Ist Verantwortung eine Illusion?

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stern
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Ist Verantwortung eine Illusion?

Beitrag Mo., 18.11.2019, 17:12

Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/ist-vera ... _id=180844
Von Ingeborg Breuer
Moral, Schuld, Strafe und das Menschenbild der Hirnforscher

Was wird aus Zurechenbarkeit und Schuldfähigkeit, wenn der freie Wille bloß ein frommer Wunsch ist? Verdient Strafe, wer nicht anders kann, als es seine Neuronen erlauben? Nicht nur Kriminelle und Psychopathen, sondern wir alle sind hirngesteuert.
Ein kontroverseres Thema als die Einleitung hergibt. Würde auch in den Thread zur "transgenerationalen Traumatisierung" passen (Täter-Opfer-Thematik: Ist der Weg aufgrund von Prägungen, Umweltbedingungen oder der Genetik/Epigentik quasi vor-programmiert... oder hat der Mensch grds. einen freien Willen/Entscheidungsfreiheit, von Taten Abstand zu nehmen... und welche unterschiedlichen Schlußfolgerungen wären jeweils zu ziehen?)

Auszüge:
Heutzutage meinen Hirnforscher nachweisen zu können, dass der Mensch ein Produkt seiner Gene, seines Gehirns und seiner Umwelt ist. Sein Handeln werde von Hirnarealen gesteuert, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Und deshalb auch nicht seiner Kontrolle unterliegen. Das gilt auch für Straftäter. Bei ihnen seien oftmals Bereiche des Stirnhirns geschädigt.
Versus (zum Beispiel):
Der Psychiater Hans Ludwig Kröber erschrickt angesichts solcher Überlegungen. Den Kriminellen zu einem Kranken zu machen, der Hilfe braucht,

„schafft ein enormes Machtgefälle. Er wird als unzurechnungsfähig erklärt und ihm werden alle bürgerlichen Freiheiten genommen. (...)“

Als Kriminalgutachter, so Hans Ludwig Kröber, sehe er tagtäglich, dass ein Straftäter hätte anders handeln können als er gehandelt hat. Mitnichten sei dieser, so Kröber ironisch in seinem Vortrag, ein „hirngesteuerter Rückfallautomat“.

„Es gibt viele empirische Evidenzen, dass wir imstande sind, eine Handlung zu unterlassen.
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Candykills
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Beitrag Mo., 18.11.2019, 17:23

Es kommt auch in meinen Augen ein bisschen auf die Straftat und Krankheit an. Nicht jeder Straftäter ist krank, dementsprechend kann ein gesunder Straftäter vermutlich eher wählen, ob er bewusst diese Straftat tut oder nicht.
Eine Affektstraftat kann wiederum jedem Menschen passieren, weil diese häufig außerhalb unserer bewussten Kontrolle geschieht.
Ein Schizophrener kann in der Psychose auch nicht mehr zwischen Recht und Unrecht unterscheide bzw. fühlt sich vielleicht von dem Opfer, dass er dann vor den Zug schmeißt, bedroht oder verfolgt.
Das könnte man endlos diskutieren. Ich glaube weder, dass jeder die Straftaten bewusst kontrollieren kann, noch das keiner bewusst Straftaten begeht.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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stern
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Beitrag Mo., 18.11.2019, 17:47

Nun, in den Auszügen geht es zwar um Straftaten bzw. gesund versus krank im Spezielleren... aber es geht schon auch um das grundsätzliche Menschenbild diverser Disziplinen (im Auszug speziell dem der Hirnforschung) bzgl. der Frage: Hat der Mensch einen freien Willen? Bzw. Wie frei ist der Mensch? Und je nach Antwort, wäre in der Folge evtl. auch die Frage nach Verantwortung oder Schuld neu zu justieren.

Ausführlicher dazu auch ein Buch (Der freie Wille und Schuldfähigkeit):

https://www.amazon.de/freie-Wille-Schul ... 941468235

Ich zitiere aus dem Klappentext:
(...)
Sowohl Freud und seine Nachfolger, wie auch die modernen Sozialwissenschaften und naturwissenschaftliche Disziplinen wie die vergleichende Verhaltensforschung, die Verhaltensgenetik und die Hirnforschung stellen das Konzept des freien Willens in Frage. Das Unbewusste, die soziale Prägung, unsere Gene und nonlineare, nicht beeinflussbare neuronale Prozesse sollten unser Verhalten bestimmen.

Ist die Idee des freien Willens nur eine weitere Illusion des Menschen?
(...)
Dieses Werk präsentiert den spannenden interdisziplinären Dialog der unterschiedlichen Positionen renommierter Experten auf den Gebieten der Philosophie, der Biologie, der Theologie und der forensischen Psychiatrie in 14 hochkarätigen Beiträgen.
Die ultimative Antwort wird es sicherlich nicht geben. In jedem Fall bin ich kein Freund davon, Handlungsfreiheit großzügig zu negieren... zumal es ja oft viele Schritte bis zum Vollzug einer Handlung gibt... und damit auch verschiedene Stellen, evtl. doch eine andere Abzweigung einzuschlagen.
Zuletzt geändert von stern am Mo., 18.11.2019, 17:59, insgesamt 1-mal geändert.
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stern
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Beitrag Mo., 18.11.2019, 17:52

Oder auch zur Frage, wie frei ist der Mensch:

https://www.spektrum.de/news/wie-frei-i ... ch/1361221 (Eddy Nahmias)
2013 legte der Neurologe John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience in Berlin Versuchspersonen in einen fMRT-Scanner und ließ ihnen die freie Wahl, zwei Zahlen entweder zu addieren oder zu subtrahieren. Aus den neuralen Aktivitätsmustern ließ sich schon ganze vier Sekunden, bevor den Probanden ihre Entscheidung bewusst wurde, vorhersagen, welchen Rechenweg sie einschlagen würden.

Solche Experimente haben zu der pauschalen Behauptung geführt, der freie Wille sei erledigt. "Unsere Entscheidungen sind, lange bevor unser Bewusstsein ins Spiel kommt, unbewusst vorherbestimmt", kommentierte Haynes 2008 in der Zeitschrift "New Scientist" ...
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stern
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Beitrag Mo., 18.11.2019, 19:38

Es kommt auch in meinen Augen ein bisschen auf die Straftat und Krankheit an. Nicht jeder Straftäter ist krank, dementsprechend kann ein gesunder Straftäter vermutlich eher wählen, ob er bewusst diese Straftat tut oder nicht.
... und es kommt auch darauf an, wie man "krank" definiert bzw. welche Erkenntnisse man heranzieht zur Klärung, ob jemand im Zeitpunkt der Tat anders entscheiden hätte können. Wie auch der erste Artikel andeutet, sind bei Straftätern (aus Sicht der Hirnforschung) oftmals Bereiche des Hirns geschädigt. Dazu gibt es in der Tat Untersuchungen... und es stellt sich die Frage, kann man dann jemanden (im juristischen) Sinne überhaupt schuldig sprechen:
(...)
Und eine posthum entdeckte Veränderung im Gehirn von Ulrike Meinhof soll auch die Schuldfähigkeit der RAF-​Terroristin in Zweifel ziehen.

Die Hirnforschung hält allmählich Einzug in die Gerichtssäle. Doch können Hirnscans tatsächlich dazu beitragen, einen juristischen Sachverhalt zu klären, einen Straftäter zu überführen oder seine Schuldfähigkeit zu klären? Oder besteht vielmehr die Gefahr, dass Richter sich vom trügerischen Charme bunter Bilder verführen lassen?
https://www.dasgehirn.info/entdecken/mo ... or-gericht

Und wer kann schon wissen, was die Zukunft und die Hirnforschung noch alles bringen wird... :dunno:
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Joa
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Beitrag Mi., 20.11.2019, 18:27

Ajajaj...

Das ist ein Thema, das mich öfters mal ziemlich beschäftigt. Ich bin grundsätzlich kein Fan des Gedankens, dass wir ohne freien Willen (quasi Zombies) sind.
Jedoch ist es nun mal so, dass wir ein Produkt vieler, oben schon erwähnter Einflüsse sind. Also ganz frei kann ein Wille schonmal nicht sein. Letztendlich komme ich immer zu eben diesem (unschönen) Schluss, dass freier Wille eine Illusion ist.

Kurz in eine andere Richtung gedacht, weg von Kriminalität - was ist mit positiven Bespielen? Nehmen wir mal Mozart. Er war auch blos ein Produkt seiner Umwelt (plus angeborener Talente). Ich kann heutzutage nicht mehr nachempfinden, wenn Menschen aufgrund von herausragenden Leistungen - Musiker, Maler, etc. - bewundert und auf ein Podest gestellt werden. Jeder tut, was er tun kann, und z.B. dass jemand eine außergewöhnliche Begabung (wie Mozart) hat - ist Glück. Ob man dann dranbleibt und viel übt, ist mMn. ebenfalls "vorgegeben" - habe ich etwa Durchhaltevermögen oder bin ich jemand, der kaum Antrieb hat und sich schon bei kleinen Dingen schwer tut?

Sorry für's Abschweifen, da geht mir noch viel mehr in der Birne rum, aber mal genug dazu. Im Umkehrschluss finde ich jedoch den Gedanken gruselig, jeden komplett von seiner Verantwortung freizusprechen.

Hab wg. Benzos mitunter Schwierigkeiten, meine Gedanken strukturiert genug auszudrücken, hoffe, es ist nachvollziehbar.

LG Joa

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