Hallo zweig,
ich finde deine Gedanken zu diesem Thema sehr interessant.
ich finde einfach, dass die 'ethik', die unserer gesellschaft zueigen ist, sich der gegenwart anpassen sollte.
Ich habe den Eindruck, dass sich diese Veränderungen bereits vollziehen, wenn auch nur langsam. Zumindest das Thema Sterbehilfe bei unheilbar Kranken scheint zunehmend salonfähig zu werden, ich erinnere mich an entsprechende Statistiken, wonach die Zustimmung zu einer Legalisierung von Sterbehilfe in den letzten Jahrzehnten (?) im Steigen begriffen ist.
Sehr oft ist es so, dass die juristischen Regelungen den gesellschaftlichen Veränderungen im Moralverständnis hinterherhinken. Ich könnte mir vorstellen, dass da im Laufe der Zeit etwas ins Rollen kommen könnte.
Aber dein Thema hier war ja nicht Sterbehilfe bei unheilbar (physisch) Kranken, sondern die eigene Entscheidung zum Suizid und ob es nicht eine "Beihilfe zum Suizid" geben könnte.
Du fragst, warum du nicht das Recht haben solltest, dein Leben aus eigenem Willen zu beenden. Ich würde sagen: Dieses Recht hast du. Nimmt man das Recht auf Selbstbestimmung ernst, dann gibt es - meiner Ansicht nach - in einer sekulären Gesellschaft keine wirklich stichhaltigen Gründe, die dir das von vornherein verbieten sollten.
Aber es gibt eine Menge Abers. Ich glaube, die meisten professionellen Helfer in diesem Bereich versuchen Suizidwillige nicht deswegen von ihrem Entschluss abzuhalten, weil sie diese Handlung moralisch verurteilen, sondern weil sie diesen Menschen die rationale Entscheidungsfähigkeit absprechen. Wer sich umbringen will, ist krank. Schafft man die Krankheit aus dem Weg, dann sollte auch der Wunsch zu sterben verschwinden.
Sicher: So einfach ist es nicht. Wenn man Suizidgedanken als Symptom einer Krankheit, z.B. Depressionen, definiert, und das Vorliegen einer Krankheit als Ausschlussgrund für rationale Entscheidungen, dann können Suizidwünsche per definitionem nicht rational sein.
(Rational meine ich hier im Sinne von wohlüberlegt, nicht dass kein emotionalen Gründe einfließen dürften) Das spricht aber meiner Ansicht nach nicht gegen die Möglichkeit einer "rationalen" Selbsttötung, sondern gegen die Definitionen.
Aber es dürfte in der Praxis schwer sein, die krankhaften von den nicht oder weniger krankhaften Suizidwünschen zu unterscheiden. Ich bin keine Expertin, aber ich denke, dass Menschen wie du, die sich eingehend mit dem Thema beschäftigen und eine "Lebensbilanz" erstellen, deutlich in der Minderzahl sein dürften. Sehr oft bringen sich Menschen um, weil sie von unerträglichen Gefühlszuständen überwältigt werden und im Moment keine andere Lösung sehen.
Die Kehrseite dieser Helfermentalität ist sicher, wie du schreibst, dass Menschen zu riskanten und brutalen Suizidmethoden getrieben werden. Man kann sich heute nicht mehr so einfach mit frei verkäuflichen Schlaftabletten umbringen. Die englische Dramatikerin Sarah Kane soll sich in einer psychiatrischen Klinik mit einem Schuhband erhängt haben.
Doch angenommen, es gäbe diese Art von Institutionen, wo man von Ärzten angeleitet, sanft und sicher in den Tod gehen könnte: Glaubst du, du wärst dir zu irgendeinem Zeitpunkt sicher genug in deinem Entschluss? Ich lese in deinen Zeilen auch eine gewisse Ambivalenz heraus, wenn du einerseits Therapie machst, in der Hoffnung besser mit dem Leben klarzukommen, wenn du davon schreibst dich indirekt für das Leben zu entscheiden. Ein gewisses Maß an Zweifeln und Ambivalenz begleitet wahrscheinlich alle unsere Entscheidungen. Aber es gibt keine Entscheidung, die so endgültig und unumkehrbar ist wie die zum Tod.
Hmm... wenn ich mir überlege, ich wäre Ärztin und hätte die Möglichkeit, in einer solchen Suizid-Institution zu arbeiten: Ich würde es nicht wollen. Das mag feig sein oder inkonsequent, sicher. Aber mir wäre nicht wohl bei dem Gedanken.
aber ich möchte, dass mein umfeld meinen wunsch versteht und akzeptiert und mich gehen lässt.
Das stelle ich mir sehr, sehr schwer vor, diesen Wunsch als Angehöriger zu akzeptieren. Nachvollziehbar wird das für die meisten Menschen nicht sein, für die der Wille zu leben eine Selbstverständlichkeit ist und schon immer war. Könntest du es akzeptieren, wenn jemand aus der Familie oder ein enger Freund aus dem Leben gehen will? Ohne ihm oder ihr insgeheim den Vorwurf zu machen: Warum verlässt du mich?
Das heißt nicht, dass das Leid der Angehörigen dazu verpflichtet, in jedem Fall weiterzuleben. Aber es zählt für mich zu einem der triftigsten Gründe gegen den Suizid.
Trotzdem, man würde die Augen vor der Realität verschließen, wenn man nicht zugeben würde, dass Leben manchmal sehr elend sein kann. Überspitzt gesagt, kann es dann auch ein Ausdruck von Selbstliebe sein, wenn man sich entscheidet es zu beenden.
So, ich hoffe das war nicht gänzlich an deinem Thema vorbei.