In der Therapie immer nur über Probleme reden?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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abendrot79
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In der Therapie immer nur über Probleme reden?

Beitrag Do., 19.01.2012, 19:48

Hallo,

ich frage mal neugierig in die Runde, ob ihr in euren Therapie-Stunden immer nur über aktuelle Probleme etc. redet oder auch mal über vollkommen belanglose, alltäglich Dinge? Ermuntern euch die Therapeuten auch mal über eure Familie, Jobs, Hobbys zu erzählen, auch wenn diese Bereiche des Lebens nicht problembehaftet sind? Natürlich ziehen sich psychische Erkrankungen wie ein Faden durch alle Lebensbereiche, aber es gibt sicher bei Jedem auch Bereiche die weniger betroffen sind und gut laufen.

Ich frage, weil ich jetzt ca. 15 Stunden TFP hinter mir habe und wir ausser "Probleme-Wälzen" noch nichts anderes gemacht haben. Ich sehe das nicht negativ, wo viel passiert ist, muss auch viel aufgearbeitet werden. Aber mir ist aufgefallen, dass meine Thera bisher noch nie nach alltäglichen Situationen gefragt hat. Sie weiss quasi gar nicht, was ich so in meiner Freizeit treibe ....

Ist euch das wichtig, weil die Theras einen ja dadurch auch nochmal besser kennenlernen? Ist es bei bestimmten Therapieformen vielleicht unwichtig? Andersherum wird es ja z.Bsp. in der Analyse nicht ausbleiben, dass auch alltägliche Erlebnisse geschildert werden ....

Ich bin gespannt wie es bei euch ist ....

Liebe Grüsse,
abendrot79
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**AufdemWeg**
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Beitrag Do., 19.01.2012, 19:56

Nein, wir wälzen nicht nur Probleme
sondern kommen sehr sehr oft auf die Dinge zu sprechen,
die gut laufen.
Meine Therapeutin legt da sogar Wert drauf.
Anfangs kam ich mir dabei leicht verschaukelt vor weil ich dachte:
"was soll ich denn damit anfangen"
aber ich habe immer mehr gespürt wie stabilisierend gerade das auf mich wirkt
auch einmal ganz klar zu sehen und zu formulieren was eben gut läuft
was es an mir noch zu entdecken gibt neben allen Problemen
ja, dass ich letztlich ganz viel mehr bin als die Schatten meiner Vergangenheit oder meine Probleme.
Da ich selbst zum Grübeln und Festhängen im Negativen neige
ist diese Herangehensweise für mich so extrem wertvoll
Es zeigt mir ihr Interesse an meinem GANZEN Leben
an meiner GANZEN Person


LG ADW
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sandrin
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:00

Also ich glaube, das kommt drauf an, wie groß der Anteil ist. Natürlich redet man auch mal über etwas Anderes und auch über Dinge, die gut laufen. Allerdings kenne ich das von mir und auch von vielen anderen Patienten, dass das oft auch ausufert. Ich finde es prinzipiell ok, wenn man ca. 15 Prozent auch einfach mal verratscht. Aber es gibt Therapien, da wird phasenweise nur geratscht (bei meiner Freundin beispielsweise). Das sollte nicht sein, weil dafür zahlt die Kasse auch kein Geld.
Es ist aber auch wichtig, über Dinge, die gut laufen, zu reden, weil die ja oft auch Kraftquellen sind und Ansätze, die man ausbauen sollte.
Lass dich einfach mal überraschen, was kommt...

Sandrin

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abendrot79
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:05

**AufdemWeg** hat geschrieben: ...ich habe immer mehr gespürt wie stabilisierend gerade das auf mich wirkt auch einmal ganz klar zu sehen und zu formulieren was eben gut läuft ... dass ich letztlich ganz viel mehr bin als die Schatten meiner Vergangenheit oder meine Probleme.
Das finde ich einen wirklich guten Denkansatz! Auf die Idee dass es bewusst eingesezt wird, bin ich noch gar nicht gekommen ... Ich neige auch eher dazu mich in negative Erlebnisse hinein zu steigern, vielleicht ist es auch deswegen bisher in meiner Therapie noch nicht dazu gekommen, dass auch die positiven Alltagserlebnisse dort Platz haben. Irgedwie meine ich immer, nur über Probleme reden zu müssen, wel die ja oberlächig betrachtet die Dinge sind, die "behoben" werden sollen ...

Darf ich fragen was du für eine Therapie machst?
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münchnerkindl
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:09

abendrot79 hat geschrieben:
Ich frage, weil ich jetzt ca. 15 Stunden TFP hinter mir habe und wir ausser "Probleme-Wälzen" noch nichts anderes gemacht haben.

Wer bestimmt denn bei euch die Themen? Hast du einfach ein grosses Bedürfnis dir erst mal den ganzen "Dreck" in deinem Leben von der Seele zu reden?

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**AufdemWeg**
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:17

Ich mache eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie
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abendrot79
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:23

münchnerkindl hat geschrieben:Wer bestimmt denn bei euch die Themen? Hast du einfach ein grosses Bedürfnis dir erst mal den ganzen "Dreck" in deinem Leben von der Seele zu reden?
Ja, so könnte man es sagen Im Erstgespräch hatte noch die Thera "das Sagen", seitdem haue ich ihr Stunde für Stunde alles um die Ohren, was mich belastet ... oft sind es Geschichten aus der Vergangenheit, manchmal geht es um Emotionen die nach der letzten Stunde ans Tageslicht kamen, also manchmal nimmt die Nachbereitung der letzten Stunde komplett die nächste Stunde ein. Aber bisher habe immer ich bestimmt, was Thema ist. Meine Thera fragt auch am Anfang der Stunde "was wir heute machen" oder "wie es mir geht" und schwupp, fange ich wieder an auszupacken ... seit Beginn der Therapie brodelt es förmlich in mir ....
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abendrot79
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:29

**AufdemWeg** hat geschrieben:Meine Therapeutin legt da sogar Wert drauf. Anfangs kam ich mir dabei leicht verschaukelt vor weil ich dachte:"was soll ich denn damit anfangen"
Heisst das, dass sie dich ganz bewusst auf diese alltäglichen Dinge angesprochen hat?
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**AufdemWeg**
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:36

Ich habe von mir aus viel über diese Dinge erzählt.
Heute würde ich sagen um abzulenken.
Ich habe das was positiv ist damit klein geredet
aber meine Therapeutin hat genau da eingehakt
und mir gezeigt, dass das überhaupt nicht klein ist
und vieles davon auch nicht selbstverständlich.
Es hat mir Sicherheit in mir gegeben
in mir als Mensch
und erst dann war es mir möglich mich nach und nach für die negativen Seiten zu öffnen
weil ich in mir eine Sicherheit spürte
dass egal was kommt
ich ein Fundament habe.
Ich nehme es auch als Interesse meiner Therapeutin an meinem Leben
an mir als Menschen wahr
der eben mehr ist als ein Problem.
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abendrot79
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:46

**AufdemWeg** hat geschrieben: Es hat mir Sicherheit in mir gegeben, in mir als Mensch und erst dann war es mir möglich mich nach und nach für die negativen Seiten zu öffnen weil ich in mir eine Sicherheit spürte dass egal was kommt ich ein Fundament habe.
Dann hast du genau andersherum gehandelt als ich, oder? Nachdem ich einmal den Schritt in die Therapeuten-Praxis gewagt hatte, war ich einfach nur erleichert dass dort jemand ist, der 50 Minuten lang nur mir gehört und auch nur mir zuhört ... und seitdem lasse ich alles raus, was sich in den letzten 32 Jahren angestaut hat. So langsam beruhigt sich mein Inneres und der erste Druck ist weg ....
Es geht nicht darum, dass ich nun etwas suche worüber wir reden können, mir ist nur aufgefallen, dass meine Thera bis auf meine Probleme bisher sehr wenig über mich weiss!
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**AufdemWeg**
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Beitrag Do., 19.01.2012, 20:51

Ja, genau anders herum, da hast du recht.

Aber: es gibt noch sooo viel Zeit, dass sie dich kennenlernt
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Engel22
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Beitrag Do., 19.01.2012, 21:17

also meine fragt mich am anfang meist nach der arbeit wie es da läuft, auch weil wir in der selben branche arbeiten. naja und dann kommt meist der schwank zu dem privaten klar reden wir da viel über familie und hobbys aber sie fragt dann meist auvch danach wenn ich i.wie was angeschnitten habe. es ist aber jede std auch mal mehr mal weniger tief je nach dem wie die stimmung auch so ist und was noch so ansteht an themen. wenn ich auch so gar kein einstieg finde in die std fragt sie auch dann nach i.was und dann kommt man von selber ins gespräch finde ich aber auch immer gut wenn meine thera die std mit einer frage beginnt, weil ich gar nicht wüsste was ich so sagen soll bzw wo ich anfangen sollte.


leberblümchen
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Beitrag Do., 19.01.2012, 23:06

Hallo, Abendrot

Naja, was heißt 'Probleme'? Bei mir ist es so, dass ein Großteil meines derzeitigen Lebens ein Problem ist - und immerhin hab ich in der Therapie erkannt, dass es sich mehr oder weniger um EIN Problem handelt, das sich halt unterschiedlich zeigt. Also, mein Problem merke ich im Alltag schon ziemlich deutlich und da lohnt es sich doch, sich bestimmte 'klassische' Alltagssituationen oder auch irgendwelche Begebenheiten, die einem so zwischen den Stunden passieren, mal anzusehen, um zu gucken, wie man sich da verhalten hat.

Und es ist doch auch wichtig, dass der Therapeut erkennt, wo genau die Ressourcen des Patienten liegen, damit man daran anknüpfen kann oder mal später - in Krisenzeiten innerhalb oder außerhalb der Therapie - darauf zurückgreifen kann.

Also, ich würde die Ansicht nicht teilen, dass 'normale' Gespräche über Alltagsbegebenheiten oder Hobbys nichts sind, was die Kasse bezahlen sollte! In der Psychotherapie wird doch der Mensch als Ganzes gesehen - in der Medizin regen wir uns darüber auf, dass nur die Symptome bekämpft werden, und ausgerechnet in der Psychotherapie soll das anders sein?

Wenn also jemand erzählt, dass er Freude bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit hat, dann ist es doch toll, wenn der Therapeut sich dafür interessiert und dem Patienten zeigt, dass er etwas Wichtiges für die Gemeinschaft leistet. Warum sollte es in der Therapie immer nur darum gehen, dass dem Patienten gezeigt wird, was ihm alles NICHT gelingt?

Wenn der Patient selbst erst mal alle Probleme abladen will, ist das sein gutes Recht, aber es sollte auch Raum und Zeit sein für entspannte, positive Gespräche, die dem Patienten das Gefühl geben, nicht nur ein einziges Problem zu sein.

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Justus
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Beitrag Fr., 20.01.2012, 02:32

Ich mache keine Therapie um Probleme zu lösen...

...sondern um meinen Realitätstunnel zu verschönern und darum dreht es sich auch in der Therapie...

Der Therapeut ist dabei so etwas wie ein seelischer Innenarchitekt!

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saffiatou
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Beitrag Fr., 20.01.2012, 13:52

Hallo,

in meiner Therapie reden wir über alles, was mich betrifft, selbstverständilich haben die Dinge, die mich belasten Vorrang, aber
wir reden auch darüber, was in der Woche vorgefallen ist, wenn ich Freunde getroffen habe etc.

Wenn ich mal über besonders schlimme Dinge reden mußte, paßt mein Therapeut auch auf einen Ausgleich, gerade am Ende der
Stunde auf, fragt mich, was ich gleich dann noch machen werde, was ich die Woche geplant habe, damit ich mich wieder beruhige.

Ich kann es verstehen, wenn Du Deiner Therapeuten die ganzen belastenden Dinge "um die Ohren knallst", man möchte es endlich
los werden und verstanden werden, aber ich bin sicher ein wenig Balance ist wohltuend, denn es gibt auch Gutes.

Liebe Grüße, Saffia
never know better than the natives. Kofi Annan

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