Scham

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Maskerade
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Scham

Beitrag So., 19.03.2017, 13:05

Hallo an alle,

neulich kam in der Ergotherapie das Thema Scham auf. Also Mißbrauchsopfer ist das immer wieder Thema und wird von mir sehr intensiv empfunden. Für mich hat dieses Gefühl nur negativen Charakter und dachte, das sei richtig so. Jetzt hat meine Ergotherapeutin mir eine neue Sicht aufgetan:

Sie sagt, sie unterscheide zwischen Scham, als positives Gefühl und beschämt worden sein als negatives Gefühl. Die Scham schützt meinen Intimbereich und meinen ganz privaten Bereich, sie schützt mich davor, mein Innerstes und mein Heiligstes unüberlegt nach außen sichtbar und erkennbar zu machen. Hier kann ich selbst aktiv gestalten und entscheiden.

Bschämt werden hingegen ist einfach nur schlimm und schrecklich. Dagegen kann ich mich nicht wehren, nichts dagegensetzen. Das ist mir geschehen. Es wurde mit mir gegen meinen Willen gemacht. Da war ich vollkommen ausgeliefert.


Nur kurz beschrieben, aber ich denke der Unterschied wird deutlich.


Nun würde mich sehr interessieren, wie Ihr das Gefühl Scham versteht. Welchen Raum, welche Bedeutung das Gefühl für Euch hat und wie Ihr damit umgeht ?


Herzliche Grüße, Maskerade
Liebe Grüße, Maskerade

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shesmovedon
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Beitrag So., 19.03.2017, 14:05

Ich hatte auch immer sehr intensive Scham wegen des Missbrauchs. Nachdem ich dann das erste Mal drüber gesprochen habe in einer Konfrontation, legte sich das Schamgefühl etwsa, so dass ich hier sogar recht offen darüber schreiben konnte in meiner Not zur PTBS Zeiten, als ich durchgehend von Flashbacks heimgesucht wurde. Jetzt ist es wieder viel stärker schambesetzt und ich würde nie auch nur von Details schreiben oder gar irgendwem erzählen. Auch weiß kaum jemand von dem Missbrauch, weil ich mich dafür schäme und im Alltag nicht als Missbrauchsopfer gewusst werden will. Es wäre sehr schlimm für mich, wenn mein ganzes Umfeld davon wüsste. Eltern und bester Freund reicht.
Auch in dieser Funktion schützt mich die Scham ja auch irgendwie vor einer Sonderbehandlung, die ich einfach nicht will.
Ich finde es ist nicht so deutlich trennbar zwischen "negativer" und "positiver" Scham. Im Grunde soll Scham immer vor etwas schützen.


mio
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Beitrag So., 19.03.2017, 14:13

Hallo Maskerade,

interessantes Thema. Und interessanter Ansatz, den Deine Ergotherapeutin da mit in den Raum gebracht hat.

Mir geht es so, dass es bei mir auch "schambehafteter" ist, wenn ich "meinen Vorstellungen" (von mir) nicht gerecht werden kann und ich hab mal ein bisschen geforscht gerade und was gefunden, was es für mich ziemlich gut "trifft":

"Generell gilt: Die Hauptquelle des spontanen Schamgefühls verschiebt sich mit zuneh­mendem Alter vom Mangel an Zugehörigkeit zum Scheitern der Selbstbestimmung. Das ist logisch: Für einen Erwachsenen ist die Fähigkeit, sich selbst zu steuern und autonom über sich zu bestimmen, von größerem Nutzen als die Geborgenheit im Schoß der Gemeinschaft."

(Quelle: http://www.seele-und-gesundheit.de/psycho/scham.html)

Geht vielleicht auch so ein bisschen Richtung PEIN(lich) im Sinne von "es bereitet mir "Schmerzen" oder so?

Dass es "Selbstschutz" bedeutet, sich zu "schämen" (schämen zu können) denke ich auch, denn ohne bewusste Scham keine persönlichen Grenzen bzw. "Intimbereiche".

Lieben Gruss,

mio

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Möbius
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Beitrag So., 19.03.2017, 14:37

Hi @ll !

Nach meinem Verständnis ist Scham das konkrete Gefühl, gegen eine verinnerlichte (!) soziale Norm verstoßen zu haben. In der Erscheinungsform des "Fremdschämens" kann es sich auch auf Normverstöße von anderen beziehen.

Scham ist ein Affekt aus demjenigen Teil des Über-Ichs, der einer bewußten Veränderung ohne weiteres zugänglich ist - jede Scham kann überwunden werden. Das erfahren sehr viele von uns mit der Scham vor Nacktheit und Nackten. Diese Scham entsteht durch Erziehung und Sozialisation - Konditionierung, wird - normalerweise - durch die Sexualeinschüchterung aus dem Ödipus-Komplex verstärkt (die kein Scham- sondern ein Schuldgefühl verursacht), aber eben dann, meist postpubertär, bei sehr vielen wieder relativ leicht überwunden - denen, die "zum FKK" oder in die Sauna gehen. Das Scham eine sozio-kulturelle und keine tiefenpsychologische Angelegenheit ist, erkennt man auch an diesem Beispiel: das kulturelle Nacktheitsverbot kennt gerade in der BRD sehr große regionale Unterschiede. In der ehemaligen DDR, in der FKK ja als gleichmachend gefördert wurde, ist diese Scham generell eine sehr geringe - in vielen Gegenden der ehemaligen BRD jedoch auch heute noch recht hoch. Aber Scham kann sich auf jede mögliche Norm beziehen - wir schämen uns ja zB auch, wenn wir jemanden auf der Straße angerempelt haben.

Scham und Schamgefühl - für mich synonym - haben notwendig den sozialen Bezug. Wir schämen uns ja zumeist unserer Nacktheit nicht, wenn wir alleine in unserer Wohnung oder Zimmer sind.

Davon zu unterscheiden ist das Schuldgefühl - das "Gewissen". Das bezieht sich zwar auch auf eine verinnerlichte Norm, aber diese Norm sitzt viel tiefer, ist ohne spezielle psychotherapeutische oder psychotechnische Maßnahmen nicht für das Bewußtsein zu erreichen, ist von konkreter Sozialität unabhängig. Salopp formuliert: schämen tun wir uns nur, wenn jemand zuguckt, das schambehaftete Verhalten von anderen - u.U. erst nachträglich - registriert worden ist. Schuldig fühlen wir uns aber auch dann, wenn das schuldbehaftete Verhalten von niemandem registriert worden ist.

Gruß
Möbius

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mio
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Beitrag So., 19.03.2017, 14:52

Möbius hat geschrieben: So., 19.03.2017, 14:37 wir schämen uns ja zB auch, wenn wir jemanden auf der Straße angerempelt haben.
Also ICH schäme mich in so einer Situation nicht. ;-) Es ist mir unangenehm, aber von Scham dann doch weit entfernt.
Scham geht denke ich "tiefer" und ist immer "individuell" geprägt, sicher auch "von außen" (Lebensgeschichtlich).

Ich "schäme" mich eigentlich verhältnismässig selten, aber mir ist mal aufgefallen (im Kontakt mit meinem Körperthera), dass es mir extrem peinlich war, als ich "feststellen" musste, dass ich von falschen "Voraussetzungen" ausgegangen war (also ihn falsch wahrgenommen hatte). Das hat mich zB. selbst verwundert, dass mir das so peinlich war, aber es war so.

Erklären kann ich mir das mittlerweile, denn es passt "Lebensgeschichtlich" eben rein. Und es war tatsächlich "existenziell" wichtig für mich, das zu "können" was ich in der Situation "nicht konnte".

Für Andere wäre das wahrscheinlich total "albern" sich in so einer Situation zu schämen, aber für mich ist es so.

Scham hat denke ich schon viel mit Grenzen zu tun. Und klar, die ist soziokulturell geprägt. Aber ohne diese (Fähigkeit zu soziokulturell passenden) "Abgrenzung" (meines Individuums) kein "sicheres ICH" in der "Gemeinschaft".

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Möbius
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Beitrag So., 19.03.2017, 15:25

@ mio

Der Schambereich ist für jeden Menschen anders - der des Schuldgefühls ist jedoch für die allermeisten gleich. Letzteres ist ja auch Voraussetzung für die allgemeine Anerkennung ethisch-moralischer Werteordnungen und auch des juristischen Schuldbegriffs. Ich schäme mich, wenn ich jemand versehentlich anrempele - aber ich schäme mich als Exhibitionist eben keineswegs, wenn mir jemand beim Sex zuschaut, wie es bei den meisten Menschen der Fall ist. Ich schäme mich auch, wenn ich mit offener Hosentür durch die Gegend laufe - eine glatte exhibitionistische Fehlleistung - weil das eben falsch ist: ich will nur "zeigen", wo das auch erwünscht ist und nicht zu Konflikten führt.

Es gibt ein berühmtes Bonmot Talleyrands, daß sich auf die von Bonaparte nach einem versuchten Attentat auf ihn veranlasste Erschießung des völlig unschuldigen Duc d'Enghien (einen hochrangigen Bourbonen, der in einer "Kommandoaktion" aus dem neutralen Ausland zu ebendiesem Behufe nach Frankreich entführt worden war) bezieht und die halb Frankreich und ganz Europa gegen den damaligen 1. Konsul in Rage versetzt hatte: "Das war kein Verbrechen - das war ein Fehler !" Verbrechen: das ist Schuld - Fehler: das ist Scham.


mio
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Beitrag So., 19.03.2017, 15:52

Möbius hat geschrieben: So., 19.03.2017, 15:25 wenn ich jemand versehentlich anrempele - aber ich schäme mich als Exhibitionist eben keineswegs, wenn mir jemand beim Sex zuschaut, wie es bei den meisten Menschen der Fall ist. Ich schäme mich auch, wenn ich mit offener Hosentür durch die Gegend laufe - eine glatte exhibitionistische Fehlleistung
Für meine Begriffe klingt das recht "verdreht". Und so, als würdest Du Dich im Grunde für Deine "geheimen Bedürfnisse" (gesehen, wahrgenommen werden im weitesten Sinne) schämen, nicht aber für Deine "offenen Taten".

Zum Exibitionismus gehört ja das "gesehen werden wollen dabei" dazu, sonst wäre es ja keiner. Und na ja: Das beschämt im Zweifel den "Zeugen", wenn er sich nicht "entziehen" kann. Entziehen müsstest eigentlich (aus der Sicht des Zeugen) Du Dich indem Du sexuelle Handlungen eben im "Privaten" lebst und nicht öffentlich, wo dies als "Tabu" gilt hierzulande. Du ziehst "Deinen Kick" also aus dem "Missbrauch" des Zeugen. Für mich "Schamverleugnung" bzw. die Unfähigkeit diese zu spüren, weil das zu sehr an die eigene "Existenz" (die eigentlich Grenzenlos ist) gehen würde.

Wir dies nun allerdings "unbeabsichtigt" "offensichtlich" für DICH, dann schämst Du Dich. ZB. beim Anrempeln oder dem offenen Hosenstall. Was ich jetzt zB. nicht so tragisch finde, weil es für mich einfach ganz "normale" Fehlleistungen sind die passieren können und jedem mal passieren, normalerweise ohne "Absicht".

Die "Absicht" spielt also scheinbar eine Rolle, denn für Dich scheint es was "verräterisches" zu sein, was Deine "geheimen Absichten" (den anderen zu beschämen, dominieren und zu benutzen?) offen legen könnte.

Mal so frei in den "Raum" analysiert, denn ich finde das tatsächlich ziemlich verquer.

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Möbius
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Beitrag So., 19.03.2017, 16:02

Noch ein Nachsatz: ich glaube, daß die Terminologien zu "Scham" und "Schamgefühl", "Schuld" und "Schuldgefühl" sehr uneinheitlich sind. Das macht die Kommunikation über entsprechende Empfindungen mitunter schwierig. Ausserdem ist es so, daß sich Scham und Schuld häufig überlappen.

Wenn beispielsweise ein Mensch bei der Autoerotik "erwischt" wird, wie es in der Pubertät und Adoleszenz fast jeder mal erlebt, dann schämt er sich - kann aber gleichzeitig auch Schuld empfinden. Dieses nach meinem Verständnis: "Schuldgefühl" haben sehr viele bei der Autoerotik ihr Leben lang - die allermeisten würden die Empfindung jedoch als Scham bezeichnen wollen.

Wenn mio zB davon spricht, daß Scham etwas sehr tiefreichendes sein kann, dann umschreibt sie mit dieser "tiefreichenden Scham" vielleicht dasselbe, was ich unter "Schuldgefühl" subsumieren würde.

Es ist auch keineswegs so, daß Scham nur so eine Art von "Schuld light" sein sollte - Schamgefühl kann unerträglich werden, in "Schamgesellschaften" häufig ein Grund zum Selbstmord sein. Die traditionelle japanische Gesellschaft mit ihrer Kultur des Selbstmordes ist dafür nur das herausragenste Beispiel.

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Pianolullaby
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Beitrag So., 19.03.2017, 16:46

Wie jedes andere Gefühl hat auch Scham eine Funktion.
Eben genau diesen Schutz. Und ja Scham kann sich nicht durch Wiedererleben habituiert werden,
sondern nur über die neue Zuschreibung des beschämenden Erlebnisses.

Ich fühle auch sehr oft Scham bzgl. meines Mb, v.a. gegenüber meiner Therapeutin.
Ich kann ihr dabei oft einfach nicht in die Augen schauen, weil ich das Gefühl habe,
sie könne meine innerlichen Tränen sehen.

Ich weiss zwar, dass ich mich nicht zu schämen brauche,
doch das Gefühl entsteht immer wieder mal
Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum

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Möbius
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Beitrag So., 19.03.2017, 17:16

@ piano

Der Auffassung, daß Scham für das Individuum eine positive Schutzfunktion hätte, vermag ich nicht beizutreten. Die positive Funktion der Scham sehe ich auf der rein sozialen Ebene: Scham schützt und stabilisiert die gesellschaftliche Norm. Für das Individuum ist sie häufig nur eine Belastung. So hindert uns die Scham häufig am Stoffwechsel: so sehr es auch "pressiert", wir wagen es nicht, uns zu "erleichtern" - aus reiner Scham, obschon wir zumeist keine ernstlichen Sanktionen für ein "dringendes Bedürfnis" zu erwarten hätten. Eine positive Schutzfunktion für das Individuum erschöpft sich dann allenfalls darin, Verhalten zu vermeiden, das mit gesellschaftlichen Sanktionen verbunden ist.

Deine Scham (ich folge Deiner Wortwahl) vor der Therapeutin wird von mir auch durchaus nicht positiv bewertet: denn sie hindert Dich an der notwendigen Verarbeitung Deines Mißbrauchstraumas. Es kommt mir nicht so vor, daß die Scham Dich selbst schützen würde, sondernn vielmehr so, als ob die Scham das Trauma und die Traumafolgen vor der Verarbeitung, der Therapie, der Heilung schützt.

Deswegen fällt es mir auch schwer, die von Maskerade referierte Auffassung zu verstehen, daß eine "positive Scham" eine Intimität schützen könne, die gerade durch die Scham zu einem Raum freier bewußter Gestaltung werden könne - für mich ist es genau umgekehrt: die Scham verhindert gerade eine bewußtes, freies Handeln, zwingt im Gegenteil zur Unterwerfung unter eine Norm selbst dann, wenn diese Unterwerfung unseren eigenen vitalen Interessen schadet und ein Verstoß gegen diese Norm nicht von ernsthaften sozialen Sanktionen bedroht ist.

Gruß
Möbius

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Möbius
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Beitrag So., 19.03.2017, 18:26

mio hat geschrieben: So., 19.03.2017, 15:52
Möbius hat geschrieben: So., 19.03.2017, 15:25 wenn ich jemand versehentlich anrempele - aber ich schäme mich als Exhibitionist eben keineswegs, wenn mir jemand beim Sex zuschaut, wie es bei den meisten Menschen der Fall ist. Ich schäme mich auch, wenn ich mit offener Hosentür durch die Gegend laufe - eine glatte exhibitionistische Fehlleistung
Für meine Begriffe klingt das recht "verdreht". Und so, als würdest Du Dich im Grunde für Deine "geheimen Bedürfnisse" (gesehen, wahrgenommen werden im weitesten Sinne) schämen, nicht aber für Deine "offenen Taten".

Zum Exibitionismus gehört ja das "gesehen werden wollen dabei" dazu, sonst wäre es ja keiner. Und na ja: Das beschämt im Zweifel den "Zeugen", wenn er sich nicht "entziehen" kann. Entziehen müsstest eigentlich (aus der Sicht des Zeugen) Du Dich indem Du sexuelle Handlungen eben im "Privaten" lebst und nicht öffentlich, wo dies als "Tabu" gilt hierzulande. Du ziehst "Deinen Kick" also aus dem "Missbrauch" des Zeugen. Für mich "Schamverleugnung" bzw. die Unfähigkeit diese zu spüren, weil das zu sehr an die eigene "Existenz" (die eigentlich Grenzenlos ist) gehen würde.

(...)
@ mio

Diesen Deinen Beitrag habe ich erst jetzt gesehen. Mein von Dir zitiertes Textteil ist in der Tat mißverständlich. Es fehlt ein Hinweis auf meine Einhegung meines Exhibitionismus': ich "zeige" nur in der 'Szene', wo offene Sexualität sozial akzeptiert ist wie an bestimmten Ecken an einschlägig bekannten Seen und im Pornokino.

In der allgemeinen Öffentlichkeit zu "zeigen" ist in der Tat ein narzistischer Mißbrauch dessen, dem man sich mit seiner Sexualität aufdrängt, wenn man so will: eine berührungslose Vergewaltigung und deswegen auch strafbar. Auf die Spitze wird das beim "strafbaren Exhibitionismus" nach § 183c StGB-BRD getrieben, bei dem die Täter ihre Opfer erschrecken, ekeln oder ängstigen wollen und genau daraus ihre Befriedigung ziehen - nicht wie beim "eingehegten" Exhibitionismus, der seine freiwilligen Zuschauer erregen und erfreuen will. Der "Kick" dabei ist, wenn man am Ende seiner Show von seinen Zuschauern Beifall bekommt.

Die Fehlleistung der offenen Hosentür ist in der Tat ein Aufbegehren meines exhibitionistischen Triebes gegen diese Einhegung. Und eben dieser Fehler ist es dann, der zur Scham führt: weil ich einen Fehler gemacht habe, mich - wenn auch nicht bewußt absichtlich - sozialwidrig verhalten habe.

Jetzt alles klar ?

(Nobody is perfect !)

Gruß
Möbius


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Maskerade
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Beitrag Mo., 20.03.2017, 13:45

Radiohead hat geschrieben: So., 19.03.2017, 14:05 Ich hatte auch immer sehr intensive Scham wegen des Missbrauchs. Nachdem ich dann das erste Mal drüber gesprochen habe in einer Konfrontation, legte sich das Schamgefühl etwsa, so dass ich hier sogar recht offen darüber schreiben konnte in meiner Not zur PTBS Zeiten, als ich durchgehend von Flashbacks heimgesucht wurde. Jetzt ist es wieder viel stärker schambesetzt und ich würde nie auch nur von Details schreiben oder gar irgendwem erzählen. Auch weiß kaum jemand von dem Missbrauch, weil ich mich dafür schäme und im Alltag nicht als Missbrauchsopfer gewusst werden will. Es wäre sehr schlimm für mich, wenn mein ganzes Umfeld davon wüsste. Eltern und bester Freund reicht.
Auch in dieser Funktion schützt mich die Scham ja auch irgendwie vor einer Sonderbehandlung, die ich einfach nicht will.

Ich finde es ist nicht so deutlich trennbar zwischen "negativer" und "positiver" Scham. Im Grunde soll Scham immer vor etwas schützen.
Hallo Radiohead,

danke für Dein Post. Ich möchte einen bestimmten Punkt hernehmen und anschauen.
Da sind wir wir schon beinahe mehr beim Thema Mißbrauch. Aber gut, es gehört ja trotzdem zusammen. Ich finde es legitim, zu wollen, daß niemand davon weiß. Habe lange selbst so gedacht, daß niemand wissen darf ...

Mittlerweile sehe ich das anders, denn ich kann unterscheiden, wer sich in dieser Sache zu schämen hat, wer dafür verantwortlich ist und das bin eindeutig ich. Ich habe die Bürde, damit leben zu müssen, was mir angetan wurde und kämpfe bis heute mit den Folgen, funktioniere nicht so, wie viele, die ein normales Leben haben, arbeiten können, Kinder haben, usw. ... Dafür habe ich mich nun wirklich lANGE GENUG GESCHÄMT, bin ja auch ein paar Jährchen älter ... Ich habe mich unendlich dafür geschämt, was andere mir angetan haben. Merkst Du, was daran verkehrt ist ?

Und deshalb, auch um selbst besser klarzukommen, rede ich zumindest mit Freunden und Meschen, die mir nahestehen darüber. Nicht ständig und nicht nur, aber eben in einem gesunden Maß. Vor allem hilft ihnen das, mich besser zu verstehen da geht es in keiner Weise um Sonderbahandlung. Und es hilft mir selbst, immer wieder fest zu stellen, daß es nicht meine Schuld ist, daß nicht es bin, die sich schämen muß.

Noch ein Punkt, ich denke, daß bertroffene Männer anders damit umgehen, als betroffene Frauen.

LG Maskerade
Liebe Grüße, Maskerade

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Maskerade
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Beitrag Mo., 20.03.2017, 14:07

mio hat geschrieben: So., 19.03.2017, 14:13 Hallo Maskerade,

interessantes Thema. Und interessanter Ansatz, den Deine Ergotherapeutin da mit in den Raum gebracht hat.

Mir geht es so, dass es bei mir auch "schambehafteter" ist, wenn ich "meinen Vorstellungen" (von mir) nicht gerecht werden kann und ich hab mal ein bisschen geforscht gerade und was gefunden, was es für mich ziemlich gut "trifft":

"Generell gilt: Die Hauptquelle des spontanen Schamgefühls verschiebt sich mit zuneh­mendem Alter vom Mangel an Zugehörigkeit zum Scheitern der Selbstbestimmung. Das ist logisch: Für einen Erwachsenen ist die Fähigkeit, sich selbst zu steuern und autonom über sich zu bestimmen, von größerem Nutzen als die Geborgenheit im Schoß der Gemeinschaft."

(Quelle: http://www.seele-und-gesundheit.de/psycho/scham.html)

Geht vielleicht auch so ein bisschen Richtung PEIN(lich) im Sinne von "es bereitet mir "Schmerzen" oder so?

Dass es "Selbstschutz" bedeutet, sich zu "schämen" (schämen zu können) denke ich auch, denn ohne bewusste Scham keine persönlichen Grenzen bzw. "Intimbereiche".

Lieben Gruss,

mio
Hallo mio,

lieben Dank für diese interessante Seite, hab erst mal nur angelesen, werde aber auf jeden Fall weiterlesen, denn sie kommt mir inhaltlich, glaube ich, sehr entgegen.
Mir geht es so, dass es bei mir auch "schambehafteter" ist, wenn ich "meinen Vorstellungen" (von mir) nicht gerecht werden kann und ich hab mal ein bisschen geforscht gerade und was gefunden, was es für mich ziemlich gut "trifft"
In diesem Zusammenhang habe ich die Scham wohl erlebt, aber es war mich nicht klar, daß sie im Spiel ist.

Selbstschutz und ich erweitere, Selbstunsicherheit haben auch ganz viel mit " Scham " zu tun.
Wenn ich mich nicht schützen kann, bin ich ausgeliefert, kann man mit mir machen, was man will. Und leider gibt es genügend Menschen, die das ausnutzen.
Und die Selbstunsicherheit, wenn ich das Gefühl habe, ich bin nicht ok und ich bin Schuld an dem, was mir passiert ist und ich ich bien selber Schuld, wenn andere mich doof finden, dann ist das aus meiner Sicht kein positives Beispiel für Scham.

Die Einteilung, wie ich sie in einem der Beiträge gelesen habe, in pos. und neg. Scham ( ich bezeichnete auch selbst so ) finde ich eigentlich ganz gut, wenn man sie nicht nur dazu benützt, oberflächlich über dieses Thema hinwegzugehen.
Liebe Grüße, Maskerade

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Möbius
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Beitrag Mo., 20.03.2017, 15:05

Ich schäme mich keineswegs, zum wiederholten Male auf das Tabu und seine Wirkungen hinzuweisen und auf das Buch über "Totem und Tabu" meines Großmuftis Sigmund Freud, das ich jedem Mißbrauchsopfer nur wärmstens auf den Nachttisch legen möchte.

Das Tabu ist eine hochspezielle, rein gesellschaftlich-kulturelle Norm, die von politischen Normsystemen unabhängig ist. Staat und Politik, sowie auch andere gesellschaftliche Kräfte können Tabuisierungen und Entabuisierungen fördern oder hemmen, aber sie nicht durch politische Akte "erlassen" oder "aufheben". Teils decken sich staatliche Normen und Tabus, teils weichen sie stark voneinander ab.

Der Ort des Tabus ist das Unbewußte: schon über ein Tabu nachzudenken, es gar anzuzweifeln, ist ein Tabuverletzung. "Darüber darf nicht gesprochen werden!" - auf dieses Schweigegebot des Tabus ist die landläufige Bedeutung von "Tabu" heute meist reduziert. Aber die Wirkungen und Besonderheiten reichen noch viel weiter. Denn anders als bei sonstigen Normen gibt es für Tabuverletzungen kein pardon - das Tabu ist absolut unerbittlich, es gibt keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung - man wird "schuldlos schuldig". Das Opfer eines Verbrechens, das zugleich auch ein Tabu ist, wird somit selbst tabu - es wird "geschändet", bringt Schande über seine Familie, seinen Clan, seine Heimat und insbesondere "geschändete Frauen" hatten gefälligst "ins Wasser zu gehen", womit die Schande nicht nur von ihnen selbst, sondern vor allem: ihrer Familie wieder genommen wurde. Tabus können also versöhnt - gesühnt - werden, aber die Sühne ist mega-hart. Wenn die Neonazis "Todesstrafe für Kinderschänder" fordern, dokumentiert das auch in dieser Hinsicht, in welcher archaischen Welt diese Leute denken und fühlen: für sie ist ein mißbrauchtes Kind auch heute noch ein "geschändetes" Kind - eine Schande.

Insbesondere die Sexualität des Menschen ist in der Christlich-Abendländischen Kultur tabuisiert und zwar in unterschiedlicher Weise. Es gibt ein allgemeines Sexualtabu, das im letzten Vierteljahrhundert ins Bröckeln gekommen ist und spezielle Sexualtabus - eines davon: das Tabu der Homosexualität ist nahezu verschwunden. Es ist sogar schwächer geworden, als das allgemeine Sexualtabu. Härtere Tabus sind jedoch immer noch die der sexuellen Gewalt, weswegen deren Opfer regelmässig von Schuldgefühlen beplagt werden und Täter sexueller Gewalt ihre Schuld so gerne auf ihre Opfer projizieren, die sie selbst nicht ertragen - weil sie einen Tabubruch begangen haben.

Die härtesten Tabus sind jedoch Kindesmißbrauch und Inzest, wobei es beim Inzest auch wieder Abstufungen gibt: "Zärtliche Cousinen" werden sogar goutiert, Inzest unter Geschwistern ist so eine Sache, Vater-Tochter-Inzest schon ein hartes Tabu und am allerhärtesten: der Inzest Mutter-Sohn - die Geschichte vom König Ödipus. Interessanterweise ist das staatliche Gesetz hier sogar weitaus milder, als das Tabu: das Gesetz verbietet lediglich den "Beischlaf" unter Verwandten, die vaginale Penetration - alle anderen Sexualhandlungen sind legal, sofern sie nicht anderweitigen Strafnormen - Mißbrauch von Kindern oder Abhängigen - unterliegen.

Aber auch diese Tabus galten und gelten nicht allgemein in gleicher Weise. Im europäischen Judentum war Inzest recht weitgehend akzeptiert - das berühmteste Beispiel ist die Endogamie der Familie Rothschild, auch Freuds Familie war hochgradig inzestuös.

Von dem Tabu und seinen Wirkungen kann man sich jedoch emanzipieren - und wir Mißbrauchsopfer sind dazu in besonders hohem Maße aufgerufen: denn unser Leid beruht nicht ausschließlich, aber zu einem guten Teil aus den Wirkungen dieser Tabus. Es muß hier auch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß mit Emanzipation vom Tabu, mit Enttabuisierung keineswegs die Aufhebung oder gar Umgehung der staatlich-gesellschaftlichen Verbotsnorm gemeint ist !

Was wir jedoch nicht können: die Wirkungen des Tabus bei anderen beeinflußen. Ich bin vorsichtig geworden, wem gegenüber ich mein Schicksal "oute". Meine bisherige Erfahrung ist, daß Menschen aus dem "heteronormativen mainstream" dem Tabu am stärksten unterworfen sind und die Macht des Tabus abnimmt, je weiter sich Menschen von diesem mainstream entfernt haben. Unter Promiskuitiven "kann man drüber reden" - kann man damit umgehen, ohne daß eine gläserne Wand entsteht, wie nur zu oft in "gutbürgerlichen" Kreisen, die sich oftmals als "scheintolerant" erwiesen haben.


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Maskerade
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Beitrag Mo., 20.03.2017, 19:33

Möbius,

jetzt geht es doch sehr in Richtung Mißbrauch, das ist mir ehrlich gesagt nicht so recht und wird dem eigentlichen Thema auch nicht gerecht. MB ist sicher ein ganz großes Beispiel, was Scham angeht, aber wenn wir nur darüber nachdenken und schreiben, wird es einseitig und das eigentliche Thema geht verloren. Deshalb möchte ich Dich bitten, Dich an das Thema zu halten.

Zu Deinen Beiträgen von oben möchte ich gerne etwas sagen, aber ich bekomm es noch nicht zusammen.

LG Maskerade
Liebe Grüße, Maskerade

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