Leidensdruck wegen vermeintlich „hoher Intelligenz“

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Schattenwald
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Leidensdruck wegen vermeintlich „hoher Intelligenz“

Beitrag Mo., 13.04.2020, 07:41

Hallo liebe Leute,

bisher habe ich (27 f) noch nie in meinem Leben jemandem von diesem Problem erzählt weil ich Angst habe mich selbst falsch einzuschätzen oder als arrogant angesehen zu werden. Deswegen habe ich mich dazu entschlossen hier in einem etwas anonymeren Rahmen darüber zu schreiben. (Ich hoffe dieses Unterforum ist der richtige Platz.)

Als ich ca. 20 war sprach ich mit meinen Eltern über meine Leistungen in der Uni, über die wir alle sehr stolz waren, vor allem weil ich die erste in unserer „Arbeiterfamilie“ war die studierte. Ganz beiläufig erwähnte meine Mutter dann dass sie nichts anderes erwartet habe weil ich ja „nur ein-, zwei Pünktchen entfernt vom Genie“ sei. Etwas verwirrt hakte ich nach und da erzählten die beiden mir von einer wissenschaftlichen Studie in meiner Grundschule.

Meine Klasse hatte damals mit einer Universität kooperiert, die eine langfristige Studie mit uns Schülern bezüglich Intelligenz und Entwicklung durchgeführt hatte. Ich kann mich noch daran erinnern dass ich mit meinen Eltern Fragebögen ausgefüllt und mit Wissenschaftlern praktische Tests und Experimente durchgeführt habe, aber vor allem inhaltlich habe ich natürlich vieles vergessen. Meinen Eltern wurde damals kein Ergebnis wie zB. einen IQ-Wert genannt, aber die Wissenschaftler hatten ihnen gesagt dass ich „eindeutig überdurchschnittlich Intelligent, vermutlich hochintelligent“ sei. Das hatten sie mir noch nie vorher erzählt.

Es wurde ihnen auch vorgeschlagen mich weiter zu fördern, aber meine Eltern schlugen dieses Angebot größtenteils ab. Es lag vermutlich vor allem am finanzellen Aspekt, aber ich habe auch das Gefühl dass mein Vater irgendein Problem mit der „Uni-Elite“ hat, da er auch zuerst nicht wollte dass ich aufs Gymnasium gehe oder studiere.

Eigentlich könnte mir diese Einordnung von früher egal sein, sie ändert ja nichts daran wer oder wie ich bin. Mal abgesehen davon dass ich das Konzept von IQ bzw. messbarer Intelligenz sowieso fragwürdig finde. Trotzdem hat mich das Alles nicht losgelassen und ich habe immer mehr darüber nachgedacht. Vieler meiner damaligen und jetzigen Probleme lassen sich gut mit dieser „Diagnose“ erklären.

Zum Beispiel bewege ich mich ständig, sowohl in der Schule, als auch auf der Uni und im Job in einem seltsamen Karussell aus „Bore-out“ und „Imposter(Hochstapler)-Syndrom“. Einerseits fallen mir die meisten Aufgaben dort sehr leicht und ich bin oft viel schneller fertig als meine Kollegen. Deswegen langweile ich mich oft und habe das Gefühl unterfordert zu sein. Auf der anderen Seite habe ich auch panische Angst davor dass ich mir dieses Gefühl nur einbilde und tatsächlich einfach viel zu wenig arbeite oder Dinge falsch angehe und nur deswegen so schnell erscheine. Ich weiß auch wie viele Dinge ich nicht weiß oder nicht verstehe, und wie viele intelligentere Menschen es um mich gibt, und dass es anmaßend wäre mich auf eine ähnlich hohe Stufe zu stellen.
Das ist nur ein Beispiel, es geht mir in vielen Bereichen des Lebens ähnlich. Das war auch vor dem Gespräch mit meinen Eltern so.

Was sich seit dieser „Diagnose“ allerdings verschlechtert hat sind meine hohen Ansprüche an mich selbst. Ich zweifle ständig an meinen Entscheidung, vor allem was Studium und Beruf angeht. Ich habe mich damals für ein eher außergewöhnliches geisteswissenschaftliches Fach entschieden weil mich das Feld sehr interessiert hat. Jetzt denke ich aber ständig darüber nach dass ich ein anspruchsvolleres Fach hätte wählen sollen, auch wenn ich mich inhaltlich nicht dafür interessiere. Es fühlt sich an als müsste ich meinen „Fähigkeiten gerecht“ werden, als hätte ich eine Verpflichtung in eine hohe Position zu gelangen oder viel Geld zu verdienen, nur weil ich es vielleicht kann.
Hinzu kommt, dass ich sehr wenig Selbstbewusstsein in andere Aspekte meiner Person habe (z.B. Aussehen), und ich manchmal das Gefühl habe, meine Intelligenz sei das einzige was ich zu bieten habe.
Ich mag es zu lernen und mich weiterzubilden, ich würde auch gerne meine Fähigkeiten nutzen und ausbauen, aber gleichzeitig habe ich Angst dass ich mich doch überschätze und mich lächerlich machen würde.

Das führt also dazu dass ich ständig den Druck verspüre mich weiterzubilden, mehr aus mir zu machen. Ich bin nie zufrieden mit dem was ich erreicht habe. Ich mache mir auch Vorwürfe wenn mal etwas nicht auf der Stelle klappt, weil ich es besser können müsste.
Egal wie ich es drehe, ich leide unter diesen Vorstellungen und würde das alles gerne ablegen, schaffe es aber nicht.

Gibt es vielleicht Gleichgesinnte oder Anregungen wie ich mit der Situation und diesen Gedanken umgehen kann?

LG
Schattenwald

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Candykills
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Beitrag Mo., 13.04.2020, 10:57

Ich kenne das ein bisschen ähnlich.
Meine Mutter ist ausgebildet dafür psychologische Test und Intelligenztests durchzuführen (das war jahrelanger Teil ihres Jobs) und hat auch mich recht früh testen lassen. Und dann waren ihre Ansprüche an mich sehr hoch und hat mir das als "Pflicht gegenüber der Gesellschaft" verkauft, dass ich meine Intelligenz nutzen müsste.
Ich wurde noch einige Male im Leben getestet, was immer sehr ähnlich ausfiel. Das hat damit zu tun, dass ich sehr früh psychisch krank wurde.
Es hat sehr, sehr lange gedauert und viele Kämpfe mit ihr bis meine Mutter einsah, dass ich auf Grund meiner psychischen Erkrankung nie das leisten können werde, was ich von der Intelligenz her könnte. Aber auf mir lastete von Kindheit an immer ein enormer Druck. Hinzu kam, dass ich ADHS habe und das zu weiteren Problemen in der Schule führte, ich habe eine schlimme Schulkarriere. Wirklich entfalten konnte ich mich erst, als ich dann die Uni besuchte. Aber dann schlug die Schizophrenie wieder zu...und hat mich kognitiv lange sehr eingeschränkt bzw. tut das auch jetzt noch.

Naja, inzwischen hat meine Mutter einsehen, dass ich psychisch so eingeschränkt bin, dass ich in meinem Studienberuf nicht arbeiten können werde, sondern die Ausbildung zum Genesungsbegleiter mache. Darauf ist sie jetzt auch stolz.

Jetzt bist du natürlich nicht in dem Sinne psychisch eingeschränkt. Aber ich denke der Druck, den deine Eltern auf dich ausgeübt haben, ist zu vergleichen.
Mich hat das wirklich viele Jahre sehr schwer belastet, vor allem dieses "kapier doch endlich, dass es bei mir nicht so funktioniert, wie du es dir vorstellst".
Du hingegen hast studiert und bist nun im Beruf. Eigentlich sollten doch alle damit zufrieden sein?

Du kannst dich natürlich selbst fördern, zum Beispiel in dem du nebenbei eine Sprache lernst. Ich habe mir Hebräisch zum Beispiel selbst beigebracht mit 14/15 habe ich damit angefangen. Später habe ich es studiert....naja und konnte alles schon.
Oder du schreibst dich als Teilzeitstudent ein und studierst nebenher nochmal etwas, was dich sonst noch interessiert.

Es wird oft als Arroganz abgetan, wenn man sagt, dass man was in der Birne hat. Das ist halt so. Aber etwas studieren, was dich absolut nicht interessiert, finde ich auch völlig unsinnig. Es ist leider so, dass die Geisteswissenschaften überall abgebaut werden zu Gunsten von Naturwissenschaften, Jura und BWL.

Naja, versuche ich dich von dem Druck und den Erwartungen deiner Eltern zu lösen. Du bist heute erwachsen und entscheidest selbst, was du tun willst, kannst und dich interessiert.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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Kaonashi
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Beitrag Mo., 13.04.2020, 14:32

Schattenwald hat geschrieben: Mo., 13.04.2020, 07:41Jetzt denke ich aber ständig darüber nach dass ich ein anspruchsvolleres Fach hätte wählen sollen, auch wenn ich mich inhaltlich nicht dafür interessiere. Es fühlt sich an als müsste ich meinen „Fähigkeiten gerecht“ werden, als hätte ich eine Verpflichtung in eine hohe Position zu gelangen oder viel Geld zu verdienen, nur weil ich es vielleicht kann.
Meine Situation ist anders. Zwar wurde bei mir auch in der Grundschule ein IQ-Test gemacht, und der Lehrer sagte danach zu meinen Eltern, ich hätte mit großem Abstand zu den anderen am besten abgeschnitten, und meine Eltern haben es mir erst sehr viel später erzählt. Meine Eltern sind auch Arbeiter (gewesen). Da enden die Parallelen. Der Anspruch meiner Mutter war nur, dass ich überall ordentlich mitmache und einen Beruf erlerne. Das habe ich. An der Uni war ich nicht.
Ich habe auch noch eine psychiatrische (oder neurologische, je nach Sichtweise) Diagnose, und daher habe ich irgendwann gelernt, dass egal wie intelligent ich bin, ich trotzdem nicht weiterkomme, weil mir andere Fähigkeiten fehlen.
Ich habe gelernt, dass es nicht so wichtig ist, was man erreicht, sondern dass es viel wichtiger ist, möglichst zufrieden und glücklich zu sein. Also eher das Spaß haben in den Vordergrund zu stellen. Bei mir der Versuch, meine Lebensumstände so zu gestalten, dass ich nicht ständig leide, auch wenn das bedeutet, das Thema Karriere völlig zu knicken.

Da du sonst ja gesund bist, kannst du in dem Bereich, der dir Spaß macht, genau das erreichen, was du erreichen willst. Dass es dir gut geht, ist das einzig Wichtige. Ein bisschen gesunder Egoismus schadet an der Stelle nicht.
Mach immer alles schön ruhig und so, dass es dir Freude macht. Am Ende deines Lebens kannst du weder Geld noch Ruhm und Ehre mitnehmen, deshalb schau lieber zu, dass du im Leben das hast, was du brauchst.

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