Therapeut als Vaterfigur

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Mimmy
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 24
Beiträge: 27

Therapeut als Vaterfigur

Beitrag So., 06.06.2021, 13:36

Hi zusammen,

ich mache seit 10/20 eine VT und habe hier schon manches Mal dazu geschrieben.
Für Folgendes braucht es ein paar Hintergrundinfos :
Vor knapp fünf Jahren, als ich 19 war, ist meine Mutter gestorben. Erst danach habe ich erfahren, dass mein Vater nicht mein Erzeuger ist. Wir haben leider kein gutes Verhältnis, es gab Gewalterfahrungen in der Kindheit, ich bin im Streit von zu Hause ausgezogen und heute haben wir kaum noch Kontakt.
Ich kenne den Namen meines Erzeugers, mehr aber auch nicht, und momentan bin ich mir auch sehr unsicher, ob ich mehr über ihn wissen möchte. Ich habe die Befürchtung, dass ich zu viel erwarte und nur enttäuscht werde.
Dennoch ist der Wunsch sehr groß, einen "richtigen" Vater zu haben, oder überhaupt ein Elternteil. Auch wenn ich erwachsen bin, fehlt es mir sehr. Einfach, dass ich meine Eltern zu mir einladen kann und für sie koche, sie meinen Freund kennenlernen, usw
Ich habe eine ziemliche Wunschvorstellung wie ein "richtiger" Vater sein sollte und das deckt sich in manchen Dingen sehr mit meinem Therapeuten.
Das macht mir allerdings ziemlich Sorgen, denn ich möchte mich keinesfalls zu sehr an ihn binden und mich auch nicht auf dieses Gefühl verlassen, das ich habe, wenn ich bei ihm bin. Ich empfinde es als falsch und ungünstig und schäme mich auch dafür. Ich habe es ihm auch noch nicht gesagt, frage mich aber, ob er es nicht vielleicht auch durch mein Verhalten merkt.
Andererseits wäre es wohl fair, ehrlich zu sein, damit er entscheiden kann, ob eine Therapie unter diesen Umständen noch sinnvoll ist.
Er sagte mir einmal, dass ich mich in der Therapie sicher fühlen darf und es keine falschen Gefühle gibt, aber es kann doch nicht gut sein, solche Wünsche an den Therapeuten zu haben ?

Werbung

Benutzeravatar

chrysokoll
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 45
Beiträge: 3647

Beitrag So., 06.06.2021, 13:56

dein Therapeut macht das was zur Therapie gehört: Nachbeeltern.
Deine Gefühle sind keineswegs falsch und vor allem auch nicht ungünstig.
Du kannst das in der Therapie getrost ansprechen. Wobei ich die Scham verstehe, aber das ist nichts was deinen Therapeuten überraschen wird.

Dass du jetzt so fühlst ist sogar gut, gerade so macht die Therapie Sinn.

Es wäre auch gut wenn du in der Therapie ansprichst was für dich einen Vater ausmacht, was du dir vorstellst und auch den Zwiespalt ob du mit dem Erzeuger Kontakt aufnehmen solltest. Auch dafür ist der Therapeut da!

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3271

Beitrag So., 06.06.2021, 14:27

chrysokoll hat geschrieben: So., 06.06.2021, 13:56 dein Therapeut macht das was zur Therapie gehört: Nachbeeltern.
Da gehen die Meinungen auseinander, ob das in einer Therapie gemacht werden sollte. Ich denke: nein. Und habe es auch noch nie erlebt.
Aber ob der Therapeut das hier macht, wissen wir auch gar nicht. Er muss nicht unbedingt etwas bestimmtes tun, um die Gefühle zu provozieren. Sie sind in der Situation, mit diesem familiären Hintergrund, doch sehr natürlich. Und sie sind definitiv nichts schlimmes oder ungewöhnliches.

Benutzeravatar

metropolis
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 36
Beiträge: 1969

Beitrag So., 06.06.2021, 14:58

Hi Mimmy,
Mimmy hat geschrieben: So., 06.06.2021, 13:36 Er sagte mir einmal, dass ich mich in der Therapie sicher fühlen darf und es keine falschen Gefühle gibt, aber es kann doch nicht gut sein, solche Wünsche an den Therapeuten zu haben ?
Oder genau das Gegenteil: eine positive Erfahrung mit deinem Therapeuten als Vaterfigur, auch wenn es nur auf Zeit ist und sich nicht in den privaten Bereich erstreckt, ist viel wert, vor allem wenn es von Seiten deines Ziehvaters und leiblichen Vaters her Enttäuschungen gibt oder geben würde.

Ich würde an deiner Stelle diese Erfahrung mitnehmen. Ich habe das in meiner Therapie getan und bin bis heute froh, dass ich eine fürsorgliche Vaterfigur erleben durfte, wobei zu meinem Stiefvater und leiblichen Vater kein Kontakt mehr besteht.

Lg

Metropolis
"Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!"

Theodor Storm

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Mimmy
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 24
Beiträge: 27

Beitrag So., 06.06.2021, 16:56

Danke für Eure Antworten !
Chrysokoll, wir haben schon darüber gesprochen und der Therapeut hat auch angedeutet, dass mir ein Vater fehlt und dass ich mir das offenbar wünsche. Mir war das allerdings sehr unangenehm, ich habe mich dafür geschämt, dass ich mir mit 24 Jahren so sehr einen Vater wünsche oder eben eine Person, die diese Rolle übernimmt. Deshalb wollte ich bisher nicht mehr darüber reden, auch aus Angst, er könnte merken, dass ich ihn in dieser Rolle sehe.
Was den Erzeuger betrifft, habe ich von meinem Therapeuten den Rat erhalten, ihn erst dann zu kontaktieren, wenn ich mich auch sicher dabei fühle und allgemein ein bisschen gefestigter bin.
Natürlich bin ich auch sehr neugierig und möchte wissen, was er für ein Mensch ist, aber noch bin ich nicht mutig genug.

Montana, ich weiß auch nicht, ob der Therapeut das bewusst macht, aber definitiv löst sein Handeln etwas in mir aus, was ich so nicht kannte und ich stelle mir vor, dass sich so auch ein Vater verhalten könnte.

Metropolis, hast Du Deinem Therapeuten erzählt, dass Du ihn als Vaterfigur siehst und wie hat er darauf reagiert?

Benutzeravatar

metropolis
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 36
Beiträge: 1969

Beitrag So., 06.06.2021, 18:01

Mimmy hat geschrieben: So., 06.06.2021, 16:56 Mir war das allerdings sehr unangenehm, ich habe mich dafür geschämt, dass ich mir mit 24 Jahren so sehr einen Vater wünsche oder eben eine Person, die diese Rolle übernimmt.
Was soll ich da mit meinen 36 Jahren sagen? Die Sehnsucht nach einer Vaterfigur ist doch etwas vollkommen Natürliches und begleitet einen ein Leben lang, wenn ein Vater nicht verfügbar ist durch Kontaktabbruch oder Tod. Ich sehe da nichts Verwerfliches dran, solange man darüber reflektiert, wem man diese Rolle in seinem Leben gibt.
Mimmy hat geschrieben: So., 06.06.2021, 16:56
Metropolis, hast Du Deinem Therapeuten erzählt, dass Du ihn als Vaterfigur siehst und wie hat er darauf reagiert?
Naja, sagen wir mal so: er wusste es länger als ich, dass ich in ihm einen Vater suchte. Ich selbst musste mich mit seiner Hilfe erstmal durch mehrere Schichten durcharbeiten: Ablehnung, Verliebtheit erotischer Natur, Mutterfigur etc. Das alles überdeckte zeitweise den Wunsch ihn als Vater wahrzunehmen. Gegen Ende der Therapie hatten wir dieses Chaos weitgehend geordnet, so dass ich rückblickend seine väterliche Fürsorge besser wahrnehmen konnte.

Die Übertragung auf ihn als Vaterfigur war also eher die unschuldigste aller Rollen, die ich ihm zuschrieb.

Ich weiß jetzt nicht, wie viel Raum sowas in einer VT einnehmen kann, aber ich möchte dich ermutigen es zumindest anzusprechen. Es gibt keinen Grund, warum dir das peinlich sein sollte.
"Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!"

Theodor Storm


Truemmerlotte
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 34
Beiträge: 81

Beitrag So., 06.06.2021, 20:45

Liebe Mimmy

Ich finde es super, dass du dich so gut ausdrücken und deine Gefuhle/Ängste beschreiben kannst.

Da ich selber schon in der Situation war (ehrlich gesagt sogar noch bin, obwohl ich im Oktober die Therapie "abgebrochen" habe) verstehe ich deine Scham und auch den Gedanken ihn nicht so nah an dich ranlassen zu wollen, da es ja kein für immer ist.
Ich würde dich dazu ermutigen wollen, dass doch nochmal mit deinem Therapeuten zu besprechen, denn ich glaube schon, dass solche Gedanken/Gefühle in der Therapie behindern, aber auch weiterbringen können, wenn man sie denn anspricht.
Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man dann genau mit diesen Gefühlen arbeiten kann. Um weiter zu kommen und um dann wieder auch auf andere Sachen sein Augenmerk zu richten.

Mir ging es zumindest so, dass mich die Gefühle zu meinem Therapeuten so "benebelt" und abgelenkt haben, dass ich nur schwer an den anderen Problemen arbeiten konnte.

Und es wäre eine schöne und gute Erfahrung für dich, wenn du siehst das deine Gefühle sein dürfen und nicht "falsch" sind.
Dein Therapeut wird das kennen und kann da ganz sicher mit umgehen und wird dich nicht wegschicken.

Ich(33) habe meinem Therapeuten erzählt, dass ich ihn mir an manchen Abenden auf meinem Sofa sitzend vorstelle, während ich ein Zimmer weiter, mit offener Tür, im Bett liege und schlafe. (Der Gedanke war für mich pure Geborgenheit, welche ich mir so sehr von meinem Vater gewünscht habe.)
Einfach als "Bewacher", damit mir nichts passiert und ich nicht alleine bin. Einfach jemand da ist.
Er meinte daraufhin, dass ich doch da eine schöne Möglichkeit gefunden habe mit meiner Sehnsucht umzugehen und fand es gut das ich ihm das erzählen konnte.

Ich wünsche dir auch solche guten Erfahrung mit deinem Therapeuten und den Mut, es anzusprechen!

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3271

Beitrag Mo., 07.06.2021, 08:20

Da fällt mir ein, dass mein Analytiker mal ernsthaft vorgeschlagen hat, ich könnte die Stunde zum Schlafen auf seiner Couch nutzen und er würde dann wie ein wachender Vater neben mir sitzen. Ich war entsetzt. Für mich war eine solche Vorstellung nämlich undenkbar. Ich wollte auch weg von der Couch, um ihn immer im Auge behalten zu können.

Benutzeravatar

Arakakadu
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 33
Beiträge: 1450

Beitrag Mo., 07.06.2021, 09:19

Ich finde auch dass du voll gut ausdrücken kannst wie es dir geht und das würde er bestimmt nicht zum ersten Mal hören.
Ich finde diese Gefühle total normal und du kannst sie einfach sein lassen und genießen. Sofern du das kannst. In mir geht das selbe vor, jedoch ist bei mir alles von einer intensiven Angst, gefallen lassen zu werden, begleitet. Bei mir ist das wirklich schon sehr schwierig und stört den Therapieprozess, auch weil ich mich nicht immer so gut öffnen kann. Sprich alles an was in deinem Kopf ist :)


Truemmerlotte
Helferlein
Helferlein
weiblich/female, 34
Beiträge: 81

Beitrag Mo., 07.06.2021, 10:26

@ Montana

Okay, in meinem Kopf tat es gut und konnte ich es mir gut vorstellen.
Hätte er mir aber sowas, wie dein Analytiker dir, vorgeschlagen hätte ich wohl auch dankend abgelehnt😅
Man gut das meiner Tiefenpsychologe war, da gab es nur den Stuhl, keine Couch...

Benutzeravatar

chrysokoll
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 45
Beiträge: 3647

Beitrag Mo., 07.06.2021, 12:21

Montana hat geschrieben: Mo., 07.06.2021, 08:20 Da fällt mir ein, dass mein Analytiker mal ernsthaft vorgeschlagen hat, ich könnte die Stunde zum Schlafen auf seiner Couch nutzen
puh, Analytiker haben schon merkwürdige Ideen.
Ok, ich bin bei meinem Analytiker gar nicht richtig bis auf die Couch gekommen, obwohl er es immer wieder vorgeschlagen hat und wollte.
Ich saß auf der Couch und eine ganze Weile hinter der Couch auf dem Boden.

Dass ich nicht für Analyse geeignet bin hätte er wirklich feststellen können und das werfe ich dem heute noch vor.
Ich hab da eine Menge Geld mit einer letztlich für mich sinnfreien Therapie vergeudet.

Aber darum geht es hier nicht, sondern um Vaterfiguren.
Und DAS haut keinen Therapeuten, egal welcher Fachrichtung vom Hocker.
Da braucht man sich nicht schämen! (wobei ich das Gefühl natürlich verstehen kann)

Achso, nochmal off topic:
Mein Analytiker war aber empört als ich ihn fragte ob ER die Couch mal für ein Nickerchen nutzt

Benutzeravatar

Montana
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 44
Beiträge: 3271

Beitrag Mo., 07.06.2021, 20:10

Meiner hatte sogar eine Decke zum Zudecken da. Die bot er mir mal an und ich wehrte das rigoros ab. Später dachte ich aber: wie blöd kann man sein, das war doch nur nett. Ich beäugte immer wieder aus der Entfernung diese Decke und wagte es niemals, danach zu fragen.

Benutzeravatar

chrysokoll
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 45
Beiträge: 3647

Beitrag Di., 08.06.2021, 10:25

meine Therapeutin (Verhaltenstherapie, Traumatherapie), hat auch Decke und verschiedene Kissen parat.
Das bietet sie aber auch aktiv an, spricht das ab, weist immer wieder darauf hin. Also nicht lästig, sondern passend.
Das ist schon schön, wobei mir das trotzdem unheimlich ist.
Aber eben anders als in einer Psychoanalyse. Da bin ich ja wie gesagt nicht bis zur Couch gekommen

Benutzeravatar

Solage
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 48
Beiträge: 2838

Beitrag Di., 08.06.2021, 14:37

Mein Analytiker bietet Decken und Kissen an. Ich kann liegen oder sitzen.
Und mir geht es auch so, dass ich in ihm eine Wunsch-Vaterfigur sehe. Manchmal, wenn ich in eine Decke gekuschelt auf der Couch liege, dann liest er mir auch mal aus einem Buch etwas Tröstendes vor. Sogar vereinzelt Musikstücke.
Da fühle ich mich in der Regression wie ein Kleinkind, das vom Vater behütet wird. Ich kann das mittlerweile auch zulassen und genießen.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Mimmy
sporadischer Gast
sporadischer Gast
weiblich/female, 24
Beiträge: 27

Beitrag Di., 08.06.2021, 19:13

Vielen Dank für Eure Antworten !
Ich weiß noch nicht, ob ich es in der nächsten Therapiestunde am Freitag ansprechen werde.
Meistens entscheide ich immer ganz spontan, je nachdem was mein Bauchgefühl sagt, was und wie viel ich ihm anvertrauen möchte. Das Vertrauen ist aber generell immer noch ein schwieriges Thema für mich. Manchmal reichen schon Kleinigkeiten und ich bin wieder total verschlossen. Das ist mir bewusst und es nervt mich ja selbst.
Aber wenn ich mich "sicher" fühle, wenn alles passt und es ein guter Tag wird, spreche ich es an.
Ich weiß nicht, wie sich ein richtiger Vater verhält, aber dieses Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit finde ich auch sehr wichtig.
Ich war als Kind mit allen Gefühlen alleine; Weinen war eine Schwäche und wurde bestraft und alles andere war uninteressant, außer die Schulnoten, generell Leistung erbringen.
Jetzt erlebe ich in der Therapie auf einmal das komplette Gegenteil. Gefühle sind erwünscht und werden verstanden und ich darf Fehler machen.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag