Beziehung zu meiner Therapeutin

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Spacecadet
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Beziehung zu meiner Therapeutin

Beitrag Do., 28.03.2019, 21:00

Hallo Forengemeinde !

Zurzeit mache ich mir Gedanken über die Beziehung zwischen mir und meiner Therapeutin. Ich hoffe darauf, dass ihr mir eventuell ein paar Denkanstöße geben könnt. Eure, kritische, Meinung ist hier jedenfalls ausdrücklich erwünscht.


Zur Vorgeschichte

In ambulanter Therapie bin ich seit Mitte des letzten Jahres, aufgrund von wiederkehrenden Depressionen, einer hypochondrischen Angst-, sowie einer Persönlichkeitsstörung. Davor gab es mehrere Klinikaufenthalte.

Meine Therapeutin ist spezialisiert auf Klienten mit gleichen oder ähnlichen Problemkonstelationen. Im Rahmen dieser ambulanten Therapie habe ich erstmals angefangen, das wahre Ausmaß meiner Probleme zu begreifen.

Statt mich, wie früher, vergebens zu fragen, warum sich bspw. meine zwischenmenschlichen Beziehungen so unfassbar schwierig gestalten, wird mir nun allmählich klar, wie tiefgehend negativ, mich meine Persönlichkeitsstruktur beeinflusst.

Das führt zum Einen dazu, dass ich für mich selbst kaum noch zwischen ‚richtig‘ und ‚falsch‘ unterscheiden kann, mich also ständig in Frage stelle und zum Anderen, dass ich momentan sehr auf meine Therapeutin angewiesen bin, um meine Interpretationen, Handlungen und dergleichen mehr, mit der Realität abzugleichen.

Kurzum: Ich bin momentan sehr abhängig von meiner Therapeutin. Kann mir ein, gutes, Leben ohne Therapie kaum noch vorstellen.


Zur Aktuellen Situation

Umso bedauerlicher ist es, dass ich die letzte Sitzung verpasst habe und leider nur eine Stunde vorher absagen konnte, woraufhin sie mir eine Rechnung geschickt hat. Das sie das tut, kann ich logisch nachvollziehen, immerhin legt sie die Kosten für die Praxis aus, die leere Stunde blockt einen Termin, den jemand anders womöglich dringend hätte brauchen können und dergleichen mehr.

Dennoch belastet mich die Situation gerade sehr. Tatsächlich, ist es heute sogar zu selbstverletzendem Verhalten gekommen, weil ich einen großen Hass auf mich selbst verspüre, mich, aufgrund meiner Art vollkommen zurecht, ungeliebt und von allen, auch von ihr, gehasst fühle. Ganz im Sinne von ‚keiner hat mich lieb, weil ich so schlimm bin‘.

Dieser ‚Modus‘ tritt häufig auf und stammt wohl aus meiner Kindheit, wie wir in der Therapie klären konnten. Er hat wahrscheinlich mit kindlichen Anpassungs- und Überlebensstrategien zu tun, wurde bisher allerdings noch nie durch die Therapie ausgelöst.

Seither überlege ich die Therapie womöglich ganz abzubrechen, um dieser Frau nie wieder unter die Augen zu treten, weil ich mich schäme und verabscheue. Ich bin von dem Gedanken besessen, dass sie mich ebenfalls verabscheut, weil ich mich so schlimm verhalten habe und ‚flüchte‘ mich dabei in Suizidfantasien, um die Situation erträglicher zu machen.

Wenn ich nun allerdings über den Grund für mein Fernbleiben nachdenke, fällt mir auf, dass ich schon seit längerer Zeit Probleme damit habe, Situationsanalysen zu schreiben, weil mir momentan, abseits des SVV, keine geeigneten Situationen passieren, ich aber nicht mit ‚leeren Händen‘ dastehen will.

Ich will meiner Therapeutin gefallen, lasse mir ihrerseits ebenfalls viel gefallen, projiziere Wut auf mich selbst, statt beispielsweise auf sie. Das hat sie selbst bereits angesprochen. Dieses Schema tritt bei mir auch in (Liebes-)Beziehungen und gegenüber meiner Mutter auf. Am Ende stet meistens der plötzliche, komplette Kontaktabbruch.

Meine Fragen

1. Meint ihr eine Therapie ergibt unter diesen Vorzeichen noch Sinn ?

2. Was würdet ihr in meiner Situation tun ?

3. Gibt es valide Alternativen für meine Interpretationen ?

4. Weitere Gedanken zum Thema ?

*Ihr könnt ruhig offen und ehrlich zu mir sein. Ich erwarte keine Absolution von euch, verantwortlich für meine Taten bin ich alleine. Es geht mir nur darum, auch Ansichten von außerhalb einzuholen.

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RoboCat
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Beitrag Do., 28.03.2019, 21:27

Spacecadet hat geschrieben: Do., 28.03.2019, 21:00
1. Meint ihr eine Therapie ergibt unter diesen Vorzeichen noch Sinn ?
Ja, unbedingt! Du bist mitten drin im Prozess und die Therapuetin scheint gut zu sein, nachdem zu urteilen, was du über sie geschildert hast. Therapie ist Arbeit, sie hat nicht die Aufgabe, dir das Leben nett zu machen und dich zu pudern - im Gegenteil!

Du machst alles richtig, dein Rückfall in SVV gehört dazu. Deine Therapuetin wird damit souverän umgehen können. Nutze dies Chance, aus deinen Mustern auszubrechen. Dass sie dich die ausgefallene Stunde bezahlen lässt, ist vollkommen legitim wenn du so zeitig absagst. Lerne darauf und gehe nächstes mal einfach hin, auch wenn es wehtut, sich alles in dir sträubt. Noch mal: Es gehört dazu und du bist auf einem guten Weg!

Mach dich nicht selbst so fertig, du erscheinst sehr refelktiert und das ist die beste Ausgangslage für eine gelungende Therapie!!

Alles Gute!! Robocat
:axt:

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leonidensucher
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Beitrag Do., 28.03.2019, 21:30

Offen und ehrlich, gerne:

Ist doch super. JETZT hast Du die Chance zu lernen, wie es sich anfühlt, eine Beziehung nicht abzubrechen und wie es sich anfühlt, wenn das Gegenüber eben mal nicht reagiert wie Deine Mutter.

Die Selbstverletzungen - grmpf. Nicht gut, weisste selber. Ist halt eine Methode, die aktuell noch erfolgreich ist im Sinne von Druck abbauen, Selbstbestrafung. Gib Dir selber die Chance, damit aufzuhören indem Du anfängst, in gute lehrreiche Beziehung zu treten - und in jeder Beziehung knallt es mal,über kurz oder lang lernt man am Gegenüber, in einer etwas kleineres Amplitude zu reagieren.

Also:
1.) ja, auf jeden Fall
2.) Das was Du geschrieben hast ausdrucken und hingehen
3.) Nein, ausser dem Todschlagargument: das hat Dich wohl angetriggert und ein Modus hat sich aktiviert und Dich übernommen.
4.) Weitermachen. Kund tun, dass Situationsanalysen gerade noch nicht machbar sind- das Gras wächst nicht schneller und so weiter.

Alles Gute.
NEVER WASTE A GOOD CRISIS.

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Spacecadet
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Beitrag Do., 28.03.2019, 21:50

Danke für eure Antworten. Tut echt gut, wirklich, Dankeschön ! :)

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Montana
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Beitrag Do., 28.03.2019, 23:26

Was hast du denn erwartet wie Therapie funktioniert? Genau so. Du bringst gerade das gleiche Programm wie in anderen Beziehungen auch, was ja durchaus zu erwarten war. Aber dein Boykott dieser Beziehung, z.B. durch Fernbleiben, bedeutet nicht deren Scheitern. Im Gegensatz zum "realen Leben" darfst du dir das leisten und auch noch diverse andere Strategien ausprobieren. Und beobachten, was das jeweils mit DIR macht. Auf die Art kannst du dich langsam rantasten an so etwas wie eine "normale Beziehung". Die Therapie ist deine Spielwiese dafür. Und denke nicht, das wäre irgendwie unnormal oder gar abstoßend. Es gibt sehr viele wie uns, die sich einerseits Beziehung wünschen und andererseits nichts mehr fürchten. Wer als Kind keine guten stabilen Beziehungen hatte, der kann damit nicht umgehen. Und wer das weiß (und Therapeuten wissen das nun wirklich), der wird dein Verhalten nicht persönlich nehmen. Sondern es als Ausdruck deiner Not verstehen.

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Schnuckmuck
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Beitrag Fr., 29.03.2019, 08:08

Durch die Rechnung hast du sicherlich auch gemerkt, dass es sich um eine arbeitsbeziehung handelt und sie ihr Geld auch einfordert, wenn du nicht da warst. Das ist ein guter Prozess. Denn so wirst du wieder auf spur gebracht und weisst jetzt, zwar schmerzvoll, dass es keine glorifizierte Freundschaft ist. Sie arbeitet mit dir. Sie ist nicht deine Freundin.
Und zum nicht mehr ohne klar kommen, du hinterfragt dich derzeit sehr viel, weil deine grundfesten in Bewegung geraten. Um dich zu stabilisieren ist die Therapie da. Auch um in der Zeit daran zu arbeiten. Im Leben dazwischen musst du nicht unbedingt an dir arbeiten. Es kommt ja eh sehr viel innen in Bewegung, wie du ja selber merkst. Da kannst du ruhig auch mal weniger fördern von dir in der Zeit dazwischen.

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Philosophia
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Beitrag Fr., 29.03.2019, 09:55

Ja, ich sehe da auch jede Menge "gutes" Arbeitsmaterial, womit sie bestimmt auch viel anfangen kann. Deswegen bist du doch bei ihr und das, was du da beschreibst, ist doch Zeichen der Persönlichkeitsstörung. Nur Mut!
Natürlich wäre es schön, wenn du künftig nicht solche Handlungen vollführen würdest, wenn etwas angetriggert wird - aber daran könnt ihr arbeiten.
Und, um es auch noch mal klar zu benennen: Es ist eine Arbeitsbeziehung - sie, die Therapeutin, bekommt für jede Sitzung ihr verdientes Geld, welches ihren Unterhalt sichert. Du bist die Patientin mit einem Arbeitsauftrag an sie. Aber es ist dennoch gut, wenn du Gefühle auf sie überträgst, denn so können sie angeschaut und bearbeitet werden.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer


Sehn-Sucht
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Beitrag Fr., 29.03.2019, 20:09

Hi Spacecadet,

du bist jung, du machst auf mich einen sehr reflektierten, nüchternen, sympathischen Eindruck, du scheinst eine gute, solide arbeitende Therapeutin zu haben,- m.a.W.: du hast die besten Chancen, viel aus deiner Therapie machen zu können. Ich wünsche dir sehr, dass du der Versuchung, dich der Beziehung zu entziehen, weiter widerstehen kannst!

Mir ist bei deiner Selbstbeschreibung aufgefallen, dass dir neben anderem eine sogen. Persönlichkeitsstörung (PS) zu schaffen macht. Ich habe u.a. auch eine solche Diagnose, sie ist mein Hauptproblem, neben einer darauf aufsetzenden Depression.

Ich war allerdings fast doppelt so alt wie du, als bei mir diese Störung erstmals benannt wurde. Erst danach kam ich allmählich, auch mit Hilfe eines Therapeuten, dazu, mich mit meinem Lebenslauf auszusöhnen.

Grosse Hoffnungen auf eine Milderung der PS kann ich mir angesichts meines Alters nicht mehr machen.
Du hast aber die Chance auf grundlegende Besserung. Bleibe dran an der Therapie!

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Spacecadet
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Beitrag Mi., 03.04.2019, 23:19

Hallo Leute !

Es gab hier viel, wirklich gutes (!), Feedback. Dafür möchte ich mich nochmals herzlich bedanken. Es ist lange her, dass ich auf eine so freundliche, engagierte Onlinecommunity gestoßen bin !

Wie ging es nun weiter ?

Gestern nahm ich all meinen Mut zusammen und traf meine Therapeutin zur ersten Sitzung nach Übersendung der Rechnung. Es war anstrengend. Mein Impuls die Sache zu beschwichtigen war groß, doch ich hatte mir fest vorgenommen, weder in eine abhängig-unterwürfige Rolle, noch in eine feindselig-dominante zu verfallen. Eure Kommentare dabei fest im Hinterkopf.

Also habe ich so ehrlich und sachlich wie möglich mit ihr über dieses, sowie viele weitere Themen geredet.

Es war eine gute Sitzung, ich werde weiter hingehen. Wir sind uns darüber einig geworden, dass ich nicht unbedingt eine Verhaltensanalyse mitbringen muss, es aber in meinem Interesse wäre genau das zu tun, sofern ich mich dazu in der Lage wähne. Ansonsten würde sich aber auch etwas anderes finden lassen, sie würde nicht zwingend eine Analyse von mir erwarten.

Des Weiteren, hat sie mich nochmal auf eine Selbstverständlichkeit aufmerksam gemacht, die mir immer mal wieder abzugehen scheint:

Es ist nicht notwendig sich zu 'bemühen' um eine Beziehung aufrechtzuerhalten, es reicht aus, so zu sein wie man ist.

@Sehn-Sucht:

Erst in hohem Alter zu realisieren, dass man eine, für das eigene Leben womöglich nicht ganz förderliche, Persönlichkeitsstruktur mit sich herumschleppt, stelle ich mir sehr schwer vor. Insbesondere weil bis dahin womöglich schon viele Beziehungen gescheitert, Freundschaften zerbrochen und Entscheidungen gefällt wurden.

Aber gerade das ist, glaube ich, dass türkische an Persönlichkeitsstörungen. Da sie Teil des eigenen Ich sind, nimmt man sie eher nicht als ‚falsch‘ oder ‚unangemessen‘ wahr, wundert sich allerdings über das Ergebnis.

Wie lange bist du schon in Therapie wenn ich fragen darf ?

Edit:

Ich kann übrigens aus Erfahrungen an einer Verwandten 1. Grades nur Mut machen. Auch mit 50+/60+ ist eine Besserung noch gut möglich, selbst bei schwer ausgeprägter PS.

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