Hype um psychische Krankeiten - Über-Diagnosen?

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pandas
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Hype um psychische Krankeiten - Über-Diagnosen?

Beitrag Mi., 18.03.2015, 12:33

So kann es gehen.

Nachdem noch vor einigen Jahren "entdeckt" wurde, dass psychische Krankheiten oftmals zu spät erkannt und behandelt werden, mehren sich nun Berichte und Meinungsäusserungen zu einer Überdiagnostik.
Sozusagen eine Panik über die Panik ...
"Die Schwelle, ab wann Symptome als Ausdruck einer psychischen Erkrankung bezeichnet werden, sinkt. Die Diagnose einer psychischen Erkrankung wird zu schnell und zu häufig gestellt." Schneider ist Direktor der Rostocker Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin.
Dabei zeigen nach Angaben Schneiders genaue Analysen, dass die Zahl von 33 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer, die innerhalb eines Jahres an einer "etablierten" psychischen Erkrankung leiden, seit 20 bis 30 Jahren stabil ist. Es würden also soziale Probleme in medizinische umgewandelt. Der Einzelne glaube, nicht er selbst sei schuld an seinen Problemen, sondern die überfordernde Arbeitswelt oder zu hohes berufliches Engagement. "Dieses Phänomen ist auch bei den Renten zu beobachten", sagte Schneider. So liege der Anteil von Frühberentungen wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei 40 Prozent.
Quelle und weiterlesen: http://www.n-tv.de/wissen/Wir-schaffen- ... 51296.html

So polarisieren sich die Positionen.
Plötzlich ist ein Stimmungstief wieder ein Stimmungstief und keine Depression ...

... angemessener Umgang mit der Thematik liegt wohl im Mittelweg ...

Jedoch ist es relevant, mehr auf die soziologisch verursachenden Faktoren zu schauen, und nicht auf das intrapsychische Geschehen in der einzelnen Person ... denn das verleitet dazu, nur das Selbst zu bedenken und sich krank sehen zu lassen, währenddessen eine Gesellschaft sicher nicht mehr aufrechterhalten werden kann, wenn irgendwann alle krank oder frühberentet sind ...

Streiken und verbünden statt einzeln zum Arzt ?
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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Montana
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 13:17

Da frage ich mich, wie oft es vorkommt, dass ein Arzt nichts diagnostiziert und einen einfach wieder nach Hause schickt. Ich könnte mir vorstellen, dass das ziemlich selten ist. Obwohl ein 5-minütiges Gespräch eigentlich nicht zur Diagnostik taugt. Dafür ist man sicher bei einem Therapeuten besser aufgehoben. Aber wie ist es bei Therapeuten? Wie oft stellen die fest, dass gar keine behandlungsbedürftige Störung vorliegt?
Sicher ist inzwischen die Hemmschwelle, zum Psychiater oder Therapeuten zu gehen, niedriger geworden als noch vor 20 Jahren oder so. Vielleicht deshalb mehr Diagnosen?
Ich persönlich habe mich gegen eine Therapie lange gewehrt, die mir meine Hausärztin aber schon Jahre vorher nahegelegt hat.


kaja
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 14:57

Zitat einer Psychiaterin/Neurologin die ich kurz nach dem Tod meines Partners wg. Schlafstörungen aufgesucht habe : "Ich weiß nicht ob was ist, aber irgendwas muss ich ja aufschreiben. Depression oder Anpassungsstörung, was ist Ihnen lieber ?"

Wahrscheinlich handeln gar nicht so wenige Ärzte nach der Methode. Es muss ja irgendwas aufgeschrieben werden und "alles normal" scheint keine Diagnose zu sein die eine Option ist.
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Broken Wing
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 17:26

Dass beides bei mieser Qualität, die in der Psychiatrie zumeist anzutreffen ist, Hand in Hand geht, sollte auch bedacht werden. Die wirklichen Fälle werden nicht erkannt, da am lautesten natürlich die sind, die sich durch den Hype angesprochen fühlen.

@ Kaja: Hatte auch mal eine ähnliche Situation. Suizidgedanken, Krankentransport. Ein Mitarbeiter zum anderen: Wos schreima eine? Psychose? Jo.

Wahrscheinlich kannten sie nichts anderes.
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Nico
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 17:52

Aber wenn jemand zum Psychiater geht, hat er doch wohl meistens selbst auch das Gefühl, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt, oder ?
Und wenn der Psychiater dann diagnostiziert " alles in Ordnung" wird es dem Patienten auch ned automatisch besser gehen, nehme ich an.
Der Mensch ist halt kein Auto bei dem man am Geräusch merkt, dass der Auspuff hin ist, beim Menschen ist es komplizierter.
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)

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lemmingfinn
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 17:56

Originalzitat eines Psychiaters :Schauns je mehr Ärzte desto mehr Diagnosen bekommens....


Jenny Doe
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 18:19

"Die Schwelle, ab wann Symptome als Ausdruck einer psychischen Erkrankung bezeichnet werden, sinkt. Die Diagnose einer psychischen Erkrankung wird zu schnell und zu häufig gestellt."
Interessantes Thema!, das mich selber zurzeit sehr beschäftigt. Danke fürs Reinsetzen!

Ich denke, dass ich normal bin, und normal auf eine krankmachende Umgebung reagiere. Doch meine "Symptome" sagen, "ich leide unter einer Hochsensibilität", weil das Stadtleben für mich eine einzige Qual ist. Ich werde hier wahnsinnig. Der ganze Lärm, überall Autos, überall Menschenmassen, ständiger Lärm, überall Bewegung, keine Ruhe, ...
Was soll ich tun? Zum Psychotherapeuten rennen und mir dort "helfen" lassen mit dem Stadt-Stress umzugehen? Ich denke nein, ich suche derzeit eine Wohnung auf dem Land, ...

... und dennoch bleibt die Frage: Bin ich "krank", weil mich das Stadtleben krank macht oder reagiere ich völlig normal auf eine krankmachende Umgebung?
Ich habe die Wahl: Ich kann sagen "ich bin hochsensibel" und mache mich damit zu einer "Kranken", die nicht in der Lage ist zu funktionieren und sich der wandelnden Gesellschaft anzupassen oder ich kann sagen "das Stadtleben macht krank". Dann mache ich mich selber zu etwas, was normal auf krankmachende Umstände reagiert.

Ich lese sehr viel zu dem Thema und weiß aus Studien, dass ich nicht das einzige Stadtkind bin, das in der Stadt kaputt geht. Also, so denke ich, kann das Problem nicht nur bei mir liegen. Genauso denke ich bei den Themen Burnout usw. Wenn Einzelne mit den ständig wachsenden Anforderungen am Arbeitsplatz oder in der Schule nicht umgehen können, würde ich sagen "Einzelfallproblem". Da aber die Zahl der Burnout-Patienten stetig steigt denke ich, es kann nicht nur am Einzelnen liegen, die Umwelt muss auch einen Einfluss haben.

Was soll man nun tuen? Alle, die den Anforderungen ihres Berufs- und Schullebens nicht gewachsen sind, in Therapie schicken, wo man ihnen beibringt zu funktionieren und sie gesellschaftstauglich macht? Oder die Anforderungen des Berufs- und Schullebens herunterschrauben?
Ich denke, solange keine Einigkeit besteht, ob Burnout, ADHS, Hochsensibilität, ... eine normale und gesunde Reaktion auf eine krankmachende Umwelt oder eine psychische Erkrankung im Einzelfall ist, solange wird alles so bleiben wie es ist: Wer nicht funktioniert, landet beim Therapeuten, der ihn funktionsfähig macht und ihm dabei hilft, mit Stress umzugehen.

Ich für meinen Teil denke, dass ich normal bin und ziehe aufs Land, wo ich weg bin von der krankmachenden Umgebung.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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ENA
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 18:26

Jenny Doe hat geschrieben:Wer nicht funktioniert, landet beim Therapeuten, der ihn funktionsfähig macht und ihm dabei hilft, mit Stress umzugehen.
Falls das funktioniert. Denn ist mal nun hochsensibel und ist das etwas, was einfach okay ist und worauf man achten und es ernst nehmen soll oder "stellt man sich nur so an" und muss nur lernen, besser mit dem Leben umzugehen (kann also etwas bisher nicht richtig)?

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Nico
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 18:46

Ich kenne jemanden der innerhalb kürzerster Zeit x - Mal umgezogen ist weil es in j e d e r Wohnung zu laut war.
Nun, hochsensibel oder psychisch bedingt ?
Eigentlich ist es egal, blöd ist nur, dass es weltweit keine Wohnung geben wird die ihr leise genug ist und am Mond gibts noch keine Wohnungen.
Ist hochsensibilität eigentlich nicht auch eine hm - sagen wir einmal - Aussergewöhnlichkeit, so wie es z.B. Hysterie auch ist ?
Und warum gilt eines als Erklärung bzw. Entschuldigung für alles und das Andere würden 99,9% zum Psychiater schicken ??

Hab gerade einen Vortrag des Gerichtspsychiaters Dr. Haller gehört, eigentlich ging es um Narzissmus aber u.a. sagte er dass nahezu niemand zugibt unter Depressionen zu leiden, der Begriff Burnout jedoch inflazionär verwendet wird, obwohl sehr oft beides die Gleichen Ursachen und Auswirkungen hat. Tja.....
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sandrin
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 18:53

Schwieriges Thema. Was ich dazu beitragen kann ist, dass es bei Kindern und Jugendlichen nicht anders ist. Meiner Meinung nach besteht da eine deutliche Asymetrie. So wird z. B. jegliches Fehlverhalten bei Schülern mit einer "Krankheit" oder "Störung" entschuldigt, wohingegen die Schüler, die still vor sich hinleiden, keine Hilfe bekommen. Das ärgert mich sehr. Ich finde, dass Menschen von frühester Kindheit lernen, dass man dann Aufmerksamkeit kriegt, wenn man nur lautstark und auffällig genug auftritt. Wie gesagt, streift das Thema jetzt vielleicht nur am Rand, aber diese Pathologisierung von nicht Krankhaftem bei gleichzeitiger Negierung bestehender Probleme (z. B. stille Suizidalität --> hab ich alles schon erlebt!), das finde ich krass. Oftmals ist es ja auch so, dass die Kinder nur auf den Stress, den sie zu Hause erleben, reagieren. Die sind den ganzen Tag unterwegs zu tausend verschiedenen Terminen, kommen unter der Woche nachts um drei (!) heim (hat mir ein Schüler aus der Unterstufe erzählt), weil sie bei einem Fußballspiel waren. Ich meine, muss man sich da noch wundern? Ist das wirklich pathologisch?

Das ist der Grund, weshalb mich das Heer an ADHSlern und angeblich Hochbegabten eher weniger interessiert, als vielmehr die Stillen, die sich offensichtlich zurückziehen und vor sich hinleiden. Wenn man da nachfragt, was glaubt ihr, was die Kids einem oft erzählen. Aber davon würde man nichts erfahren, weil die ja nicht "auffallen".


Jenny Doe
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 18:58

Ist hochsensibilität eigentlich nicht auch eine hm - sagen wir einmal - Aussergewöhnlichkeit, so wie es z.B. Hysterie auch ist ?
Man geht von 20% aus.
Ich denke: Der eine reagiert mit Angst, der andere mit Depression, der Dritte mit Burnout, der vierte mit Hochsensibilität, ... auf seine (krankmachende) Umgebung.
Wer sind die Normalen? Die, die sich anpassen können oder die, die ihre menschlichen normalen (?) Grenzen spüren? Wo ist die normale menschliche Grenze? Wer bestimmt den Schwellenwert?
Und warum gilt eines als Erklärung bzw. Entschuldigung für alles und das Andere würden 99,9% zum Psychiater schicken ??
Gute Frage.
Was ist normal? Was ist psychisch krank? Wo ist die Grenze? Wer bestimmt, was normal ist? Was ist behandlungsbedürftig? Wann braucht man einen Psychotherapeuten? ...?
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kaja
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 19:08

Ich ging zur Neurologin, die eben auch Psychiaterin war, weil mein Hausarzt micht dorthin überwiesen hat.
Es ging um die Abklärung von Diagnostik und Behandlung der Schlafstörung. Eine Schlafstörung kann nunmal auch physische Ursachen haben und eine Trauerphase ist noch lange keine Krankheit. Ich war damals keineswegs depressiv.
After all this time ? Always.

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Broken Wing
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 19:15

@ Nico: Man geht zum Psychiater, weils so üblich ist. Früher wäre man zum Seelsorger gegangen, der hätte auch immer eine Glaubenslücke gefunden. Nicht besser, aber ob es so viel schlechter war?
Wenn du aufgrund einer Lebensmittelvergiftung zum Arzt gehst, gibst du auch zu, dass mit dir etwas nicht in Ordnung ist. Er wird erst mal deine Gesundheit wiederherstellen, aber auch darauf achten, dass du nicht der Ursachenquelle ausgesetzt wirst. In der Psychoszene würde man hingegen behaupten, es sei dein schwaches Immunsystem das Problem, man müsse es stärken, damit es kein Problem mit abgelaufener Nahrung habe.
So läuft es doch. Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sind die Zauberwörter. Jegliche Seelengifte könne man so ineffektiv machen, sei es Mobbing, soziale Marginalisierung etc.

Die Willkür bei Diagnosen wurde im Forum schon bis zur Erschöpfung diskutiert.

Ja, beim Menschen ist es komplizierter, was nicht heißt, dass deshalb alle Wissenslücken mit offensichtlicher Pseudowissenschaft gefüllt werden dürften.
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candle.
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 19:23

Broken Wing hat geschrieben: So läuft es doch.
Das sehe ich nicht so. Ich hatte auch vorher mein Leben lang nie einen Seelsorger.
Die Willkür bei Diagnosen wurde im Forum schon bis zur Erschöpfung diskutiert.
Aber auch nur im negativen Sinne, dass manchen die Diagnosen nicht passen.

candle
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Nico
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Beitrag Mi., 18.03.2015, 19:25

Ok es sollen also keine Diagnosen erstellt werden, aber es soll möglichst dalli geholfen werden, wobei man ja eigentlich gar nicht krank sondern eh der einzige Normale und im äussersten Fall hochsensibel ist, klappts nicht umgehend ist der Thera ein Depp.
Ich glaub jetzt hab ich es kapiert.
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