Und sie dreht doch alles ... - Psychoanalyse 'schlägt' alle anderen Therapien

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Widow
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Und sie dreht doch alles ... - Psychoanalyse "schlägt" alle anderen Therapien

Beitrag Fr., 03.06.2016, 03:11

Die Psychoanalyse galt lange als veraltet: unwissenschaftlich, teuer, langwierig. Es mangelte an Belegen für die Heilkraft. Doch neue Studien zeigen: Sie wirkt nachhaltiger als alle anderen Therapien.
http://www.welt.de/gesundheit/psycholog ... eiert.html

PS: Das Publikationsorgan "Die Welt" betrachte ich sehr kritisch, doch die Studien gibt es.

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lamedia
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Beitrag Fr., 03.06.2016, 10:13

Die Autorin ist aber schon sehr begeistert - "jubelnde Therapeuten" und so...
"Nachhaltiger als alle anderen Therapien" ist etwas reißerisch als Überschrift, weil die Studien Vergleiche nur mit der Kognitiv-Behavioralen Verhaltenstherapie, dem gefürchteten Erzfeind, anstellen. In der NHS-Studie aus London geht es um den Vergleich zu reiner Antidepressiva-Behandlung, einer Beratungsserie oder KB-VT. Die Dührssen-Studie war lediglich ein Wirksamkeitsnachweis. Komisch, dass die Autorin nun solche Durchbruch-Phantasien hat.

Aus Ökonomen-Sicht - und die sind schwer zu begeistern- könnte man auch anders rechnen. Fünf Jahre nach Therapieende geht es mehr Analyse-Patienten besser als VT-Patienten - aber das heißt nicht, dass es allen Analyse-Patienten besser geht als nach abgeschlossener VT - oder dass es allen VT-Patienten schlechter geht als den Analyse-Patienten. Das müsste man also noch mal aufschlüsseln. Auch sind ja nur erfolgreiche Therapien berücksichtigt. Man müsste wohl auch noch die Scheiterquoten in eine Gesamtrechnung "erfolgreicher/nachhaltiger" einrechnen..

Dafür hat man aber vorher von Versichertenseite in die Psychoanalyse 2-3 mal mehr Behandlungskosten investiert, wenn sie mit hoher oder maximaler Stundenzahl absolviert wird.

Wenn ein VT-Patient nach fünf Jahren einen Rückfall hat und er nochmal 80 Stunden VT nimmt ist er immer noch "günstiger" behandelt worden als ein Analyse-Patient, der keine Therapie mehr in Anspruch nimmt.

Und für Länder wie Österreich, in denen es eine Vielzahl von Methoden gibt, die alle selbst bezahlt werden müsssen oder wo die Kosten nur geringfügig erstattet werden - liefert die Studie auch keine letzliche Orientierung, denn es fehlen noch Vergleiche mit Gestalttherapie, systemischer Therapie, Gesprächstherapie nach Rogers und "allen anderen" Methoden...

PS: Ich bin weit davon entfernt, selbst eine ökonomische Sicht einzunehmen. Aber ich würde sie einrechnen, weil die Lage heute so ist wie sie ist.


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Widow
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 18:21

http://www.faz.net/aktuell/wissen/vom-p ... .html#void
"Ist die Psychoanalyse noch geeignet, Patienten zu helfen? Das Angebot an Alternativen ist groß. Auf ihrem Weltkongress hat sie sich mit dem Thema Initimität als konstruktive, interdisziplinäre Wissenschaft gezeigt."
(FAZ, 01.09.2017, Bericht über den Weltkongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Buenos Aires)

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Möbius
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:06

Der nachhaltige Erfolg der Psychoanalyse beruht darauf, daß sie eine kausale Therapie ist: sie bekämpft die Ursache der Erkrankung und nicht das Symptom. Symptomatische Therapien bekämpfen dagegen regelmässig das Symptom. Ist es verschwunden oder gelindert, wird der Patient "als geheilt entlassen" und verwandelt sich vom Netto-Empfänger von Sozialleistungen wieder in einen Netto-Beitragszahler. Das Symptom kehrt jedoch dann meist wieder zurück - oder die "Causa" produziert ein anderes Symptom, das möglicherweise noch viel belastender ist, als das "geheilte" Symptom. Für die Gesundheitsökonomen und -politiker ist das egal, wenn zwischen dem "geheilten" Symptom und dem "neuen" Symptom nur genügend Zeit vergangen ist, um das "neue" Symtom als "Neuerkrankung" bezeichnen zu können. Es ist wie beim Krebs: Krebs "gilt" nur deswegen als heilbar, weil jedes "neue" Symptom nach 5 Jahren als Neuerkrankung "gilt" - par décrét de Mufti.

Das ist ja auch ansonsten ganz praktisch: wenn man 1 Patienten 5x "erfolgreich" von jeweiligen "Neuerkrankungen" therapiert hat, dann hat die symptomatische Therapie ja 5x Erfolg gehabt. Die kausale Therapie, die denselben Patienten nur 1x erfolgreich therapiert hat, sieht dagegen ganz schön alt aus: ihre Effizienz beträgt gerade mal 20% der symptomatischen Therapie !

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sandrin
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:11

Ich glaube, hier gibt es kein Entweder - Oder. In dem Artikel kommt ja auch klar heraus, dass auch PA nur dann bei bestimmten Krankheiten gut funktioniert, wenn sie gleichzeitig mit VT kombiniert wird. Umgekehrt "klaut" die VT in ihrer dritten Welle ungehemmt von den tiefenpsychologischen Ideen. Wie schön wäre es, wenn jeder Patient genau die Therapie (Therapiekombination) bekommen würde, die er braucht, um von SEINER Krankheit geheilt werden zu können.

@Möbius: Spätestens, seitdem ich stationär war, kenne ich eine nicht unerhebliche Anzahl von Patienten, welche auch mit PA oder Tfp Rückfälle haben. So einfach kann man das meiner Meinung nach nicht sagen.


isabe
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:19

Ich fand den Artikel komisch geschrieben; wenn darunter nicht gestanden hätte, dass der Autor ein Professor aus dieser Fachrichtung ist, hätte ich angenommen, ein desinteressierter Volontär hätte ihn aus einer anderen Sprache übersetzt; es fehlt die Kohäsion (das Beste war die Überschrift). Für Menschen, die sich dafür interessieren, ergeben sich kaum neue Aspekte; für jene, die sich mit Therapie / Analyse noch nicht befasst haben, ergibt sich m.E. kaum ein Anreiz, damit nach dem Lesen dieses Artikels zu beginnen.

https://zentralbuchhandlung.de/termin/i ... _-302.html
Das finde ich fast aussagekräftiger bzw. zum Nachdenken anregender.

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Möbius
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:27

@ sandrin

Die Psychoanalyse ist kein Allheilmittel. Sie ist nicht bei allen Erkrankungen indiziert und auch nicht bei allen Patienten. Je älter der Patient und je dümmer, um so schlechter stehen die Chancen für eine erfolgreiche Psychoanalytische Therapie. Schon Freud hielt Patienten "ü50" für im allgemeinen nicht mehr analysierbar und wehrte sich vehement dagegen, Patienten ausserhalb der "gebildeten Stände" zu analysieren - weil diese in der Regel eben wegen ihrer kognitiven Defizite nicht imstande sind, diejenigen Wahrheiten über sich selbst und ihre Familie zu verkraften ( zu "integrieren" ), mit denen sie durch die Analyse konfrontiert werden.

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sandrin
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:35

Oje, also meine habe ich in den Zwanzigern gemacht. Dann kann es nur die Dummheit gewesen sein :-).

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Möbius
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:42

Das ist durchaus möglich.

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sandrin
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:45

Naja, zur Akademikerin hat's gereicht. Vielleicht hatte ich den falschen Studiengang :-)

Weißt du, im Grunde ist es ja genau diese Haltung, die die Analyse schon immer hat ein wenig unsympathisch wirken lassen. Aber vielleicht kann man sie dann auch aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen streichen, weil die Gebildeten eh genug Geld haben, selber dafür zu zahlen.


isabe
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:55

Sandrin:
Das ist doch Quatsch, dass Intelligenz DER Faktor sein soll. Es ist nicht der IQ, der hier zählt, sonden die Fähigkeit, sich einzulassen und irgendwie zu verbalisieren, was einen beschäftigt. Das kann theoretisch JEDER, vom Hilfsarbeiter bis zum Hochschulprofessor. Intelligenz ist kein Garant für gelingende Analysen.

Man macht es sich halt gerne manchmal ein bisschen einfach, indem man den Schuldigen ausmacht. Vielleicht hofft man auch darauf, dass die intelligenten Analysanden, deren Analysen scheitern, sich zu fein sind, das Scheitern zuzugeben - würde das doch ihre Intelligenz infrage stellen.

Thema des Kongresses war ja INTIMITÄT, und für die braucht es keine besonderen intellektuellen Fähigkeiten; ein offenes Herz tut es auch - und zwar auf beiden Seiten.

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sandrin
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 19:58

Ist mir schon klar, Isabe. Ich habe das ja bewusst so überspitzt ausgedrückt, weil ich diese Einschätzung schon etwas hochnäsig finde. Zwar glaube ich auch, dass man ein gewisses kognitives Potenzial mitbringen muss, aber eine durchschnittliche Intelligenz reicht da vollkommen aus.

Es ist natürlich schon auch schlecht für den Ruf der PA, wenn sie immer noch als Therapie der Priviligierten gesehen wird, zu der das Proletariat keinen Zugang hat/haben soll.


isabe
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 20:06

Es ist natürlich schon auch schlecht für den Ruf der PA, wenn sie immer noch als Therapie der Priviligierten gesehen wird, zu der das Proletariat keinen Zugang hat/haben soll.
Nein, denn dann fühlt man sich alleine schon dadurch besser, dass man so schön distinguiert und ausgezeichnet ist.

Ich weiß, dass auch in der Institution der Analyse solche Kräfte ihr Unwesen treiben; dass ein Feld-Wald-und-Wiesen-Analytiker auch so ist, glaube ich eher nicht. Es gibt da schon auch Therapeuten, die sich für den Menschen interessieren und die nicht dadurch befriedigt werden, dass ihr Analysand einen Titel mit in die Praxis bringt.

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sandrin
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 20:13

Hoffen wir's. Ist ja gruselig.


isabe
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Beitrag Sa., 02.09.2017, 20:16

(Übrigens (auch wenn es evtl. OT ist):
Meine persönliche Erfahrung (die mir von einigen Leuten bestätigt wurde, die sich mit "Mensch und Text" oder mit "Mensch und Erleben" usw. befassen) ist eher: Je jünger jemand ist, umso weniger dringt man zu ihm durch; in den 20ern fühlen sich viele Menschen unsterblich (was unreif ist, aber altersgemäß und insofern normal). Ich behaupte, dass Analysen dann wirken können, wenn der Mensch den Abgrund gesehen hat. Schlimm, natürlich, wenn das in so jungen Jahren schon geschehen ist. Aber DAS ist in meinen Augen die einzige Voraussetzung)

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