Selbstmord meiner Schwester

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Gärtnerin
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Beitrag So., 24.02.2008, 20:32

Hi staden,

wenn das Citalopram nicht geholfen hat, dann frage ich mich, warum du es glatte anderthalb Jahre lang trotzdem genommen hast. Dass es anfangs einige Wochen dauert, bis ein Medikament wirkt, und dass die individuelle Dosierung ausgetestet werden muss, ist klar, aber anderthalb Jahre an der Dosierung schrauben ohne deutliche Besserung?! Ist deine Psychiaterin da so unflexibel, dass sie nicht auf die Idee kam, auf ein anderes Medikament umzusteigen? Sorry, aber ich wundere mich gerade wirklich...
staden hat geschrieben:Irgendwie habe ich manchmal auch die Nase voll, mir immerzu so viele Gedanken um mich und meine Psyche und meine Vergangenheit zu machen.
O ja, dieses Gefühl kenne ich nur zu gut. Solche Phasen, wo mir dieser ganze Psychokram so zum Hals raushing, hatte ich im Verlauf meiner Therapie immer wieder. Während meines Kliniksaufenthalts habe ich bei meinem Therapeuten sogar mal eine Woche "Urlaub" beantragt, d.h. ich wollte eine Woche lang keine therapeutischen Dinge mehr machen. Na ja, ich hab's leider gerade mal zwei Tage ausgehalten. Dann kam ich mit meinerm Inneren nicht mehr alleine klar und stand wieder reumütig vor ihm. Aber sofern es funktioniert, finde ich es eigentlich gar nicht verkehrt, das Trauma ab und zu mal in eine Ecke zu schieben und sich eine "Pause" zu gönnen.
staden hat geschrieben:Du hast ja schon sehr viel und lange Therapieerfahrung, War das eher analytisch, tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch? Was denkst du, hat dir am meisten geholfen während dieser Zeit?
Puh, so viele Fragen. Da muss ich erst einmal die einzelnen Therapien sortieren. Jede hatte ihre eigenen Stärken und Schwächen.

1.) therapeutische Gemeinschaft: Das war in einer christlichen Einrichtung und hatte somit auch einen spirituellen Hintergrund, z.B. gemeinsame Gebetszeiten, was ich übrigens nie als einengend erlebt habe. (Aber ich hatte mir das ja auch bewusst ausgesucht.) Die Therapie war sehr intensiv und ganzheitlich (Körper - Seele - Geist) aufgebaut, ohne eine spezielle therapeutische Richtung. Als besonders wohltuend empfand ich dort das Gefühl, ganz bedingungslos angenommen zu sein, sowie das enge Zusammenleben. Die Räumlichkeiten waren sehr einfach. Zwar hatte jeder sein eigenes Zimmer, aber man teilte sich z.B. das Bad. Putzen mussten wir selber. Die Mahlzeiten wurden gemeinsam zubereitet. Auch die Therapeuten gehörten irgendwie dazu und standen nicht so abgehoben obendrüber. Es war wie eine Familie, in der man sich auch gegenseitig auffing.

2.) psychosomatische Klinik: Dort war ich insgesamt 5 Monate und hatte einen Psychoanalytiker als Therapeuten. Er machte zwar nicht ganz die klassische Analyse, aber in die Richtung ging es schon. Besonders geholfen hat mir, dass in der Klinik jederzeit, Tag und Nacht, jemand vom Pflegepersonal zu erreichen war (auch wenn ich erst lernen musste, dass ich das auch annehmen durfte).

3.) ambulante Therapie: Die Therapeutin arbeitete weitgehend tiefenpsychologisch orientiert, ohne jedoch zu eng an der Methode zu kleben. Bei ihr war es auch wieder das Gefühl des bedingungslosen Angenommenseins, das mir am meisten geholfen hat. Sie hatte ein riesengroßes Verständnis für alles und hat nie verurteilt. Zudem hat sie mir von Anfang an versprochen, dass ich so lange zu ihr kommen darf, wie ich will, ganz egal ob es mir gut oder schlecht geht. Dadurch fiel meine große Angst weg, fortgeschickt zu werden, bevor ich dazu bereit war. Wichtig bei den Themen, die ich damals behandelte, war, dass sie eine Frau war. Einem Mann hätte ich vieles so nicht anvertrauen können. Bei ihr war ich 6 Jahre.

4.) Heilpraktiker für Psychotherapie: Da habe ich letzten Herbst eine Therapie angefangen, aus einem diffusen Gefühl der "Sinnsuche" heraus. Er hatte eine sehr zielgerichtete Vorgehensweise und war wirklich gut. So hat er es schon in der ersten Stunde geschafft, meine Grundprobleme ganz klar auf den Punkt zu bringen. Nach der 5. Stunde habe ich trotzdem wieder aufgehört, weil ich gemerkt habe, dass die reine Gesprächstherapie für mich ziemlich ausgereizt ist. Zudem konnte ich ihm als Mann nicht so hundertprozentig vertrauen wie ich es gerne wollte.

5.) Körpertherapie:Da bin ich seit November. Ich denke, dass ich an meine sehr frühen Traumata über den Körper besser herankomme als über die Sprache. Auf Wunsch der Therapeutin (nach einer für sie erschreckenden Dissoziationsphase in unserer zweiten Stunde) gehe ich nebenher hin und wieder zu einer Fachärztin für Psychotherapie, damit für Notfälle ein ärztlicher Hintergrund da ist, also jemand, der evtl. mit Medikamenten eingreifen kann.

(Fortsetzung gleich)
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Gärtnerin
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Beitrag So., 24.02.2008, 20:33

(Fortsetzung)
Du schreibst auch von Selbstverletzungen, oder hab ich das falsch verstanden? Ist das noch ein Thema und wenn nicht, was hat dir dort geholfen?
Das ist zum Glück seit 8 Jahren kein Thema mehr. Hier habe ich mehr dazu geschrieben: viewtopic.php?f=16&t=1919
Und bei dir? Du hast geschrieben, deine Wut hätte sich irgendwann gegen dich selber gerichtet? Meinst du damit Selbstverletzungen?

Liebe Grüße,
die Gärtnerin
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staden
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Beitrag Mo., 25.02.2008, 20:56

Hallo Gärtnerin,

ich weiß eigentlich auch nicht, warum ich das Citalopram solange genommen habe. Irgendwie habe ich mir wohl eingeredet, dass es doch hilft, weil ich das glauben wollte. Und dass es mir schlechter ging habe ich auf andere Dinge geschoben, ist ja auch sehr schwierig die Dinge voneinander zu trennen. Dazu kam noch, dass ich ziemlichen Alkoholmissbrauch betrieben habe, was vielleicht mit ein Grund war, warum das Zeug nicht gewirkt hat. Schwer zu sagen.
Gärtnerin hat geschrieben:Zudem hat sie mir von Anfang an versprochen, dass ich so lange zu ihr kommen darf, wie ich will, ganz egal ob es mir gut oder schlecht geht. Dadurch fiel meine große Angst weg, fortgeschickt zu werden, bevor ich dazu bereit war. Wichtig bei den Themen, die ich damals behandelte, war, dass sie eine Frau war. Einem Mann hätte ich vieles so nicht anvertrauen können.
Das ist gut, ich habe die gleichen Ängste. Sollte das vielleicht auch mal ansprechen in meiner Therapie.
Es war für mich auch wichtig, bei einer Frau zu sein. Bei mir allerdings weniger wegen meiner Problematik sondern weil ich einem Mann nicht so viel Vertrauen entgegen bringen könnte.

Was du über SVV schreibst, da sprichst du mir in Vielem aus der Seele. Es ist auch für mich ein Thema, auch wenn es in letzter Zeit deutlich weniger geworden ist.
Mir hat gefallen, wie ehrlich du zu dir selbst bist. Mir fällt es schwer, mir Vieles selbst einzugestehen. Zum Beispiel die insgeheime Hoffnung, dass irgendjemand die Verletzungen sehen könnte, von dem ich Hilfe erwarten kann. Ich versuche andererseits alles, um es zu verbergen, da es mir so furchtbar peinlich ist. Meine Therapeutin ist die einzige, die davon weiß, mittlerweile fragt sie aber kaum noch danach, da andere Themen wichtiger sind im Moment. Und ich würde das Thema, aus Scham, auch niemals selbst anschneiden.
Die Narben hindern mich zwar an Vielem (z.b. kurzärmelige Shirts tragen, zum Schwimmen gehen etc.) sind aber für mich manchmal die einzige Möglichkeit auszudrücken, was in meinem Inneren vorgeht. Worte sind da nicht immer stark genug.
Ich erhoffe mir aber auch, dass mit dem Absetzen von Citalopram das Problem besser wird, weil ich weniger unter Spannung stehe. Mal schauen.

Oft denke ich, es wäre so Vieles einfacher zu ertragen, wenn ich einen Partner hätte. Nicht dass der dann als Ersatztherapeut hinhalten sollte (bloß nicht!) sondern dass jemand einen mal in der Arm nimmt, wenn man einen schlechten Tag hatte. Das würde vielleicht einiges abfangen und ich käme mir nicht immer so allein mit meinen Problemen vor. Aber vielleicht sind das auch Illusionen und eine Partnerschaft ist gar nicht möglich, bevor ich nicht alles allein durchkämpft habe...?

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Gärtnerin
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Beitrag Di., 26.02.2008, 19:22

staden hat geschrieben:Dazu kam noch, dass ich ziemlichen Alkoholmissbrauch betrieben habe, was vielleicht mit ein Grund war, warum das Zeug nicht gewirkt hat.
Das kann schon sein. Alkohol und Psychopharmaka passen ja nicht unbedingt so gut zusammen...
Willst du das Citalopram komplett absetzen oder in niedriger Dosierung weiter nehmen? Machst du das auf eigene Faust oder wissen deine Psychiaterin bzw. deine Thera davon? Du könntest der Psychiaterin doch auch sagen, dass es nicht so gut wirkt und dir etwas anderes verschreiben lassen. Oder denkst du, dass du ohne Medikamente besser dran bist?
Mir hat gefallen, wie ehrlich du zu dir selbst bist. Mir fällt es schwer, mir Vieles selbst einzugestehen. Zum Beispiel die insgeheime Hoffnung, dass irgendjemand die Verletzungen sehen könnte, von dem ich Hilfe erwarten kann.
Glaub mir, das war bei mir auch nicht immer so. In der Zeit, in der ich mich noch selber verletzt habe, hätte ich mir diese Dinge auch niemals eingestehen können!!! So lange man da noch mittendrin steckt, fehlt einfach der nötige emotionale Abstand, um sich wertungsfrei zu analysieren.
Oft denke ich, es wäre so Vieles einfacher zu ertragen, wenn ich einen Partner hätte. Nicht dass der dann als Ersatztherapeut hinhalten sollte (bloß nicht!) sondern dass jemand einen mal in der Arm nimmt, wenn man einen schlechten Tag hatte. Das würde vielleicht einiges abfangen und ich käme mir nicht immer so allein mit meinen Problemen vor.
Mag sein, dass mit Partner manches einfacher wäre. Ich hatte noch nie einen, kann es dir also nicht sagen. Ich glaube, ich würde vor einem Partner immer viel zu viel von meinen Gefühlen schlucken und mich zusammenreißen, aus Angst, ihn zu verlieren oder ihn mit meinen Bedürfnissen zu überfordern. Ich stelle es mir aber auch für den Partner ziemlich schwer vor, mit jemandem zusammenzuleben, der so unverständliche Dinge tut wie z.B. sich selbst verletzen. Könnte mir vorstellen, dass sich jemand, der dich liebt, da sehr hilflos vorkommt.
Hattest du denn schon mal einen Freund oder Partner?
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susi83
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Beitrag Do., 17.04.2008, 13:05

hey

ich weiß wie du dich fühlst, weil ich letztes Jahr fast das gleiche miterlebt hätte. Mein Bruder wollte sich das Leben nehmen, er hat es angedroht, und mein Vater wusste nicht was er machen sollte. Er kam zu mir weil er wusste das ich in Therapie bin und so einiges weiß, aber er nur er hätte die Verantwortung übernehmen sollen!!! Ich hab ich drum gerkümmert das mein Bruder am Ende in der Psychiatrie gelandet ist. Mein Vater hat nur Rettungswagen gerufen weil ich gesagt habe er soll es machen.

Es ist schwer damit zu leben, das kann ich nachvollziehen. Vor allem wenn man sich so nahe stand wie bei euch. Schuldgefühle muss man nicht haben, weil man ja nicht weiß was in einem Menschen vor sich geht und wie er sich fühlt, das haben wir jahrelang bei meinem Bruder auch nie gewusst. Da war er 12!!

Haben deine Eltern denn auch einen Therapeuten? Denn so was muss behandelt werden, wenn man nicht zurecht kommt.

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