Dissoziation: Normalität vs. Störung

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MrN
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Beitrag Sa., 23.02.2013, 11:00

montagne hat geschrieben:Wenn man mich fragt, ich denke JEDER hat diese Konflikte, auch du.
Diesen Standpunkt kenne ich nur zu gut. Unbesehen stimmt es ja auch - was für mich das Schlimmste daran ist, denn daran knüpfen die lieben Mitmenschen ja ihre Erwartungen - und das führt zur Ausgrenzung, wenn derartige Erwartungen sich nicht erfüllen.
Ich kann Jenny nur bestätigen: Das hilft nicht, sondern macht alles nur noch schlimmer...

Ich hab mich 10 Jahre lang abgemüht, solch falschen Erwartungen hinterherzuhasten: "MrN -Sie sind doch soooo talentiert, SIE könnten doch richtig Karriere machen! - Warum nur wollen Sie Ihre Talente im Team nicht einbringen!?" - Ich wollte doch, bis dann eines Tages gar nichts mehr ging. Und das Schlimme daran ist ja, ich kann den Kollegen eigentlich keinen Vorwurf daraus machen - zumindest anfangs waren ihre Bemühungen, mir "auf die Sprünge zu helfen", ja aufrichtig gemeint. Nur haben alle Maßnahmen systematisch dazu geführt, daß mir sämtliche "Schlupflöcher gestopft" wurden, Ausweichmöglichkeiten und Rückzugsräume verschwanden. Meine Leistungen brachen dann erst richtig ein. Und da nichts fruchtete, wollten dann viele am Ende auch nicht mehr mit mir zusammen arbeiten. So wird aus gut gemeinten Ratschlägen echtes Mobbing, und als ich das endlich sah und verstand, daß ich mich abgrenzen muß, um die Notbremse zu ziehen, war es bereits zu spät, die Verbitterung hatte mein Selbstbild zerstört...

Vera F. Birkenbihl hat in Bezug auf verfehlte Talentförderung einmal den Vergleich mit einer Ente gezogen: Dieses Tier wird man nicht gut dazu bringen können, auf Bäume zu klettern. Vielleicht läuft es im Fluchtreflex mal einen tiefen Ast hinauf, aber eigentlich kann sie nur schwimmen und fliegen, aber beides sehr gut. Dabei sollte man es belassen.

Übrigens: Die Hochsensitivität, von der ich hier rede, liegt im gleichen Veranlagungsspektrum wie das Asperger Syndrom...

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Thread-EröffnerIn
candle.
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Beitrag Sa., 23.02.2013, 12:45

MrN hat geschrieben:
Übrigens: Die Hochsensitivität, von der ich hier rede, liegt im gleichen Veranlagungsspektrum wie das Asperger Syndrom...
Hallo MrN!
Wenn dem so ist hat es ja auch nichts mit Dissoziationen zu tun, denn wir haben offenbar keine Asperger im Thread.

Der Begriff der Hochsensibilität wurde hier ja schon diskutiert, und ich sehe das auch etwas anders. Soweit ich weiß, gibt es da wissenschaftlich auch noch keine Begründung oder wie ich das ausdrücken darf.

Im Rahmen meiner PTBS habe ich auch eine ausgeprägte Geräuschempfindlichkeit entwickelt und eine niedrige Stresstoleranz, darf also sagen, dass ich annehme, dass es an der Traumafolgestörung liegt und nicht an meiner Begabung noch an Hochsensibilität.

Hochsensibilität verstehe ich jetzt auch mehr als eine Begabung, die besonders empathisch mit Menschen kann, sehen kann was in anderen vorgeht z. B., aber wer ist das hier schon? So kann jeder das für sich selbst auslegen wie er mag.

Meine Geräuschempfindlichkeit ist dank Therapie beinahe weg, die Stresstolleranzgrenze steigt wieder nach oben... also mehr Symptom denn Hochsensibilität?

VG candle
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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 23.02.2013, 15:56

Hi Candle
Wenn dem so ist hat es ja auch nichts mit Dissoziationen zu tun, denn wir haben offenbar keine Asperger im Thread.
Es gibt einige psychische Störungen, die von Dissoziationen begleitet werden können, wie z.B. Schizophrenie, Depression, PTBS, Angstörungen, Hypersensible Persönlichkeit, Borderline Persönlichkeit, ...

Und das war ja auch die Frage hier im Thread: Wann ist Dissoziation normal? Tritt Dissoziation nur im Zusammenhang mit einem traumatischem Ereignis auf? Tritt Dissoziation nur im Zusammenhang mit einer dissoziativen Störung auf? Wird Dissoziation nur durch konditionierte Reize oder Reize, die man mit dem traumatischen Ereignis assoziiert ausgelöst? ...

Dissoziation an sich kann eine eigenständige Diagnose sein und das Hauptproblem sein, wie es bei den dissoziativen Störungen der Fall ist, sie kann normal sein oder sie kann im Zusammenhang mit anderen Störungen auftreten.

Auch wenn Asperger dem ersten Anschein nach nichts mit Dissoziation zu tun hat, und man auch bei Angststörungen selten auf die Idee kommt, diese mit Dissoziation zu assoziieren, so kann die Dissoziation dennoch im Zusammenhang mit solchen Störungen auftreten, z.B. wenn jemand ein solch starkes Angsterleben hat, dass er denkt verrückt zu werden und darauf mit einer Dissoziation reagiert.
Sie ist dann anders geartet, ist dann nicht eine Reaktion auf einen bestimmten Reiz, sondern z.B. Reaktion auf innere psychische Vorgänge. Das Resultat ist aber dasselbe, nämlich Dissoziation.

Wie komplex das Thema ist, kann man am Beispiel der Depersonalisation sehen, die ja hier am häufigsten benannt wurde. Dp kann eine eigenständige Diagnose darstellen oder sie kann Begleiterscheinung einer anderen Störung sein. In allen Fällen dissoziiert die betreffende Person:
Die Depersonalisationsstörung sollte nicht als eigenständige Diagnose gestellt werden wenn die Symptome nur im Verlauf einer Panikattacke auftreten, die Teil einer Panikstörung, einer Sozialen oder Spezifischen Phobie oder einer Postraumatischen oder Akuten Belastungsstörung ist. Im Gegensatz zur Schizophrenie wird bei einer Depersonalisationsstörung eine intakte Realitätsprüfung aufrechterhalten Der Gefühlsverlust der mit einer Depersonalisation verbunden ist (z. B. emotionale Starre), kann wie bei einer Depression erscheinen. Allerdings ist die Gefühllosigkeit bei Personen mit einer Depersonalisationsstörung mit anderen Erscheinungsmerkmalen verknüpft (z.B. ein Empfinden des Losgelöstseins vom eigenen Selbst) und tritt auch auf, wenn die Person nicht depressiv ist.
http://www.dissoc.de/issd14.html
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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MrN
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Beitrag Sa., 23.02.2013, 18:48

Hallo candle,
(bist Du immer noch die candle?! - ich war ja schon ewig nicht mehr im Forum... )

Der Veranlagung nach bin ich also eine HSP - damit hatte ich anfangs auch keinerlei Probleme, im Gegenteil. Meine akuten psychischen Probleme in den letzten Jahren haben sich nun als DIS manifestiert, deswegen bin ich derzeit nicht erwerbsfähig. Ich kenne also viele Facetten von Dissoziationen.

Weshalb ich mich hier zum Thema gemeldet habe ist, daß bei der Bewältigung von Hochsensitivität dissoziative Zustände für die Betroffenen einfach mit zur Normalität gehören.

Gleichzeitig ist es wohl aber auch so, daß es sich bei Dissoziationen an sich um pure Überlebensreflexe handelt, welche eigentlich nur in extrem bedrohlichen Situationen aktiviert werden, so wie bei der Katze, welche vor dem Hund auf einen Baum floh, dann aber allein nicht mehr herunter kann... Da werden einfach Reserven freigeschaltet, welche ohne den Stress nicht zugänglich sind.
So gesehen sind Dissoziationen dann doch eher Ausnahme als Normalität. Sie treten auf - und vergehen wieder. Zu einer Störung kommt es mMn erst, wenn man in dissoziativen Zuständen gefangen bleibt. Ich glaube, das hat mit bedingten (erlernten) Reflexen zu tun... ...und es ist fürchterlich lästig.


Also, Candle, ich denke daher nicht, daß ich mit meinen Äußerungen schon OT bin...

Weshalb ich nun auf Montagne eingehen wollte: Bei normal veranlagten Menschen ist es wohl so, daß die Dissoziationen wieder verschwinden, wenn man diejenigen Ängste überwindet, wodurch sie ausgelöst werden. Das ist bei hochsensitiven Menschen nur leider etwas komplizierter, weil da Dissoziationen einfach mit zum Alltag gehören und eben nicht verschwinden.

Es ist ja sogar so, daß viele der normalen Ängste bei mir gar nicht erst auftreten. Bevor ich überhaupt realisiere, daß ich Angst bekomme, habe ich bereits den Tunnelblick! Es gibt da bei den Grimms so ein Märchen "Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen..." - So einer bin ich. Und das habe ich nie als Nachteil empfunden. ... Das ist aber nun tatsächlich ein ganz anderes Thema...
Zuletzt geändert von MrN am Sa., 23.02.2013, 18:52, insgesamt 1-mal geändert.

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MrN
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Beitrag Sa., 23.02.2013, 19:11

P.S.
... das Letzte stimmt allerdings nur zur Hälfte. Es gibt auch noch einen "Hasenfuß" einen "Lämmerschwanz", wenn sich nämlich die Dissoziationen doch nicht einstellen, dann fühle ich mich extrem ausgeliefert. Das muß ich nun - der Wahrheit geschuldet - doch noch ergänzen...

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MrN
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Beitrag Sa., 23.02.2013, 19:21

candle. hat geschrieben:Meine Geräuschempfindlichkeit ist dank Therapie beinahe weg, die Stresstolleranzgrenze steigt wieder nach oben... also mehr Symptom denn Hochsensibilität?
Das freut mich. Das mit der Geräuschempfindlichkeit kenne ich übrigens. Das hat sich bei mir auch gebessert. - Und danach wurde der Schlaf viel ruhiger und ich bin nun nicht mehr ständig kurz vorm Ausrasten...

Und in dem Maße wie die Normalität zurückkehrt, stelle ich nun doch leider wieder fest, daß ich wieder häufiger ziemlich schnell "wegtrete", wenn's mal wieder "zuviel" geworden ist. - Und dieses "Zuviel" ist nun doch noch weit vom Minimum entfernt, was man normal in einer modernen Großstadt zu bewältigen hat. Da weiß ich mir einfach keinen Rat....

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Dampfnudel
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 00:02

Wow, da bin ich mal ein paar Tage nicht da, und hier entsteht so ein toller Thread! Vieles von dem, was Ihr geschrieben habt, finde ich sehr erleichternd, auch, weil ich mir nicht mehr so vorkomme, als sei ich allein so „komisch“ und weil es mir verstehen hilft.
Jenny, candle, Elfchen, carö, Sinarellas, MrN, hopeless, ADW, Bergkristall, Emily, montagne, stern (und falls ich noch jemanden von Euch vergessen haben sollte, möge er oder sie sich bitte hier auch eingeschlossen fühlen), auf die Gefahr hin, dass ich gerade etwas überschwänglich rüberkomme - ich hatte einen so tollen Nachmittag, der wirkt noch nach! - muss ich Euch einfach alle mal drücken
Sinarellas hat geschrieben: Vorraussetzung ist eine "traumatische Situation" und diese kannst du nicht anch Buch abgrenzen, was traumatisch ist und was nicht
Das ist auch etwas, was mich beschäftigt: Wann oder wodurch wird eine Situation traumatisch?
Jenny Doe hat geschrieben:Dissoziation tritt bei mir infolge einer Reizüberflutung ein, die jedes Mal anders geartet ist.
Vielleicht könnte man auch eine Reizüberflutung als traumatische Situation bezeichnen?! Wenn so viele Reize auf einen einstürmen, dass sie nicht mehr verarbeitet werden können, hat das ja auch was Bedrohliches.
Jenny Doe hat geschrieben:Das waren reine Stressreaktionen. Als ich den Job gekündigt habe, hatte ich solche Ausfälle über 10 Jahre lang nicht mehr. Erst 2000, als ich wieder einer extremen Stresssituation ausgesetzt war, trat das Problem wieder auf.
[...]
Stress kann wahnsinnig viel bewirken, das ganze Gehirn brach legen.
Ja, das fand ich sehr erschreckend, als ich es das erste Mal erlebt habe. Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass das so geht. Du hattest ja geschrieben, dass die Dissos bei Dir erst im jungen Erwachsenenalter aufgetreten. Würdest Du das dann darauf zurückführen, dass Du vorher einfach nie so einen großen (emotionalen) Stress erlebt hast?
Jenny Doe hat geschrieben: Dissoziation tritt aber auch ohne ein traumatisches Ereignis auf. Jeder dissoziiert im Alltag. Dissoziation kann auftreten, wenn man hochkonzentriert arbeitet und um sich herum nichts mehr mitbekommt und auch nicht mitbekommt, dass einem der Magen knurrt, bei Routinearbeiten, wo man nicht mehr denken muss und Handeln und Denken parallel laufen, im Kino, wenn man von einem Film gefesselt ist, im Auto, wenn man an einer roten Ampel stehend gedanklich abdriftet und nicht mitbekommt, dass die Ampel umgesprugen ist, .... ebenso Drogenkonsum, Meditation, ... All das kann zu einer Dissoziation führen, ohne dass das Ereignis an sich traumatisch sein muss oder der Dissoziation ein Stresserleben zugrundliegt.
Diese Dinge hätte ich zum Beispiel bisher nicht als Dissoziation verstanden und bezeichnet, sondern als Flow, als Automatismus, als Faszination, Träumerei, gedankliches Abschalten und ähnliches(bei Drogenkonsum und Meditation kann ich nicht mitreden). Für das, was ich bisher als Dissoziation erlebt habe und mich jetzt auch wieder zu bezeichnen traue, gehört auf jeden Fall auch ein sehr unangenehmes Gefühl dazu, das für mich nichts mit Alltag zu tun hat und das ich auch bis vor ein paar Jahren nicht kannte.

Jenny Doe hat geschrieben:Studien zeigen, dass Gewalterfahrungen Spuren im Gehirn hinterlassen und für zukünftigen Stress sensibilisieren, aber anderseits gibt es auch das Phänomen der Resilienz, demzufolge es eine ganze Menge Kinder gibt, die negative Erfahrungen gut verarbeiten und keine Folgeschäden erleiden.
Liegt der Unterschied nicht darin, dass die einen Kinder auch sonst ungünstige Bedingungen haben und die anderen günstigere, die zumindest einen Teil dieser Gewalterfahrungen auffangen? Beruht Resilienz nicht auch auf Erfahrungen, zumindest teilweise? Ich habe mir das bisher immer so vorgestellt, dass es in Anlage und Umwelt günstige Bedingungen gibt, die das Gehirn ein Stück weit gegen solche Spuren schützen und/oder helfen, sie wieder zu beseitigen oder zu verringern.

Elfchen hat geschrieben:Solange sie somatisch sind, kein Problem, das steck ich weg. Das ganze mit der Psyche, das haut mich schon eher um, weil ich lange solche Angst hatte, verrückt zu werden, durchzudrehen, nie mehr Normalität erleben zu dürfen.
Ich hab das zum Glück nicht so extrem erlebt wie Du, aber diese Sorge hatte ich zwischendurch auch. Mir machen solche psychischen Sachen auch deshalb mehr Angst, weil ich mir so schlecht erklären kann, was da passiert. Körperliche Erkrankungen kommen mir da greifbarer vor, auch, wenn sie sicher nicht immer berechenbarer sind.

MrN hat geschrieben:Meine akuten psychischen Probleme in den letzten Jahren haben sich nun als DIS manifestiert,
Heißt das, dass sich bei Dir die DIS erst im Erwachsenenalter ausgebildet hat? Ich dachte immer, das finge schon in der Kindheit an.
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Dampfnudel
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 00:03

hopeless81 hat geschrieben: Kannst du dich erinnern worüber genau in der Situatuon gesprochen wurde? Wie hast du dich vorher gefühlt? Angespannt/ nervös/ angstlich?
Erinnern kann ich mich nicht richtig, aber ich nehme an, dass vorher über die Supervision, vielleicht den Ablauf und/oder die Klientin, um die es der Supervisandin ging, gesprochen wurde. Nervös und angespannt war ich schon, glaube ich. Ich glaube, ich habe auch daran gedacht, dass ich auch ein Supervisionsanliegen gehabt hätte, das mir auf der Seele brannte, für das an diesem Tag aber keine Zeit war.
Alles hat seine Zeit.


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 04:54

Hallo Dampfnudel
Du hattest ja geschrieben, dass die Dissos bei Dir erst im jungen Erwachsenenalter aufgetreten. Würdest Du das dann darauf zurückführen, dass Du vorher einfach nie so einen großen (emotionalen) Stress erlebt hast?
Ich weiß nicht, warum sie bei mir entstanden ist. Es gibt viele mögliche Erklärungen. angefangen von Gewalt und emotionaler Missbrauch in der Kindheit, Drogenkonsum, Lachgasbehandlung beim Zahnarzt, ... bis hin zu der von mir beschriebenen Ausbildungssituation. Und genetische Veranlagung ist ja auch nicht zu unterschätzen.
Vielleicht könnte man auch eine Reizüberflutung als traumatische Situation bezeichnen?! Wenn so viele Reize auf einen einstürmen, dass sie nicht mehr verarbeitet werden können, hat das ja auch was Bedrohliches.
Da habe ich auch lange drüber nachgedacht. Würden die Dissoziationen bei mir nur bei Reizüberflutung auftreten, dann könnte man das in der Tat als besrohliche Situation ansehen. Doch sie tritt eben auch bei Entspannung, Langweile und Unterforderung auf, ebenso bei einer Überschwemmung postiver Gefühlen u.a. Ein weiterer Unterschied zur traumatischen Sitution ist, dass das Problem bei mir ja schon viel früher beginnt, nämlich beim Ruhebdrüfnis, nachdem ich Reizen ausgesetzt war. Die Dissoziation entsteht bei mir ja erst, wenn ich anschließend noch mal Reizen ausgesetzt bin, siehe z.B. oben genanntes Beispiel tagsüber zur Uni gehen und mich abends mit Freunden treffen oder erst durch die Stadt gehen und anschließend in die Disco gehen. Somit ist das Problem bei mir etwas anders geartet als bei Menschen, bei denen das Problem erst auftritt, wenn sie einer traumatischen Situation ausgesetzt sind.
Diese Dinge hätte ich zum Beispiel bisher nicht als Dissoziation verstanden und bezeichnet
Dissoziation ist ja zunächst mal nichts anderes als etwas, was unabhängig vom Bewusstsein abläuft. Das kann alles Mögliche sein.
Dass wir Dissoziation mit traumatisches Ereignis assoziieren hat viel damit zu tun, dass wir nur selten etwas über normale Dissoziation hören und lesen. Wenn von Dissoziation die Rede ist, dann meist nur im Zusammenhang mit einem traumatischen Ereignis. Die meisten haben das Bild "Dissoziation = traumatisches Ereignis" im Kopf. Ging mir früher nicht anders.
Liegt der Unterschied nicht darin, dass die einen Kinder auch sonst ungünstige Bedingungen haben und die anderen günstigere, die zumindest einen Teil dieser Gewalterfahrungen auffangen? (...)
Resilienz ist ein echt interessantes Thema, finde ich. Da ist zum einen die Umwelt, die negative Erfahrungen kompensieren kann, aber zum anderen auch das Kind selbst. Jedes Kind ist anders, was den Umgang mit Stresssituationen angeht. Die einen können mehr aushalten, die anderen weniger, die einen haben Techniken, um Erfahrungen verarbeiten zu können, die anderen nicht.
Ich habe als Kind (und mache das auch heute noch) sehr viel durch Spielen, Malen und Schreiben verarbeiten können. Und ich hatte das Glück, dass meine Mutter nur einen ganz winzigen Teil meines Lebens ausmachte. Ich hatte zum einen Lehrer, die sich um mich kümmerten, und vor allem eine Frau in einem Tante Emma Laden. Ich war jede freie Minute in dem Laden und habe den älteren Leutchen ihre Ware gebracht. Die Kombination aus einer tollen Umgebung außerhalb meines Elternhauses gekoppelt mit eigenen Verarbeitungsfähigkeiten hat mir geholfen, dass ich nicht völlig geschädigt da rausgekommen bin. Natürlich hatte ich auch Folgeschäden, aber nicht im Sinne von Dissoziationen oder PTBS, sondern eher im Sinne von Selbstwertprobleme, Selbstunsicherheit, Naivität, Unreife u.ä.
Heißt das, dass sich bei Dir die DIS erst im Erwachsenenalter ausgebildet hat? Ich dachte immer, das finge schon in der Kindheit an.
Diese Frage stellte sich mir auch. Würde mich wahnsinnig interessieren, wie die DIS bei dir im Erwachsenenalter entstanden ist.
(Wäre nicht der erste Fall, von dem ich höre, dass die DIS erst im Erwachsenenalter entstanden ist).
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).


Jenny Doe
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 05:05

Das ist auch etwas, was mich beschäftigt: Wann oder wodurch wird eine Situation traumatisch?
Da sind sich selbst die beiden Diagnosehandbücher ICD und DSM nicht einig.
Während der ICD auch die subjektive Perspektive betrachtet, also die Frage, wie ein Individuum etwas erlebt, konzentriert sich der DSM mehr an der Objektivität.

Da heutzutage nahezu alles als traumtisch bezeichnet wird, wie z.B. ein verlorenes Fußballspiel, finde ich angemessen, wenn man die Objektivität nicht völlig außer acht lässt:
(...)
(1) die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten. (2) Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
(...)
Quelle DSM-IV
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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Sinarellas
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 06:51

gehen meine Beiträge unter? genau das hatte ich schon geschrieben.
..:..

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Dampfnudel
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 15:32

Nein, Deine Beiträge gehen nicht unter. Ich knacke genau an dieser Subjektivitätschwelle herum und frage mich, 1. ob wirklich Leib und Leben immer objektiv bedroht sein müssen und 2. ob es nur um physische Unversehrtheit geht oder auch um psychische, und wenn letzteres der Fall sein sollte, woran man dann festmachen kann, ob ein Erlebnis traumatisch ist oder nicht. Und wie ist es mit Tod oder Verletzung einer anderen Person? Da ist es doch sehr unterschiedlich, ob das als traumatisch erlebt wird oder nicht. Insofern ist da auch in der DSM-Definition viel Interpretationsspielraum, und der beschäftigt mich vor allem.
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 16:30

Dampfnudel, das ist wirklich schwierig. Bei mir trifft es ja recht bunt zu. Traumatisch können einmalige Vorfälle sein wo es echt um Leib und Leben geht und dann gibt es halt diese "steter Tropfen höhlt den Stein" Dingens, was ich mal als "massive Kränkungen" in einem Bericht wiederfand.

Jedenfalls macht beides gleich schwer Probleme, wenn ich das mal so salopp sagen darf.

candle
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MrN
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Beitrag Mo., 25.02.2013, 18:21

Jenny Doe hat geschrieben:
Heißt das, dass sich bei Dir die DIS erst im Erwachsenenalter ausgebildet hat? Ich dachte immer, das finge schon in der Kindheit an.
Diese Frage stellte sich mir auch. Würde mich wahnsinnig interessieren, wie die DIS bei dir im Erwachsenenalter entstanden ist.
(Wäre nicht der erste Fall, von dem ich höre, dass die DIS erst im Erwachsenenalter entstanden ist).
Diese Frage stellte sich mir auch. Was Dissoziationen sind, hab ich ja bewußt erst vor ein paar Jahren erfahren, nämlich nachdem ich hier im Forum etwas davon gelesen … Ich hatte anfangs tatsächlich Schwierigkeiten zu sehen, was das Problem dabei wäre - für mich war's halt völlig normal und ich konnte mir gar nicht vorstellen, daß es Menschen gibt, die so etwas gar nicht kennen und daß es u.U. sogar Angst macht!

Zum Problem wurde es für mich erst, als es im Beruf zu hacken begann.
Mein Identitätsgefühl war ja an meinem Rollenverhalten in den jeweiligen Betätigungsfeldern festgemacht. Meinen Körper hatte ich von jeh her eher als so eine Art „Raumanzug” wahrgenommen…

Es gab dann halt einen Tag, da konnte ich mich überhaupt nicht mehr mit dem identifizieren, was ich tat - was mir durch die beruflichen und familiären Pflichten halt alles so auferlegt war… Das war der Tag, als ich an meiner Identität zu (ver)zweifeln begann. Und erst ab da macht der Begriff DIS für mich überhaupt einen Sinn…!

Das ist also meine subjektive Sichtweise. Im Laufe der Therapie kamen nämlich nach und nach abgespaltene Persönlichkeitsanteile zum Vorschein, welche ihrem Alter nach im Kleinkindalter, als Jugendlicher usw. stehen geblieben waren… Da ich von solchen Anteilen nichts gewußt habe, muß also die Störung sich schubweise entwickelt haben seit ich ein kleines Kind war…

Und das ist dann wohl die eigentliche Antwort auf die o.g. Frage.


Truemmerlotte
Helferlein
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Beitrag Mi., 05.01.2022, 23:31

Hallo ihr lieben
Frohes neues Jahr noch allen :)
Öhm, ich habe durch die Suche schon ein paar Antworten bekommen, bin mir aber immer noch nicht ganz sicher was da bei mir momentan in der Therapie los ist und wollte euch nochmal fragen.
Und zwar wo Dissoziation "anfängt"?

Vielleicht/wahrscheinlich ist es gar nicht so genau eingrenzbar, der Übergang vielleicht schwammig, aber ich habe hier von einigen gelesen, dass sie Dissos haben und vielleicht kann mich einfach jemand ein bisschen aufklären.

Seit letztes Jahr November bin ich wieder in Therapie, also noch nicht so lange. Da ich die Therapeutin aber schon von vor einigen Jahren kenne und auch direkt wieder gut vertrauen kann, sind wir schon "ordentlich bei der Sache".

In den letzten zwei Stunden war dann irgendwann der Punkt erreicht, wo ich meiner Therapeutin nicht mehr richtig folgen konnte. Ich hörte sie, verstand aber nicht was sie sagte oder von mir wollte. Ich konnte auch fast nichts mehr sagen, bekam noch so gerade ein "Ja" oder "Nein" raus.
Sie guckte mich dann an und fragte, ob ich überhaupt noch da bin, ob ich nicht mal aufstehen wollte oder was für die Hände bräuchte.
Sie hat dann etwas gewartet, bis ich wieder ein bisschen sortierter war.

Das ist jetzt, wie gesagt, in den letzten beiden Stunden so passiert. Immer wenn es vom Thema her brenzlig/anstrengend wurde (arbeiten auch mit Anteilen und als sie den einen Teil befragt hat, warum er in mein Leben getreten ist, bin ich da dann irgendwann "abgeschmiert"), fing das halt an.
Ich weiß, dass ich das bei meinem letzten Therapeuten auch öfters hatte, es mir da aber nie so aufgefallen ist, weil er nie nachgefragt hat, was gerade los ist oder "wo ich bin".

Ich frage mich halt, ob ich einfach nur ein bisschen abdrifte/dicht mache oder ob das doch schon in Richtung "leichte Dissoziation" geht.
Ich würde gerne wissen, was da mit mir passiert.

Ich würde das auch meine Therapeutin in der nächsten Stunde fragen, aber es brennt halt gerade jetzt schon unter den Nägeln :gruebel: :dunno:

Jetzt ist's schon wieder so lang geworden. Kurzfassen ist nicht meine Stärke. Ich hoffe ihr seht es mir nach.
Euch eine gute Nacht!
LG
Trümmerlotte

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