Keine Diagnostik / Behandlung trotz Betreuung

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Lilly111
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Beiträge: 938

Beitrag Fr., 20.04.2012, 18:46

Ein schwedisches Waldmärchen

An einem schönen Sommertag war um die Mittagszeit eine Stille im Wald eingetreten.
Die Vögel steckten ihre Köpfe unter die Flügel. Alles ruhte.
Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: "Was ist das Leben?"
Alle waren betroffen über diese schwere Frage.
Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: "Das Leben ist eine Entwicklung."
Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Lustig flog er von einer Blume auf die andere, naschte da und dort und sagte: "Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein."
Drunten am Boden schleppte sich eine Ameise mit einem Strohhalm ab, der zehnmal länger als sie selbst war, und sagte: "Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit."
Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltigen Blume zurück und meinte dazu: "Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen."
Wo so weise Reden geführt wurden, steckte der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und sagte: "Das Leben ist ein Kampf im Dunkel."
Die Elster, die selbst nichts weiß und nur vom Spott der anderen lebt, sagt: "Was ihr für weise Reden führt! Man sollte meinen, was ihr für gescheite Leute seid!"
Es hätte nun einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: "Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen." Dann zog er wieder zum Meer.
Dort brandeten Wogen und warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen, kletterten daran in die Höhe und warfen sich dann wieder mit gebro­chener Kraft ins Meer zurück und stöhnten: "Das Leben ist ein stets vergebliches Ringen nach Freiheit."
Hoch über ihnen zog majestätisch ein Adler seine Kreise, der frohlockte: "Das Leben ist ein Streben nach oben."
Nicht weit davon stand eine Weide, die hatte der Sturm schon zur Seite geneigt. Sie sprach: "Das Leben ist ein Sich-Neigen unter eine höhere Macht."
Dann kam die Nacht.
Im lautlosen Flug glitt ein Uhu durch das Geäst des Waldes und krächzte: "Das Leben heißt, die Gelegenheit nutzen, wenn die anderen schlafen."
Schließlich wurde es still im Walde.
Nach einer Weile ging ein Mensch durch die menschenleeren Straßen nach Hause. Er kam von einer Lustbarkeit und sagte vor sich hin: "Das Leben ist ein ständiges Suchen nach Glück und eine Kette von Enttäuschungen."
Auf einmal flammte die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach: "Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit."

______

Dieses Märchen wird für mich, solange ich lebe, eine besondere Bedeutung haben.
Es war Teil der Trauerrede.
Damit möchte ich diesen Thread hier beschließen.

Lilly
... as stubborn as a mule.

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Danica
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Beiträge: 634

Beitrag Fr., 20.04.2012, 19:14

Hallo Lilly,
ich hab hier still (sprachlos) mitgelesen. Danke für dieses Märchen zum Schluss - ich hab Gänsehaut beim Lesen bekommen.
Auf Wiederlesen, wie ich hoffe - alles Gute, wünscht dir von Herzen
Danica

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bloedekuh
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Beiträge: 262

Beitrag Fr., 20.04.2012, 20:26

Liebe Lilly,
Hab mich nicht getraut zu schreiben. Normalerweise bin ich nicht so zimperlich, aber hier... Ich finde es einfach schön, dass du uns an deinen Gefühlen, deinem Erleben teilnehmen lässt. Und das in einer so natürlichen, klaren Weise.
Danke auch für das schöne Märchen.

liebe Grüße,
bloedekuh
Sag es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebendge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.
(Goethe: Selige Sehnsucht)

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