Hype um psychische Krankeiten - Über-Diagnosen?

Gibt es demnächst themenbezogene TV- oder Radio-Sendungen? Kinofilme? Fanden Sie interessante Artikel oder Pressemeldungen in Zeitschriften oder im Internet, Bücher oder DVD's? Hier können Sie die anderen davon informieren...

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pandas
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Beitrag Sa., 21.03.2015, 23:54

früher durfte man einen an der waffel haben!
Wie wäre es mit Foucault als Einstieg, um die "Früher war es gut, immer" - Manie zu heilen?

http://www.antipsychiatrieverlag.de/ver ... t_wahn.htm

Oder einfach hier schauen:

http://www.psychiatrie.de/psychiatriege ... ychiatrie/
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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Blaubaum
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Beitrag So., 22.03.2015, 00:41

oder: Alice von Battenberg...mE die einzig gesunde person in einem umfeld mörderischer supernarzissten...Sigmund Freud wollte ihre gebärmutter radioaktiv bestrahlen lassen, um ihre "hysterie" durch frühzeitige menopause verschwinden zu lassen...ihre "hysterie" bestand darin, dass sie ehrlich und nicht nur gespielt gläubig und selbstlos war (wie krank!) und auf macht, reichtum und pomp keinen wert legte, sich einfach (und damit auffällig...schizotyp!) kleidete...während viele ihrer familienmitglieder in der SS waren, half sie verfolgten des naziregimes...die mehrheit entscheidet, was gesund und was krank ist.

aber früher war dennoch alles besser!
spezialisten wissen zuerst viel über wenig und am ende alles über nichts

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Solage
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Beitrag So., 22.03.2015, 01:09

Ich habe Bossing erlebt.
Bin deshalb in Therapie und der Therapeut war übergriffig.
Also "therapeutisches Bossing".

Habe jetzt einen sehr guten Therapeuten, der mich nicht pathologisiert, sondern mir versucht klarzumachen, dass da von außen was mit mir gemacht wurde. Es liegt nicht an mir, weil ich Abgrenzungsbrobleme habe, sondern Menschen haben massiv meine Grenzen überschritten. Meine Diagnose ist: Dass ich schlimme Erfahrungen machen musste."


Jenny Doe
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Beitrag So., 22.03.2015, 07:55

@ Candle
Ob man genauer hinschaut?
Ja, man schaut "genauer" hin; nicht nur der Therapeut, sondern auch der Klient. Die Frage ist jedoch, ob genauer Hinschauen auch bedeutet, richtig Hinschauen oder ob die Sensibilisierung für eine bestimmte (angebliche) psychische Störungen dazu führt, dass Therapeuten und Klienten nur noch das sehen, wofür sie gerade hochsensibel sind.
Es gibt eine Reihe von Störungen, deren Anzahl "betroffener Klienten" plötzlich inflationär anstieg, als Therapeuten begannen, "genauer Hinzusehen". Auffällig ist bei z.B. Störungen wie Multiple Persönlichkeitsstörung, Borderline-Persönlichkeitsstörung, "Trauma", Posttraumatische Belastungsstörung, "verdrängter sexueller Missbrauch", ADHS, Burnout und zahlreichen anderen "Störungen", dass die Zahl der diagnostizierten Fälle inflationär zunahm, als die Störungen im Fokus der Aufmerksamkeit standen und wieder rapide abnahmen, als das Interesse an den Störungen erlosch. Hier ein paar Beispiele:
Die Zahl der ADHS-Diagnosen stieg in Deutschland zwischen 1989 und 2001 um 381 Prozent
Quelle: Überdiagnose von ADHS und Autismus. Ärzteblatt vom Freitag, 30. März 2012
Bessere Standards bei der Begutachtung von posttraumatischen Belastungsstörungen fordert die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) im Vorfeld ihrer großen Jahrestagung, die von Mittwoch, den 25. November, bis Samstag, den 28. November 2009, im Internationalen Congress Centrum in Berlin stattfindet. Dieser Kongress ist inzwischen mit fast 8.000 Teilnehmern die größte Fachtagung auf diesem Gebiet in Europa. Hintergrund der DGPPN-Forderung ist die nach Auffassung der Fachgesellschaft als problematisch einzuschätzende, inflationäre Ausweitung des Trauma-Begriffs, wie diese mancherorts in der klinischen Praxis zu beobachten sei. Gerade die inflationäre Verwendung der Begrifflichkeit PTBS könne zu einer unkritischen Diagnostik führen.
Quelle: Noch 50 Tage bis zum DGPPN-Kongress. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) von 06.10.2009
Das bizarre Krankheitsbild, die Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS), konstatierte der US-Experte Myron Boor, habe inzwischen "nahezu epidemische Ausmaße angenommen". In den letzten 25 Jahren, klagen Fachleute, sei die Zahl der diagnostizierten MPS-Fälle von unter 200 auf rund 20 000 gestiegen.
Quelle: Modischer Wahn. Der Spiegel von 20.03.1995.
Krankheiten kommen und gehen. Manche verschwinden einfach. So wie die Hysterie, die Ende des 19. Jahrhunderts als nervöses Frauenleiden hoch im Kurs stand. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, erwarb sich seine ersten Meriten mit den 1895 veröffentlichten „Studien über Hysterie“. Heute ist dieses merkwürdige Leiden praktisch verschwunden, es hat sich aufgelöst wie ein Federwölkchen in der Mittagssonne. Genauso wie einige andere Störungen, etwa die „vegetative Dystonie“ oder die „Neurasthenie“. Auch die „multiple Persönlichkeit“ ist schon wieder auf dem absteigenden Ast.
Quelle: Jedem sein Zipperlein. Der Tagesspiegel von 01.05.2006

Es wird zwar "genauer" Hingesehen, aber nicht richtiger.
Immer dann - das habe ich jetzt schon mehrfach bei angeblichen neu entdeckten psychischen Störungen miterlebt - wenn angeblich neue Störungen entdeckt und inflationär diagnostiziert werden heißt es "wir haben sie jetzt entdeckt, weil wir jetzt fortschrittlicher sind und genauer hinsehen". Doch sobald das Interesse an der angeblich neu entdeckten psychischen Störung erlöscht, kommt es offensichtlich wieder zu einem "Rückschritt der ursprünglichen fortschrittlichen Weiterentwicklung" und die angeblich neuen Störungen werden plötzlich kaum noch "gesehen" und diagnostiziert.

Ein ähnliches Phänomen beobachte ich auch in diesem Forum. Ich bilde da keine Ausnahme, ich habe früher auch "genauer" gesehen, bis ich merkte, dass "genauer" Hinsehen nicht bedeutet "richtig" sehen, sondern mitunter "selektiv" sehen: In vielen Threads hier schreiben User, die Schaden durch durch die Psychoanalyse erlebt haben sinngemäß "es gibt so viele Menschen, die durch PA Schaden erleiden, das sieht man ja hier im Forum". Sah ich zuerst auch, bis ich genauer hinsah und feststellte, dass auch genausoviele Klienten Schaden durch VT erleiden. Doch das, worauf man die eigene Aufmerksamkeit lenkt, sieht man plötzlich auch häufiger. Doch häufiger sehen bedeutet eben nicht, richtig zu sehen.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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hawi
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Beitrag So., 22.03.2015, 10:05

soweit ich sie hier verfolgt habe, für mich eine sehr normale Diskussion, Auseinandersetzung mit einem Teil dessen, was heute bei uns als nicht normal gilt, wer als nicht normal gilt, wie dies festgestellt wird, wie damit umgegangen wird, u.v.m.

Was jeder einzelne für sich draus macht? Was alle gemeinsam draus machen?

Ich für mich hab natürlich durchaus einen eigenen „Rahmen“, eine persönliche „Grenze“, ab der ich den einzelnen als mir zu abgedreht „unnormal“ wahrnehme, mit ihm nicht mehr zu recht komme.

Umgekehrt, gemessen an dem, was so alles als typisch, als normal heute gilt? Ich probier das gar nicht erst, aber nicht auszuschließen, dass manch „Test“, mach „Prüffragenkatalog“ mir eine zu große Abweichung von der Norm attestieren würde. Dass ich für manch anderen Menschen nicht normal bin, dessen bin ich mir sicher.

Dass andere sich sehr ähnlich wie ich verhalten, ähnliches erleben, in der Folge sie aber im Gegensatz zu mir dran leiden, oder mehr als ich, oder ähnliches Leid selbst im Gegensatz zu mir nicht (allein) tragen, bewältigen können, auch davon geh ich aus. Mensch ist, bei aller Gleichheit, halt auch sehr verschieden.

Was ist normal?
Dazu ein Video, eine Sendung, die mir gefällt, insgesamt, die zum Thema hier so ab Minute 22 ganz gut passt, nicht nur, aber vor allem durch das, was Fritz.B. Simon, Psychiater Psychoanalytiker, darlegt.

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=43527
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


Jenny Doe
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Beitrag So., 22.03.2015, 10:13

Fortsetzung:
Hier geht es ja auch um den Hype und nicht um fehlerhafte Diagnosen.
Das hängt für mich eng miteinander zusammen. Wenn Diagnosen inflationär vergeben werden, dann handelt es sich bei zu zu häufig vergebenen Diagnosen um Fehldiagnosen. Das hat zur Konsequenz, dass Skeptiker (zu Recht) die Frage aufwerfen, ob die Störung nur eine Modeerscheinung ist und bemängeln, dass Normale zu psychisch Kranken gemacht werden.
Zudem trägt die inflationäre Vergabe einer Diagnose nicht gerade dazu bei, dass die, die wirklich ein Burnout haben, multipel sind, unter ADHS leiden, .... Ernst genommen werden. Wenn sämtliche Kinder die ADHS-Diagnose bekommen und sämtlichen Arbeitnehmer die Burnout-Diagnose gegeben wird, dann stellen die Störungen ADHS und Burnout usw. ja keine Abweichung von der Normalverteilung mehr da. Sie werden durch den inflationären Gebrauch zu etwas Normalen, zu etwas, worunter nahezu jeder leidet.
Sowas ist eben fatal für jene, die wirklich unter der inflationären Störung leiden.
So entsteht eben die Problematik, dass die einen darum kämpfen, dass die oben genannten Störungen Anerkennung finden, während die anderen (zu Recht) in Frage stellen, ob es diese Störungen überhaupt gibt oder ob sie normal sind.
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candle.
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Beitrag So., 22.03.2015, 10:39

Hallo!

Ich habe den Scobel gerade ab Minute 22 geschaut. Und zumindest fiel mir auf, dass es kurz um Obrikeitshörigkeit ging, wenn ich mich nicht irre. So, dazu dann auch an Jenny Doe:
Jenny Doe hat geschrieben:. Wenn sämtliche Kinder die ADHS-Diagnose bekommen und sämtlichen Arbeitnehmer die Burnout-Diagnose gegeben wird, dann stellen die Störungen ADHS und Burnout usw. ja keine Abweichung von der Normalverteilung mehr da.
Warum machen die Menschen das mit?

Ich weiß von mir, dass ich in Therapie schon manchmal Dinge verneinen mußte wo ein Therapeut gerne darauf "losgegangen" wäre. Genauso wie ein Psychiater bei einem Notfallbesuch meinte, ich hätte eine Essstörung, die ich nicht habe als Beispiel. Warum denken Patienten dann nicht mit?

Gerade schwirren mir Diäthypes mit Pillchen und Co durch den Kopf. Der Mensch braucht das wohl irgendwie um wieder zu einer Gruppe zu gehören? Also Hype haben wir überall. Es ist auch nicht mehr leicht heute individuell hervorzustechen.

candle
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hawi
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Beitrag So., 22.03.2015, 10:40

Jenny Doe hat geschrieben:Wenn Diagnosen inflationär vergeben werden, dann handelt es sich bei zu zu häufig vergebenen Diagnosen um Fehldiagnosen.
Jenny,
womöglich etwas irreführend formuliert? Für mich jedenfalls ein wenig.

Klar, je mehr Diagnosen insgesamt gestellt werden, desto mehr werden auch die Fehldiagnosen.
Ob ihr Anteil steigt, ob sich also die Fehlerquote erhöht, wenn viel diagnostiziert wird? Zumindest fraglich!
Auf jeden Fall wird es, egal ob viel oder wenig diagnostiziert wird, immer eine gewisse Fehlerquote geben.

Und ergänzend, dass die Diagnosevergabe ja nur ein kleiner Ausschnitt ist. Es gibt einen Vorlauf, einen Prozess, der dazu führt, dass sich immer mehr diagnostizieren lassen, was wohl wiederum zumindest zum Teil durch Aufbau entsprechender Kapazitäten führt. Es gibt vor allem aber auch all das, was solche Diagnosen „anrichten“. Das vielleicht das, wo es wichtig ist, genau hinzusehen.
Die Bedeutung der Diagnosen, das, was sich aus ihnen ableitet.
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Blaubaum
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Beitrag So., 22.03.2015, 19:00

hawi hat geschrieben:
Jenny Doe hat geschrieben:Wenn Diagnosen inflationär vergeben werden, dann handelt es sich bei zu zu häufig vergebenen Diagnosen um Fehldiagnosen.
immer? hat nicht jede zeit ihre ganz bestimmte qualität, und fällt nicht das jeweilige zeitgeschehen mit all seinen umständen und herausforderungen wiederum auf das diese zeit erlebende "material", also auf die zeitspezifischen seelenzustände derjenigen menschen, die eben zu dieser zeit leben?

vielleicht gibt es den klassischen hysterischen anfall heute deshalb nicht mehr, weil sich eben z.b. das verhältnis zwischen töchtern und vätern im laufe der zeit geändert hat?

stattdessen gibt es etwas anderes...nach dem 1. weltkrieg gab es z.b. die sog. "kriegszitterer", offenbar in hoher zahl...soldaten waren durch tage-/wochenlang anhaltenden permanenten granatenbeschuss so traumatisiert, dass ihre neuronen verrückt spielten...heute sehen kriegstraumata meist anders aus.

in einer zeit, in der immer mehr menschen ihre tägliche arbeit als sinn- und inhaltslos empfinden, in der es ein ständiges hin und her, hü und hott im wechsel von arbeitsstrukturen gibt (z.b. abi nach 12 jahren, jetzt doch wieder nach 13), in der immer mehr menschen ihre arbeit nicht mehr als befriedigung tatsächlicher bedürfnisse anderer menschen sondern quasi als "beschäftigungstherapie" nach art eines sisyphos oder eines schildbürgerstreiches empfinden, kann es mich nicht wundern, dass nicht nur diagnosen, sondern eben auch die dahinterstehenden seelenzustände wie depressionen/burnout eben viel häufiger vorkommen...und wenn sie häufiger vorkommen, dann werden sie gottseidank auch häufiger diagnostiziert...zu einer zeit und in einem umfeld, in welchem menschen in einem realen und nicht nur "vorgestellten" überlebenskampf waren hatte jede einzelne ihrer tätigkeiten einen sinn: überleben. depris/burnout gab es nicht oder kaum...dafür gab es etwas anderes...aber da sich vor meinetwegen 200 jahren niemand für die seelenzustände und leiden der arbeitenden mehrheitsbevölkerung interessierte (bis auf wenige ausnahmen), wurde auch nichts diagnostiziert.

das ist heute gottseidank anders.

ich möchte z.b. nicht wissen, wie viele mitteleuropäer im rahmen des 30jährigen krieges schwerst traumatisiert wurden...ich glaube, dass das erleben der menschen von damals auch heute noch in unseren seelen nachschwingt, als energiequalität, auf biochemischer ebene vererbt und weitergegeben durch z.b. mikro-RNAs.

diagnostiziert hat das damals aber so weit ich weiss niemand...es interessierte nicht...das leben ging weiter.

das lag nicht daran, dass man damals blöd war und weder erkenntnisse noch worte für die erkenntnisse hatte...all das hatte man bereits im altertum, und manch einer kennt vielleicht Dürers Kupferstich "die melancholie"...aber das einfühlsame sich kümmern um seele und körper war vor 200 oder 400 jahren wohl eher den oberen bevölkerungsschichten vorbehalten...ausserdem hatten die menschen damals einen anderen erfassungsrahmen, andere begriffe, andere bezugspunkte für das, was sie wahrnahmen.


selektive wahrnehmung---ich kenne es von mir selbst und andere erzählen es auch: wenn man sich gerade für einen bestimmten autotyp interessiert, dann "begegnet einem dieses modell plötzlich viel häufiger" im strassenverkehr als sonst.
und ich warte gebannt auf ehrlich erstellte statistiken, die einen fingerzeig in die richtung geben, ob diese modelle dann tatsächlich häufiger an einem vorbeifahren (was sich dann wohl allenfalls metaphysisch oder auch metastatistisch erklären liesse), oder ob sie einem nur mehr auffallen...vorerst glaube ich an letzteres, bin aber offen für ersteres.
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Blaubaum
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Beitrag So., 22.03.2015, 19:46

Jenny Doe hat geschrieben:Das bizarre Krankheitsbild, die Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS), konstatierte der US-Experte Myron Boor, habe inzwischen "nahezu epidemische Ausmaße angenommen". In den letzten 25 Jahren, klagen Fachleute, sei die Zahl der diagnostizierten MPS-Fälle von unter 200 auf rund 20 000 gestiegen.
eine seele kann zersplittern...ich kenne emotionale (und kognitive) instabilität (die man nicht als DIS bezeichnen muss, auch wenn manche menschen zu verschiedenen zeiten sehr unterschiedlich sein können, verschieden aussehen, verschiedene stimmen haben, verschiedene dioptrienwerte der augen, verschiedene blutdrücke...ist bei z.b. borderline nichts aussergewöhnliches), und bisweilen kommt es zu einer dissoziativen fugue, aber sehr selten...von daher weiss ich nicht, was DIS oder MPS überhaupt sein soll, und ich kann die annahme, es handele sich oft und inflationär um eine iatrogene oder falsch induzierte störung, gut verstehen.

die verzweifelte oder auch wahllose suche nach diagnose und klassifizierung, ohne die krankenkassen-oder versichererfinanzierte therapie leider nicht möglich ist, zeigt hier evtl. ihre hässliche seite, verbunden mit dem ökonomischen grundsatz, dass eine infrastruktur erst hergestellt werden muss, die dann ihre kosten wieder einspielen soll: wer viel geld und arbeit investiert hat, um eine bestimmte störung behandeln zu können (ausbildung, klinikplatz...), der schaut dumm drein, wenn er dann niemanden findet, der diese störung hat.

besser, man lässt den menschen, wie er ist: ein individuum. einerseits ganz, andererseits vielschichtig und manchmal widersprüchlich, manchmal auch ausserhalb aller normen stehend und der gesellschaft oder sich selbst entfremdet. wenn ER leidet, soll man ihm helfen, aber er selbst weiss am besten, wie.
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Jenny Doe
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Beitrag Mo., 23.03.2015, 07:45

@ Candle
Warum machen die Menschen das mit?
Ich denke mal, aus vielen verschiedenen Gründen. Zum einen wollen sie wissen, was mit ihnen los ist, was sie haben. Wenn sie dann von denen, die es wissen sollten, die es studiert haben, nämlich Psychotherapeuten, z.B. gesagt bekommen "Sie haben ein Burnout", dann haben sie eine Antwort. Sofern sie nicht über fundiertes psychologisches Wissen verfügen, werden sie auch nicht in der Lage sein die Diagnose zu hinzufragen. Zum anderen entbinden Diagnosen zuweilen von der Eigenverantwortung. Wenn man ein Burnout hat, ADHS hat, .... dann ist ja irgendwer Schuld daran, die Arbeitssituation, die Schulsituation, die Eltern, ... Zuguster Letzt fällt mir als mögliche Erklärung ein, was ich mal in einem Film über ADHS gesehen habe, nämlich, dass manche Eltern zum Therapeuten gehen in der Erwartung, dass ihre Kinder ruhiggestellt werden, weil sie stören.

@ Blaubaum,

danke für Deinen Beitrag.
hat nicht jede zeit ihre ganz bestimmte qualität, und fällt nicht das jeweilige zeitgeschehen mit all seinen umständen und herausforderungen wiederum auf das diese zeit erlebende "material", also auf die zeitspezifischen seelenzustände derjenigen menschen, die eben zu dieser zeit leben?
Genau das ist eben meine Frage. Gibt es Hochsensinsibilität wirklich oder ist dieses Phänomen eine normale menschliche Antwort auf das stressige Stadleben? Wenn Menschen mit der Diagnose "Hochsensinsibilität" auf dem Land keine Symptome haben, liegt das Problem dann im lebendigen Stadtleben oder in der Person, die sich an das Stadtleben nicht anpassen kann? Gibt es die Störung Burnout wirklich oder ist Burnout eine normale menschliche Reaktion auf die zunehmenden Anforderungen am Arbeitsplatz? Woran liegt es? An der Arbeitssituation an sich oder an der Person, die dem Arbeitsdruck nicht gewachsen ist?, ...
vielleicht gibt es den klassischen hysterischen anfall heute deshalb nicht mehr, weil sich eben z.b. das verhältnis zwischen töchtern und vätern im laufe der zeit geändert hat?
Möglich ist es. Vielleicht würde auch Burnout wieder verschwinden, wenn sich die Arbeitssituation ändern würde? Vielleicht gäbe es ADHS nicht mehr, wenn sich die Schulsituation und die häuslische Situation ändern würden?


Noch kurz was zu meinen Gedankengängen: Ich habe keine endgültige Meinung, ich kenne die Antwort nicht. Ich denke in viele Richtungen; hinter allen Richtungen steht für mich ein Fragezeichen.
Ich ziehe in Erwägung, dass sich die Gesellschft selbst neue Störungen schafft, wie Hochsensibilität, Burnout, ADHS, und dass diese Störungen verschwinden würden, wenn sich die Stadtsituation, die Arbeitssituation, die Schulsituation, die häusliche Situation, ... ändern würden. In diesem Fall würden tatsächlich alle unter der jeweiligen Störung leiden, als Folge der gesellschaftlichen Umstände. Ich ziehe zudem in Erwägung, dass manche Diagnosen deshalb so gehäuft auftreten, weil die Diagnostiker für eine bestimmte Störung hochsensibilisiert werden und sie diese Störungen deshalb überall sehen, obwohl sie nicht in diesem Ausmaß vorhanden ist, wie z.B. die Multiple Persönlichkeitsstörung. In diesem Fall würde die Diagnose inflationär vergeben werden, obwohl nicht alle der diagnostizierten Klienten darunter leiden. In diesem Fall gäbe es eine hohe Anzahl an Fehldiagnosen.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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Nico
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Beitrag Mo., 23.03.2015, 07:55

Jenny Doe hat geschrieben: Wenn sie dann von denen, die es wissen sollten, die es studiert haben, nämlich Psychotherapeuten, z.B. gesagt bekommen "Sie haben ein Burnout", dann haben sie eine Antwort.
Zu glauben, dass jene die es studiert haben, alles zu 100 Prozent wissen und treffsicher diagnostizieren können müssen, ist halt auch mehr als naiv.
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)

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hawi
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Beitrag Mo., 23.03.2015, 09:20

Jenny Doe hat geschrieben:
hat nicht jede zeit ihre ganz bestimmte qualität, und fällt nicht das jeweilige zeitgeschehen mit all seinen umständen und herausforderungen wiederum auf das diese zeit erlebende "material", also auf die zeitspezifischen seelenzustände derjenigen menschen, die eben zu dieser zeit leben?
Genau das ist eben meine Frage. Gibt es Hochsensinsibilität wirklich oder ist dieses Phänomen eine normale menschliche Antwort auf das stressige Stadleben? Wenn Menschen mit der Diagnose "Hochsensinsibilität" auf dem Land keine Symptome haben, liegt das Problem dann im lebendigen Stadtleben oder in der Person, die sich an das Stadtleben nicht anpassen kann?
Hallo Blaubaum und Jenny,

grad das, auch das, worüber ihr grad nachdenkt, behandelt, erörtert ja (auch) die von mir zitierte scobel Sendung. Noch etwas allgemeiner, womöglich nicht immer so, dass der einzelne für sich was damit anfangen kann.

Mir gefällt an dem Gespräch dort aber genau das, es wird beleuchtet, es wird durchaus auch der heutige Kenntnisstand dazu, welche Muster, welche allgemeinen „Wahrheiten“ bestimmt oder vielleicht gelten könnten, erörtert, aber sogar da viel Fluss, Wandel, heutige Annahmen, auch weil frühere als widerlegt gelten, aber Annahmen, die wenn überhaupt, der Beschreibung dienen, nicht als Rezept hin zu was besserem.

Wandel überhaupt betrachten zu können, was war zu welcher Zeit wie, was ist heute?
So, so ähnlich wie du, Blaubaum es grad schreibst, für dich versuchst, zu greifen.
Bereits das ja nicht sooo einfach! Es wandeln sich ja nicht allein die Verhältnisse, es wandeln sich mit den Verhältnissen die Anschauungen.

Ich hab für mich selbst im kleinen überlegt?
Mit dem Wort, Begriff, „Depression“ wuchs ich nicht auf. Nicht bezogen auf Personen.
Nur bezogen auf Wirtschaft, auf gesellschaftliches „Schlecht ergehen“, nicht auf emotional persönliches. Es gab da (dafür?) das Wort „Schwermütigkeit“. Das aber, wenn man alles zusammen nimmt, zum heutigen Thema „Depression“ nur sehr begrenzt passt.

Warnen, wenn nicht sogar widersprechen, würde ich vor bzw. zu dem, was du, Jenny, versuchst: Das Phänomen der Hochsensibilität? Ich finde dein entweder oder, das du für dich denkst, schreibst, geht so nicht. Ich meine ich seh das, was Mensch oft unwillkürlich macht. Etwas für sich zu vereinfachen, begreifbar zu machen. Dazu gehört das Denken in Gegensätzen, auch in einfacher, ein eindeutiger Ursache-, Wirkung Zusammenhängen. Ist aber meist nicht das, was der Lebensvielfalt entspricht.

Hochsensibilität?
Ich seh mal nicht nach, aber ich schätze, das Wort, dies Phänomen, wurde mal von einem Wissenschaftler, von mehreren, so ein- und abgegrenzt, Es wurde erkannt, erfasst, es wurde versucht, das Phänomen zu beschreiben, folgend wurde wohl alles mögliche getan, um einerseits nach der Herkunft zu suchen, andererseits nach Wegen, der „Krankheit“, der Belastung, der zu großen Abweichung vom üblichen zu begegnen.
Es ist also nun im Bewusstsein. Ursachen? Keine Ahnung, nicht genau. Aber die Wertung, normale Reaktion auf das hier und jetzt? Gibt es ein unnormal?

Es hakt, wie ich finde, ja noch früher. In diesem Beispiel, in meinem zu Depression, früher Schwermut? Erkenntnis und Sicht heute sind so anders als frühere, dass wenn überhaupt, es schon schwierig ist, zu untersuchen, wie viele Menschen wohl zu welchen Zeiten depressiv waren, hochsensibel. Gleiches bei so was wie Stress, dem was wir heute so fassen, so bezeichnen. Schlicht weil es früher gar nicht beachtet wurde, oder ganz anders, zumindest schwer, nachträglich Vergleiche anzustellen. Und wenn es gelänge?
Dem Verständnis würde es wohl durchaus dienen. Aber Ableitungen, Empfehlungen für den einzelnen? Stadtleben lässt sich nicht mal eben zu Landleben umstrukturieren.
Wieder unterstellt es ginge, dann, wenn Stadtleben „schuld“ ist, wäre das „aktuelle Leid“ manch Stadtbewohners „geheilt“. Ich befürchte nur, dieser Wandel ergäbe neues Leid.
Dann leiden halt, womöglich ganz andere, an womöglich was ganz anderem, weil sie mit dem Landleben nicht zurecht kommen. Natürlich Spekulation im Übermaß. Nur mal geschrieben, hoffend zu verdeutlichen, dass leider manch naheliegend menschliche Interpretation, Ableitung, irrt, zumindest nicht so recht weiter hilft.

LG hawi
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hawi
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Beitrag Mo., 23.03.2015, 09:42

Und weil es hier, und nicht nur hier, immer wieder um Vergleiche von verschiedenen Zeiträumen, Lebenszeiträumen geht, sie fast jeder bewusst oder unbewusst anstellt:

Sehr schnell dann die wertende Gegenüberstellung, besser, schlechter, gut, nicht gut.
Gewertet wird aber immer mit dem heutigen Wertmaßstab.

Das Ergebnis sähe wohl völlig anders aus, wenn mal nicht der heutige sondern der Maßstab von z.B. vor 100 Jahren angelegt würde. Näme man den? Auch die Wertung krank, gesund, sähe wohl (gänzlich) anders aus. Womöglich sogar unserem Urteil (zum Teil) gänzlich widersprechend.

LG hawi
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Montana
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Beitrag Mo., 23.03.2015, 11:57

Diese Diskussion bringt mich wieder dazu, meine Diagnosen anzuzweifeln. Das ist ein grundlegendes Problem bei mir. Denn daraus folgt, dass ich nicht in Therapie gehöre, dass ich einfach nur meinen Arsch hochkriegen muss um richtig zu funktionieren. Dass ich einfach nur faul bin. Meine "Symptome" kann ich gut ausblenden, wenn es mir gerade gut geht. Hmm.
Wie ist das bei euch? Habt ihr auch selbst das Gefühl, eine Diagnose bekommen zu haben, weil die gerade "modern" ist? Ich denke, dass ich zur falschen Zeit am falschen Ort war. Und das anscheinend mehrfach.

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