Approbation und Borderline

Hier können Sie Ihre Fragen rund um die Rahmenbedingungen von Psychotherapie (Methoden, Ablauf usw.) anbringen.
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stern
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Beitrag Fr., 17.03.2017, 10:12

Zumal auch Psychoanalytiker teilweise Medikamente empfehlen. Ist halt auch eine Frage der Symptome. Bei ausreichend Symptomen stellt sich die Frage nach Medikament ja oder nein auch nicht wirklich... oder wird zumindest extrem erleichtert. Nur weiß man dann i.d.R. auch: Wenn man diese Medikamente braucht, ist es mit der Stabilität nicht so weit her. Und dann kann auch das Medikament eine Krücke sein, um überhaupt tiefgreifender zu arbeiten. Bereits bei einer Depression unter Medikamenteneinfluss ist ein Therapeut evtl. nicht mehr so schwingungsfähig wie ein normal-fröhlicher und normal-lebhafter Therapeut. Es liegt wirklich außerhalb meines Vorstellungsvermögen, wie ein Therapeut, der auch auf sehr depressive Patienten treffen kann, das auch noch aufnehmen kann - und zwar so dass es für den Patienten keinen Unterschied zu einem "gesunden" Therapeuten macht. Oder ob dann gesagt wird: Ich habe meine Depression im Griff - wobei SEINE Depression für den Patienten eh keine Rolle in der Behandlung zu spielen hat. Sondern er hat sich um die des Patienten zu kümmern. Und wird dann versucht etwas zu vermitteln, woran man selbst scheitert: Eine Depression in den Griff zu kriegen. Weiß nicht.
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Möbius
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Beitrag Fr., 17.03.2017, 10:28

@ Stern

Hinsichtlich der Psychopharmaka in der Therapie stimme ich Dir zu: manchmal sind sie eine große Hilfe, manchmal unentbehrlich. In meiner allerersten Psychotherapie um 1990 herum (der Mißbrauch war damals noch gut verdrängt) sagte der Psychiater, an den ich mich zuerst wegen sehr schwerer Depressionen gewandt hatte sinngemäß: "Sie müssen erst mal raus aus Ihrer Depression, damit wir Sie überhaupt psychotherapeutisch erreichen können!" Das trifft natürlich nicht für jeden Grad von Depressionen zu; in meinem damaligen Fall war das aber 100% richtig.

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Möbius
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Beitrag Fr., 17.03.2017, 11:08

@ Lockenkopf

Auch ich stimme Fellners Einwand zu: Psychotherapie ist ein Beruf, der sehr hohe Belastbarkeit erfordert. Ich meine, daß man eher von psychischer Elastizität, als von Stabilität sprechen könnte, die dafür erforderlich ist. Der Therapeut kann ja etwa eine Aggression des Patienten nicht einfach abwehren und an sich abprallen lassen, er muß sie "auffangen", "verarbeiten" und "daran arbeiten". Diese Belastungen und die sich ergebenden Defizite beim Therapeuten muß er kompensieren können, sich dauerhaft selbst "psychisch managen". Es ist wohl auch ein Beruf, der zu einer erheblichen "déformation professionelle" führt, die man ebenfalls "managen" muß.

Ich kann aber nicht beurteilen, ob und in wiefern die "Diagnose" der Threadstarterin diesem Erfordernis widerspricht. Insbesondere die Psychopharmaka, die sie derzeit nimmt und die "Borderline"-Diagnose sind mir völlig unbekannt. Von letzterer, die mir nach dem Wikipedia-Artikel als eine Art von "diagnostischem Mülleimer" vorkommt, in den mal alles hineinschmeisst, was sonst nirgendwo reinpasst, und von Ferne an die altväterliche "Hysterie" erinnnert, kenne ich eigentlich nur die linden Horrorstories über ihr belastendes Beziehungsverhalten - und wenn ich keine Ahnung habe, halte ich lieber den Mund.

Da ich aber annehme, daß Herr Fellner etwas mehr darüber weiß, glaube ich, daß seine Einwände durch die threadstarterin erwogen werden sollten und auch wohl werden.

@ all

Ich sehe aus meiner Patientensicht nicht das Gegensatzpaar - "gesunder" und "gestörter" Therapeut, sondern das Gegensatzpaar "fähiger" und "unfähiger" Therapeut als maßgeblich an. "Gesund": das heißt hier nur: unauffällig. Zynisch kann man sagen: psychisch "gesund" ist einer, dessen Störung gut kompensiert ist. Eben weil ich selbst (allerdings nur meiner eigenen Laiendiagnose nach) eine "folie à deux" mit einer Ärztin erlebt habe, sehe ich beim "gesunden" Therapeuten eben genau dieses Risiko, daß der "gesunde" Therapeut seine "Sollbruchstellen" nicht kennt.

Ich meine auch nicht, daß die Fehlverläufe in der Psychotherapie, von denen ja auch hier immer wieder berichtet wird, regelmässig maßgeblich von psychischen Problemen der Therapeuten verursacht worden sind - sondern zumeist wohl schlicht von Unfähigkeit: von therapeutischen "Dünnbrettbohrern", minderqualifizierten, die sich irgendwie mit List und Tücke, vielleicht auch nur mit Glück durch Studium und Ausbildung geschlichen haben und denen man alsdann die Approbation schlicht nicht mehr verweigern kann.

Es gibt auch in jedem dieser höheren Berufe theoretisch Hochbegabte und Beschlagene, an der Uni die Stars in jedem Seminar, oftmals auch Assistent gewesen, "Einser"-Abschlüsse, wohin das Auge nur reicht, oftmals auch summa cum laude promoviert - aber in der Praxis einfach zu nichts zu gebrauchen.

In meinem angestammten Juristenberuf werden solche Leute aufgrund ihrer Noten regelmässig Richter auf Lebenszeit und die Justizverwaltung hat dann das Problem, was sie mit diesen Leuten, wenn ihre Unfähigkeit schnell zutage getreten ist, anfängt. Denn sie sind ja "auf Lebenszeit" ernannt und haben Anrecht auf "statusadäquate" Beschäftigung ! Zu diesem Zweck hat man die Justizministerien gegründet, in denen diese hochqualifizierten Dünnbrettbohrer an Verordnungen, Ausführungsbestimmungen, Satzungen und was weiß ich was feilen bis zum Umfallen - die Verworrenheit und Praxisferne vieler Regelungen hat schon ihren Grund.

In der Psychotherapie jedoch gibt es leider kein solches Ministerium, da die Therapeuten ja auch zumeist freiberuflich tätig sind.

Psychotherapie wird sehr viel nachgefragt, Wartezeiten von 6-12 Monaten sind durchaus normal. Es ist evident, daß bei hohem Bedarf an Therapeuten die Zugangsvoraussetzungen für diesen Beruf sukzessive herabgesetzt werden nach dem Motto: "Besser ein schlechter Therapeut, als gar keiner !" Dieses Herabsetzen der Zugangsvoraussetzungen erfolgt teilweise offenkundig durch Verkürzung von Ausbildunngszeiten, Abschaffung von Notenanforderungen usw, teils schleichend: man lässt dann eben Leute die Prüfungen bestehen, die man vor 10 Jahren noch hätte glatt durchfallen lassen.

Darin sehe ich jedenfalls ein weitaus größeres Problem, als "Diagnosen" im Vorleben von Berufsaspiranten.

Gruß
Möbius

PS: Auch mein Nicknamensgeber Paul Julius Möbius war, wie ich selbst, schizoid gestört - da bin ich mir mit seinem Biographen, den ich die Ehre hatte, kennenzulernen, sehr einig. Trotzdem hat er sich große Verdienste insbesondere um die Erkenntnis erworben, daß "Hysterie" kein Frauenleiden ist und man mit Folterinstrumenten wie der "Ovarienpresse" (mal googlen!) mehr Schaden als Nutzen stiftet.

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stern
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Beitrag Sa., 18.03.2017, 10:37

na ja, auch ein Alki als Chirurg kann grds. fähig sein... die Wahrscheinlichkeit für Behandlungsfehler steigt aber. Psychische Gesundheit bzw. die Psyche ist das Kernthema der Psychotherapie... wenn der Therapeut hier Macken hat, fehlen Kompetenzen... und zwar nicht nur irgendwelche: Sondern Kernkompetenzen, die zentral für eine Psychotherapie sind. Und das kritische ist wie gesagt: Über die fachliche Kompetenz kann man sich informieren als Patient... über die persönliche viel eingeschränkter (Eindruck zählt). Somit ist es Glückssache. Wenn man frei wählen könnte (ich nehme gerne einen gestörten Therapeut, weil ich gehört habe, es gibt ein paar fähige Theoretiker), wäre das etwas anderes. Ich bin, wie gesagt, in Probesitzungen durchaus auf Therapeuten gestoßen, die selbst von psychischen Krankheiten berichteten bzw. Traumatisierungen - ungefragt. Das hat dort nichts verloren. Hatte aber immerhin den Vorteil, dass man gleich weiß, woran man ist. :verziehmich:
Psychotherapie wird sehr viel nachgefragt, Wartezeiten von 6-12 Monaten sind durchaus normal. Es ist evident, daß bei hohem Bedarf an Therapeuten die Zugangsvoraussetzungen für diesen Beruf sukzessive herabgesetzt werden nach dem Motto: "Besser ein schlechter Therapeut, als gar keiner !" -- Quelle: viewtopic.php?f=21&t=38758&start=60
nee, das steckt nicht dahinter. Es gibt genug Therapeuten, die gerne einen Kassenplatz erhalten würden, aber keinen erhalten. Die Kk limitiert die Kassenversorgung. Ihrer Rechnung nach gibt es genügend Plätze, während Kritiker schönrechnen reklamieren und faktische Unterversorgung. Daher die Wartezeiten.
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isabe
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Beitrag Sa., 18.03.2017, 10:39

Ein Neurochirurg sollte besser auch nicht operieren, wenn er unkontrollierte Zuckungen hat, die ggf. mit einem Medikament erträglicher werden. Und dabei argumentiert man ja auch nicht: "Besser ein ruhiggestellter Chirurg als ein ungelernter Hilfsarbeiter".

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Möbius
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Beitrag Sa., 18.03.2017, 12:46

Es ist zwar nur ein Detail, aber trotzdem:
stern hat geschrieben: Sa., 18.03.2017, 10:37 (...) Ich bin, wie gesagt, in Probesitzungen durchaus auf Therapeuten gestoßen, die selbst von psychischen Krankheiten berichteten bzw. Traumatisierungen - ungefragt. Das hat dort nichts verloren. Hatte aber immerhin den Vorteil, dass man gleich weiß, woran man ist. (Edit: den "Verzieh-mich"-smily nachträglich entfernt - Möbius)
(...)
Ich und mein Überpsycho, wir sind da anderer Meinung: Du kannst es in Seikowski/Taube: "Einführung in die Psychodermatologie", 2015 in den Falldarstellungen S. 92 ff nachlesen, daß sehr schwierige, unzugängliche Patientinnen erst dann aufzutauen begannen, als er in dem einen Fall von seiner eigenen Hautkrankheit und dem anderen Fall von seinen eigenen Studienjahren in Leningrad erzählte. Auch diese Patientin hatte zeitweise in der SU gelebt gehabt.

Daß dieser Versuch, einen Zugang zum Patienten zu finden, bei Dir selbst auf verschlossene Türen gestoßen ist, muß nicht heißen, daß er nicht in anderen Fällen erfolgreich sein kann und daß ein Therapeut, der einen solchen Versuch unternimmt, unqualifiziert oder unprofessionell wäre. Man muß oftmals an mehrere Türen klopfen, bevor sich eine davon öffnet.

Manchmal glaube ich, jetzt nicht speziell auf Dich, Stern, bezogen, daß, wenn hier von "einem guten Therapeuten" gesprochen wird und den Ansprüchen, die man an ihn stellen will, in Wirklichkeit "ein perfekter Therapeut" gemeint ist, den es jedoch in Wirklichkeit nicht gibt.

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stern
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Beitrag Sa., 18.03.2017, 13:20

Ich traue mir zu, hier den Unterschied zwischen Distanzverlust und wohl reflektierter und sparsam eingesetzter Intervention erkennen zu können, insbes. wenn diese Therapeuten auch SEHR viel von ihrem Privatleben und anderen Patienten quasselten, was für mich nicht nur keine Relevanz hat, sondern höchstens meine kostbare Therapiezeit raubt. Vielleicht muss man das erst selbst erleben, um es zu glauben. Und du wirst mir verzeihen, dass ich einen Unterschied zwischen einer evtl. auch psychosomatisch mitbedingten Hauterkrankung und einer Borderlinediagnose einen Therapeuten sehe. ;) Es ist eben nicht nur ein Gerücht, dass dieser Beruf auch teilweise zwecks verlängerter Selbsttherapie ergriffen wird - von Leuten, die selbst Therapie nötig hätten (vgl. auch die Erfahrungen von Jenny). Und es wäre absurd zu leugnen, dass daraus auch Schäden für Patienten resultieren können - noch ganz abgesehen davon, ob das der eigenen Gesundheit wirklich zuträglich ist. Es ist für mich jedenfalls wirklich nicht nachvollziehbar, wie man Emotionen des Patienten so aufnehmen kann, dass es für den Patienten förderlich ist, wenn man das bei eigenen nicht kann... da kann man nur hoffen, dass man nie Patienten erhält, die projizieren. Depression dito: Wie gesagt: Bereits bei einer Depression unter Medikamenteneinfluss ist ein Therapeut evtl. nicht mehr so schwingungsfähig wie ein normal-fröhlicher und normal-lebhafter Therapeut. Wenn man als Patient die Möglichkeit hätte das (zuverlässig) in Erfahrung zu bringen, wie es um die eigenen Gesundheit bestellt ist und man die Wahl hätte, wäre es etwas anderes. Und es ist auch statistisch nachvollziehbar, dass sich bestimmte Verstösse wie z.B. Missbrauch überproportional häuft bei bei Therapeuten mit narzisstischer Struktur zutragen... oder im medizinischen Bereich produzieren Alki Behandlungsfehler überproportional. Es gibt schon Determinanten, die das Scheitern von Therapien begünstigen. Da hilft es auch nichts, wenn ein paar Leute Einzelfälle schildern, dass es bei ihrem Therapeuten gaaanz anders ist. Ich (und andere) sind bei Wahrscheinlichkeiten bzw. Faktoren, die etwas wahrscheinlicher machen.
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Möbius
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Beitrag Sa., 18.03.2017, 13:42

stern hat geschrieben: Sa., 18.03.2017, 13:20 (...) Ich (und andere) sind bei Wahrscheinlichkeiten bzw. Faktoren, die etwas wahrscheinlicher machen.
Genauso sehe ich das auch !

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