Dreiecksbeziehungen und Liebeskummer (Bild: Pixabay @Pexels

Ehe und Heirat

Interview zum Standard-Special "Heirat" 05/2015

Was sind aus psychologischer/paartherapeutischer Sicht Gründe für eine Ehe/eine Hochzeit, und warum wollen die Menschen diesen Schritt gehen?

Im Zeitalter des Perfektionismus, in dem wir an jede Facette unseres Lebens äußerst hohe Ansprüche stellen, ist die Ehe ein mutiges, ja beinahe schon verwegen anmutendes Bekenntnis zur Festlegung auf eine Person, ein Gegenüber - mit all seinen Stärken und Schwächen.

Der Akt der Heirat - das zueinander "Ja"-sagen vor einem Gutteil der Familienmitglieder und Freunde - schreibt dieses Bekenntnis zum zukünftigen Partner mit den damit verbundenen Ritualen dann noch zusätzlich fest. Derartige Rituale existieren ja seit der Urgeschichte der Menschheit und lösen deshalb bis heute bei den meisten Heiratenden regelrecht archaische Befriedigungsgefühle aus, nun etwas Wichtiges im Leben geschafft zu haben: den Traum der geglückten Beziehung. Es ist die Aussicht, nun einen Weggefährten gefunden zu haben, der oder die einen hoffentlich durch "dick und dünn" begleiten wird.

Was hat sich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten verändert?

Heirat / Eheschließung / Psychotherapie / Paartherapie / PaarberatungDie Ehe hat ihre Funktion als Versorgungsbeziehung weitgehend verloren, das Ideal besteht heute eher in einer Art "Teampartnerschaft", in der beide Partner - idealerweise im Ausmaß von 50:50! - über idente Verantwortlichkeiten, Ziele sowie auch - ganz wichtig! - ein identes Ausmaß an Genußmöglichkeiten verfügen. Damit muß die Ehe aber natürlich eine riesige Last von Erwartungshaltungen erfüllen und ist anfällig dafür geworden, selbst an verhältnismäßig geringen oder nur temporären Belastungen zu zerbrechen.

Können die eigenen Bedürfnisse aufgrund der Partnerschaft längere Zeit hindurch nicht ausreichend befriedigt werden, kommt heute nämlich verhältnismäßig rasch die Frage auf, ob es denn überhaupt noch "gerechtfertigt" sei, in der Beziehung zu verbleiben. Folglich haben Eheschließungen nicht nur rein quantitativ abgenommen, sondern die geschlossenen Ehen werden auch leichter wieder aufgegeben.

Was ist die Rolle der Romantik?

Romantik könnte man ganz nüchtern als Teil des Umwerbungsverhaltens interpretieren: denn die romantische Liebe, also der offene Ausdruck des Gefühls, dass der Partner, die Partnerin der wichtigste Mensch in unserem Leben ist, hilft uns, langfristige Partnerschaften einzugehen, welche auch die herausfordernden Jahre der Kindesbetreuung überleben.

In unserem eher nüchternen Kulturkreis liegt die Romantik vielen Menschen aber nicht gerade im Blut: "Sie müßte doch eh wissen, dass ich sie liebe, ich habe es ihr damals bei der Hochzeit explizit gesagt!" Wer so denkt und handelt, in dessen Partnerschaft gilt für das angesprochene, so wichtige Geborgenheits- und Sicherheitsgefühl leider "Dauer-Fastenzeit".

Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit eine Ehe ultimativ halten kann?

Für eine der wichtigsten Eigenschaften würde ich heute die Fähigkeit des Zuhörens halten. Es fällt Menschen heute immer schwerer, sich zu fokussieren, viele sind überlastet und fühlen sich unter Dauerstreß. Dann am Abend nach dem Heimkommen auch noch Zeit und ein offenes Ohr für den Partner, die Partnerin zu haben, gerät bei vielen Leuten mit fortlaufender Beziehungsdauer "unter die Räder". Sich regelmäßig über die aktuellen Sorgen auszutauschen, miteinander zu diskutieren, Pläne zu schmieden, ist aber ganz elementar für das Gefühl, innerhalb der Partnerschaft geborgen zu sein, am gleichen Strang zu ziehen und sich nicht sukzessive einander zu entfremden.

Welche Fallen für Ehebeziehungen stufen Sie als weniger schlimm ein, als die Mehrheit das gemeinhin denkt?

Häufig wird Fremdgehen als unvermeidlicher Trennungsgrund dargestellt, leider sogar von diversen Paartherapeuten. Das kann ich so nicht bestätigen. Sehr viel hängt von der allgemeinen Tragfähigkeit der Partnerschaft ab, von der Frage, ob es noch Gemeinsames gibt (oder solches wiederentdeckt oder neu gefunden werden kann) sowie von den Wertvorstellungen beider Beziehungspartner. Während meiner Tätigkeiten in Asien stellte ich als Europäer sogar überrascht fest, dass dort mitunter selbst kontinuierliche Außenbeziehungen in einem gewissen Rahmen toleriert werden - und zwar sowohl solche emotionaler, als auch sexueller Natur. Es wird gewissermaßen akzeptiert, dass eine Ehe nicht lebenslang durchgehend nur glücklich machen, und man selbst nicht alle Bedürfnisse des Partners abdecken kann. In diesem Bereich sind wir Angehörigen der westlichen Hemisphäre stark von unserem eigenen kulturellen Hintergrund und den damit verbundenen Wertvorstellungen geprägt. Bei uns stellt es für Beziehungspartner, die "Fremdgehen" unter gewissen Umständen akzeptieren würden und nach Wegen suchen, die Partnerschaft aufrechtzuerhalten, eine große Herausforderung dar, sich von den umgehend zu hörenden Trennungsaufforderungen ihres Umfelds abzugrenzen. Häufig können sie erst im geschützten Kontext einer Paartherapie konstruktiv darüber nachdenken und erarbeiten, wie es weitergehen kann.

Welche Tipps würden Sie jedem geben/geben Sie jedem, der bald heiratet?

Es sich sehr gut zu überlegen! Die größte Falle für eine glückliche Ehe war früher wie heute eine zu rasche Heirat - das Eingehen einer beabsichtigterweise lebenslangen Beziehung, ohne das Gegenüber ausreichend einschätzen zu können. Dieses Grundgefühl über die Person des anderen kann zwar nicht gegen alle Krisen immunisieren, die unsere ja das ganze Leben stattfindende Persönlichkeitsveränderung mit sich bringt, aber doch vor so manchen blinden Flecken schützen, welche durch die ins Blut schießenden Endorphine (Glückshormone), äußerliche Attraktivität oder Idealisierungen während der ersten Verliebtheitsphase unvermeidlicherweise entstehen.

Wäre eine "Ehe Light" wie das "Pacser" in Frankreich auch in Österreich denkbar?

Die Zeit ist definitiv reif für alternative Partnerschaftsformen abseits der "in Beton gegossenen" Ehe. In psychologischer und sozialer Hinsicht sind wir (Paar-)Beziehungswesen, suchen fixe PartnerInnen, die mit uns gemeinsam die Herausforderungen des Lebens meistern. Die Anthropologie allerdings zeigt uns, dass entwicklungshistorisch das Modell der seriellen Monogamie (im Lebensverlauf wechselnde, lang dauernde, exklusive Partnerschaften) für die meisten Menschen am besten funktionieren dürfte. Eine moderne, pragmatische Politik sollte auf derlei Erkenntnisse Rücksicht nehmen, und Menschen erlauben, ohne sie rechtlich - womöglich auf Lebenszeit, etwa durch potenziell existenzgefährdende finanzielle Verpflichtungen - aneinander zu ketten, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung gerade auch in diesem Bereich wahrzunehmen. Ehen sollen nicht auf Basis der _Prämisse_ eingegangen werden, dass sie ein ganzes Leben lang halten werden und man sich als Partner auf dieser Annahme "ausruhen" darf, sondern vielmehr auf jener, dass sie möglicherweise scheitern könnten - und *beide* Partner dafür Vorsorge zu treffen haben.

Welcher Persönlichkeitstypus ist am 'heiratswütigsten'?

Mit fundierten Statistiken kann ich hier mangels einschlägiger Forschung nicht dienen, meiner Beobachtung nach sind es aber vor allem sehr emotional gesteuerte, leidenschaftliche Menschen, die rasch und häufig Eheversprechen abgeben. Auch Leute, für die das Alleine-sein unerträglich ist oder die befürchten, diesen in uns allen tief verankerten, wichtigen "Meilenstein des Lebens" zu verpassen, stürzen sich mitunter allzu rasch in die Ehe. Das soll aber im Umkehrschluß nicht heißen, dass jene Leute glücklicher wären, die ihr ganzes Leben auf den oder die "Richtige" warten. Auf das Konto von Perfektionsansprüchen an sich und andere geht eine unglaublich hohe Zahl unglücklich allein und emotional einsam gelebter Leben.

Zunächst die richtige Balance zwischen rationaler Abwägung, dem "beherzten" Einlassen auf das das Gegenüber und dabei auch ein kleines Stück Risiko einzugehen zu finden, und sodann, zu dieser Entscheidung zu stehen und gerade auch in Krisenzeiten sein Möglichstes zu tun, damit der Plan aufgeht, scheint mir mit ein Geheimnis gelingender Ehen zu sein.

Literaturtipps:

Richard L. Fellner, MSc., 1010 Wien

Richard L. Fellner, MSc., DSP

R.L.Fellner ist Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut und Paartherapeut in Wien.

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