Emotionale Abhängigkeit = Symbiose?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Scars
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Emotionale Abhängigkeit = Symbiose?

Beitrag So., 10.07.2022, 15:25

Liebes Forum,

mich beschäftigt eine Frage: in jeder Psychotherapie hatte ich bisher ein Problem mit emotionaler Abhängigkeit. In erster Linie führt das bei mir zu Abwehr und Aggressionen. Meistens ergibt sich auch ein Widerstand daraus, denn wenn ich mich positiv entwickeln würde, dann wäre die Therapie ja vorbei = es geht mir gut und ich verliere meine „Bezugsperson“. Außerdem habe ich die Tendenz Verantwortung abzugeben und es wäre mir am liebsten, wenn die Therapeuten mir einfach sagen würden, wie ich mein Leben zu leben hätte.

Bisher habe ich versucht das selbst unter Kontrolle zu bringen, weil ich mich sehr dafür schäme und auch eklig finde. Hat nur mittelprächtig funktioniert und behindert die Beziehung, wenn ich meine zuwendungsbedürftigen Seiten wegschiebe. Dann bleibt nur totale Autonomie, was aber dazu führt, dass mir die Therapeuten egal bis lästig sind. Jetzt hatte ich mich bei der letzten Therapeutin überwunden und das Problem angesprochen und sie hat es direkt in die Symbiose-Kategorie eingeordnet. Leider gibt es die Therapie nicht mehr, weshalb ich sie selbst nicht fragen kann und meine Recherche diesbezüglich war nicht zufriedenstellend.

Meine Frage ans Forum: wie äußert sich ein symbiotischer Beziehungsstil (in Therapie)? Kann emotionale Abhängigkeit auch andere Ursachen haben? Und v.a. wie kann ich besser damit umgehen?

An dem Symbiose-Thema hängen für mich ganz schwierige Aspekte, weshalb ich es lieber verdrängen würde, aber nun möchte ich einfach doch gerne mal wissen, ob ich so bin. Generell wüsste ich nicht, welchem Beziehungsstil ich mich zuordnen würde. Wahrscheinlich eher vermeidend, weil ich praktisch keine näheren Beziehungen pflege, aber wenn mal etwas mehr Nähe aufkommen sollte, dann werde ich schon seeeeeehr ambivalent und nehme letztlich doch lieber wieder Reißaus. Eine Liebensbeziehung hatte ich noch nie, kann es an der Stelle also nicht einschätzen.

Freue mich über Rückmeldungen. Danke + LG Scars
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Shukria
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 05:17

Liebe Scars, es ist ja super das du das so direkt bei der einen Therapeutin angesprochen hast. Ich hätte erwartet das sie das dann aber nicht nur einordnet sondern mit dir dran arbeitet, Erklärungen und Hilfestellung gibt damit du anders mit umgehen kannst.

Lief da nichts?

Klar wenn du wenig intensive oder gar keine positiv besetzten AußenKontakte hast, wirst du zwangsläufig irgendwann an dem einen emotionalen Kontakt hängen, der für dich da ist. Jeder Mensch sucht nach Zugehörigkeit, Bindung. Auch wenn man das gelernt hat zu unterdrücken gehört es doch dazu.
Genaugenommen, je mehr du das im Alltag nicht aus lebst mit vielen Personen, desto wahrscheinlicher bindest du dich an deine Therapeutin als einzige und überfrachtest die Beziehung.

Symbiose/Verschmelzungswünsche ja, aber das greift das Problem viel zu kurz...

Was war denn ihre Lösungsidee/Vorschläge wie damit zu arbeiten sei...

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Scars
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 16:47

Shukria hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 05:17 Klar wenn du wenig intensive oder gar keine positiv besetzten AußenKontakte hast, wirst du zwangsläufig irgendwann an dem einen emotionalen Kontakt hängen, der für dich da ist.
So weit habe ich gar nicht gedacht, aber das stimmt natürlich. Hier beisst sich dann die Katze in den Schwanz, weil ich nähere soziale Kontakte u.a. wegen meiner übergroßen Zuwendungsbedürftigkeit vermeide. Es ist nicht so, dass ich schlechte Erfahrungen gemacht hätte, wahrscheinlich komme ich bis dahin allerdings auch gar nicht, aber ich fühle mich einfach so problembelastet, dass ich keine näheren privaten Beziehungen möchte.

Die Therapeutin hat mir genau wegen der Probleme in Beziehungen eine analytische Therapie empfohlen. Wie könnte denn ein anderer Umgang auch in Therapie damit aussehen? Ehrlich gesagt kann ich mir keinen besseren Umgang vorstellen, als das immer wieder aufzufangen, wenn es auftaucht und dann radikal zu unterdrücken... ich finde symbiotische Beziehungsmuster wirklich schlimm und möchte das niemandem (einschließlich mir selbst) antun.
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münchnerkindl
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 17:02

Scars hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 16:47
Die Therapeutin hat mir genau wegen der Probleme in Beziehungen eine analytische Therapie empfohlen.

Es gibt da eine weiterentwicklung aus der Psychoanalyse die evtl was für dich sein könnte, die übertragungsfokussierte Psychotherapie.

https://de.wikipedia.org/wiki/Transfere ... chotherapy

Ich gehe mal davon aus dass eine traditionelle Analyse dir zu wenig praktische Hilfe im Umgang mit diesem emotinoalen Muster bietet.


Ich denke du musst einen Weg finden wie du deine sozialen Bedürfnisse auf verschiedene Personen verteilen kannst. Weil die Angst dass eine soziale Beziehung wegbrechen könnte ist ja nur so schlimm weil man das Gefühl hat dass man dann nichts dasteht. Wenn man aber diverse gute soziale Kontakte hat ist wenn a wegbricht ja immer noch b, c und d da.
Zuletzt geändert von münchnerkindl am Mo., 11.07.2022, 17:04, insgesamt 1-mal geändert.

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Philosophia
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 17:03

Verdammt, Scars, ich versteh dich nur zu gut in dem Punkt: Beziehung wollen, aber Panik vor Nähewünschen haben...
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Lillern
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 17:30

Liebe Scars,

ich schreibe grade etwas zwischen Tür und Angel, wollte aber doch ein paar Worte hier lassen, da ich mich in vielem was du schreibst Wiedererkennung kann (bedeutet aber leider auch ich habe keine gute Antwort… :anonym:

Vor allem kenne ich dieses „ganz oder gar nicht“: sprich eine Person ist entweder Ultra wichtig oder einfach egal. Etwas dazwischen kann ich kaum. Daher bin ich bspw. nicht so gut in Freundschaften, da mir das Risiko dort meist zu groß ist eine wirklich nahe Beziehung einzugehen und dieses emotionale Chaos mitzumachen. In meinen „Liebesbeziehungen“ kann es dafür nicht zu viel oder genug sein, wobei sich das auch zu völligem „egal“ wandeln kann. Es ist anstrengend.

In Therapie spüre ich das auch extrem, und fühle mich (und bin es wohl auch) extrem emotional abhängig. Ich habe mich vor allem am Anfang unfassbar dafür geschämt (mittlerweile tatsächlich kaum noch). Von daher kann ich dazu nur sagen: so offen wie möglich damit umgehen war für mich da der beste Weg. Alles aussprechen usw. In meinem Fall heißt das nicht, dass es dadurch nun „besser“ wäre, oder stressfrei oder irgendwas der gleichen. Ich denke man stürzt sich da tatsächlich irgendwie einfach in ein emotionales Chaos. Aus dem man gleichzeitig aber auch viel lernen und mitnehmen kann wie ich finde. Für mich war das erste da einfach mal die Akzeptanz dessen, denn eigentlich was ist denn schon dabei? (Normalen Menschen würde ich mich da auch nicht zumuten wollen, aber in Therapie habe ich zumindest das bis jetzt gelernt)

Was Shukria geschrieben hat sagte mein Therapeut auch mal in etwa: er wäre nicht so wichtig bzw. existenziell für mich, wenn ich mehr Leute an mich ran lassen würde. Das habe ich auch versucht und ein Stück weit getan seitdem, und zeitweise merke ich schon ein wenig, dass er da doch in den Hintergrund rückt.
Ich muss aber auch sagen, ein Therapeut ist halt nochmal was anderes als eine „normale Person“, was für mich bedeutet, dass das emotionale Chaos da auch einfach nochmal um einiges extremer ist, und dies (so denke ich) auch nicht ohne weiteres durch „andere Kontakte“ diversifizierbar ist. Aber das vin vielleicht auch einfach nur ich, da er für mich eher in die „Eltern-Region“ gehört emotional, was Freunde ganz einfach nicht abbilden.

Übrigens kann man auch bei verschiedenen Leuten verschiedene Bindungsstile aufweisen, bzw. in verschiedenen Situationen und ist dann mal dem einen und mal dem anderen zuzuordnen (bzw. eben beiden).

LG
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Scars
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 17:37

münchnerkindl hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 17:02 Ich denke du musst einen Weg finden wie du deine sozialen Bedürfnisse auf verschiedene Personen verteilen kannst. Weil die Angst dass eine soziale Beziehung wegbrechen könnte ist ja nur so schlimm weil man das Gefühl hat dass man dann nichts dasteht. Wenn man aber diverse gute soziale Kontakte hat ist wenn a wegbricht ja immer noch b, c und d da.
Verlustängste sind nicht das Problem. Die habe ich zwar auch, kann ich aber 1:1 aus meiner Kindheit nachvollziehen. Insofern weis ich, dass ich da ein bisschen spinnert bin und kann das gut aushalten. Letztlich sind die sogar gar nicht unrealistisch, de facto können wir alle morgen schon tot sein - nur die meisten Menschen haben die Endlichkeit halt weniger auf dem Schirm.
Philosophia hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 17:03 Verdammt, Scars, ich versteh dich nur zu gut in dem Punkt: Beziehung wollen, aber Panik vor Nähewünschen haben...
Ich weis. Für mich ist Symbiose = Missbrauch.

Ich habe halt auch einfach kein realistisches Mass wieviel Nähe/Distanz gesunde Beziehungen haben. Vielleicht würden sich meine Gefühle ja sogar regulieren, wenn ich mehr Nähe zulassen würde. So schreit mir mein Hunger quasi immer entgegen, sobald ich irgendwo Futter sehe und ich schrei zurück, dass ich nicht so gierig sein soll...

Für ein soziales Umfeld bräuchte man widerum auch soziale Kompetenzen, Interessen etc., was ich auch nicht habe. Mich stresst es auch einfach mit Menschen zusammen zu sein, egal wie gerne ich die habe.
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 17:47

Lillern hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 17:30 Übrigens kann man auch bei verschiedenen Leuten verschiedene Bindungsstile aufweisen, bzw. in verschiedenen Situationen und ist dann mal dem einen und mal dem anderen zuzuordnen (bzw. eben beiden).
Danke Lillern. Das macht Sinn für mich. Ich denke, das hat bei mir auch was mit dem setting zu tun. Mit Therapeuten ist der Fokus einseitig, man muss sich um nix kümmern, gleichzeitig verläuft alles in klaren Grenzen und nach bestimmten Regeln und alles, wo man sich sonst zusammenreißen würde kann dort Platz haben (theoretisch).

Mit Arbeitskollegen habe ich z.B. meist ein stabiles, entspanntes und kollegiales Verhältnis. Aber da bleiben meine privaten Probleme und Emotionen natürlich auch außen vor. Im Zweifel kann ich mich professionell an der Verbesserung meiner Kommunikationsfähigkeiten und soft skills erproben. :lol:
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Candykills
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 17:48

Ich schließe mich da Vorrednern an: mehr soziale Kontakte sind ein wichtiger Punkt und gehört vielleicht auch einfach zum therapeutischen Programm und den damit einhergehenden Veränderungen dazu?

Du nimmst dir halt direkt sehr viel, wenn du das kategorisch ausschließt.

Natürlich kann es dir trotzdem passieren, dass symbiotisch Wünsche in der Therapie auftreten, aber die lassen sich dann viel leichter auflösen, wenn es noch ein soziales Netz außen rum gibt.

Therapie ist halt nicht nur 1-3 Mal pro Woche zum Thera gehen, sondern auch wirklich im Leben etwas zu verändern.

Trau dich! Wenn’s scheizze ist, kannst du die Leute ja immer noch wieder in die Wüste schicken.
(Mir ist natürlich klar, dass sich so ein soziales Netz auch nicht von heute auf morgen jetzt aufbauen lässt.)
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Scars
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 18:01

Candykills hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 17:48 Ich schließe mich da Vorrednern an: mehr soziale Kontakte sind ein wichtiger Punkt und gehört vielleicht auch einfach zum therapeutischen Programm und den damit einhergehenden Veränderungen dazu?
Puh, aber ich kann mir das halt wirklich nicht vorstellen, im Gegenteil. Mir zieht das so viel Energie ab - beziehungsweise vielleicht habe auch einfach nicht so viel davon. Ich möchte nach Feierabend nur noch abschalten und mich erholen, keine Verabredungen einhalten müssen o.ä.... :blass:
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Shukria
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 18:20

Wofür hast du denn die Therapien genutzt?

Im Prinzip kannst du deine Gedanken auch rum drehen. Die Therapie endet so oder so. Du kannst die Zeit nutzen und dich einlassen und es dir besser gehen lassen und unterstützen an deinem Kernproblem zu arbeiten oder dich wie Eibe Auster verschließen. Wie du die Zeit die dir gegeben ist ändert nichts an der vor bestimmten Endlichkeit des Kontaktes.

Wenn du gerne mehr Kontakt hättest der nicht so verpflichtungen mit sich bringt, sind Selbsthilfegruppen super. Die entzerren auch deutlich den Fokus auf den/die Therapeut*in.

Meine Erfahrung ist auch, je mehr ich anfange für mich selber Fürsorge zu übernehmen und Bindungen wertzuschätzen statt diesen natürlichen Drang gewaltsam zu unterdrücken, sich dieses natürliche Bedürfnis zuzugestehen umso leichter wird es. Und umso schöner und reichhaltiger.

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Candykills
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 18:22

Also ich kann bzw. konnte das früher total nachvollziehen, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen (Negativsymptome; gesättigt durch Stimmen und Anteile).
Ich brauchte wirklich nichts und niemanden und jeder menschliche Kontakt war mir einfach nur zu viel. Ich habe manchmal wochen- und gar monatelang mit keinem Menschen außer meiner Mutter mal geredet.
Aber: das war Symptom meiner Erkrankungen!

Klar, vielleicht bist du vom Charakter her jemand, der wirklich fast keinen sozialen Kontakt braucht.
Das kannst nur du dir beantworten und dann heiße das ja auch nicht, dass das statisch ist.

Bei mir hat sich das ja auch durchs langsame heilen (und ich bin noch weit entfernt von Heilung) verändert und habe inzwischen ein völlig normales (allgemein) soziales Leben, so wie das auch als Kind war. Es ist gut so, wie ich jetzt lebe, bin glücklich damit.

Natürlich muss das bei dir nicht so sein, ich möchte dir nur zeigen, dass sich das wirklich ändern kann und vielleicht einfach Symptom deiner Erkrankung ist und dann deine Mithilfe brauche, um sich ändern zu können.

Hoffe das kommt jetzt nicht übergriffig rüber.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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lisbeth
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 18:23

Scars hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 17:37 So schreit mir mein Hunger quasi immer entgegen, sobald ich irgendwo Futter sehe und ich schrei zurück, dass ich nicht so gierig sein soll...
Dieses Symbiose-Ding ist ja so eine Art emotionaler Hunger, oder?
Und du hast so eine Mega-Angst vor Fressanfällen, dass du dich praktisch auf Null-Diät gesetzt hast...
Wobei ich schon glaube, dass das Gar-Nichts-Essen und dann das Binge-Eating sich gegenseitig bedingen (können)...

Wenn du bei dieser Ess-Verhaltens-Analogie bleibst, was wären denn mögliche Schritte hin zu einem Essverhalten, dass dir wirklich gut tut? Und ist es wirklich sooo schlimm, wenn du dann gelegentlich über die Stränge schlägst und über deinen Appetit hinaus soviel isst wie du gerade kannst? Einfach weil es gerade so gut schmeckt? Klar, dann fühlt man sich erstmal ziemlich gestopft wie eine Leberwurst. Aber spätestens am übernächsten Tag normalisiert sich das meistens auch wieder.

Beim Essen gibt es ja auch Coaches, die mit dir ein "normales" bzw. gesundes Essverhalten trainieren, wenn man dafür das Gefühl verloren hat. Wieviel ist genug? Und wieviel brauche ich aber auch damit es mir gut gehen kann? Und fürs Emotionale fände sowas idealerweise in der Therapie statt: Gemeinsam mit der Therapeutin draufschauen, auf die Wünsche und Bedürfnisse. Die dürfen alle erstmal da sein. (Was aber nicht heißt dass sie alle Realität werden). Und dir Rückkopplung einholen von der Therapeutin. Und auch zu sehen und zu erleben, was machen deine Wünsche mit ihr?
Oder vielleicht auch zu sehen, dass deine Idee, was deine Wünsche mit anderen machen viel krasser sind, als wie das beim anderen ankommt, also so eine Art Abwertungsspirale, wodurch du dich noch mehr zurückziehst? Ist dein Bedürfnis nach Zuwendung tatsächlich so übergroß wie du es dir selbst gegenüber hinstellst? Oder ist das Selbstschutz, damit du davon die Finger lässt und dich gar nicht erst dran verbrennen kannst?
Scars hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 16:47 Ehrlich gesagt kann ich mir keinen besseren Umgang vorstellen, als das immer wieder aufzufangen, wenn es auftaucht und dann radikal zu unterdrücken... ich finde symbiotische Beziehungsmuster wirklich schlimm und möchte das niemandem (einschließlich mir selbst) antun.
Nee, nicht unterdrücken. Je mehr du das wegdrückst, umso wuchtiger kommt es immer wieder hervor, wie Kai aus der Kiste. Sondern: Überflutungsfläche schaffen, wo sich das Wasser ausbreiten kann und sich damit mehr verteilt (z.B. verschiedene Kontakte ausbauen wie es hier schon immer wieder anklang...), damit verliert es dann auch diese extreme Kraft, die du so fürchtest.
In der Therapie sollte das da sein dürfen, Raum bekommen, da sollte die Möglichkeit sein, sich das aus allen möglichen Blickwinkeln anzuschauen, auf sich wirken zu lassen. (Heißt nicht unbedingt Erfüllung deiner Wünsche...) Dadurch "normalisiert" sich das auch, und ist nicht mehr so ungeheurlich und unheimlich...
Therapeut*innen kennen das alles eigentlich schon in irgendeiner Form. Die sind davon nicht so schnell geschockt. Der Schock ist dann eher bei einem selbst... Und viel mehr noch die Scham darüber.
Ich habe über die Jahre von der Analytikerin unendlich viel Zuwendung bekommen (und bekomme sie immer noch). Die sieht komplett anders aus als ich mir das vorgestellt hätte. Und das sind oft so Kleinigkeiten, beiläufige Bemerkungen oder Gesten, völlig unspektakulär. Und doch zeigt sie mir damit so unendlich viel: Wie eine wohlwollende und nicht wertende Haltung mir selbst gegenüber aussehen könnte, zB. Das ist dann auch Lernen am Modell.

Zur Symbiose: Ich habe irgendwann gemerkt, dass es meine panische Angst vor Konflikten war, die mich immer wieder in symbiotische Beziehungen rutschen ließ. Dass Beziehung für mich hieß: Wir müssen 100% deckungsgleich aufeinander liegen, da darf es keine Abweichung geben. Dass ich mich unsichtbar gemacht habe, und damit an die andere Person bis zur Selbstaufgabe angepasst habe.
Anzufangen, mich selbst mehr zu zeigen, mich selbst in der Beziehung mehr zuzumuten (mit meinen Ansichten, Bedürfnissen und Aspekten) hat dann paradoxerweise dazu geführt, dass mein Hang zu Symbiosen abgenommen hat und gleichzeitig sind die Beziehungen viel lebendiger geworden.... Trifft sicher nicht für jeden zu, aber ich lasse es einfach als Gedanken mal da.

LG

(die letzten Beiträge noch nicht gelesen...)
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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Philosophia
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 18:26

Scars hat geschrieben: Mo., 11.07.2022, 17:37 Für mich ist Symbiose = Missbrauch.
Für mich auch... und ich frage mich, ob sich das je in meinem Kopf ändert. Aber eine therapeutische Beziehung muss nicht symbiotisch sein. Die Analytikerin ist zum Beispiel nicht symbiotisch. Das hilft mir. Denn in einer Symbiose brauchen sich beide Wesen und leben quasi zusammen. Das ist in einer Therapie nicht so - und auch nicht mit Freunden. Dort gibt es immer Nähe und Distanz. Gleiches gilt auch für eine Paarbeziehung.
ABER: Ich habe trotzdem Angst, dass meine Nähe eklig sein könnte, weil ich Nähe nur als Symbiose kenne, wobei ich das, was ich kennengelernt habe, jetzt eher als Parasitimus bezeichnen würde. Ich wurde ausgesaugt. Bist du sicher, dass es bei dir um Symbiose geht?
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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Alani
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Beitrag Mo., 11.07.2022, 18:31

Hi Scars,

Kann ich voll gut verstehen, Dein Thema. So geht es mir seit vielen Jahren auch.
Das mit diesem Referenzwert ist echt auch so ein Punkt. Es ist manchmal in der Tat voll schwierig, das richtig einzuschätzen. Überhaupt ist das schon anstrengend so bestimmte Dinge, die man nicht lernen konnte dann so schnell noch als erwachsene Person sich anzueignen.
Habe festgestellt, dass das Leben mit mehr bzw. besseren sozialen Kontakten schon wesentlich schöner ist, also ohne. Aber man braucht da ja erstmal die Fähigkeit das selber irgendwie zu steuern, und auch zu erkennen, welche Personen einem gut tun. Und um das gut zu schaffen, braucht man tatsächlich auch jemanden, wo den Durchblick hat, und einen da auch trainiert bzw. das irgendwie übermittelt, diese Fähigkeiten. Also eigentlich einen Therapeuten, der/die das vermitteln kann.

Was ich auf jeden Fall dazu noch sagen möchte, ist dass man das auch wirklich üben muss, und es tatsächlich nicht besser wird, wenn man sich zu sehr isoliert. Also Gruppen suchen, üben, aber langsam steigern. So zumindest ist es bei mir besser geworden. Bei mir waren das Gruppen aus dem Freizeitbereich, die mir da geholfen haben, therapeutisch gibt es ja auch einiges was in Gruppen angeboten wird. Da kommts halt darauf an, ob einem das taugt oder eher Angst macht oder nervt.
Das Positive an Gruppen ist auf jeden Fall auch, dass es da gar nicht so leicht passiert, in eine Symbiose zu verfallen, da ja mehr Personen vorhanden sind. Diese Tatsache fand/finde ich z.B. sehr hilfreich. Es befreit irgendwie von dieser "alles hängt am Gegenüber-Denken".

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