Missbrauch verdrängen und niemals daran erinnern?

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Pigeon
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Missbrauch verdrängen und niemals daran erinnern?

Beitrag Fr., 06.02.2015, 21:51

Hallo.

Ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken darüber, ob es möglich ist den Missbrauch so zu verdrängen, dass man sich auf keinen Fall daran erinnert. (Wenn mir sowas passiert sein sollte, muss das in früher Kindheit gewesen sein, denke ich). Auf den Gedanken komme ich überhaupt erst, weil mein Therapeut das öfter subtil angedeutet hat in unseren Gesprächen. Ich habe mir ernsthaft Gedanken darum gemacht, aber egal was er sagt und woran ich denke oder worüber ich etwas zum Thema lese, 'triggern' tut mich rein gar nichts. Dabei dachte ich immer, dass so etwas doch irgendwann mal durchbricht durch eine kleine 'Erinnerung' sozusagen. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht richtig vorstellen, dass irgendetwas vorgefallen ist, weil ich mich an absolut nichts traumatisches erinnere. Allerdings habe ich sowieso nicht sehr viele Erinnerungen aus früher Kindheit, was wahrscheinlich auch normal ist. Jedenfalls muss ich aktuell wieder vermehrt darüber Nachdenken.

Warum mein Therapeut das denkt ist z.B, weil ich nicht richtig über das Thema Sex sprechen kann. Ich kann gut Sachen andeuten und 'umschreiben'. Aber ich spreche es nie konkret aus. Schriftlich geht das wunderbar und detailliert, verbal sage ich allerhöchstens so etwas wie 'Dinge/Sachen machen'. Ein wenig kindlich eben. Außerdem bezeichne ich Sex meistens als 'böse Dinge tun', wobei ich das nichtmal als 'böse' ansehe. Ich denke das sind so unbewusste Kleinigkeiten. Beim Sex selbst ist es so, dass ich oft sehr verkrampft bin, was mich und meinen eigenen Körper angeht, aber das genaue Gegenteil, wenn es um den Partner geht. Da fehlt diese Verkrampftheit völlig und mir macht es Spaß mich um den anderen zu kümmern. Ich selbst fühle mich meist nicht so gut, wenn jemand mir was 'gutes' tun will. Ich schäme mich meistens. Das vergeht zwar nach einiger Zeit, aber anfangs ist das schon sehr ausgeprägt. Gleichzeitig will ich es aber trotzdem, ich würde sagen das Thema spielt eine sehr große Rolle für mich.

Ziemlich sicher ist aber z.B, dass ich bis ich 18 war keinen 'richtigen' Verkehr gehabt haben kann, da bis dahin noch das Häutchen intakt war. Somit ist zumindest das ausgeschlossen, aber es gibt ja noch genug andere Möglichkeiten.

Dazu kommt eine spezielle...Sagen wir Vorliebe von mir, ich glaube ich bin hier schon ein paar Mal darauf eingegangen. Die spielt zur Zeit allerdings keine Rolle für mich. Nur ich denke, auch die ist ein Grund warum mein Therapeut denkt, dass da etwas gewesen sein könnte.

Ich frage mich nun ob ich das je rausfinden kann, oder ob diese Ungewissheit einfach für immer bleiben wird? Manche scheinen das ja auch noch bis ins hohe Alter zu verdrängen und kommen dann mit 40+ erst wieder darauf..

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offtheground
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Beitrag Fr., 06.02.2015, 22:17

Hi

Ja, ist möglich, dass du dich nicht daran erinnerst, aber dafür hast du dann normal andere Auffälligkeiten.

Ich persönlich find es grundsätzlich schwierig, wenn ein Therapeut auf so ein Thema lenkt und das so gar nicht vom Patienten ausgeht. Du beschreibst ja selbst, wie du überlegst und überlegst, dir unsicher wirst, aber da eigentlich überhaupt keine Erinnerung ist. Das kann am Ende - und anscheinend gar nicht mal sooooo selten - zu einer induzierten Erinnerung führen.
Gut ist ja schon mal, wenn du vll medizinisch das ein oder andere ausschließen kannst.
Und vll hilft auch der Gedanke, dass alle Menschen, die sich nicht an einen MIssbrauch erinnern, letztendlich mit der Ungewissheit leben müssten, vll missbraucht worden zu sein ohne sich daran zu erinnern?!

Mit anderen Worten: Lass dir nichts von deinem Therapeuten einreden, das ist unseriös.
Wenn in dir irgendwas ist, was raus möchte, dann bahnt sich das schon seinen Weg nach draußen. Ohne, dass du dich zwanghaft an irgendwas erinnern zu versuchen musst, an das du dich scheinbar nicht erinnerst.

Auf der anderen Seite kannst du deinen Therapeuten natürlich auch mal gezielt darauf ansprechen, was er mit seinen Verunsicherungen bezweckt. Dein Umgang mit dem Thema Sex ist in meinen Augen jetzt nicht ungewöhnlich. Aber vll hast du ja bestimmte Verhaltensweisen oder ähnliches.


Vielleicht hilft dir das ja ein Stückle weiter.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Pigeon
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Beitrag Fr., 06.02.2015, 22:27

offtheground

Danke dir. Ja, ich denke da könntest du Recht haben. Ich werde es demnächst einfach mal ansprechen.

Ich denke mir nur immer, dass das einiges erklären würde. Ich bin hauptsächlich in Therapie wegen einer Sozialphobie und Panikstörung. Außerdem eine abhängige Persönlichkeitsstörung...Ich weiß nicht recht, woher genau sowas kommt, weil wenn man darüber Sachen liest, auch oft erwähnt wird, dass das mit etwas traumatischem aus der Kindheit zu tun hat.

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Alienia
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Beitrag Fr., 06.02.2015, 22:43

Pigeon hat geschrieben:Ich weiß nicht recht, woher genau sowas kommt, weil wenn man darüber Sachen liest, auch oft erwähnt wird, dass das mit etwas traumatischem aus der Kindheit zu tun hat.
Also ich habe schon sehr viele Therapeuten kennen gelernt und für viele ist, vieles gleich: "Bämms!" => TRAUMA. Taddaaah!

Und gleich ein einzige Erlebnis, was man klar abgrenzen kann. Natürlich.
Pigeon hat geschrieben:Ich denke mir nur immer, dass das einiges erklären würde.
Meine Theorie: Das ist das einfachste. Viel komplizierter und schwieriger wird es ja, wenn es vielleicht ganz viele Dinge sind, die sehr komplex zusammen wirken. Das sind vielleicht viele Therapeuten auch sehr einfach gestrickt.

Außerdem wird es in jedem Lehrbuch erwähnt. Es gäbe aber auch 768 andere Erklärungen für deine Probleme.
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Lotosritter
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Beitrag Sa., 07.02.2015, 20:56

Hallo Pigeon, wenn Du Dich nicht an etwas erinnern kannst, kannst Du davon ausgehen, dass auch nichts geschehen ist, denn so etwas vergisst man nicht. Ich halte Therapeuten, die allein auf die wenigen Merkmale, die Du hinsichtlich Sex äußerst, eine solche Vermutung in den Raum stellen für unseriös. Für mich sind das Opfermacher.
Im übrigen kann ein eingeredeter Missbrauch in seiner Folge ebenso schlimm sein wie ein tatsächlich geschehener sein. Schon allein deswegen würde ich strikt denken: Wo keine Erinnerung, da auch keine Tat.
Ich bin hier, weil es letztlich kein Entkommen vor mir selbst gibt ...
Mein Blog: http://lotoskraft.wordpress.com

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Marzipanschnute
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Beitrag Sa., 07.02.2015, 21:09

Lotosritter hat geschrieben:Hallo Pigeon, wenn Du Dich nicht an etwas erinnern kannst, kannst Du davon ausgehen, dass auch nichts geschehen ist, denn so etwas vergisst man nicht.
Diese Behauptung ist schlicht und ergreifend falsch. Es gibt viele Leute die sich lange nicht an einen Missbrauch erinnern und das vielleicht doch ein anderes Erlebnis erst wieder hoch kommt oder so. Gerade wenn so etwas passiert wenn das Kind noch sehr klein ist, kann man sich nicht daran erinnern. Das macht es dann nicht weniger schlimm.

Ich teile jedoch deine Meinung über den eingeredeten Missbrauch und deswegen finde ich das vorgehen dabei auch sehr schwierig.
Am wichtigsten ist, denke ich, dass die Belastungen im Alltag minimiert werden.
“Das Schöne an der Zeit ist, das sie ohne Hilfestellung vergeht und sich nicht an dem stört, was in ihr geschieht.” Juli Zeh

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Alienia
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Beitrag Sa., 07.02.2015, 21:45

Marzipanschnute hat geschrieben: über den eingeredeten Missbrauch
Es gab auch mal einen Therapeuten aus den USA, in den 60ern oder so, der die Menschen so "therapiert" hat, dass sie danach glaubten, sie seien mal von Außerirdischen entführt worden. Also die haben das wirklich geglaubt, obwohl es ihnen natürlich niemals passiert ist.

Also man kann auf jeden Erinnerungen bei Menschen erzeugen, die nichts mit der Realität zu tun haben.

Deshalb sollte da jeder Therapeut echt sehr, sehr vorsichtig sein.
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Jenny Doe
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Beitrag So., 08.02.2015, 09:38

@ Lotosritter
wenn Du Dich nicht an etwas erinnern kannst, kannst Du davon ausgehen, dass auch nichts geschehen ist, denn so etwas vergisst man nicht.
Ich denke, man muss in diesem Thread (und generell) mal was voneinander trennen.

Kann man einen Missbrauch vergessen? Ja, kann man. Es gibt Studien, wie z.B. von Williams, die zeigen, dass man das kann. Befragt wurden Menschen, die in ihrer Kindheit aufgrund von Missbrauch ins Krankenhaus eingewiesen wurden. Der Vorteil an solchen Studien ist, dass hier objektive Daten über einen tatsächlich stattgefundenen Missbrauch vorliegen (Krankenhausunterlagen). So kann man überprüfen, ob ein objektiv nachweisbares Ereignis vergessen werden kann oder nicht. Die Befragung ergab, dass man einen Missbrauch durchaus vergessen kann. Fürs Vergessen gibt es viele mögliche Gründe, nicht nur Dissoziation.
Besorg dir mal das Buch "Wir sind Erinnerung" von Daniel Schacter. Er thematisiert beides: Falsche Erinnerungen und objektiv nachweisbar vergessene Erinnerungen. Beides ist möglich.

Das andere ist, und zwar unabhängig von der allgemeinen Fragen, ob man sowas vergessen kann oder nicht, das Verhalten des Psychotherapeuten. Er kann nicht wissen, ob sein Klient missbraucht wurde oder nicht. Sofern ihm keine objektiven Daten vorliegen, wie Polizeibericht oder Krankenhausunterlagen, ist es grob fahrlässig von ihm einfach zu behaupten, dass der Klient sexuell missbraucht wurde und den Klienten (subtil) in die Missbrauchsrichtung zu lenken.

Ich kann nur immer wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn ich lese (und selbst erlebt habe), wie Therapeuten die Tatsache, dass man einen Missbrauch vergessen kann, missbrauchen um Klienten die eigenen (Fehl-)interpretationen und Ideologien aufzudrängen. Bevor ein Therapeut behauptet, der Klient hätte etwas vergessen, sollte er sich erst mal die Mühe machen und überprüfen, ob seine Interpretationen stimmen.
Solchen Therapeuten, die einfach etwas behaupten, was sie gar nicht wissen können, ist es zu "verdanken", dass man heute keinem mehr glaubt, der sagt, er hätte den Missbrauch vergessen.

Das Entscheidene ist, wie eine Erinnerung (bzw. falsche Erinnerung) (wieder)gewonnen wird. Wenn Einflüsse von Außen gegeben sind, wie Manipulationen durch einen Therapeuten, Internetforen, Literatur usw. usw., der etwas behauptet, was er nicht wissen kann, dann ist die "Erinnerung" mit Vorsicht zu betrachten.

@ Pigeon,

pass auf Dich auf und lass Dir nicht von deinem Therapeuten manipulieren. Auch wenn es durchaus möglich ist, dass man einen Missbrauch vergessen kann, dein Therapeut kann nicht wissen, ob und was Du vergessen hast (oder nicht). Es sind seine eigenen subjektiven Spekulationen und Interpretationen und es ist fahrlässig von ihm, Dich auf eine (subtile) Art auf die Missbrauchsidee zu bringen. Ein solches Verhalten ist ein Behandlungsfehler. Frag dich, welche alternativen Erklärungen es für Deine Symptome gibt und, bevor Du etwas glaubst, überprüf das, was Dein Therapeut Dir erzählt. Hol Dir ggf. Hilfe von anderen, wie z.B. anderen Therapeuten.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).


leberblümchen
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Beitrag So., 08.02.2015, 10:04

Pigeon, in meiner ersten Therapie kamen wir auch mal an diesen Punkt, so ein Szenario zu phantasieren. Das hatte aber letztlich ganz andere Gründe; es war wie so eine Art 'Haltepunkt', an dem wir dann so ziemlich alles aufhängen konnten, was wir nicht verstanden haben.

Mir hat mal ein anderer Analytiker gesagt, wie er es sieht (und ich kann das viel besser nachvollziehen): Es kommt nicht primär darauf an, was konkret vorgefallen ist, sondern viel eher darauf, wie die Atmosphäre in der Familie war. Dieser Analytiker sprach bewusst vom 'sexuellen Missbrauch', obwohl wir uns einig waren, dass es nicht um die Frage ging, wer wie doll angefasst hat, sondern darum, dass die Stimmung sexualisiert war. Und das eben nicht nur für einen Moment, sondern die ganze Kindheit hindurch. Also, dass die Eltern mit ihrer eigenen Sexualität nicht klargekommen sind und ihre eigene Verklemmtheit, ihre eigene Angst, ihr eigenes Schuld- und Schmutzgefühl, ihre eigene gefühlte Minderwertigkeit in die Kinder hineinlegen und ihnen somit demonstrieren können: "DU bist eklig, wenn du sexuelle / körperliche Bedürfnisse hast" (dann sind sie die eigenen schlechten Gefühle nämlich los). Auf diese Weise kann man das Kind so weit schädigen, dass das Ergebnis vernichtend ist und keine befriedigende Sexualität gelebt werden kann.

Es kann also sein, dass 'nichts' vorgefallen ist und du trotzdem missbraucht wurdest: missbraucht im Sinne von: Du wurdest benutzt, weil du für deine Eltern eine bestimmte Funktion erfüllen musstest. Damit konntest du nicht mehr du selbst sein.

Ob das bei dir so war, weiß ich nicht. War jetzt nur ein Beispiel dafür, dass die Frage nach der körperlichen Berührung nicht das entscheidende Kriterium in der Therapie sein muss.

Musst aufpassen, dass du nicht auch noch vom Therapeuten instrumentalisiert wirst, der froh ist, wenn er ein Thema hat, an dem er sich festbeißen kann. Manchmal sind die Dinge komplizierter und lassen sich nicht in Schlagworte verpacken.

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hawi
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Beiträge: 2678

Beitrag So., 08.02.2015, 10:55

Pigeon,
vieles wurde hier – wie finde – ja bereits richtig geschrieben.
Ob nun Missbrauch oder anderes Schlimmes, dass Erinnerung daran fehlt, oder falsch ist, etc., sogar ziemlich üblich.

Nur gibt es halt (dummerweise?) keine Automatik, in keine für mich denkbare Richtung.

Möglichkeit eins: Die Erinnerung fehlt, weil es nicht zu erinnern gibt, keinen entsprechenden Sachverhalt. Aktuelle Probleme haben also schlicht gar nicht diesen gedachten Hintergrund.

Möglichkeit zwei: Es gab Missbrauch (Varianten zwischen eins und zwei lass ich mal weg)
Fehlende Erinnerung?
Wer Übles verdauen muss, für den sind Schweigen, Verdrängen und unter den Teppich kehren gesund und absolut erlaubt.
http://www.zeit.de/2012/44/Trauma-Thera ... te/seite-3
Ich denke, ein ziemlich weites Feld, noch dazu eins, in dem ich mich nicht auskenne.
Fest steht, so scheint es, vielen geht es durchaus gut damit, sich nicht erinnern zu müssen.
Ob dir also nun Erinnerung helfen könnte, so es sie denn gibt?

Im oben zitierten Artikel steht auch, es ginge darum, beim Erinnern, »dem überschießenden Angstsystem zu versichern, dass in der Gegenwart alles in Ordnung ist«

Viel Wissen habe ich selber in dem Bereich nicht, denke aber es ist ein sehr sensibles Thema. Keine Ahnung, was da heute in Sachen Therapie richtig oder falsch ist, grad beim „Wühlen“ in der Vergangenheit aber bestimmt wichtig, die Gegenwart, den Grund für das Nachforschen immer zu beachten. Heute ist alles in Ordnung! Zu dieser Einstellung zu finden, darum geht es.
Ob erinnern dazu immer nötig ist, weiß ich schlicht nicht.

Für mich auf jeden Fall fragwürdig, dass du erst durch deinen Therapeuten heute eine neue Ungewissheit hast.
Mag als Zwischenschritt ja notwendig sein, aber aber nur dann, wenn es ihm gelingt, diese Ungewissheit auch wieder aufzulösen.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


depression30
neu an Bo(a)rd!
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Beitrag Mi., 22.04.2015, 14:43

Bin zwar neu hier im Forum aber möchte zu dem Thema auch was sagen, ich hatte zwanzig Jahre eine Misshandlung verdrängt und es kam erst hoch, nachdem ich mich intensiv mit mir selbst beschäftigt habe, weil ich gemobbt worden bin.
Mein Chef meinte damals ich könnte ja was aussenden, was zu mir zurück kommt, in dem Sinne, das meine Kollegen mich evtl. deshalb nicht mögen. Hätte ich doch nur nicht zugehört. Ich hatte schon lange dieses Gefühl mit mir stimmt was nicht und immer wieder Bilder im Kopf die eine Episode aus meinem Leben betrafen, mit der ich wirklich nie fertig wurde.
War als 9 jähriges Kind in einer Kur und bin dort, zusammen mit etwa 80 weiteren Kindern völlig ungerecht behandelt worden. Das ging los, das wir Klos sauber machen mussten, als Strafe und mit rabiaten Mitteln zu allen möglichen Sachen gezwungen wurden. Das schlimmste an dem Erlebnis war eine sadistische Nachtschwester, die für Ruhe sorgte, indem sie mit einem Kugelschreiber "fieber gemessen" hat, bei Leuten die Nachts auffällig, bzw. nicht ruhig waren.
Mir ist das so nie wieder in den Kopf gekommen, bis ich eben vor einem Jahr die Situation erlebte, mich mit mir auseinander setzte (Yoga, Meditation, etc.) und plötzlich meine Restbilder und Erinnerungen wieder zu Leben begannen, also wieder ein Zugriff möglich wurde.

Was die Situation hier betrifft, würde ich auch behaupten, wenn es keine wirklichen Restbilder, oder Anzeichen gibt, die für einen Missbrauch sprechen, ist es unwahrscheinlich. Ich hab z.B. immer gewusst, das ich mich damals unwohl gefühlt habe. Aber nicht mehr volle Erinnerung an alle Details gehabt. Das ist auch irgendwie nachvollziehbar, die Situation war vor Ort damals dermaßen schrecklich und so ungerecht für Kinder, wie es nur sein kann.

Ich wurde auch gezwungen Sport zu machen, um abzunehmen, davon hatte mir vorher auch nie jemand etwas gesagt und damit wurde ich dann gleich an Tag eins konfrontiert, musste Nackt vor den Ärzten auflaufen und wurde beurteilt, so richtig Herabwürdigend wurde mir gesagt: "Übergewicht, O-Beine, Abnehmgruppe und Sport". Ich wusste vorher als Kind nicht was auf mich zukam, wie gesagt das war schon am ersten Tag, ein herber Schlag ins Gesicht. Wobei wir schon auf der Hinfahrt angebrüllt wurden als wir am Ort eintrafen, und auf die Erzieher gestoßen sind. 6 Wochen lang ging das ganze und wir wurden die ersten 3 Wochen so massiv unter Druck gesetzt von allen Seiten, wie das heute nur beim Militär vorstellbar wäre.

Ich habe in dieser Zeit wohl meine Kindlichkeit verloren und war danach gezeichnet für mein Leben.
Bekam immer wieder Probleme mit Autorität und bin gerade auch an einem Tiefpunkt angekommen, wo ich nicht weiß wie es noch weiter gehen kann. Es ist also auch nicht immer ratsam in der Vergangenheit zu wühlen und alte Wunden aufzureißen. Zumindest kann ich das nicht bestätigen.

Seit ich mich entschieden habe in Therapie zu gehen haben sich einige meiner vorher besten Freunde von mir abgewandt und ich musste zusätzlich feststellen das ich dermaßen Gutmütig war, das es mich heute zerbricht, wie viel Liebe und Zuneigung ich Anderen Menschen geben konnte und wie wenig ich davon jemals zurück bekam.

Ich denke mir teilweise wie komisch die Welt ist und komme mit dieser heutigen Doppelmoral, sei es in der Politik, Arbeit oder auch Familie einfach nicht mehr zurecht.

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Stephanie
Helferlein
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weiblich/female, 26
Beiträge: 46

Beitrag Mo., 25.05.2015, 08:26

Hallo Pigeon,
denk mal in eine andere Richtung.

Als ich vier war, hat meine Mutter mit mir und meinem Bruder meinen Vater verlassen und ist mit einem anderen Mann zusammengezogen. Mein Vater war auch später immer für uns Kinder da und ist eher der liebe Typ, der auch Erwachsenen gegenüber vieles "dem lieben Frieden willen" macht.
Mein "Stiefvater" hatte viele Probleme und hat jedenfalls uns Kinder dann auch geschlagen - auf den Tisch gelegt und den Hintern kurz gesohlt, wobei es weniger um die Schmerzen als mehr um die Demütigung ging. Meine Mutter hat das, trotz 2-Zimmer-Wohnung, angeblich nie mitbekommen.
Jahre später habe ich mal mit ihr darüber gesprochen, dass ich als Teenie sehr verwirrt war, weil ich nicht wirklich aufgeklärt war.
Sie erzählte dann schockiert, dass sie uns voll an der Schwangerschaft teilhaben ließ (der Grund des Umzugs war halt die Schwangerschaft mit meinem "Halb-"Bruder) und auch Aufklärungsbücher vorlas etc., von dene ich mich nur noch an eines erinnern kann, in dem es um die Schwangerschaft eines Pferdes ging, und das definitv 5 Jahre später mal vorgelesen wurde.

Ich selbst habe ein recht gutes Gedächtnis und kann mich auch an Szenen vor dem Umzug, also vor dem 4. Lebensjahr erinnern.

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum diese Infos bzw. Erinnerungen alle weg sein sollten und ob da noch mehr passiert ist, kam aber zu dem Schluss, dass einfach der Schock darüber, dass ein fremder Mann plötzlich so viel Macht bzw. Gewalt über das eigene Leben ausübte, etwas, das man vorher gar nicht in der Familie gekannt hatte, vielleicht traumatisch für mich war.
Mein Stiefvater hat dies später immer weiter ausgebaut, vor allem mit "Terror", es ging nicht um Erziehung und weniger um körperliche Strafe, mehr ums Anschreien, Drohen - er kam in mein Zimmer und stieß mich herum (120 kg vs. 30 bis 50 kg, je nach Alter), schrie mich an, drohte - immer so lange, bis er eine entsprechende Angstreaktion von mir sah.
Meine Mutter behauptete später, davon in all den folgenden Jahren - bis zu meinem 16. Lebensjahr - nie wirklich etwas mitbekommen zu haben.

Jedenfalls denke ich heute, dass dieser Bruch zum Verlust bestimmter Erinnerungen führte.

Ich würde mal versuchen, auch in eine andere Richtung zu denken - welche Einschnitte gab es in Deiner Kindheit, woran erinnerst Du Dich noch, könnte das ganze nur marginal mit Sex zu tun gehabt haben, sondern vielleicht mit anderen Arten von Berührungen oder Interaktionen?

LG von
Steph

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