Zuneigungsbekundungen vom Therapeuten

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ArcticFox
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Zuneigungsbekundungen vom Therapeuten

Beitrag Fr., 03.09.2021, 17:30

Hi Zusammen,

mein Problem gibt es so ähnlich zwar schon manches Mal hier im Forum, aber ich habe noch nichts richtig Vergleichbares gefunden, daher öffne ich ein neues Thema und hoffe, dass das ok ist.

Seit knapp 4 Jahren mache ich eine TfP, u.a. wegen Missbrauchserfahrungen in meiner frühen Jugend.
Wir arbeiten in der Therapie sehr beziehungsorientiert und ich habe in diesen 4 Jahren schon so ziemlich jedes Stadium von Mich-nicht-einlassen-können, über Misstrauen, große Sehnsucht nach Nähe, nüchterne Arbeitsbeziehung, bis hin zu Abhängigkeitsgefühlen meinem Therapeuten gegenüber durchgemacht. Über das meiste davon haben wir auch gesprochen, er hat also eine ziemlich gute Vorstellung davon, welche Art von Beziehung ich zu ihm habe.

Er hat sich von Anfang an sehr authentisch gezeigt, sodass ich nicht raten musste, was gerade in ihm vorgeht bzw. habe ich auf entsprechende Fragen immer eine ehrliche Antwort bekommen. Dass er mich mag, konnte ich an der Art, wie er mit mir umgeht merken, aber er hat es nie von sich aus thematisiert.
Vor ein paar Wochen hat sich das jetzt geändert. Ich war misstrauisch über die Motive einer Entscheidung, die er für die weitere Therapie getroffen hatte und befragte ihn in einer Sitzung dazu recht eindringlich. Er erklärte es mir auch sehr ausführlich und für mich war das Thema damit ok. Aber er wollte mir dazu offenbar gerne noch mehr sagen, weil er mir plötzlich eröffnete, dass er diese Entscheidung nicht in erster Linie therapeutisch begründet getroffen hätte, sondern, weil ich ihm sehr ans Herz gewachsen sei und er mich sehr mag. Seit dieser Sitzung vor ein paar Wochen häufen sich Zuneigungsbekundungen unterschiedlicher Art. Und ich bin ehrlich gesagt hin- und hergerissen, wie ich das finde. Einerseits freut es mich natürlich und fühlt sich schön an, andererseits macht es mir zunehmend Angst. Ich verstehe einfach nicht, wo dieser plötzliche Wandel herkommt und v.a. Dingen weiß ich nicht, ob er das mit einem therapeutischen Ziel im Hinterkopf tut (damit ich merke, dass diese Art Beziehung nicht immer in einer Katastrophe endet) oder ob da persönliche Motive von ihm dahinter stecken - meine Phantasie hat da lebhafte Ideen...

Ich lese hier schon ziemlich lange mit und weiß, dass die Lösung meines Problems darin besteht, einfach meinen Therapeuten zu fragen, was ich defintiv auch noch tun werde. Trotzdem wäre ich sehr an eurer Außensicht interessiert und v.a. daran, ob welche von euch das vielleicht selbst schonmal in einer guten Weise in einer Therapie erlebt haben, also, ob das tatsächlich eine therapeutische Intervention sein kann und hier gerade einfach nur meine Phantasie mit mir durchgeht.

Viele Grüße
Fox

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metropolis
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Beitrag Fr., 03.09.2021, 22:05

Hallo Arctic Fox,

was sind das für Zuneigungsbekundungen? Habe ich richtig verstanden, dass du als Mann bei einem männlichen Therapeuten bist? Wie ist euer Altersunterschied? Bewegt sich das evtl. auf einer Vater-Sohn-Ebene?

Sorry für die vielen Fragen. Ich würde nur gerne besser verstehen wollen, wo dein Therapeut da steht mit seiner Zuneigung.

Ich persönlich würde mich zu denen zählen, die von solchen "Interventionen" langfristig profitiert haben, weil es für mich korrektive Erfahrungen wurden. Mein ehemaliger Therapeut hat das weniger explizit ausgesprochen, aber es wurde nach einiger Zeit schon sehr deutlich, dass ich ihm ans Herz gewachsen bin und dass wir diese ( ich nenne es mal) Liebe therapeutisch genutzt haben bis zum Abschied.

Ich denke jeder Therapeut muss irgendetwas Liebenswertes in seinen Patienten finden und eine Bindung aufbauen. Das sind nicht zwingend therapeutische Interventionen, die bewusst zur Heilung eingesetzt werden. Ein total kühler Therapeut kann sich nur bedingt auf die therapeutische Beziehung einlassen. Kommt sicherlich auch immer auf die Themen und Erkrankungen an, die bearbeitet werden sollen.

Das ist ein extrem schmaler Grat, auf dem man da wandert. Es kann leider auch nach hinten losgehen und negative Konsequenzen haben. Diese Thematik und Gefühle können dann sehr viel Raum einnehmen und anderen Themen dadurch verdrängen. Auch besteht die Gefahr der Abhängigkeit, wie man oft hier im Forum lesen kann.

Ich bin mir noch nicht sicher, ob es wirklich gut ist, dass er seine Gefühle so offen kommuniziert, da es den Fokus weglenkt von deinem Erleben und deinen Wahrnehmungen. Andererseits ist Ehrlichkeit sehr gut, weil dann die Fronten eher geklärt sind und kein Rätselraten beginnt, warum er sich so komisch verhält, wie in meinem Fall.

Aber wie gesagt, ich habe durch diese Bindung und die Zuneigungsbekundungen auf Vater-Tochter-Ebene sehr dazugewonnen. Für mich persönlich einer der zwei wichtigsten Wirkfaktoren meiner Therapie.

LG

metro
"Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!"

Theodor Storm

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Solage
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Beitrag Fr., 03.09.2021, 23:06

Ich bin laut Therapeut ihm auch ans Herz gewachsen, was nach so vielen Jahren eh klar ist. Manchmal macht es mir Angst, empfinde ich es als zu viel.
In der Gesamtsumme aber wiederum angemessen.
ArticFox, ich kann mir vorstellen, dass dein Therapeut hinsichtlich deines kritischen Hinterfragens wieder authentisch geantwortet hat . Also therapeutisch ehrlich.

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ArcticFox
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 01:48

@metropolis
Ja, genau, ich bin bei einem männlichen Thera. Er ist etwa 20 Jahre älter als ich.
Seine Zuneigungsbekunden sind Sätze wie, dass er sich die ganze Woche auf unsere Sitzung freut oder dass er in seinem Urlaub oft an mich gedacht hat. Außerdem hat er mich quasi dazu aufgefordert, ihm persönliche Fragen zu stellen und das mit dem Hinweis versehen, dass ich ihm näher kommen darf. Neuerdings überzieht er auch immer meine Stunde - das hat er vorher noch nie getan.

Vater-Sohn-Verhältnis kommt schon irgendwie hin, aber das ist genau mein Problem an der Sache. Mein Täter war eine enge väterliche Bezugsfigur und auch da war die Beziehung jahrelang vollkommen unverdächtig. Bis sich plötzlich eben sein Verhalten sehr verändert hat und mir eben auch sehr deutlich seine Zuneigung gezeigt hat, bis es letztlich dann bei MB angekommen war.

Bei meinem Thera habe ich nicht wirklich Angst, dass er mich anfassen könnte, aber dass er diese Beziehung irgendwie für seine eigenen Zwecke nutzen könnte oder, dass er seine Grenzen nicht mehr wahrnimmt und mich letztlich abrupt rausschmeißt.

@Solage
Ja,seine ursprüngliche Äußerung war sicher eine authentische Reaktion auf mein Misstrauen, aber mich machen diese Fortsetzungen einfach sehr stutzig.

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metropolis
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 08:23

Hallo Artic Fox,

Kann es sein, dass das Diskussionsthema, wo du so misstrauisch warst und wonach er sich verändert hat, das Ende bzw. die Weiterführung der Therapie betrifft? Ich rate hier mal ins Blaue, dass du nach 4 Jahren Therapie (mittlerweile Selbstzahler?) den Abschied angesprochen hast? Und er hat dir angeboten weiter zu kommen, wie auch immer die Finanzierung der Stunden weiterläuft? Reine Spekulation, aber die Diskussion, die ihr da hattet, scheint etwas bei ihm ausgelöst zu haben.

Für mich wirkt es, als habe er Probleme mit dem Abschied/ Ende der Therapie. Er vergrößert die Nähe, nimmt dich gedanklich ins Privatleben mit, möchte von dir als Privatperson wahrgenommen werden. Das gehört auf jeden Fall besprochen, auch die Parallelen zur Missbrauchssituation.

Ich habe in meiner Therapie auch zwei Missbrauchssituationen aus meiner frühen Jugend bearbeitet. Natürlich reinszeniert sich auch der Missbrauch in der Therapie, wenn sie sehr beziehungsorientiert geführt wird. Das heißt, wir hatten Konstellationen während der Sitzungen, die sehr nah an diese MB-Erfahrungen rankamen. Hier war ich aber der treibende Faktor und mein Therapeut hat Grenzen gesetzt, um dem MB nicht zu wiederholen. Das war im Prinzip eine der korrektiven Erfahrungen: Nähe ist möglich auch ohne Sexualisierung.

Es kann also gelingen, dass dein Therapeut dir genau das zeigen möchte. Nähe und Zuneigung kann existieren, ohne dass es in den MB abrutscht. Er als Beispiel für eine positive väterliche Bezugsperson.

ABER ich vermute, dass er gerade ein eigenes Thema in die Therapie reinbringt ( mit seinen Zuneigungsbekundungen) und dass er selbst für sich mal schauen sollte, warum er dir gerade jetzt so offen mitteilt, welchen Platz du in seinem Herzen hast. Da muss sich irgendwas bei ihm verändert haben. Er muss das aber vor allem mit sich ausmachen. Die Sätze an sich sind ja erstmal schön und zeugen von eurer Bindung. Auch stört es mich nicht, dass er sich nach 4 Jahren einem Patienten eng verbunden fühlt. Mich irritiert nur, dass er so stark die Initiative ergreift, dir dies mitzuteilen. Und dies könnte einen Abschied bzw. eine Ablösung erschweren.

Lieben Gruß

Metropolis
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Theodor Storm

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ArcticFox
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 12:27

Da hast du gut geraten :lol: Es ging um das Thema Therapieweiterführung, allerdings etwas anders,
als von dir vermutet.

Ich habe tatsächlich erst jetzt im Juli die 100h aufgebraucht, weil ich im letzten
Jahr krankheitsbedingt mehrere Monate Pause einlegen musste. Ich hatte ihn Anfang dieses Jahres
darauf angesprochen, ob es nach diesen 100h noch die Möglichkeit gäbe, für eine Weile dann auf
Selbstzahlerbasis zu kommen, weil ich mich noch so gar nicht bereit für das Ende gefühlt habe.
Da war er sehr ablehnend und hat auf "möglicherweise können Sie dann noch die Quartalsstunden
nutzen" verwiesen. Ich war darüber traurig und auch ziemlich vor den Kopf gestoßen, weil er
überhaupt nicht auf meine Sachargumente für eine Fortführung eingegangen war, sondern nur meine
Abschiedsangst im Blick hatte, die er nicht unterstützen wollte.

Naja, ich hatte mich dann irgendwann damit abgefunden und versuchte, an der innerlichen Loslösung zu
arbeiten. Etwa 2 Monate nach diesem Gespräch eröffenete er mir aus dem Nichts (ich hatte das Thema
seither nicht mehr angesprochen), dass er gerne versuchen würde, einen Verlängerungsantrag über die
100h hinaus zu stellen, dass er das allerdings noch nie gemacht hätte und er deshalb nicht wüsste,
ob es erfolgreich sein würde. Ich war darüber total perplex, wollte dazu im ersten Moment auch Nein
sagen, weil ich tatsächlich auf einem ganz guten Weg war, ihn etwas loszulassen. Das Angebot freute
mich aber eben doch sehr und ich sagte ihm schließlich zu. Er stellte den Antrag und Anfang Juni kam
dann auch tatsächlich die Bewilligung über zusätzliche 25h.

Mir ließ dieser spontane Meinungsumschwung bei ihm aber keine Ruhe, weshalb ich ihn vor ein paar
Wochen darauf ansprach. Dabei kam dann u.a. eben, dass ich ihm so sehr ans Herz gewachsen bin etc.

Und ich glaube schon, dass es ihm um ein korrigierendes Erlebnis geht und er nichts "Böses" im
Schilde führt. Aber mich hat dieses unerwartete Hin- und Her zum einen wirklich stark verunsichert
und zum anderen ich ertappe in letzter Zeit dabei, dass ich darüber nachdenke, wie ein Kontakt zu
ihm nach der Therapie aussehen könnte und ob er sich da wohl drauf einlassen würde.
Denn ich merke zwar, dass ich viel unabhängiger geworden bin in diesem Jahr, aber trotzdem ihn einfach schrecklich
vermissen werde und ein Teil von mir es auch so absurd findet, eine so enge und - bis jetzt - gute
Beziehung einfach absichtlich aufzugeben. Auch, wenn ich rational natürlich verstehe, dass das
nunmal Teil einer Therapie ist.

Ich bin da ganz bei dir, dass es v.a. seine Initiative an dieser Stelle ist, die mich irritiert und
auch, dass es mich gerade wieder voll in ein Nicht-gehen-wollen zurückwirft, aus dem ich
mich - zumindest in Ansätzen - in den letzten Monaten schon befreit hatte.

Wenn ich das hier so geordnet schreibe, denke ich, ich muss ihn auf jeden Fall darauf ansprechen,
auch wenn ich gerade Angst habe, dass er sich dann krass zurückzieht und das möchte ich natürlich
eigentlich auch nicht... Ach Mensch, warum sind solche Dinge nur so kompliziert?!

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chrysokoll
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 12:54

deinen Zwiespalt verstehe ich sehr sehr gut!
Ich habe leider MB in der Kindheit und in der Therapie erlebt, von daher bin ich da recht voreingenommen.

Was dein Therapeut da macht ist sehr sehr merkwürdig und ich würde das an deiner Stelle klar ansprechen und auch nicht locker lassen bis das für dich ausreichend geklärt ist und sich dann auch in den Stunden so darstellt.

Erst ganz kühl und Ende und dann er hat dich so lieb gewonnen? Hmmm

So, jetzt hast du 25 zusätzliche genehmigte Stunden (was ganz am Rande mal wieder beweist dass mit den vorgegebenen Stundenkontingenten nicht Schluss sein muss und sehr wohl mehr genehmigt wird):
Was machst du da jetzt draus?
Gibt es noch Ziele, Dinge die du bearbeiten, erreichen willst? Was sind die Erfolge bisher, was steht für dich noch an?

Ich finde es sehr schlecht dass dein Therapeut mit seinen Aktionen nun denen Focus von dir weg gelenkt hat hin zu sich, zur Nähe, zu dem was ausserhalb sein könnte. Ganz gefährlich und unprofessionell.

Ein anderer Vorschlag, einfach als meine Idee:
Hast du das Trauma für dich ausreichend bearbeitet?
Hast du dir überlegt noch eine andere Therapieform zu wählen, bei einem anderen Therapeuten?
man muss nicht Jahre nur bei einem bleiben.
Traumatherapie, verhaltenstherapeutisch, das könntest du auch direkt im Anschluss machen.

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Sinarellas
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 13:27

Da hat chrysokoll schon alles gesagt, was ich auch sagen würde.
Es ist sehr merkwürdig und weder professionell noch angebracht. Sein Verhalten ist grenzüberschreitend und das hast du bereits bemerkt.
Sehr gefährlich die Situation - Beine nehmen und rennen.
..:..

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chrysokoll
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 13:42

absolute Zustimmung sinarellas, mit einer Anmerkung:

Bei einem Therapeuten bei dem ich vier Jahre gute Therapie gemacht habe würde ich nicht sofort und kommentarlos rennen, sondern erst noch das Gespräch suchen. Und je nachdem wie er da reagiert (und das auch umsetzt!) und wie authentisch und glaubwürdig er da wirkt würde ich entscheiden.

Eventuell auch kleine Therapiepause. Zweitmeinung einholen.

Aber ich bleib auch dabei: Nach vier Jahren kann man auch wechseln und nochmal woanders hingehen.
Das bringt meist auch mehr.

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metropolis
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 14:01

Ok, die Zusammenhänge sind natürlich für das Verständnis.

Du fühlst dich noch nicht bereit für den Abschied und er macht hier eine große Ausnahme, da er einen solchen Antrag noch nie gestellt hat. Er gibt dir und sich also mehr Zeit, um einen guten Abschluss zu finden. Zumindest hoffe ich das, dass sein Hauptmotiv ist.

Ich kann schon verstehen, warum das andere als grenzüberschreitend und unprofessionell wahrnehmen. Es ist auch nicht ganz "sauber". Aber ich würde das Angebot trotzdem nutzen, um offene Themen so gut wie möglich abzuschließen und dich auf die Zeit danach vorzubereiten.

Ich hatte eine Therapie-Endphase, die in eine ähnliche Richtung ging, vom Angebot länger zu kommen, die noch eine Stufe unprofessioneller war, aber wir haben nach einigen Hin und Her einen guten Abschluss gefunden. Und ich bin froh, diesen zusätzlichen Raum für den Abschied bekommen zu haben. Ich habe ihn gebraucht.

Das Vermissen wird kommen und das ist auch ok. Bei mir persönlich war das Ziel, dass ich für die Zeit danach ein inneres Bild/ einen inneren Therapeuten aufbaue, der mir durch schwierige Phasen durchhilft. Das hat mir im Endeffekt geholfen, ohne meinen Therapeuten weiterzumachen. Ich hatte den Ehrgeiz irgendwann allein klarzukommen, auch wenn es natürlich schade ist, diesen nahestehenden Menschen nicht mehr um sich zu haben.

Das Handwerkszeug solltest du während der Therapie bekommen haben. Du kannst für dich sorgen. Und er ist nicht weg, physisch ja, aber nicht innerlich. Vertraue darauf, dass du das gut machen wirst.
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Theodor Storm

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ArcticFox
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 14:10

@chrysokoll
Ja, da sind auf jeden Fall noch Dinge, die ich bearbeiten bzw. erreichen möchte. Kurz, bevor ich
letztes Jahr krank geworden bin, habe ich überhaupt erst mit der Traumabearbeitung angefangen, weil
ich sehr lange gebraucht habe, um dafür genug Vertrauen zu haben und es auch noch ein anderes großes
Thema gibt, das anfänglich im Mittelpunkt stand. Dann musste ich die Therapie unterbrechen und
danach konnte es mit der Traumaarbeit auch nicht direkt weitergehen, weil ich akut mit den
Folgen meiner Krankheit umgehen lernen musste und dazu auch die Therapie gebraucht habe.
Entsprechend stand für mich jetzt in diesem Jahr das Thema aber wieder im Mittelpunkt und da habe
ich aus meiner Sicht auch noch ein Stück Weg vor mir. An vorderster Stelle das Thema Nähe
zulassen. Daran arbeiten wir momentan hauptsächlich. Daher kam ich auch drauf, dass das, was er
momentan tut, möglicherweise einfach nur der Versuch er korrektiven Erfahrung ist, so wie
metropolis es auch schon geschrieben hat.

Bis jetzt dachte ich eigentlich, dass nach dieser Therapie für den Moment erstmal Schluss mit
Therapie ist und speziell von einer Verhaltenstherapie verspreche ich mir in meinem jetzigen
Stadium auch nichts mehr. Dinge wie Flashbacks, Albträume etc. habe ich mittlerweile gut im Griff.
Mein Hauptproblem bleibt das Ding mit der emotionalen Nähe, dem mich-verbunden fühlen, mich einlassen
oder auch - ganz schwieriges Wort für mich - hingeben. Ich weiß allerdings nicht genau, inwieweit
sich eine dezidierte Traumatherapie an dieser Stelle von einer klassischen Verhaltenstherapie
unterscheidet. Könnte ich mir aber vielleicht mal anschauen. Ich merke allerdings gerade, dass der
Gedanke, zu einem anderen Therapeuten zu gehen, sehr viel Ablehnung und Trotz auslöst. Lohnt sich
also wahrscheinlich, da mal genauer hinzuschauen ;-)

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ArcticFox
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 14:22

@metro
Aus bloßer Neugierde: Du sagst, du hattest eine ähnliche Endphase und Art der Beziehung zu deinem Thera und er mochte
dich offenbar sehr gerne - haben du oder er im Nachgang jemals versucht, nochmal Kontakt
aufzunehmen?

Kommentarlos gehen würde ich auf keinen Fall, das ist mir diese Beziehung auf jeden Fall wert.

Der vertrauende Teil von mir denkt auch durchaus, dass diese verlängerte Abschiedsphase etwas
Gutes sein kann und ich so vielleicht auch mal die Erfahrung eines guten Abschieds machen kann,
einem, bei dem ich mich nicht mit Gewalt losreißen muss und mich innerlich hart dem Anderen
gegenüber machen muss, um die Kraft aufzubringen, zu gehen (obwohl der Andere mir nur noch wehtut).

Der misstrauische Teil in mir denkt allerdings, dass das doch wieder nur mein Muster ist und ich
lieber irgendwo bleibe, wo es mir nicht gut tut, weil ich einfach die Hoffnung nicht aufgeben kann,
dass sich doch noch alles zum Guten wendet.

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alatan
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 16:49

Es ist schlimm, dass es so viele Therapeuten gibt, die offensichtlich eigene schwerwiegende unverarbeitete Themen haben, mit denen sie Patienten verwickeln, in üble Abhängigkeiten führen und auf diese Weise potentiell schädigen, ja im Grunde - wenn auch nicht mit böser Absicht - missbrauchen.

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peppermint patty
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 18:00

Dass Dich dein Therapeut ins Herz geschlossen hat und dies artikuliert, finde ich gut, menschlich und authentisch. Das passiert tatsächlich häufig in Therapie und ist so auch in Ordnung.

Das er allerdings die Verlängerung der Therapie damit begründet, lässt mich aufhorchen, denn das hört sich nicht gut für mich an. Es klingt so, als hätte es mehr mit ihm und weniger mit deiner Problematik zu tun. Also weniger „Am Thema x müssen wir noch arbeiten, um einen guten Abschluss der Therapie zu erreichen, und um die erreichten Erfolge zu sichern“ Denn dafür ist diese letzte Vertragsverlängerung eigentlich da.

Mit einer korrigierenden Erfahrung hat das für mich weniger zu tun. Auch nicht, dass er dir sich aufdrängt. Ich war eine hier und da ziemlich neugierige Patientin (benötigte dies auch um Sicherheit zu gewinnen) und habe durchaus viele persönliche Fragen in meiner Therapie gestellt, die wurden mir auch alle authentisch beantwortet. Aber meine ehemalige Thera drängte sich mir nicht auf, die Therapie stand für sie immer im Vordergrund.

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ArcticFox
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Beitrag Sa., 04.09.2021, 19:55

Hm, naja, das war ja nicht das einzige, womit er die Verlängerung begründet hat. Davor hat er mir eine halbe Stunde lang seine therapeutischen Gründe dafür erklärt. Nur scheinen die nicht ausschlaggebend für seine Umentscheidung gewesen zu sein.

Auch würde ich nicht sagen, dass er mich bedrängt. Er formuliert ganz vorsichtig und lässt mir immer den Raum, nicht darauf einzugehen bzw. sagt dazu, dass ich schaue, ob ich das annehmen kann/will.

Aber ja, irgendwas ist komisch gerade :-(

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