Schmerzensgeld für einen Kindsmörder!?

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stern
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 12:34

Füchsin hat geschrieben:Übrigens waren zu dem Zeitpunkt, als Gäfgen die Schmerzen angedroht wurden, längst nicht alle anderen Mittel ausgeschöpft. Ich nehme daher eher mal an, dass Daschner in diesem Fall wohl eher die ganz persönlichen Pferde durchgegangen sind (was ich ihm noch nicht mal verdenken kann, was er aber in seiner Funktion unter Kontrolle hätte haben müssen), als dass es tatsächlich keinen anderen Ausweg mehr gegeben hat.
Weiß ich auch nicht im Einzelnen... aber für sein unrechtmäßiges Vergehen (desser er sich, meine ich, auch bewusst war) wurde Daschner ja auch verurteilt (zur Vorstrafe reichte es allerdings nicht).Aber es wurde "massiv mildernde Umstände" entgegen gehalten:
Richterin Stock machte in ihrer Urteilsbegründung deutlich, dass die Gewaltdrohung gegen Gäfgen einen Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde dargestellt habe. Als strafmildernd wertete die Kammer die ehrenwerten Motive der beiden Angeklagten. Beiden sei es vorrangig darum gegangen, das Leben des entführten Kindes zu retten. Zu Gute hielt das Gericht Daschner und E. außerdem, dass beide zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung unter hohem Druck gestanden hätten und dass der Täter Gäfgen die Ermittler mit immer neuen Lügen in die Irre geführt habe. ...

Der Staatsanwalt blieb damit an der untersten Grenze des Strafrahmens und begründete dies mit "massiven Milderungsumständen".

Wolfgang Daschner habe bei der angeordneten Gewaltandrohung gegen den Entführer des Jungen Rechtsgüter abwägen müssen, sagte Rechtsanwalt Eckart Hild vor dem Frankfurter Landgericht. Die Menschenwürde Jakob von Metzlers habe gegen die Menschenwürde des Verbrechers gestanden. Die Menschenwürde des inzwischen verurteilten Mörders sei allenfalls partiell beeinträchtigt gewesen, sagte der Anwalt weiter. Dagegen habe bei Jakob akute Lebensgefahr bestanden
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,333706,00.html
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münchnerkindl
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 12:47

Füchsin hat geschrieben: Übrigens waren zu dem Zeitpunkt, als Gäfgen die Schmerzen angedroht wurden, längst nicht alle anderen Mittel ausgeschöpft.
Waren sie sehr wohl. Zu dem Zeitpunkt wurde das Kind 4 Tage vermisst und man hat vermutet daß wenn es irgenwo eingesperrt ist ohne Nahrung und Wasser (was man halt als "normaler" Entführer so macht mit dem Entführten) es demnächst sterben könnte.

Von daher wurden zeitnah Informationen von Gäfgen benötigt. Was hätten da noch für andere Mittel angewendet werden können um ihn zu Reden zu bewegen?

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sofa-held
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 12:59

münchnerkindl hat geschrieben:Waren sie sehr wohl. Zu dem Zeitpunkt wurde das Kind 4 Tage vermisst und man hat vermutet daß wenn es irgenwo eingesperrt ist ohne Nahrung und Wasser (was man halt als "normaler" Entführer so macht mit dem Entführten) es demnächst sterben könnte.
So habe ich das auch verstanden.
Mich beschleicht das Gefühl, dass das Rechtssystem zu einer Art Parallelgesellschaft geworden ist, das völlig absurde Entscheidungen hervorbringt.
Ähnlich wie das politische System über die Köpfe der Bürger hinweg entscheidet und der Begriff "Postdemokratie" in die Geschichtsbücher Einzug hält.

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Füchsin
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 14:00

Aus "Spiegel online":
Der hessische Polizeipsychologe Stefan Singer berichtete heute vor dem Frankfurter Landgericht, er habe ausdrücklich vor einer Bedrohung Gäfgens gewarnt und außerdem alternative Ermittlungsansätze vorgeschlagen. (...) Der Psychologe sagte aus, er habe für den Fall einer Gewaltandrohung falsche Aussagen Gäfgens befürchtet. "Eine Androhung könnte dazu führen, dass er ausflüchtet und was sagt, was für uns schwierig zu überprüfen ist", schilderte der Experte dem Gericht seine Bedenken in der Nacht vor der fraglichen Vernehmung. Gewaltdrohungen würden in ihrer Wirksamkeit ohnehin überschätzt und führten häufig zu Falschaussagen. Zudem machten sie den Beschuldigten für weitere Gespräche unwillig. Er habe vorgeschlagen, nach Personen zu suchen, die Autorität oder Einfluss auf Gäfgen haben könnten. Jakobs ältere Geschwister Franz und Elena sowie ihr Freund Carlos seien ihm geeignet erschienen, den Entführer zu einer Auseinandersetzung mit seiner Tat und in der Folge zu Aussagen zu bringen. Gäfgen habe die Metzler-Kinder bewundert und ihre Nähe gesucht. (...) Die Konfrontation des Täters mit den Geschwistern ist nach den Aussagen mehrerer Polizisten in der Nacht zwar vorbereitet, zunächst aber nicht weiterverfolgt worden.
Ganzer Artikel (12.2002):
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,330615,00.html
münchnerkindl hat geschrieben:Von daher wurden zeitnah Informationen von Gäfgen benötigt. Was hätten da noch für andere Mittel angewendet werden können um ihn zu Reden zu bewegen?
Ein Polizeibeamter, der unter Zeitdruck steht und daher nach der schnellsten Lösung sucht, ist nicht dasselbe wie einer, der alle Mittel ausgeschöpft hat.

So, ich klinke mich nun aus der Diskussion aus. Diesmal wirklich.

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sofa-held
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 15:17

Ja, das ist schon klar, dass man einem Täter, aus dem man Informationen rausbekommen will, mal nett behandelt. Soweit d´accord. Aber dass dieser Freak im Nachhinein noch Schmerzensgeld verlangt, das schlägt dem Fass den Boden aus. Und wie man sieht, ist die Stimmung im Volk ganz eindeutig. Keiner versteht dieses Urteil und alle motzen deswegen rum. Bis auf Ausnahmen. Für mich ein Zeichen, dass die Rechtssprechung vollig abgehoben ist.

Der Vater des Ermordeten ist total fertig. Frage: Welche Motivation haben Polizisten noch einen Täter zu jagen, wen sie dann selber eine auf den Deckel kriegen. Füchsin, du wirst das anders sehen, wenn du selbst mal Opfer eines Verbrechens wirst und dich dann die Rechtssprechung ein weiteres Mal traumatisiert.

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Ishtar
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 15:43

Füchsin hat geschrieben:Übrigens waren zu dem Zeitpunkt, als Gäfgen die Schmerzen angedroht wurden, längst nicht alle anderen Mittel ausgeschöpft.
Woher willst du das wissen, dass nicht alle Mittel ausgeschöpft waren?

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stern
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 15:59

Füchsin hat geschrieben:Ein Polizeibeamter, der unter Zeitdruck steht und daher nach der schnellsten Lösung sucht, ist nicht dasselbe wie einer, der alle Mittel ausgeschöpft hat.
Der Druck war schon enorm (wurde ihm ja auch strafmildernd berücksichtigt)... und mglw. hätte es weitere Mittel gegeben, die aber zu viel Zeit kosten hätten können. Insofern bestanden vermutlich aus seiner Sicht FAKTISCH kaum andere Möglichkeiten. Dafür spricht IMO auch, weil er gar nicht hätte nicht wissen können, dass er zu unrechtmäßigen Mitteln griff (für was er ja dann auch verurteilt wurde). Er hatte ja sogar noch eine Aktennotiz verfasst. Und obwohl er dafür seine eigene Karriere aufs Spiel setzte, hat er so entschieden, WEIL er das Leben eines Kindes retten wollte (was sich auch massiv strafmildernd auswirkte). Wäre das Leben des Kindes noch zu retten gewesen, wäre mal wieder ganz laut geschrieben worden, die Polizei hat wieder nicht alles versucht... nun ja. Er hat's... teils halt auch auf nicht vorgesehenem Weg. Und nicht vergessen darf man, er wurde dafür auch sanktioniert (allerdings nur mit dem Mimimum an Strafe... und das erachte ich unter diesen Umständen auch für o.k. Strafe aber, weil die Verletzung der Menschenwürde durch nichts zu rechtfertigen ist... aber hier so mild wie möglich, platt gesagt).
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Tristezza
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 16:51

Ehrlich gesagt kapiere ich immer noch nicht, warum es eine Verletzung der Menschenwürde ist, wenn jemandem, der ein mutmaßlicher Verbrecher ist, mit Schmerzen gedroht wird, damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet. Und selbst, wenn jemandem, der selbst nichts verbrochen hat (z.B. einem Vertrauten des Täters), damit gedroht wird, damit er evtl. Hilfe leisten kann. Ich glaube ziemlich viel Gerechtigkeitssinn zu besitzen (daher auch mein Interesse für das Thema), aber in dieser Hinsicht stehe ich auf dem Schlauch...

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Ishtar
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 17:02

Tristezza hat geschrieben:Ehrlich gesagt kapiere ich immer noch nicht, warum es eine Verletzung der Menschenwürde ist, wenn jemandem, der ein mutmaßlicher Verbrecher ist, mit Schmerzen gedroht wird, damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet.
Dass die Vernichtung eines Lebens die allergröbste Verletzung von Würde ist, scheint bei Prinzipienreitern und Paragraphfanatikern durchs eine Ohr hinein und durch das andere Ohr wieder hinaus zu düsen. Hauptsache man tritt dem Täter nicht zu nahe und wahrt seine Würde. Um jeden erdenklichen Preis!

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geronimos secret
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Beitrag Fr., 05.08.2011, 17:45

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Beitrag Fr., 05.08.2011, 18:01

Tristezza hat geschrieben:Ich glaube ziemlich viel Gerechtigkeitssinn zu besitzen (daher auch mein Interesse für das Thema), aber in dieser Hinsicht stehe ich auf dem Schlauch...
Ich glaube, man kann es auch kaum anders verstehen, als die Richter keine andere Möglichkeit hatten als so zu entscheiden... weil es eben gem. Europäischer Menschenrechtskonvention, GG, etc. Folter (wohl auch deren Androhung) die Menschenwürde verletzt. Und zwar so, dass dies auch durch nichts zu rechtfertigen ist, egal wie "edel" die Motive sind. Und an dieses Recht und Gesetz sind Richter nunmal gebunden, ob sie wollen oder nicht. Im Fall Daschner sieht man allerdings auch, dass das so milde wie möglich ausgelegt wurde, nur um die Bestrafung mit dem Mindestmaß kam man nicht drum herum (da eben keine Rechtfertigungsgründe anerkannt sind). (Für dich) unzufriedenstellende Antwort: Iss so, weil's gesetzlich so vorgesehen ist.

Ob's so bleibt, und vielleicht doch irgendwann Einschränkungen gemacht werden (Stichwort auch: Verhältnismäßigkeit)... hm, das weiß niemand. Unter dem Begriff "Rettungsfolter" (was auch Kanditat für eine Unwort war) wurde das ja auch schon mal diskutiert: Wen's näher interessiert (habe gerade keine Zeit mehr), hier ein Link (mehrere Seiten):
http://www.bpb.de/publikationen/MLOOVS, ... .html#art0
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Beitrag Mo., 22.08.2011, 20:31

Eine positive Entwicklung im Fall Gäfgen! Das Land Hessen will die groteske Entscheidung des Frankfurter Landgerichts nicht einfach hinnehmen und geht in die Berufung.
Der Focus berichtet:
"Im Fall der Entschädigungszahlung für den Kindsmörder Magnus Gäfgen legt das Land Hessen Berufung gegen die Gerichtsentscheidung ein. Das Urteil sei falsch, weil der Kläger nie einen Anspruch auf Geldentschädigung erhoben, sondern immer nur Schmerzensgeld gefordert habe ...
Rhein betonte, entscheidender sei jedoch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Das hatte im Fall Gäfgen entschieden, dass die Folterandrohung zwar ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention war. Gäfgen habe jedoch Genugtuung erhalten. Denn die deutschen Gerichte hätten den Verstoß „ausdrücklich und unzweideutig anerkannt“. Außerdem seien die beiden Polizeibeamten strafrechtlich verfolgt und verurteilt worden. Damit seien Mittel ergriffen worden, um die Nachteile Gäfgens auszugleichen."

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Beitrag Mo., 22.08.2011, 21:30

irgenwie hört sich die Begründung der Berufung auch noch mal grotesk an, aber es ist der Schritt in die richtige Richtung. Es besteht Hoffnung für das "Rechts"system. Danke fürs Update, ich habs noch gar nicht mitbekommen.

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Tristezza
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Beitrag Di., 23.08.2011, 07:09

sofa-held hat geschrieben:irgenwie hört sich die Begründung der Berufung auch noch mal grotesk an
Da hast du recht - die Begründung, dass "Gäfgen Genugtuung erhalten hat" klingt in Anbetracht der Umstände etwas unangebracht...
sofa-held hat geschrieben:aber es ist der Schritt in die richtige Richtung. Es besteht Hoffnung für das "Rechts"system
Jo! Zumal ziemlich klar ist, dass es dem Land Hessen im Grunde nicht um 3000 Euro mehr oder weniger gehen dürfte, sondern ums Prinzip.

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Tristezza
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Beitrag Mo., 24.09.2012, 17:12

Vielleicht interessiert es jemanden: Heute um 20 Uhr läuft im ZDF ein Fernsehfilm über den Mord und den Strafprozess ("Der Fall Jakob von Metzler").

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