Sollte man sein Potenzial nutzen?

Was Sie in Bezug auf Ihre eigene Zukunft, oder auch die gegenwärtige Entwicklung der Gesellschaft beschäftigt oder nachdenklich macht.
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bluebell
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Sollte man sein Potenzial nutzen?

Beitrag Mo., 13.07.2009, 16:46

Liebes Forum,

da ich bald mit meinem Studium fertig sein werde, stellen sich für mich jetzt einige existenzielle Fragen, bei denen ich mich über Rat freuen würde. Konkret geht es um die Frage, ob man es sich und/oder den anderen (Eltern, Gesellschaft) schuldig ist, das möglichste aus seinen Anlagen rauszuholen. Ich hoffe, ich bringe das jetzt nicht zu arrogant rüber, aber es ist so, dass ich Abitur mit 1,0 gemacht habe, mit 1,0 mein Studium abgeschlossen. Jetzt promoviere ich gerade. Ich hatte während des Studiums ein Stipendium, jetzt habe ich ein Promotionsstipendium. Ich würde aber jetzt nicht sagen, dass ich über alle Maßen intelligent und brillant bin, ich hatte auch immer Glück, kam mit den Strukturen in Schule und Studium gut zurecht, meine Eltern haben sich gekümmert usw. Wie auch immer, jedenfalls habe ich sehr gute Noten, aber kein besonderes Talent, keine besonder Begabung, nichts zu dem ich mich wirklich berufen fühle, eine Tätigkeit, die ich unglaublich gerne machen würde. Meine Fähigkeiten sind mehr querbeet und entsprechen breit sind auch meine Interessen.
Ich stehe jetzt vor der Frage, ob ich nach dem Studium "Karriere" versuchen sollte, Karriere zu machen. Meine Studienwahl war schon nicht auf Karriere ausgelegt, aber mit dem guten Abschluss würde sicherlich auch mit meinen Fächern etwas "gehen".Von meinem momentanen Standpunkt aus möchte ich das aber eigentlich nicht. Ich habe wie gesagt viele Interessen und der Wunsch nach Erfolg gehört eher nicht dazu, ich würde eigentlich lieber halbtags arbeiten und hätte gerne viel Freizeit um eben meinen unterschiedlichen Interessen nachgehen zu können. Vielleicht auch mal Familie haben. Jedenfalls schwebt mir eher ein arbeiten, um zu leben als andersherum vor.
Allerdings drängt sich mir die Frage auf, ob es wirklich gut ist, bewusst keine Karriere machen zu wollen. Vielleicht bin ich ja nur zu bequem, will nichts riskieren und später bereue ich das dann mal, habe das Gefühl, mein Leben ist einfach so zerronnen und was hätte nicht alles (vielleicht) aus mir werden können, wenn ich es nur versucht hätte? Bisher hatte ich ja auch immer gewisse Ziele (Abi, Studienabschluss, Diss), auf die ich hingearbeitet habe. Nicht extrem ehrgeizig, aber ich habe das schon alles ernstgenommen. Vielleicht würde mir das ja dann fehlen? Dazu kommt, dass Teile meiner Familie schon gewisse Wünsche und Erwartungen haben. Die Familienmitglieder, die mir am wichtigsten sind, jedoch glücklicherweise nicht. Dann eben auch die Stipendien - die gibt der Steuerzahler ja auch nur, weil er letztlich doch hofft, dass an die Gesellschaft mal etwas zurückgegeben wird. Ein bisschen unangenehm ist mir das schon.
Deswegen die Frage, findet Ihr, man "darf" sein Potenzial ungenutzt lassen? Oder sollte man immer sein Bestes geben? Würdet Ihr auf das momentane Gefühl, keine Karriere machen zu wollen, hören?

Ich bin für jede Antwort dankbar!
Viele Grüße
Bluebell

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Nozi
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 17:06

ich glaub, du würdest gar keine karriere machen mit der einstellung. find ich persönlich aber gar nicht schlimm, ich würd auch niemals auf familie, freunde und freizeit verzichten zugunsten einer karriere. es gibt halt zweierlei möglichkeiten, entweder lebt man um zu arbeiten oder man arbeitet um zu leben. in bezug auf erfolg finde ich diesen text total schön:

Oft und viel zu lachen,

den Respekt intelligenter Menschen
und die Zuneigung von Kindern zu gewinnen,

sich die Anerkennung ehrlicher Kritiker zu verdienen
und den Verrat falscher Freunde zu ertragen,

Schönheit zu schätzen wissen,
im Anderen das Beste zu sehen,

die Welt, wenn man aus ihr scheidet,
ein wenig besser zurückzulassen,
sei es durch ein gesundes Kind, einen Garten
oder durch die Behebung eines sozialen Mißstandes,

zu wissen, dass man mit seinem Leben
auch nur einem einzigen Menschen
das Atmen erleichtert hat,

das heißt: Erfolg zu haben

(Ralph Waldo Emerson)

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Entwurf
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 17:12

hallo bluebell,

zunächst einmal bist du was entwicklung und karriere angeht gar niemandem etwas schuldig. außer dir selbst.

jemand, der das zeug zum karrieremachen hat, muss das noch lang nicht mögen. so scheint es mir auch dir zu gehen. überlege dir, was karriere bedeuten kann und auf der anderen seite die dinge, die dir auch wichtig sind. kannst du karriere mit diesen dingen vereinbaren?

ich selber habe mich gegen eine großartige karriere entschieden. wollte es erst, hab's auch versucht. bin darüber in eine krise geschlittert, die ich genutzt habe, mir mal richtig gedanken zu machen, über das, was ich will und auch das, was ich nicht will.

ich habe karrieremenschen kennengelernt. ich sage es offen: sie sind teilweise eiskalt und kotzen mich an. und so möchte ich einfach nicht sein. sie müssen mit anderen karrieristen konkurrieren und werden dadurch eiskalt, arrogant, intolerant. ich verbringe lieber meine zeit mit anderen menschen. oder mit mir selbst.

am ende meines lebens, das weiß ich jetzt schon, werde ich mir manches vorwerfen können, nur eines nicht: keine karriere gemacht zu haben.

mit lieben gruß
entwurf

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Anne1997
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 17:30

Hallo bluebell,

da mit ähnlichen Voraussetzungen ausgestattet und es auch nicht zu dem gebracht, was man unter "Karriere" versteht, möchte ich Dir antworten. Das Ralph Emerson - Gedicht sagt schon viel.
Möchte diesen Text anfügen, den man auch in Hinblick auf Karriere deuten kann (sorry,falls er überhaupt nicht passen sollte!):

Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht, dass wir ungenügend sind.
Unsere tiefgreifendste Angst ist, über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die uns am meisten Angst macht.
Wir fragen uns, wer bin ich, mich brillant, großartig, talentiert, phantastisch zu nennen?
Aber wer bist du, Dich nicht so zu nennen? Du bist ein Kind Gottes.
Dich selbst klein zu halten dient nicht der Welt. Es ist nichts Erleuchtetes daran, sich so klein zu machen, dass andere um Dich herum sich nicht unsicher fühlen.
Wir sind alle bestimmt zu leuchten, wie es Kinder tun.
Wir sind geboren worden, um den Glanz Gottes, der in uns ist, zu manifestieren.
Er ist nicht nur in einigen von uns, er ist in jedem Einzelnen.
Und wenn wir unser eigenes Licht erscheinen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.
Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere.

Nelson Mandela oder
Marianne Williamson*: Rückkehr zur Liebe (1992).

*)
Der zitierte Text "Unsere tiefste Angst" wird fälschlicherweise häufig Nelson Mandela zugeschrieben, der ihn 1994 in seiner Antrittsrede zum Amt des südafrikanischen Staatspräsidenten verwendet haben soll.


Du hast schon eine Karriere hinter Dir. Du schreibst eine Dissertation und wahrscheinlich keine der "schnellen" Dissertationen, die wenige interessieren. Abi und Studium mit Bestnote, das ist viel.
Ich habe damals (noch) nicht promoviert, weil ich arbeiten wollte, meine Freundin hingegen schon.
Sie ist vom Typ her ähnlich wie ich: hinterfragt viel, auch Karrieremechansimsen, was sind wirklich die Dinge, die mir wichtig sind, wo will ich "glänzen", "ganz da sein können"?
Du bist ja auf dem Weg; wer weiß, was am Ende der Diss kommt, evtl. Stelle an der Uni, Habil etc. -
Ein Freund von mir, der im Studium schlechter war als ich, ist heute Prof. - Er hatte aber schon immer eine andere Haltung und nicht dieses Zweifeln. Ich denke, dass sich Dir Wege öffnen werden und Du jetzt noch nicht unbedingt sicher wissen musst, ob Du Karriere machen willst.
Familienplanung ist sicher ein wichtiger Punkt, eine Stelle zu haben ist heute mindestens genauso wichtig.
Es hängt sicherlich auch von Deinem Fach ab. In manchen Fächern promovieren manche mit Mitte 50 und bekommen noch eine gute Stelle, auch das ist möglich.
In Anlehnung an obigen Text: wir brauchen auch diejenigen, die eine öffentliche Karriere machen,
die als Menschen und Fachleute Orientierung, Wissen etc. weitergeben können.
Vielleicht weniger chaotisch formuliert: lass alle Deine Gedanken kommen, schreibe die Diss (die Du ja wohl schreiben willst) und gebe Dir die Zeit, die Du brauchst, um Deinen Weg zu finden.
Praktisch: Studienberatung (gibt es auch für Absolventen) und Karriereberatung der Arbeitsagenturen etc. nutzen.
Evtl. einen reflektierten Coach oder Berater aufsuchen, ist zwar teuer, kann sich aber lohnen.

Wünsche Dir alles Gute und viel Erfolg und Geduld beim Schreiben der Diss!
Anne

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Gärtnerin
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 18:24

Liebe Bluebell,

ich will dir etwas von mir erzählen: Ich habe mein Abitur mit 1,7 abgeschlossen. Eigentlich wollte ich immer gerne mit den Händen arbeiten. Aber es war selbstverständlich, dass man mit einem Eins-Komma-nochwas-Abitur studiert. Der Gedanke an eine Lehre kam mir erst gar nicht. Im Elternhaus habe ich die Gartenarbeit geliebt. Also hätte ein Gartenbaustudium nahegelegen. Ich habe es mir kurz überlegt, aber schnell wieder verworfen, weil ich keine Lust hatte, später nur im Büro zu sitzen. Ich habe dann etwas anderes studiert, 6 Jahre lang, mit Abschluss. Wirklichen Spaß hat es nicht gemacht. Nach dem Studium kam der psychische Zusammenbruch - Gott sei Dank, sage ich heute! Der Zusammenbruch hat mich auf Umwegen zu einem Aushilfsjob im gärtnerischen Bereich geführt. Fünf Jahre später, im Alter von 36 Jahren, habe ich meinen Berufsabschluss als Gärtnerin gemacht und inzwischen eine Traumstelle in diesem Bereich gefunden. Nach zwei Jahren Ganztagsarbeit, in denen meine anderen Interessen ziemlich auf der Strecke blieben, arbeite ich seit April dieses Jahres nur noch halbtags. Ich war noch nie so glücklich!

Daher möchte ich dir antworten: Geh den Weg deines Herzens. Egal, was du tust, tu es, weil du es gerne tust und nicht der Karriere oder des Geldes willen. Dann nutzt du automatisch auch dein Potenzial, das ja recht vielseitig zu sein scheint. Du bist niemandem etwas schuldig außer dir selber. Die Gesellschaft braucht Ärzte ebenso wie Klofrauen. (By the way, ich habe einmal eine Klofrau erlebt, die in ihrem Beruf total aufging und bei allen Örtchen-Besuchern richtig gute Laune weckte! )

Liebe Grüße,
die Gärtnerin
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

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Anne1997
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 19:10

Hallo Bluebell,

Gärtnerin hat es wunderbar ausgedrückt:
Gärtnerin hat geschrieben:Geh den Weg deines Herzens. Egal, was du tust, tu es, weil du es gerne tust und nicht der Karriere oder des Geldes willen.
Menschen, die in ihrem Beruf aufgehen, die dadrin "sind", wirken besonders, authentisch, so wie wohl diese Klofrau, die Menschen mehr geben kann als evtl.viele Lehrer und Ärzte etc.
Menschen mit vielen Potenzialen haben Probleme sich festzulegen. Vielleicht kann Dir dies aber auch von
Nutzen sein (darin entdecke auch ich mich wieder, die viel rumstudiert hat).

Nochmals alles Gute,
Anne

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bluebell
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 20:35

Vielen Dank für Eure lieben, verständnisvollen, interessanten und ermutigenden Antworten
Es tut sehr gut auch mal von Lebensentwürfen jenseits der Mein-Haus-mein-Auto-usw.-Karrieristen zu hören, da die doch recht allgegenwärtig sind.

@ Nozi: Das Gedicht ist sehr schön und das fühle ich auch in der Tat sehr deutlich, dass ich nicht nur am Leben bin, um zu arbeiten und erfolgreich zu sein. Bzw.: Erfolg ist eben nicht nur beruflicher Erfolg, sondern ein erfülltes, gutes (und damit in gewissem Sinne erfolgreiches) Leben ist auch, wenn nicht sogar nur anders möglich.

Meine Fragen gehen aber sogar noch ein bisschen weiter, ich frage mich, ob man dabei stehenbleiben sollte, eine andere, breitere Vorstellung dessen, was Erfolg ist, zugrunde zu legen, oder ob man nicht gar ganz auf erklärte Ziele und angestrebte Erfolge verzichten kann in seinem Leben. Ich würde gerne einfach nur leben, ohne ständig bewerten zu müssen, ob mein heutiger Tag jetzt etwas gebracht hat, mich voran oder meinem Ziel näher, selbst wenn das Ziel dann so etwas ist wie Selbstverwirklichung. Andererseits kann man ohne Wünsche, Hoffnungen (das sind ja auch Ziele) wohl auch gar nicht leben.

@ Entwurf: Du beschreibst genau die Karrierewelt, in der ich definitiv nicht leben möchte. Auch an der Uni und unter "Nachwuchswissenschaftlern" kriegt man ja einiges mit und vieles ist wirklich unerträglich. Dazu kommt, um Karriere zu machen, muss man sein Leben sehr einseitig auf den Beruf ausrichten, die meiste Zeit, Kraft, Gedanken... alles geht in den Beruf. Auch das möchte ich nicht.
Aber das ist eben genau die entscheidende Sache:
Entwurf hat geschrieben:am ende meines lebens, das weiß ich jetzt schon, werde ich mir manches vorwerfen können, nur eines nicht: keine karriere gemacht zu haben.
Gut, Du bist ja schon 99 und kannst das vielleicht so sicher sagen , aber genau das ist meine Angst, dass ich es vielleicht mal bereue. Du und Gärtnerin, Ihr habt es ja versucht und erkannt, dass es nichts für Euch ist. Ich hingegen vermute es nur. Klar, nicht umsonst ist es ein geflügeltes Wort, dass niemand auf dem Sterbebett sagt, er hätte mehr Zeit im Büro verbringen sollen, aber ich weiß eben nicht, ob ich nicht mal - wenn es dann wirklich zu spät ist - denke, ich hätte intensiver gelebt, wenn ich es zumindest mal versucht hätte.

@ Anne1997: Auch Dir vielen Dank für den schönen Text. Sich nicht klein halten, ja. Aber auch da weiß ich nicht, wann macht man sich denn nicht klein: Wenn man dem Konkurrenzkampf im Beruf aus dem Weg geht, andererseits aber den Mut aufbringt zu sagen: Nein, diese Eigendynamik aus guten Noten, Erwartungen, Türen, die sich auftun, will ich nicht mehr! oder wenn man sich zutraut, im Konkurrenzkampf mitzumischen, sich dort mutig behauptet, sich damit aber einem Kampf stellt, den man eigentlich gar nicht führen will?
Aber Du hast recht, man sollte sich die Zeit geben, die man braucht. Es muss ja nicht auch noch alles auf dem schnellsten Weg passieren. Und auch wenn nach der Diss sicher wichtige Weichenstellungen anstehen, Veränderungen sind auch später sicher noch möglich.

@ Gärtnerin: Deine Geschichte hat mich sehr berührt, da sie einerseits wirklich Mut macht, andererseits auch eine Unsicherheit mit mir berührt. Ich weiß einfach nicht, was ich für einen "eigentlichen" Berufswunsch habe. Jetzt im Studium habe ich Sehnsucht nach einer praktischen, 'schöpferischen' Tätigkeit, eben wie Gärtnern und es ist nicht schön, immer nur vorm Computer zu sitzen, nie draußen zu sein, sich kaum zu bewegen. Andererseits ahne ich, wenn ich einer eher körperlich-praktische Tätigkeit nachgehen würde, würden mir die Bücher, das Lesen, Schreiben und der Computer fehlen...
D.h. ich stimme ganz zu, dass man lieber seinem Herzen folgen sollte als allgemeinen Vorstellungen von Karriere und Geld, aber mein Herz spricht nicht ganz deutlich. Bzw. es ist schon deutlich, aber ich befürchte, dass es seine Entscheidung mal bereuen könnte...

Noch einmal vielen Dank für Eure anregenden Antworten & viele Grüße
Bluebell

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sonnige zukunft
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Beitrag Mo., 13.07.2009, 20:47

Entwurf hat geschrieben:ich selber habe mich gegen eine großartige karriere entschieden. wollte es erst, hab's auch versucht. bin darüber in eine krise geschlittert, die ich genutzt habe, mir mal richtig gedanken zu machen, über das, was ich will und auch das, was ich nicht will.
@ entwurf, mit deinen 99 jahren bist ein recht cleveres bürschchen.


@ bluebell
das, was du dir in schule und studium angeeignet hast, kann dir niemand nehmen. wie du all dies wissen nun im weiteren leben umsetzt, ist dir überlassen.
ich selbst habe 20 jahre 'schulbank' hinter mir. das, was ich bisher aus büchern gelernt habe, ist schon wieder aus meinem kopf draussen. viel wichtiger im leben ist, sich selbst zu finden und
(s)einen beitrag auf dieser welt geleistet zu haben. manchesmal dauert es etwas länger, bis man sich seiner 'aufgabe' bewußt wird. das hat mit karriere nicht viel zu tun. das hat mit leben zu tun.

sonnige zukunft
Alle guten Grundsätze sind in der Welt schon vorhanden... man braucht sie nur anzuwenden...
Blaise Pascal

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Innere_Freiheit
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Beitrag Di., 14.07.2009, 10:36

Hallo bluebell,

als ich deinen Text las, bin ich an einer Stelle innerlich ein bisschen gestolpert:
bluebell hat geschrieben:Allerdings drängt sich mir die Frage auf, ob es wirklich gut ist, bewusst keine Karriere machen zu wollen.
Ich habe mich gefragt: Warum willst du bewusst keine Karriere machen?

Ich selbst arbeite auch nur Teilzeit, weil auch mir andere Dinge im Leben wichtiger sind.
Ich arbeite einfach so wie ich arbeite. Damit verdiene damit mein Geld.
Ich tue nichts, was ich nicht tun will, nur um Karriere zu machen.
Aber ich tue auch nichts, um bewusst eine Karriere zu vermeiden....

Ansonsten denke ich, es ist dein Leben. Es ist wichtig, was du daraus machen willst. Ich denke, wenn du das tust, was dein Herz sich wünscht, dann gibst du der Welt das, wofür du hier bist.

Grüße

Innere Freiheit
Das was ich ablehne, bleibt an mir kleben!

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lingaroni
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Beitrag Di., 14.07.2009, 10:56

@ bluebell

und was, wenn du es einmal bereust, karriere gemacht zu haben? wass wenn du eines tages bemerkst, dass das, wofür du dich abgerackert hast gar nicht das ist, was dich zufrieden macht?

man kann nicht nur bereuen keine karriere gemacht zu haben. man kann auch bereuen karriere gemacht zu haben - und seine lebenszeit für dinge verschwendet zu haben, die einem eigentlich nichts bedeuten.

ich habe mich übrigens für karriere entschieden. mit allen höhen und tiefen, vor- und nachteilen.

LG

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Gärtnerin
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Beitrag Di., 14.07.2009, 13:01

bluebell hat geschrieben:ob man nicht gar ganz auf erklärte Ziele und angestrebte Erfolge verzichten kann in seinem Leben.
Selbstverständlich kann man darauf verzichten. Wenn du das Vertrauen hast, dass das Leben selbst jederzeit für dich sorgen wird, musst du nicht einmal für die Zukunft planen.

Ich lebe fast nur in der Gegenwart, gehe einfach drauf los und lasse mich an jeder Abzweigung von meiner Intuition leiten, welcher Weg gerade der Richtige ist. So ist mein bisheriger Lebenslauf ziemlich bunt geraten, und ich möchte nichts davon missen. Ich habe meine Sehnsüchte, meine Intuition und die feste Überzeugung, geführt zu werden, und das reicht mir. Der Weg entsteht unterwegs, und Umwege erweitern die Ortskenntnis. Der Weg (und das, was sich am Wegesrand so alles entdecken lässt) war mir schon immer viel wichtiger als ein festes Ziel. Mein jetziger Beruf macht mir Freude, und ich bin an einem wunderbaren Arbeitsort gelandet. Vor kurzem wurde sogar mein befristeter Arbeitsvertrag in einen unbefristeten umgewandelt. Trotzdem müsste ich auf die Frage "Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?" achselzuckend antworten: "Ich habe keine Ahnung!" Ich würde es sogar als ziemlich langweilig empfinden, das heute schon zu wissen.
bluebell hat geschrieben: Jetzt im Studium habe ich Sehnsucht nach einer praktischen, 'schöpferischen' Tätigkeit, eben wie Gärtnern und es ist nicht schön, immer nur vorm Computer zu sitzen, nie draußen zu sein, sich kaum zu bewegen. Andererseits ahne ich, wenn ich einer eher körperlich-praktische Tätigkeit nachgehen würde, würden mir die Bücher, das Lesen, Schreiben und der Computer fehlen...
Vermutlich kann man nur selten alle seine Interessen und Begabungen im Beruf verwirklichen. Wenn du dir vom Finanziellen her vorstellen kannst, weniger als Vollzeit zu arbeiten, kannst du dir in der Freizeit den benötigten Ausgleich schaffen.
bluebell hat geschrieben:aber mein Herz spricht nicht ganz deutlich. Bzw. es ist schon deutlich, aber ich befürchte, dass es seine Entscheidung mal bereuen könnte...
Oft entsteht der Weg erst im Gehen, und er muss nicht unbedingt gerade sein. Es kann gut sein, dass du dich auf den Weg der Karriere begibst, und plötzlich stößt du irgendwo auf etwas, das dich mehr reizt. Oder das Schicksal setzt dir eine neue Aufgabe vor die Nase. (Ich bin über meinen psychischen Zusammenbruch zur Gärtnertätigkeit gekommen, weil die psychosomatische Klinik mich zur Belastungserprobung in die klinikseigene Gärtnerei gesteckt hat. ) Wenn du weiter offen bleibst für alles, was dir begegnet, dann wirst du deinen ganz persönlichen Weg finden, da bin ich mir sicher.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

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carö
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Beitrag Di., 14.07.2009, 13:20

ich finde das wahnsinnig schön, was du beschreibst, gärtnerin. das will ich auch können
LG
caro
Es ist krass, was man erreichen kann, wenn man sich traut. (Aya Jaff)

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Eve...
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Beitrag Di., 14.07.2009, 14:52

Ich lebe fast nur in der Gegenwart, gehe einfach drauf los und lasse mich an jeder Abzweigung von meiner Intuition leiten, welcher Weg gerade der Richtige ist. So ist mein bisheriger Lebenslauf ziemlich bunt geraten, und ich möchte nichts davon missen. Ich habe meine Sehnsüchte, meine Intuition und die feste Überzeugung, geführt zu werden, und das reicht mir. Der Weg entsteht unterwegs, und Umwege erweitern die Ortskenntnis. Der Weg (und das, was sich am Wegesrand so alles entdecken lässt) war mir schon immer viel wichtiger als ein festes Ziel.
Finde ich auch schön, was Gärtnerin hier schreibt. - Ich war für meine Person lange Zeit unglücklich, weil ich eben nicht stringent meinen Karriereweg verfolgt habe (wusste auch nicht so recht, was ich genau tun wollte) ...

Denn der begangene Weg war oft schwierig, zunächst steinig, holprig, schon mal nass mit vielen Umwegen; später auch mit sonnigen und heißen Abschnitten - er war jedoch eines ganz gewiss nie: langweilig!

Und es war mein ureigener Weg, niemand auf der Welt ist ihn genau so gegangen: Nach außen hin nicht gerade beeindruckend, vielleicht sogar eher das Gegenteil; aber er hat mich wachsen lassen, hat mich (für meine Verhältnisse) sogar über mich hinaus geführt.

Also bin ich praktischerweise heute froh drüber - und dankbar.

Heute denke ich eher: Wie öde, wenn jemand einen von Anfang an genau vorgezeichneten Weg geht! Derjenige ist fast schon mit Mitte 20 ein Rentner.

Eve

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bluebell
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Beitrag Di., 14.07.2009, 16:00

Hallo alle,
Innere Freiheit hat geschrieben:Ich habe mich gefragt: Warum willst du bewusst keine Karriere machen?
Ich habe ja nun keine Berufserfahrung außerhalb der Uni, aber ich habe es doch schon erfahren, dass es eine gewisse Eigendynamik gibt. Dass man nicht immer zu allem ja sagen darf, was einem angeboten wird, obwohl das tolle Angebote sind, nach denen sich viele die Finger schlecken würden usw., sonst rennt man ehe man es sich versieht in einem Hamsterrad.
lingaroni hat geschrieben:und was, wenn du es einmal bereust, karriere gemacht zu haben?
Das stimmt natürlich. Die Option, ganz auf Karriere zu setzen, kommt für mich eigentlich auch gar nicht in Frage. Möglich wäre nur "erst mal" sich voll in den Beruf zu knien, sich möglichst "hoch" zu bewerben, für eine interessante Stelle überall hinzugehen, dafür eine Fernbeziehung und wenig Freizeit in Kauf zu nehmen usw., aber nur als Lebensabschnitt. Damit ich sagen könnte, ich kenne auch das und es eben nicht bereuen würde, es nie versucht zu haben. Andererseits habe ich eben momentan nicht das Bedürfnis, so ein Leben auch nur als Phase zu führen. Und habe schon auch Sorge, dass ich den Absprung nicht mehr schaffen würde.

@ Gärtnerin
Wenn du das Vertrauen hast, dass das Leben selbst jederzeit für dich sorgen wird, musst du nicht einmal für die Zukunft planen.
Leider habe ich dieses Vertrauen (noch?) nicht. Ich habe vor ein paar Jahren überhaupt erst entdeckt, dass es diese Möglichkeit gibt und die Idee hat mir gleich gefallen und ich habe das Gefühl, dass das es möglich und sogar richtig ist so zu leben. Aber mir fehlt, fürchte ich, wirklich der Mut und das Vertrauen. Ein Teil von mir macht sich lieber heute 5 h Arbeit für etwas, das morgen nur 1 h Arbeit kosten würde (übertrieben gesagt), nur damit vorgesorgt ist und ich auf der sicheren Seite bin. Und so doof ich das finde, ich kann das irgendwie nicht so recht abstreifen. Dabei wäre ich auch lieber wie die biblischen Lilien auf dem Feld.
Gärtnerin hat geschrieben:Der Weg (und das, was sich am Wegesrand so alles entdecken lässt) war mir schon immer viel wichtiger als ein festesZiel.
So "radikal" habe ich das noch nie gesehen. Dass der Weg wichtiger ist als das Ziel, dass es nicht so sehr darauf ankommt, möglichst schnell anzukommen, das fand ich ja schon immer plausibel. Aber dass er sogar wichtiger ist als ein festes Ziel. Hm. Eine sehr schöne Idee. Viel schöner als: "Alles, was man angefangen hat, muss man auch zu Ende bringen." Ich fürchte, ich habe sehr verinnerlicht, dass das ein Zeichen von Schwäche oder fehlender Disziplin ist. Dabei finde ich es vollkommen überzeugend, dass krampfhafte Disziplin für die falsche Sache oder die Vorstellung, man könnte sein Leben komplett durchplanen, nichts Gutes sein kann. Nur irgendwie klafft bei mir so eine Lücke zwischen Erkennen und Umsetzen. Vielleicht weil ich doch immer zu viel darauf gebe, "was die anderen sagen würden". Dass ich z.B. "eigentlich" nicht Vollzeit arbeiten möchte, zwecks Verfolgung unterschiedlicher Interessen, sonnenklar. Aber ich habe trotzdem so ein dumpfes Gefühl, dass ich es vielleicht nicht schaffen werde, dazu zu stehen, sondern faule Kompromisse eingehen werde, weil ich dann plötzlich Angst kriege, dass das Geld vielleicht doch nicht reicht, der Job dann vielleicht unsicherer ist usw... Ist Dir das denn so leicht gefallen, Deinen Weg auch wirklich einzuschlagen?

@ caro & Eve

Viele Grüße
bluebell

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lingaroni
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Beitrag Mi., 15.07.2009, 08:17

@ bluebell

... den absprung schaffst du allemal ... in letzter instanz zwingt dich eh ein burnout dazu ... und irgendwann pendelst du dich automatisch auf deinen ureigenen weg ein ...

also ich würde mir da nicht so viele sorgen machen. das ergibt sich. wirst sehen.

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