Wie bzw. soll man den eigenen Kindern den Missbrauch erzählen?

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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helgak62
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Wie bzw. soll man den eigenen Kindern den Missbrauch erzählen?

Beitrag Di., 25.02.2020, 16:43

Ich stehe gerade vor der Überlegung meinen Kindern (12 und 13 Jahre) eine Erklärung dafür zu liefern, warum es mir als ihre Mama nicht gut geht. Dass es mir nicht gut geht, ich psychische Probleme habe, ich im Krankenstand bin, zur Therapie gehe,... wissen sie. Aber wahrscheinlich gibts da trotz allem ein großes Fragezeichen in ihren Köpfen.

Ich mach mir ziemlich viel Druck, um zu Hause und vor meinen Kindern noch gut zu funktionieren. So einen Druck, dass meine Anspannung stark steigt und sich dann unkontrolliert in dissoziativen Zuständen (zittern, verkrampfen) entlädt, die ich dann auch noch versuche, möglichst zurückzuhalten, was dann meine Zustände vermutlich noch verstärkt.
Insofern wäre es vermutlich für alle beteiligten hilfreich, wenn die Karten offen auf dem Tisch liegen. Die Kinder würden sich dann zumindest auskennen und verstehen können, auch wenn das Thema missbrauchte Mutter nicht das einfachste ist. Und ich müsste mich zu Hause "nicht verstecken" und verstellen, die Kinder würden sich dran gewöhnen und es würde ihnen keine Angst machen.

Aber wie kann man Kindern so etwas erklären? Kann man den Kindern sagen, dass das ein Scham besetztes Thema ist, und man deswegen nicht möchte, dass das, was man ihnen erzählt, unbedacht weitererzählt wird.
Wie würdet ihr die Atmosphäre gestalten, in dem ihr es erzählt? Auf welche Fragen sollte ich vorbereitet sein? Wo wäre für euch auf jeden Fall eine Grenze des Erzählens? Was mache ich, wenn sie es überhaupt nicht hören wollen?
Was wäre überhaupt ein passender Zeitpunkt vom Alter so etwas zu besprechen?...

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Candykills
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Beitrag Di., 25.02.2020, 16:50

Ich sehe keinen Nutzen darin Kinder mit dem Thema Missbrauch zu belasten. Es reicht in meinen Augen völlig aus zu sagen, dass dir nicht so schöne Dinge in der Kindheit oder wann auch immer passiert sind. Warum du 12 oder 13 jährigen dieses Thema offen zumuten willst, kann ich jetzt nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach geht es dir da mehr um eigene Bedürfnisse, als um die Bedürfnisse der Kinder.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)


Coriolan
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:08

Ich sehe das ähnlich und würde wahrscheinlich eher warten, bis die Kinder von selbst Fragen stellen, wenn sie etwas genauer wissen wollen. Die Fragezeichen in ihren Köpfen kannst du ja letztendlich nur vermuten - v. a. wenn eine halbwegs "normale" Gesprächskultur herrscht, werden sie dich schon fragen, wenn sie was genauer wissen wollen, oder? Und selbst da würde ich wahrscheinlich so etwas antworten, wie Candykills es beschrieb. Eventuell wird da die Neugier erst recht geweckt aber man "muss" als Mutter auch nicht alles seinen Kindern erzählen.

Mir stellt sich auch die Frage, was die Kinder dann mit diesen Inhalten machen sollen? Gerade in dem Alter sucht man sich ja Kontakte außerhalb der Familie und nabelt sich ab - aber mit ihren Freunden dürfen sie darüber dann gar nicht sprechen, wenn sie dieses Thema auch sehr belasten sollte? Natürlich ist das Thema sehr schambesetzt, aber spurlos wird das an deinen Kindern ja auch nicht vorübergehen, wenn du ihnen da genauer mitteilst, was dir passiert ist.

Die Dissoziationen und Anspannungszustände kannst du ja auch erklären, ohne ins Detail gehen zu müssen.

DEN richtigen Zeitpunkt gibt's vermutlich nie, aber vielleicht macht's Sinn, mit einem Gespräch darüber zu warten, bis du selbst etwas stabiler bist?
Behinderung/Erkrankung ist eine Erklärung für Vieles, aber keine Entschuldigung für Alles.


theweirdeffekt
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:11

Was hast du denn bisher gesagt, warum du zur Therapie gehst etc.? Was ich schon glaube: kinder sind sehr sensibel und nehmen sehr viel wahr. Die merken also wenns dir schlecht geht.

Was ich katastrophal finde ist, wenn ihr Gefühl (sie sehen, dir gehts schlecht) nicht mit dem Verbalisierten zusammen passt (du würdest sagen: "mir gehts gut, alles ist in Ordnung"). MMn wird damit der Grundstock dafür gelegt, dass man mitunter lebenslang dem eigenen Gefühl misstraut.

Alles Gute
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helgak62
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:16

Das Problem ist "nicht so schöne Dinge" regt leider auch die Phantasie an und wer weiß, was sich Kinder da so alles zusammenreimen.
Und ich hab es für meine Kinder schon auch entlastend erlebt, wenn sie Dinge einfach erfahren haben, nicht ein großes Geheimnis darum gemacht wurde und sie einfach auf Situationen vorbereitet waren z. B. Krebserkrankungen in der Verwandschaft, naher Tod, Fehlgeburt,...
Außerdem hab ich in meiner Kindheit so viele Dinge, die ich durchaus verkraftet hätte, nicht erfahren oder man hat um den heißen Brei herumgeredet und ich hab doch gespürt, dass da irgendetwas (Schlimmes) ist.
Warum sollen Kinder nichts über Missbrauch wissen? Das ist doch eine der ersten Möglichkeiten, sie davor zu schützen und eine Gesprächsatmosphäre auch für heikle Themen zu bieten.

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helgak62
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:19

theweirdeffekt hat geschrieben: Di., 25.02.2020, 17:11 Was hast du denn bisher gesagt, warum du zur Therapie gehst etc.? Was ich schon glaube: kinder sind sehr sensibel und nehmen sehr viel wahr. Die merken also wenns dir schlecht geht.
Sie wissen ich geh zur Psychotherapie, weil es mir nicht gut geht und ich Probleme habe. Das war vor allem für meine Tochter nicht schwer nachzuvollziehen, weil wir ein paar Einheiten Therapie in Anspruch genommen haben, weil es ihr in der Schule und mit den Klassenkameraden nicht gut ging.

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Candykills
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:21

Der Missbrauch löst in dir so schlimme Gefühle aus und deine Kinder soll das kalt lassen?
Ich kann deine Gedanken dazu nicht nachvollziehen. Erstens kann es sein, dass sie es gar nicht näher wissen wollen, zweitens besteht keinen Grund so ins Detail zu gehen. Erkläre es ihnen doch einfach Anhand einer Depression. Damit wissen die Kinder in meinen Augen genug. Aber gut, du musst wissen, wie du das händelst.
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gonemas
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:31

Besprich es mit dem Therapeuten, eventuell kann der oder die dabei helfen, das einigermaßen jugendlichen-gerecht zu transportieren.


Coriolan
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:32

Ich finde schon, dass Kinder von Missbrauch (allgemein etc.) wissen sollen. Aber auch da kommt es auf den richtigen Zeitpunkt (finde ich) an und wenn du momentan so dermaßen stark belastet bist, denke ich, dass auch noch ein Gespräch darüber eher destruktiv ist und am Ende keiner was davon hat - Du nicht, Deine Kinder aber auch nicht.

Mir ist auch nicht so ganz klar, inwiefern deine Kinder das momentan überhaupt wissen wollen/nachfragen, etc. oder ob es "nur" (nicht abwertend gemeint) Dein Bedürfnis (?) oder Anspruch (?) ist, es ihnen erzählen zu "müssen".

Was hält Dein/e TherapeutIn davon?
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Philosophia
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Beitrag Di., 25.02.2020, 17:36

Du musst halt aufpassen, dass deine Kinder keine Mülleimer für Seelenbalast werden. Nicht dass, wenn einmal dein Fass bei ihnen offen ist, dass das dann auf sie überläuft.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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helgak62
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Beitrag Di., 25.02.2020, 18:01

Coriolan hat geschrieben: Di., 25.02.2020, 17:08 Die Fragezeichen in ihren Köpfen kannst du ja letztendlich nur vermuten - v. a. wenn eine halbwegs "normale" Gesprächskultur herrscht, werden sie dich schon fragen, wenn sie was genauer wissen wollen, oder?
Das ist ein Lotteriespiel, dass zufällig irgendwann die Fragen kommen, auf denen ich ihnen gerne eine Antwort geben würde. Wie sollen sie nach etwas fragen, das so fremd und so weit entfernt für sie ist?
Coriolan hat geschrieben: Di., 25.02.2020, 17:08 Gerade in dem Alter sucht man sich ja Kontakte außerhalb der Familie und nabelt sich ab - aber mit ihren Freunden dürfen sie darüber dann gar nicht sprechen, wenn sie dieses Thema auch sehr belasten sollte?
Ich hab nicht geschrieben, dass sie es gar nicht erzählen dürfen. Die brauchen doch auch ein Ventil. Es muss ihnen nur klar sein, dass das etwas ist, das man nicht jedem daher Gelaufenen auf der Straße erzählt.

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helgak62
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Beitrag Di., 25.02.2020, 18:06

gonemas hat geschrieben: Di., 25.02.2020, 17:31 Besprich es mit dem Therapeuten, eventuell kann der oder die dabei helfen, das einigermaßen jugendlichen-gerecht zu transportieren.
Daraus ist ja erst die Überlegung entstanden, es ihnen mitzuteilen. Dass ich es ohnehin einmal später tun wollte, alleine schon damit meine Kinder nicht die Last der Generation davor ohne Wissen darüber mittragen müssen, hab ich bereits vor längerer Zeit entschieden. Dass es auch eine Möglichkeit ist, es vielleicht schon jetzt zu tun, hat sich erst eröffnet.

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lisbeth
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Beitrag Di., 25.02.2020, 18:18

helgak62 hat geschrieben: Di., 25.02.2020, 18:01 Wie sollen sie nach etwas fragen, das so fremd und so weit entfernt für sie ist?
Ich glaub, in dieser Frage steckt die Antwort auf deine Eingangsfrage.
Warum ihnen etwas aufdrängen, wofür sie noch nicht bereit sind. Warum ihnen die Abgründe zeigen, mit denen sie sich von sich aus derzeit nicht beschäftigen würden?

Deine Kinder sind am Anfang oder mitten in der Pubertät. Sie sind dabei sich selbst, ihre Identität, ihre eigene Sexualität zu entdecken, aber haben ziemlich sicher noch keine gefestigte Idee davon, was für sie eine positive Sexualität ausmacht. Warum willst du sie dann zu diesem Zeitpunkt mit deinen Missbrauchserfahrungen konfrontieren - wenn es in ihrer Welt und Vorstellung (noch) nichts Postives gibt, was sie dem innerlich entgegensetzen könnten?

Mit ihnen drüber reden? Unbedingt. Aber nicht aufdrängen, sondern wenn sie von sich aus signalisieren, dass sie es wissen möchten. Und möglicherweise wird das auch erst dann sein, wenn sie längst erwachsen sind oder ausgezogen sind und sich ein eigenes Leben aufgebaut haben.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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nulla
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Beitrag Di., 25.02.2020, 18:29

Liebe Helga,
das ist ein schwieriges Thema.
Ich habe keinen sexuellen MB erlebt, jedoch körperliche und seelische Gewalt sowie sexuelle Belästigung. Über den ersten Teil wissen die Jungs grob Bescheid, weil dazu in der Familie (Oma, Onkel) immer wieder etwas angedeutet wurde. Einmal habe ich ihnen die Verwirrung angesehen und sie später beiseite genommen, meine Beobachtung beschrieben und gefragt, ob sie das verstanden haben bzw. etwas darüber wissen wollten. Es war ihnen nicht sehr angenehm, daher haben sie gerade das Minimum erfragt, was dazu möglich war. Also Vater Alkoholiker, Gewalt, Boshaftigkeit usw. Mein Erstgeborener hat später einmal so etwas gesagt wie "das ist bei dir halt so, weil deine Kindheit nicht so schön war". Ich finde, das fasst es für einen 14Jährigen recht treffend zusammen.

Erfahrungsgemäß können Kinder - egal welchen Alters - damit am besten umgehen, wonach sie selbst fragen, und das ist halt oft weniger, als man ihnen gerne erklären würde.

Meine Jungs wissen z.B.nichts von meinen psychischen Problemen und davon , dass ich im Therapie bin. Das hat aber auch ein wenig mit meinem Mann zu tun, ist ein blödes Thema. Auf jeden Fall habe ich mir schon ewig vorgenommen, ihnen die Wahrheit darüber zu sagen, sofern sie nachfragen. Fakt ist, dass ich so oft an einem schulfreien Tag morgens zur Therapie bin, und sie haben noch kein einziges Mal danach gefragt, wohin ich fahre, was sie sonst fast immer tun. Schon komisch die Dynamik.

Aber langer Rede, kurzer Sinn, ich würde ihnen keine Informationen geben, die sie nicht wollen oder brauchen, nur um dir selbst den Druck zu nehmen oder sie mit in dein Boot zu holen, in dem sie eigentlich nichts verloren haben. Umgekehrt würde ich aber immer antworten, wenn mir Fragen gestellt werden.
Wenn deine Kinder angesichts deiner "Zustände" nicht verstört wirken, liegt es vielleicht einfach daran, dass sie dich gut annehmen können, so wie du bist?

Alles Liebe
nulla
"Wege entstehen dadurch, dass man sie geht."
(Kafka)

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Anna-Luisa
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Beitrag Di., 25.02.2020, 19:01

helgak62 hat geschrieben: Di., 25.02.2020, 17:16 Warum sollen Kinder nichts über Missbrauch wissen? Das ist doch eine der ersten Möglichkeiten, sie davor zu schützen und eine Gesprächsatmosphäre auch für heikle Themen zu bieten.
Ich glaube, du wirfst da etwas durcheinander. Kinder in dem Alter sollten natürlich wissen, dass es Menschen gibt, die Böses im Sinn haben. In zahlreichen Büchern wird behutsam auf "gute" und "schlechte" Geheimnisse eingegangen - die Literatur ist auf die Altersgruppe zugeschnitten - in der Regel ist die Zielgruppe jünger als deine Kinder es sind.

Bereits in der Grundschule gibt es entsprechende Informationen.

Für Teenager passen auch Bücher im Stil von "reine Mädchensache" um sich vielleicht auch über Dinge zu informieren, die man die eigene Mutter nicht fragen mag.

Gleichzeitig sollte den Kindern natürlich signalisiert werden, dass sie dich immer fragen können. Dass sie niemals Negatives von dir befürchten müssen.

Es sagte ja keiner, dass Kinder nichts über das Thema wissen sollten.

Aber den eigenen Missbrauch quasi als Einstieg für eine erste Gesprächsmöglichkeit zu nehmen, sehe ich als völlig falsch an.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

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