen sehen und spüren würde, die täglich in Callcentern zugrunde gerichtet werden. Gib ihnen das Gefühl von Verantwortung, „fördere und fordere“...lassen die geschulten Seminarteilnehmer dann hören, die ihre automatisierten Jobs dann Managerposten nennen.... Leider seh ich Leid und es macht mich wütend. Sodass ich nicht die Äuglein schließe und nicht „mitmache und lächle“. Denn die meisten Menschen tragen eine Leine um den Hals und lachen über den Witz, der über sie selbst gerissen wird. Das ist nicht Wahrheit, nur weil es oft genug wiederholt wird..

Hiob
Find all posts by Hiob
Eve12
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie


Posts 677
Wohnort eine Stadt in D
W, 53


Post Sat, 13.Oct.07, 9:07      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo!

Mit ADS kenne ich mich nicht gut aus, aber das Gefühl des andauernden Versagens, Cartoon, kenne ich nur zu gut; es hat mich ebenfalls einen guten Teil meines Lebens über begleitet (und ab und zu versucht es auch heute noch, mich wieder einzuholen, aber das schaffts nicht wirklich! Wink )

Mir scheint, es geht heutzutage einer ganzen Menge Menschen so, und gerade auch solchen, denen man es "von außen" nicht ansieht; ich wurde / werde auch - zumindest seit dem fortgeschrittenen Erwachsenenalter - für selbstbewusst und selbstsicher gehalten. In bestimmter Hinsicht bin ich es tatsächlich "trotzdem" geworden; deshalb gehe ich nicht einig mit der obigen Aussage, man könne daran nichts ändern.

Ich habe mich aufgrund meiner Unsicherheit und meiner Versagensängste noch mit Mitte Zwanzig in die Sucht geflüchtet (Tabletten) und musste mich mühsam genug daraus freikämpfen - also kann ich Dir aus meiner Sicht zu Drogen jedweder Art als Behandlungsmittel beim besten Willen nicht raten!

Mein weiterer Weg: Ich habe, als ich begriff (es sozusagen "Klick'" machte), dass ich scheinbar nur auf ständiges Versagen zurückblickte, begonnen, in mir selbst einiges zu verändern.

Zunächst hatte das bei mir mit dem Glauben zu tun: Ich begann, mich als Kind meines Schöpfers zu akzeptieren und konnte sehen, ich bin nicht schlechter als all die anderen Menschen, also zunächst einmal genau so okay, wie ich bin, da ich offenbar so gewollt wurde, wie ich nun mal bin. Das war im Grunde der Start, mich "selbst zu lieben" - und nicht gerade unwichtig!

Ich habe in der Folge dann auch kleine und kleinste Erfolge registrieren können - sie erst einmal überhaupt wahrzunehmen, ist schon ein Erfolg Exclamation - habe bewusst geschaut, worauf ich wenigstens ein bisschen stolz sein konnte. Hab versucht, mich vom Außen, vor allem von den beruflichen, teilweise übermäßigen Anforderungen, innerlich zu distanzieren, d. h. auch mit vermeintlich lediglich befriedigenden Leistungen von mir zurechtzukommen, mir selbst nicht mehr in allem das Äußerste abzuverlangen, auch wenn das natürlich erwartet wurde.

Wenn ich "nicht genügte", habe ich versucht, das als Problem meines Arbeitgebers zu sehen, nicht als das meine, denn ich tat ja, was ich konnte! Ich habe also meine eigenen Ansprüche an mich reduziert - das war fast das Wichtigste. Ich denke, Menschen, die so gestrickt sind wie wir, haben zuächst einmal an sich selbst die größten Ansprüche: Gut sein, genügt nicht, ich will / muss SEHR gut sein! Ganz schön vermessen...

Zudem: Hiob hat insoweit Recht. Einen Schritt beiseite treten und mal hinschauen, in welchen Zwängen wir eigentlich stecken und wie widerspruchlos wir sie hinzunehmen bereit sind. Sind WIR fehlerhaft oder es nicht viel mehr oft unser gnadenloses System?! Haben wir nur eine Lebensberechtigung, wenn wir SEHR gut sind, oder genügt nicht auch eine "Drei"?

Cartoon, ich kann Dir nur den "Weg der kleinen Schritte" empfehlen, eben nun nicht zu erwarten, im Rundumschlag so zu werden "wie alle anderen". Du bist etwas Besonderes, ja - und sei zunächst DARAUF stolz!

"Versagen" wird erst dann schlimm, wenn wir es für uns selbst als unüberwindbare Niederlage ansehen! Können wir es lediglich als Stufe auf dem Weg betrachten, verliert es ein ganzes Stück weit seinen Schrecken, so meine Erfahrung.

Disziplin, die mir ebenfalls "von Haus aus" schwer fällt, habe ich übrigens auch nur in kleinsten Schritten, wenigstens teilweise, erlangen können: immer auf EINE Sache beschränkt, die ich dann ganz bewusst und stückweise nach Plan angegangen bin; irgendwann "saß" das dann - und wurde dann als einen der "Erfolge" auch sehr bewusst von mir registriert! Dann konnte ich das nächste angehen. (Aber leicht fällt Disziplin mir immer noch nicht. Wink )

Viele Grüße!
Und den Mut, für Dich selbst zu bestimmen, was "Erfolg" ist
wünscht
Eve
Find all posts by Eve12
Toughy
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]


Posts 1312
Wohnort Dtld
W, 29


Post Sat, 13.Oct.07, 10:33      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo ihr,

genau wie Eve12 weiß ich nicht viel über AD(H)S. Was ich weiß, ist, dass es oftmals auch eine "Verzweiflungstat" ist, dies zu diagnostizieren. Bei mir stand der Verdacht auch mal im Raum, und es hätte mich enorm erleichtert, wenn die Diagnose wirklich so ausgefallen wäre. Ich dachte, wenn ich dann medikamentös behandelt werden würde, liefe alles quasi wie von selbst.

Nun, bei mir lagen die Dinge anders: Auch ich hatte Konzentrationsprobleme; ich wurde als faul und unwillig bezeichnet; ich habe meine Vermeidungsstrategien perfektioniert; ich hatte Angst, meinen (?) Perfektionsansprüchen nicht gerecht werden zu können; ich habe immer auf den letzten Drücker für Klausuren in der Schule gelernt oder für Prüfungen an der Uni; ... usw. Bis zum Schreiben meiner Diplomarbeit kam ich damit noch gut durch. Leider, irgendwie.
Und dann lag plötzlich dieser Berg Arbeit vor mir - eine Arbeit, die nicht in zwei, drei Tagen getan wäre. Sie musste inhaltlich und zeitlich strukturiert werden. Ich musste mich begrenzen, meine bisher so dahinplätschernden Tage durchorganisieren, und ich musste dranbleiben. Das war für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Ich war völlig überfordert, zweifelte an mir selbst, hatte furchtbare Angst - und tat das, was ich konnte: vermeiden.

Ohne begleitende Verhaltenstherapie hätte ich das Unternehmen "Diplomarbeit" nie geschafft.

Man kann Disziplin lernen. Aber ich bin nicht sicher, ob man das ohne professionelle Hilfe schaffen kann. Die meisten Menschen lernen Disziplin im Kindesalter, und da fällt es noch leicht. Da sind Eltern, die motivieren, loben, anerkennen und belohnen; Eltern, die einem Regelmäßigkeit, d.h. wiederkehrende Tagesabläufe vorleben (es gibt Zeiten für Arbeit und Freizeit); Eltern, die unterstützen und begleiten; Eltern, die die Hausaufgaben beaufsichtigen oder kontrollieren usw.

Ihr könnt ja mal schauen und überlegen, wie es bei euch war. Waren eure Eltern diszipliniert? Was habt ihr von euren Eltern gelernt: Aufschieberitis und Unlust oder Motivation?

Ich hab in meiner Therapie lernen müssen, das zu übernehmen, was Aufgabe meiner Eltern gewesen wäre. Es hat sich gelohnt, wenn auch noch nicht alles so reibungslos und wie selbstverständlich abläuft wie bei anderen.
Für mich war wichtig
    - meine Belastungsgrenzen kennen zu lernen
    - mich nicht zu überfordern (weil das ja wieder demotiviert)
    - meine Aufgaben in kleinere, überschaubare Teilaufgaben zu unterteilen
    - meine noch so kleinen Erfolge anzuerkennen, ohne ständig ein Aber zu finden
    - mich zu belohnen
    - meine Tage zeitlich durchzustrukturieren, zu planen
    - meine Tage mit mehr auszufüllen, als mit Arbeit resp. Vermeidungsstrategien, d.h. auch Dinge fest einzuplanen, die mir Spaß machen (und zwar nicht als Belohnung, sondern als gleichwertig mit der Arbeit)
    - meine Leistungskurve zu erfassen, damit ich mir nicht vornehme, zu einer Tageszeit zu arbeiten, wo ich ein Leistungstief habe
    - meine Arbeitsumgebung so zu gestalten, dass ich mich wohl fühle (aber nicht zu wohl *grins*)
    - ...

Und am Ende machte mir die Arbeit sogar Spaß Shocked Laughing Denn es ist ein verdammt gutes Gefühl, Vorhaben zu realisieren, zu merken, dass man etwas schaffen kann. Ich wünschte, ich wäre nicht so lange mit meinen Vermeidungsstrategien durchgekommen und hätte all das schon früher gelernt. Deswegen kann ich nur empfehlen, so zeitig wie möglich den Versuch zu unternehmen, mit Hilfe einer Verhaltenstherapie Disziplin zu lernen.

Viele Grüße,
Toughy

_________________
Es ist wichtig, jemanden dort abzuholen, wo er gerade ist. Aber manchmal ist es auch wichtig, jemanden dort zu lassen, wo er gerade sein will.
Find all posts by Toughy
Werbung
Eve12
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie


Posts 677
Wohnort eine Stadt in D
W, 53


Post Sat, 13.Oct.07, 11:48      Re: Wie lernt man Disziplin? Reply with quoteBack to top

Hallo Toughy und andere! Smile

Quote:
Ihr könnt ja mal schauen und überlegen, wie es bei euch war. Waren eure Eltern diszipliniert? Was habt ihr von euren Eltern gelernt: Aufschieberitis und Unlust oder Motivation?

Yepp, da hängt der "Wurm" - seh ich für mich schon so...

Meine Mutter vor allem hat mir kein Vertrauen ins Leben, geschweige denn in mich selbst, vermitteln können; sie war selbst ein zutiefst verletzter, gedemütigter, missbrauchter Mensch - dabei das, was man herzensgut nennt - und wehrlos. Sie brachte es auch als Reaktion bei Angriffen kaum weiter als bis zu Tränen. Meinen Vater habe ich als jähzornig und unberechenbar empfunden; er starb sehr früh.

Disziplin wurde mir nicht / kaum vermittelt unter diesen Umständen. Eher erlebte ich das Dasein als eine Kette von Schwierigkeiten, denen man am besten auswich. Am wohlsten fühlte ich mich als Kind in unserem Garten, im Kirschbaum versteckt, mit meinen Büchern; da kam auch sowas wie Lebensfreude auf. Meine seelischen (und übrigens lange auch die körperlichen) Muskeln spielen zu lassen, habe ich hingegen nur als Anstrengung empfunden und wo möglich (wie Cartoon) vermieden. (Da frage ich mich doch gerade, ob Selbstunsicherheit und Vermeidungsverhalten immer Hand in Hand gehen... ?)

Das Lernen fiel mir in den meisten Bereichen leicht - zu leicht?. Als es dann schwieriger wurde, konnte ich das jedenfalls kaum verstehen und erst recht nicht akzeptieren. Richtig schwer wurde es, als vermehrt Kritik von außen an mich herangetragen wurde. Die Verunsicherung war groß, denn auch bei allem eigenen Wollen - Schiet! - konnte ich plötzlich einige Anforderungen nicht mehr erfüllen. Ich pendelte also über Jahre zwischen verzweifelter Anstrengung und Resignation.

Heute, wo ich mittlerweile aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden bin, stehe ich beileibe nicht drüber; ich sehe sehr wohl die Ungerechtigkeiten, die hochnäsigen und unzumutbaren Ansprüche. Ich nehme aber sozusagen in Großbuchstaben auch meine eigenen Ansprüche an mich selbst wahr und merke, die waren nicht weniger hochmütig. Ich war doch selbst nicht bereit, mich als "mittelmäßig" einzustufen und zu akzeptieren, wie sollten es da die anderen?!

Warum ist das eigentlich so schwer? Tja, ich denke, EHRGEIZ ist DIE anerkannte Eigenschaft in unserer Gesellschaft. "Faul" oder schlimmer, "unfähig" zu sein, ist hingegen geradezu "das Letzte"!

Ich wünschte heute, meine Eltern hätten ihrem kleinen Mädchen Zustimmung zum - natürlich - fehlerhaften Selbst vermitteln können; es hätte vieles erleichtert. Aber: Konnte ich es meinem Sohn so 'rüberbringen...? Sehr wichtig: Ich musste lernen, meinen Eltern und in der Folge auch mir selbst zu verzeihen.

Das Leben als kaum zu bewältigendes Jammertal anzusehen, ist wahrhaftig eine Hypothek. Meine Eltern konnten jedoch (wie später eben auch ich) nicht aus ihrer Haut; es war ihnen ja nicht einmal bewusst! Ich hatte durch mein eigenes Schicksal immerhin die Chance, hinzuschauen und die Probleme anzugehen.

Sehe ich das heute im Zusammenhang mit meinem Sohn, registriere ich zwar immmer noch die fehlbare Mutter, die ich war, bin jedoch sehr dankbar, dass er die positive Sicht seiner selbst zum größten Teill erlangt hat und dass ihm sein Leben gelingt.

LG, Eve
Find all posts by Eve12
Display posts from previous:      
Post new topic Reply to topic