Selbstmord meiner Schwester

Hier können Sie sich über Belastungen durch eigene oder fremde schwere Erkrankungen, aber auch den Umgang mit Tod und Trauer austauschen.
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Selbstmord meiner Schwester

Beitrag Di., 19.02.2008, 02:07

Hallo ihr da draußen,

Ich schreibe euch jetzt mal etwas von mir und hoffe, jemanden zu finden, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat oder mich sonst irgendwie versteht.
Vor etwa 18 jahren hat sich meine geliebte Schwester das Leben genommen. Sie hatte eine schwre Borderline Störung und sehr gelitten bis zu ihrem Tod (Einzelheiten erspar ich euch).
Ich habe erst nach ca. 16 Jahren angefangen, mich diesem Thema zu stellen, mache auch eine Therapie. Ich bin mit meiner Therapeutin eigentlich sehr zufrieden aber trotzdem fühle ich mich oft unverstanden. Wenn ich sie darauf anspreche, habe ich das Gefühl, dass sie mir "nach dem Mund redet", um mir nicht dieses Gefühl zu vermitteln, aber ich merke es ja trotzdem.
Es geht ganz viel um meine Familie und was alles passiert ist, damit es zu alldem kam.
Ich habe aber immer das Gefühl, dass von allen Seiten, mit denen ich darüber spreche (Verwantde, Freunde und jetzt sogar die Therapeutin) sehr viel Verständnis für meine Eltern aufkommt.
Mein Leben ist durchzogen von "Verständnis für meine Eltern aufbringen" und natürlich ist mir auch sehr wohl bewusst, wie sehr sie unter dem Tod ihrer Tochter zu leiden haben, mit all den Schuldgefühlen.
Aber ich denke auch ganz oft, dass niemand es so richtig versteht, was es heißt, eine große Schwester zu verlieren, vor allem da ich ihr sehr nahe stand.
Ich denke, dass alle immer so eine Art Wertung vornehmen "das war schlimm für dich, aber für deine Eltern war es noch viel schlimmer". Niemand kann nachvollziehen, was ich für eine Bindung an meine Schwester hatte (was ich auch nicht erwarte) aber jede Trauer und Wut wird eigentlich erstickt von "es ist schrecklich, sein eigenes Kind zu verlieren" aber nicht "es ist schrecklich, eine Schwester zu verlieren". Ich fühle mich da komplett allein gelassen.
Kann jemand von euch da draußen verstehen, was es heißt, ein geliebtes Geschwisternteil zu verlieren und jahrzehntelang niemanden zu haben, mit dem man darüber reden kann? Wenn es immer um die Rücksicht auf die "armen Eltern" geht?
Ich komme mit diesem Verlust nicht klar und würde gerne erfahren, wie andere mit so einem Verlust umgehen oder umgegangen sind.
Die Suche nach "Schuldigen" und den gleichzeitigen Schutz der Eltern (die ja immer ihr Bestes gegeben haben und somit unschuldig sind) vor erneuten Schuldvorwürfen, das macht mich wahnsinnig!!!!

Kann irgendjemand mich verstehen?

Werbung

Benutzeravatar

Leonardo
Helferlein
Helferlein
männlich/male, 48
Beiträge: 31

Beitrag Di., 19.02.2008, 10:12

Hallo staden,
die Geschichte meiner Frau weist sehr viele Ähnlichkeiten mit deiner Geschichte auf.

Meine Frau hatte einen jüngeren Bruder, der mit einem schweren Herzfehler zur Welt kam und nur 23 Jahre alt geworden ist. Auch ihr wurde nach dem Tod des Bruders gesagt, dass sie doch stark sein müsse und ihre armen Eltern unterstützen müsse. Das hat sie dann auch getan. Etwa 2 Jahre später habe ich sie dann kennengelernt und kurz darauf ist dann alles in einer wirklich schrecklichen Nacht aus ihr herausgebrochen. Ich denke, die Sorge um ihre Eltern hat u.a. bewirkt, dass sie ihre eigene Trauer nicht richtig verarbeiten konnte. Wahrscheinlich würde es dir auch gut tun, wenn du jemanden hättest, mit dem du darüber reden kannst.

Alles Gute
Leo

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Beitrag Fr., 22.02.2008, 13:15

Hallo Carina, hallo Leo

vielen Dank für eure netten Worte! Eigentlich hatte ich gedacht, das Thema längst verarbeitet zu haben aber da hab ich mich wohl getäuscht.
Ich finde es manchmal bei der Therapie so schwer, meinen eigenen Schmerz zu verarbeiten, weil er überlagert ist von Rücksichtsgefühlen gegenüber meiner Eltern und das Gefühl, für jeden Verständnis aufbringen zu müssen. Geht euch das auch manchmal so?

Liebe Grüße
Staden

Benutzeravatar

Leonardo
Helferlein
Helferlein
männlich/male, 48
Beiträge: 31

Beitrag Fr., 22.02.2008, 15:50

Ich bin ja nicht selbst betroffen, aber für meine Frau ist Rücksichtnahme auf ihre Eltern und insbesondere ein hohes Pflichtgefühl ein sehr wichtiges Thema.

Liebe Grüße
Leo

Werbung

Benutzeravatar

Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 41
Beiträge: 1162

Beitrag Fr., 22.02.2008, 21:44

Ich habe so eine schreckliche Erfahrung zum Glück nicht nicht gemacht. Was mir bei meinen (ganz anderen) Problemen sehr geholfen hat, war die Aussage eines Therapeuten, dass es hilfreich ist, zwischen den realen ("äußeren") Eltern und den "inneren" Eltern zu unterscheiden.

Die "äußeren" Eltern haben ihr eigenes Päckchen zu tragen gehabt und konnten es damals einfach nicht besser machen als sie es eben gemacht haben. Das ist etwas, wofür man sicherlich Verständnis aufbringen kann.

Aber du hättest damals deine Eltern gebraucht, und sie waren nicht für dich da. Dadurch hat sich in dir wahrscheinlich eine Menge Wut und Trauer aufgebaut. Du hast ein inneres Bild von Eltern bekommen, die unfähig waren, dich zu verstehen und für dich da zu sein - was ja auch so war.

Mir persönlich hat diese Trennung sehr dabei geholfen, meine ganzen Wutgefühle auf die inneren Eltern zuzulassen, ohne mich dabei wegen der äußeren Eltern (die ja nicht mit Absicht Fehler gemacht haben) schuldig fühlen zu müssen.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Beitrag Sa., 23.02.2008, 12:13

Hallo Gärtnerin,

vielen Dank für deinen Tipp, ich werde das mal versuchen mit den inneren und äußeren Eltern. Nur, wie wirkt sich das auf dein Verhältnis zu deinen Eltern aus? Kannst du so mit ihnen normal umgehen, obwohl du eine Wut auf die inneren Eltern hast? Kannst du das trennen?

LG Staden

Benutzeravatar

Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 41
Beiträge: 1162

Beitrag Sa., 23.02.2008, 16:31

Hallo staden,

mittlerweile kann ich das gut trennen, vor allem weil mich meine Eltern auch von Anfang an in meinem Wunsch nach Therapie unterstützt haben. Sie haben mir z.B. meine erste Therapie (einen 3-monatigen Aufenthalt in einer therapeutischen Gemeinschaft) finanziert. Da sehe ich einfach die ganz tiefe Bereitschaft, dass meine Eltern das Beste für mich wollen - so gut sie es eben können. Sie sind sich ihrer Defizite durchaus bewusst. Als Eltern brauche ich sie heute nicht mehr, d.h. emotional erwarte ich nichts mehr von ihnen, weil ich weiß, dass sie das nicht geben können. So kann ich relativ normal, wenn auch oberflächlich, mit ihnen umgehen. Ich sehe sie allerdings nur noch selten.

Es gab auch Zeiten, wo das anders war. Während meines Kliniksaufenthalts habe ich bewusst jeden Kontakt, auch telefonisch, zu meinen Eltern gemieden, weil eben die ganzen Gefühle sehr stark waren. Das haben meine Eltern auch akzeptiert, mir die Zeit und den Raum gegeben.

Gruß, die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

Benutzeravatar

gompert
Forums-Insider
Forums-Insider
männlich/male, 99
Beiträge: 493

Beitrag Sa., 23.02.2008, 16:57

staden hat geschrieben: Kannst du so mit ihnen normal umgehen, obwohl du eine Wut auf die inneren Eltern hast?
Im Prinzip kannst du wenn du willst. Du kannst deine Wut ja auf Surrogate abreagieren, auf grosse Fotos deiner Eltern, auf ein Kopfkissen oder einen Boxball. Unbewusst reagieren so ja Millionen ihre Wut ab, auf den Hund, oder aufs Gaspedal.

Aber wenn du akzeptierst dass für deine mentale Gesundheit DEINE guten oder schlechten Gefühle an erster Stelle kommen sollten und NICHT die deiner Eltern oder sogar der normale Umgang mit ihnen, bist du frei zu entscheiden ob du das Risiko einer gewissen Konfrontation eingehen willst. Der Unterschied zwischen innere und äussere Eltern ist letztendlich ja eine künstliche und deine hätten ja eigentlich die Pflicht deine Wut entgegenzunehmen, zu verdauen damit echte Harmonie entsteht.

Elendswetteifer in Familien ist lieblos. Wie schlimm es für wen ist, kann man nicht messen, geschweige vergleichen. Klischees darüber muss man nie an sich heranlassen. Als mein Vater starb, sagte man mir (noch keine 5 Jahre alt) wie schlimm das für Mutti war, für meine Schwester die ihn so liebte und für meinen Bruder der seinen Unfall miterlebte. Alle starben sie sukzessive und immer noch sagte mir niemand es wär für mich auch nicht leicht.... Ich nehme das keinem übel, es ist halt oberflächliches Gerede und sonst nix. In meiner Therapie haben mir andere gesagt dass mein Schicksal schwer war. Das hat mich dann erleichtert.

Es ist nicht nur schwer für dich jetzt mit dem Selbstmord deiner Schwester klar kommen zu müssen, es hat vor allem natürlich deinen Lebenslauf beeinträchtigt. Und dein Lebensgefühl. Du bist benachteiligt worden und musstest deine Eltern schonen. Das führte natürlich zu tiefer Wut. Neulich wurde hier im Forum Alice Miller zitiert:

...wenn der Hass endlich erlebt und als berechtigt verstanden wurde, löst er sich auf.
Staunend liest's der anbetroffne Chef......

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Beitrag Sa., 23.02.2008, 20:25

Hallo Gärtnerin,

Das klingt für mich irgendwie gut, wie du das für dich gelöst hast mit deinen Eltern. Sehe da auch einige Parallelen zu mir. Meine Eltern wissen mittlerweile auch von meiner Therapie. Einerseits finden sie es auch gut, dass ich etwas gegen meine Depressionen etc. tue andererseits wirken sie meiner Therapie auch fast entgegen, indem sie durchblicken lassen, ob das denn das Richtige für mich sei, es würde ja nur dazu beitragen Schuldgefühle bei und Wut auf die Eltern zu schüren. Genauso haben sie es auch bei meiner Schwester gehandhabt. Sie haben eben schlechte Erfahrung mit Kliniken und Therapeuten gemacht.
Ihrer Defizite sind sie sich nicht so sehr bewusst. Ich habe sie mal vorsichtig darauf hingewiesen (auch nur weil sie mich danach gefragt hatten) aber sie haben meine Kritik überhaupt nicht angenommen sondern mit Gegenbeispielen widerlegt, so dass ich danach selbst an meiner Wahrnehmung gezweifelt habe. Ihrer Meinung nach haben sie eigentlich im Großen und Ganzen alles richtig gemacht und nur die Umstände, schlechten Therapeuten, Charakter meiner Schwester usw. haben dazu beigetragen, dass alles so eskaliert ist.
Ich habe es dann erstmal aufgegeben, mich weiter mit ihnen auseinanderzusetzen. In meinem Fall ist das Thema Schuld wegen dem Selbstmord vielleicht auch besonders im Vordergrund. Ich möchte ihnen nicht zusätzlichen Schmerz zufügen, weil ich, wie du, weiß, dass sie es immer gut mit uns gemeint haben und ihr Bestes gegeben haben. Auf emotionaler Ebene läuft da auch nicht viel. Aber ich fände es gut, wenn sie irgendwann nicht mehr so viel Raum in meinem Leben einnehmen würden.

Wie war es denn für dich in der Klinik? Hast du das Gefühl, dass dir das etwas geholfen hat? Bist du denn jetzt noch in Therapie oder hast du das Gefühl, deine Ruhe gefunden zu haben (klang so in deinem Mail)?

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Beitrag Sa., 23.02.2008, 20:37

Hallo Gompert,

das mit der Wut ausdrücken: ich wollte, ich könnte in ein Kissen boxen oder was in die Ecke pfeffern aber irgendwie kann ich das nicht auf so einen Gegenstand übertragen (gottseidank auch nicht aufs Gaspedal). Die Wut hat sich dann irgendwann gegen mich selbst gerichtet.
In meiner Therapie habe ich vorsichtig versucht, auch gegenüber meinen Eltern mal Wut zu äußern, mit einem schlechten Ergebnis: sie waren gekränkt, fühlten sich schlecht, nahmen aber gleichzeitig die Kritik nicht an. Und mir gings noch schlechter, da ich mich schuldig fühlte, ihnen zu ihrem Leid noch weiteres zuzufügen.

Wahrscheinlich wäre Abstand und Distanzierung zu ihnen da die einzige Lösung. Schließlich möchte ich nicht mein Leben lang meine Eltern so eine große Rolle spielen lassen sondern mein Leben selbst lenken.

Aber wie ich das mache, meine Wut rauszulassen oder sie umzulenken, das weiß ich noch nicht so genau. Gibt es nicht noch andere Tricks statt ins Kissen boxen?

Benutzeravatar

Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 41
Beiträge: 1162

Beitrag Sa., 23.02.2008, 21:07

Hallo staden!
staden hat geschrieben:Aber ich fände es gut, wenn sie irgendwann nicht mehr so viel Raum in meinem Leben einnehmen würden.
Gib dir Zeit. Das kommt schon. Bei mir ging es auch nicht von heute auf morgen, sondern hat Jahre gedauert. Wie lange bist du jetzt in Therapie?
Wie war es denn für dich in der Klinik? Hast du das Gefühl, dass dir das etwas geholfen hat?
Also zuerst war ich 3 Monate in der therapeutischen Gemeinschaft (das war super, aber viel zu kurz), danach in einer psychosomatischen Klinik. Der Kliniksaufenthalt war... hm... ich würde sagen durchwachsen. Toll war die Vielfalt der Möglichkeiten dort: Einzelgespräche, Gruppentherapie, Maltherapie, Gestaltungstherapie (mit Ton, Speckstein, usw.), Musiktherapie, Tanztherapie, usw. Sehr schön fand ich auch, dass man dort so viele nette Mitpatienten um sich hatte und mit ihnen oft auch die Freizeit gestaltete. Zu einer Frau von damals habe ich heute noch Briefkontakt. Weniger gut war der Therapeut, den ich dort hatte und der mich dauernd enorm unter Druck setzte. Und ein Therapeutenwechsel war nicht erlaubt. Wenn mich nicht das Pflegepersonal, v.a. die Stationsschwester, immer wieder aufgefangen hätte, weiß ich nicht, wie es geendet hätte. Alles in allem würde ich sagen, die Klinik war ein Anfang. Anschließend war ich 6 weitere Jahre in ambulanter Therapie (mit medikamentöser Begleitung).
Bist du denn jetzt noch in Therapie oder hast du das Gefühl, deine Ruhe gefunden zu haben.
Eigentlich habe ich weitgehend meine Ruhe gefunden. Trotzdem habe ich vor einem halben Jahr (nach 1 1/2 Jahren Therapiepause) wieder eine Therapie angefangen - dieses Mal aber nicht so sehr aus einem Leidensdruck heraus, sondern ich war eher auf der Suche nach einer Art "Lebensbegleitung". Eigentlich bin ich wirklich glücklich, könnte sicher gut so leben, aber manchmal ist da das Gefühl, "es ist noch mehr drin". Speziell an meiner Nähe-Distanz-Regelung will ich noch arbeiten.
Aber wie ich das mache, meine Wut rauszulassen oder sie umzulenken, das weiß ich noch nicht so genau. Gibt es nicht noch andere Tricks statt ins Kissen boxen?
In der Klinik gab es einen gefliesten Raum, wo man Tonklumpen an die Wand schmeißen durfte. Aber ich konnte das gedanklich auch nie wirklich auf meine Eltern übertragen bzw. tauchte, sobald ich die Wut mit meinen Eltern in Verbindung brachte, ein inneres "Verboten!"-Schild auf. Mir hat es mehr geholfen, meine Wut aufzuschreiben oder sie mit Fingerfarben auf große Papierbögen zu malen. (Aber ich gebe zu, ich habe sie auch oft an mir selber ausgelassen. )

Lieben Gruß,
die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Beitrag So., 24.02.2008, 01:18

Hallo Gärtnerin,

ich bin jetzt seit anderthalb Jahren in ambulanter Therapie, zweimal die Woche ungefähr.
Man hat mir schon ein paar mal eine stationäre Therapie empfohlen in einer psychosomatischen Klinik, was mich immer abgeschreckt hat. Zum einen wegen der schlechten Erfahrung, die meine Schwester damit gemacht hat und den traumatischen Erinnerungen daran (erzwungene Familientherapie als 14-jährige und natürlich hauptsächlich die negativen Erinnerungen an das Leiden meiner Schwester, die damals dort stationiert war - allerdings war das eine Jugendpsychiatrie). Hatte auch die Angst, so völlig die Verantwortung für mein Leben abzugeben oder zu verlieren und richtig abzustürzen. Meine Therapeutin schilderte mir eine psychosomatische Klinik als eine Art Kurklinik (eine Kur mit psychischer Betreuung) und ich fürchtete auch, mich vollständig zu verlieren im Grübeln über meine Probleme, zuviel Zeit und Raum, mich damit auseinanderzusetzen und darin festzustecken. Dann hatte ich Angst, meinen Job oder Karriere damit zu gefährden und natürlich auch, da ich wusste, dass meine Eltern damit so gar nicht einverstanden wären (aufgrund der negativen Erfahrungen). Aber manchmal denke ich, dass es vielleicht intensiver aber auch schneller gegangen wäre, ich mehr Erholung gehabt hätte und mich davor bewahrt hätte, in eine Substanzabhänggheit zu flüchten.
Das hängt sicher auch alles mit der Qualität der psychischen Betreuung zusammen.
So wie ich das verstehe, stehe ich im Vergleich zu dir wohl noch in den Kinderschuhen. Vielleicht bin ich auch zu ungeduldig. der Leidensdruck ist eben einfach so hoch, dass ich mir nach anderthalb Jahren mehr Erfolgserlebnisse erhofft habe und nicht so eine andauernde Qual.
Ich nehme auch Medikamente aber ich habe das Gefühl, dass sie bei mir nicht anschlagen, eher im Gegenteil. Was nimmst du denn, wenn ich fragen darf?

Benutzeravatar

Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 41
Beiträge: 1162

Beitrag So., 24.02.2008, 10:26

Hallo staden,

Psychiatrie und psychosomatische Klinik sind zwei Paar Stiefel. Wie deine Therapeutin schon sagte, ist letzteres wirklich eher wie eine Kurklinik, nur dass es statt körperlicher Anwendungen eben Psychotherapie gibt. (Körperliche Dinge wie Sport sind allerdings auch möglich.) Das "Tagesprogramm" wird auf den einzelnen Patienten zugeschnitten bzw. am Anfang mit ihm abgesprochen. Zumindest war es in der Klinik, in der ich war, so, dass ich durchaus meine Wünsche äußern konnte. Manche Dinge, die mir der Therapeut von sich aus verordnet hatte, habe ich geschwänzt, weil sie für mich zu dem Zeitpunkt einfach nicht machbar waren... das hat ihm gar nicht gefallen.
Es kommt wohl sehr auf den einzelnen an, wie intensiv die Therapie ist. Ich hatte z.B. einen sehr vollen Tagesablauf mit vielen therapeutischen Sachen, während manche meiner Mitpatienten mehr sportliche Betätigungen machten und viel Freizeit hatten, also wirklich eher wie eine Kur.

Was nimmst du für Medikamente? Weiß deine Therapeutin, dass sie nicht helfen? Warum verschreibt sie dir dann nichts anderes?
Ich habe mal in einer Akutphase (noch vor dem Kliniksaufenthalt) von meinem Hausarzt Trevilor verschrieben bekommen, aber das half mir gar nicht, sondern hatte nur Nebenwirkungen. Später habe ich 4 Jahre lang Citalopram genommen, von Anfang an mit super Wirkung. Im Herbst 2006 habe ich das Medikament langsam abgesetzt, dann gemerkt, dass es ganz ohne doch nicht geht, und bin auf Johanniskraut umgestiegen. Das nehme ich bis heute, und es geht mir gut damit.

Die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
staden
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 33
Beiträge: 21

Beitrag So., 24.02.2008, 12:09

Hallo Gärtnerin,
ja, ich kann mir den Unterschied zwischen psychiatrischer und psychosomatischer Klinik vorstellen. Obwohl die Psychiatrie, in der meine Schwester war, eher offen gewesen ist (Sport- und Freizeitmöglichkeiten, Gestaltungstherapie, gruppentehrapie, eigentlich alles, was du auch beschreibst).
Ich nehme seit anderthalb Jahren Citalopram. Ab und zu auch ein Beruhigungs- oder Schlafmittel, ist aber immer seltener nötig. Ich habe das von einer Psychiaterin verschrieben bekommen, sie ist nur für die Medikation zuständig, meine Therapeutin verschreibt keine Medikamente, da sie keine medizinische Ausbildung hat.
Hatte aber immer das Gefühl, dass mir Citalopram nichts half, mir ging es am Anfang immer schlechter und unter ärztlicher Aufsicht habe ich dann die Dosis immer weiter gesteigert, bis zur Höchstdosis. Im Dezember habe ich dann beschlossen, das Medikament wieder abzusetzen, da ich so starke Gewichtsschwankungen hatte und es ja auch offensichtlich nicht so viel half. Seit dem ich es langsam abgesetzt habe (nehme noch die Minimaldosis) geht es mir schrittweise immer besser. Vielleicht hat das auch rein psychische Gründe, keine Ahnung.
Ich habe das Gefühl, mein Trauma wieder in eine Ecke meines Gehirns verschoben zu haben, wo es mich nicht mehr so berührt. Aber ob ich es auch verarbeitet habe? Keine Ahnung, denke eher nicht.
Irgendwie habe ich manchmal auch die Nase voll, mir immerzu so viele Gedanken um mich und meine Psyche und meine Vergangenheit zu machen. Ich dreh mich da einfach im Kreis. Aber abschalten kann ich es dann auch nicht, unterbewusst ist das Bedürfnis mich damit auseinanderzusetzen dann doch wohl sehr groß (sonst wäre ich auch nicht hier ).
Glücklich bzw. zufrieden und ausgeglichen fühle ich mich aber noch nicht. Es wäre einfacher, wenn ich einen Partner hätte, einfach nur, damit man mal in den Arm genommen wird und nicht immer so allein ist mit allem.

Du hast ja schon sehr viel und lange Therapieerfahrung, War das eher analytisch, tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch? Was denkst du, hat dir am meisten geholfen während dieser Zeit? Du schreibst auch von Selbstverletzungen, oder hab ich das falsch verstanden? Ist das noch ein Thema und wenn nicht, was hat dir dort geholfen?

Benutzeravatar

Gärtnerin
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 41
Beiträge: 1162

Beitrag So., 24.02.2008, 20:30

Hi staden,

wenn das Citalopram nicht geholfen hat, dann frage ich mich, warum du es glatte anderthalb Jahre lang trotzdem genommen hast. Dass es anfangs einige Wochen dauert, bis ein Medikament wirkt, und dass die individuelle Dosierung ausgetestet werden muss, ist klar, aber anderthalb Jahre an der Dosierung schrauben ohne deutliche Besserung?! Ist deine Psychiaterin da so unflexibel, dass sie nicht auf die Idee kam, auf ein anderes Medikament umzusteigen? Sorry, aber ich wundere mich gerade wirklich...
staden hat geschrieben:Irgendwie habe ich manchmal auch die Nase voll, mir immerzu so viele Gedanken um mich und meine Psyche und meine Vergangenheit zu machen.
O ja, dieses Gefühl kenne ich nur zu gut. Solche Phasen, wo mir dieser ganze Psychokram so zum Hals raushing, hatte ich im Verlauf meiner Therapie immer wieder. Während meines Kliniksaufenthalts habe ich bei meinem Therapeuten sogar mal eine Woche "Urlaub" beantragt, d.h. ich wollte eine Woche lang keine therapeutischen Dinge mehr machen. Na ja, ich hab's leider gerade mal zwei Tage ausgehalten. Dann kam ich mit meinerm Inneren nicht mehr alleine klar und stand wieder reumütig vor ihm. Aber sofern es funktioniert, finde ich es eigentlich gar nicht verkehrt, das Trauma ab und zu mal in eine Ecke zu schieben und sich eine "Pause" zu gönnen.
staden hat geschrieben:Du hast ja schon sehr viel und lange Therapieerfahrung, War das eher analytisch, tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch? Was denkst du, hat dir am meisten geholfen während dieser Zeit?
Puh, so viele Fragen. Da muss ich erst einmal die einzelnen Therapien sortieren. Jede hatte ihre eigenen Stärken und Schwächen.

1.) therapeutische Gemeinschaft: Das war in einer christlichen Einrichtung und hatte somit auch einen spirituellen Hintergrund, z.B. gemeinsame Gebetszeiten, was ich übrigens nie als einengend erlebt habe. (Aber ich hatte mir das ja auch bewusst ausgesucht.) Die Therapie war sehr intensiv und ganzheitlich (Körper - Seele - Geist) aufgebaut, ohne eine spezielle therapeutische Richtung. Als besonders wohltuend empfand ich dort das Gefühl, ganz bedingungslos angenommen zu sein, sowie das enge Zusammenleben. Die Räumlichkeiten waren sehr einfach. Zwar hatte jeder sein eigenes Zimmer, aber man teilte sich z.B. das Bad. Putzen mussten wir selber. Die Mahlzeiten wurden gemeinsam zubereitet. Auch die Therapeuten gehörten irgendwie dazu und standen nicht so abgehoben obendrüber. Es war wie eine Familie, in der man sich auch gegenseitig auffing.

2.) psychosomatische Klinik: Dort war ich insgesamt 5 Monate und hatte einen Psychoanalytiker als Therapeuten. Er machte zwar nicht ganz die klassische Analyse, aber in die Richtung ging es schon. Besonders geholfen hat mir, dass in der Klinik jederzeit, Tag und Nacht, jemand vom Pflegepersonal zu erreichen war (auch wenn ich erst lernen musste, dass ich das auch annehmen durfte).

3.) ambulante Therapie: Die Therapeutin arbeitete weitgehend tiefenpsychologisch orientiert, ohne jedoch zu eng an der Methode zu kleben. Bei ihr war es auch wieder das Gefühl des bedingungslosen Angenommenseins, das mir am meisten geholfen hat. Sie hatte ein riesengroßes Verständnis für alles und hat nie verurteilt. Zudem hat sie mir von Anfang an versprochen, dass ich so lange zu ihr kommen darf, wie ich will, ganz egal ob es mir gut oder schlecht geht. Dadurch fiel meine große Angst weg, fortgeschickt zu werden, bevor ich dazu bereit war. Wichtig bei den Themen, die ich damals behandelte, war, dass sie eine Frau war. Einem Mann hätte ich vieles so nicht anvertrauen können. Bei ihr war ich 6 Jahre.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag