Ein kurzer Moment nicht aufgepasst - Schuldgefühle

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Black Cat
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Ein kurzer Moment nicht aufgepasst - Schuldgefühle

Beitrag Mo., 09.07.2012, 17:42

Hallo,
erst einmal danke für dieses Forum. Freunde, mit denen ich darüber gesprochen habe, konnten mir in dieser Sache leider auch nicht weiterhelfen - darum wende ich mich nun hierher, in der Hoffnung, besser verstehen zu können, was denn eigentlich genau passiert ist und vor allem, was ich da jetzt tun kann. Ich versuche, mich nur auf das Relevante zu beschränken, aber es wird mir vermutlich nicht so ganz gelingen.

Meine Tochter ist zweieinhalb Jahre alt und ein gesundes, eher stilles, ordentliches Kind. Mit ordentlich meine ich, dass sie die Sachen lieber ein- statt ausräumt und dass sie das Händewaschen dem Hände-dreckig-machen bevorzugt. Auch ist sie selten richtig laut und aufgedreht. Das alles ändert sich jedoch schlagartig, wenn sie mit ihrer Tante väterlicherseits Zeit verbringt. Da kann sie auf einmal richtig toben und sagt nicht gleich "aua", obwohl es schon zur Sache geht. Da springen die beiden herum und übereinander und gegeneinander, geben sich High Fives und Kopfnüsse (meine Tochter streckt ihrer Tante immer den Kopf im richtigen Winkel hin, wenn sie eine Kopfnuss "will"), fangen sich, rollen herum, schubsen sich, meine Kleine springt sogar richtig auf ihr herum, die Tante trägt sie auf ihrem Rücken und lässt sich dann absichtlich fallen, Kissenschlachten - alle diese Dinge eben, wo man mitlachen muss und einem gleichzeitig fast das Herz stehen bleibt.
Kurz, die beiden sind ein Herz und eine Seele. Der Name der Tante war auch eines der ersten Worte meinter Tochter und immer nachdem sich die zwei gesehen haben (etwa 1-2 Mal die Woche), dann erzählt meine Tochter dauernd von Tante X.
Das war aber alles nicht immer so. Während meiner Schwangerschaft habe ich von meinem Mann erfahren, dass X in psychologischer Behandlung wegen Depressionen sei. Und als X meine Tochter das erste Mal auf dem Arm hielt, spürte ich, dass sie gar nichts mit ihr anfangen konnte, dass da aber irgendwas war... und ein Jahr später machte X sehr große und wichtige Veränderungen durch, um ihr Leben in den Griff zu bekommen, was ihr nahezu im Alleingang gelungen ist. Studium abgebrochen, Ausbildungsplatz gesucht und gefunden, zurück in ihre Heimatstadt (bei uns quasi) gezogen, wieder mit Sport angefangen, wieder soziale Kontakte aufgenommen und ihrem Freund aufrichtig dafür gedankt, dass er all das mitgemacht hat. Ich war so froh zu sehen, dass es ihr besser ging. Und war natürlich froh darüber, dass meine Tochter so eine richtige "Tob-Tante" bekommen hatte. Klar, die beiden kuscheln auch mal zusammen, sie kann also ihre positiven Gefühle durchaus zeigen.

Nun ist neulich etwas passiert.
Meine Kleine kann eigentlich Treppen steigen und sie könnte das auch alleine, aber es ist immer jemand dabei. Vor drei Wochen aber war niemand dabei. Und was sonst so problemlos klappt, ging in diesem Moment einfach schief und sie ist die Treppe heruntergekullert. Kurz geweint, dann war alles wieder gut. Sie lachte nach einer Minute wieder, war sogar bei X auf dem Arm und hat sich trösten lassen. Waren beim Arzt, ihr fehlte nichts. Auch die Treppen ist sie noch am selben Tag mindestens drei- oder viermal hoch und runter gelaufen, also von Angst keine Spur.
Die Sache ist nur die, dass... Tante X eigentlich bei ihr war, sie wollte mit ihr die Treppe runtergehen, hatte aber die Hände voll. Und als meine Kleine gestürzt ist, stand sie einfach nur da, zumindest erzählte sie es so. Sie hätte den Sturz eigentlich verhindern können, aber sie hat nicht reagiert. Es sei alles ihre Schuld gewesen, weil sie nicht aufgepasst hat. Sie hat sie fallen sehen und niemand habe sie aufgefangen. Ich habe ihr mehrmals versichert, dass es 1. gar nicht ihre Schuld gewesen ist, dass das einfach passieren kann, so schnell könne man gar nicht reagieren und 2. nichts Schlimmes passiert ist. Der Kleinen geht's gut, die hat das längst wieder vergessen.
Jetzt ist aber alles anders. X geht gar nicht mehr zu ihr hin, auch auf ihr Rufen hin nicht, sie schaut sie gar nicht mehr an, als würde sie sich schämen. Meine Tochter versteht auch die Welt nicht mehr, warum Tante X jetzt nicht mehr zu ihr kommt und nicht mehr mit ihr brüllt und singt.

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Black Cat
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 17:43

Das erste Mal dachte ich noch, es wäre einfach, weil der "Schock" noch zu tief sitzen würde, aber inzwischen ist das ganze drei Wochen her und... immer noch komisch. Ich habe in einer ruhigen Minute nochmal mit X sprechen wollen, aber sie sagte nur, dass sie gesehen habe, wie sie fällt und sie nichts getan hat, dass das alles viel schlimmer hätte ausgehen können und es nur durch Zufall oder Glück nicht passiert sei und dass sie ihre Nichte nicht wieder in Gefahr bringen möchte, denn irgendwann würde mal etwas Schlimmes passieren und den Gedanken könne sie nicht ertragen. Dann hat sie eine Träne unterdrückt und das Gespräch beendet. Ich denke auch nicht, dass sie die nächste Zeit mit mir darüber reden möchte - ich wüsste auch gar nicht, was ich sagen soll, denn ich habe eigentlich schon alles gesagt. Dass es nicht ihre Schuld war und dass nichts Schlimmes passiert ist. Aber ich komme so gar nicht an sie ran. Dabei wünschen wir uns eigentlich alle, dass meine Tochter ihre Tante wiederbekommt... kann mir jemand helfen?



(tut mir leid, ich habe ein paar mehr Zeichen gebraucht)

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hope_81
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 18:17

mhh,
das erste was mir durch den Kopf ging, hat Tante x schon mal etwas schlimmes erlebt wofür sie sich die Schuld gibt?
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli

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Black Cat
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 18:28

Hallo hopeless81 und danke für deine Antwort.
Das weiß ich leider nicht. Ich bin "nur" die Schwägerin. Meinem Mann ist auf die Schnelle auch nichts eingefallen, er fügte aber hinzu, dass er mir vermutlich auch nicht sagen würde, falls er etwas wisse. Vielleicht ist das das, das sie in ihrer Therapie aufgearbeitet hat. Sie hat nur einmal mit mir über ihre Therapie gesprochen und da sagte sie mir, sie wolle eigentlich weiter in Behandlung gehen, ihre Sitzungen wären aber aufgebraucht. Ich meinte daraufhin, dass sie bestimmt noch mehr verlängern könne, aber sie hat die Therapie seither nicht fortgesetzt und auch nicht mehr mit mir darüber gesprochen...

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hope_81
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 18:49

Liebe Cat,
und wenn Du sie einfach mal gezielt darauf ansprichst?
Ich denke ein "normaler" Mensch würde so nicht reagieren. Vielleicht kannst Du sie indirekt aus der Reserve locken?
Erzähl Ihr ruhig auch wie sehr Deine Kleine sie vermisst und sag ihr wie großartig sie als Tante ist.
Vielleicht erzählst Du ihr auch, dass Dir letzens so etwas ähnliches passiert sei (muss ja nicht stimmen) und betonst da irgendwie, dass Du ja jetzt nicht auf die Idee kämst sie in ein Heim zu stecken, nur weil Du sie nicht schützen konntest...
Verstehst Du wie ich das meine? Eine eher subtilere Art, indirekter Apell an Ihre Vernunft.
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli

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Black Cat
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 19:49

Hallo nochmal, hopeless.
Ich hatte bei deiner ersten Frage den Zusammenhang nicht ganz gesehen - du meinst, der Vorfall mit der Treppe könnte ein Auslöser für eine neue Depression sein? Eine aufgerissene Wunde? Und steht für etwas ganz anderes... und es geht gar nicht wirklich um den Sturz, sondern um etwas anderes?

Ich denke, die Sache indirekt anzusprechen ist eine gute Idee und ich werde es am Sonntag mal versuchen. Es vielleicht ein bißchen sogar mit Humor nehmen, ihr zeigen, dass es nicht so schlimm ist... oder macht es das nur noch schlimmer? Es heißt ja, dass man Depressionen keinesfalls runterspielen darf und wenn es eigentlich gar nicht um den Vorfall selbst geht, dann versuche ich indirekt über ihre Gefühle zu lachen?

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hope_81
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 19:59

Hi Cat,
ja ich denke der Vorfall mit der Treppe war ein sogenannter "Trigger", sprich ein Auslöser für ein anderes, vielleicht verdrängtes Gefühl. Ich denke Depressionen kommen nicht von ungefähr, es sei denn sie liegen an einem Fehler im Hirnstoffwechsel. Da ich aber nichts von Tante x weiß, kann ich nur mutmaßen.
Ich würde auf keinen Fall die humoristische Schiene wählen.
Mir eher etwas überlegen, wie ich an "des Pudels Kern käme".
Eben in dem ich erzähle, dass die Kleine unter meiner Obhut auch mal schaden genommen hat und indem ich ihr sage wie ich damit umgegangen bin...
Direkte Ansprache wird ihrerseits zu einem "dicht machen" führen, also musst Du die Gesprächstaktik indirekt darauf lenken... Sprich von Dir, lass Dir was einfallen, wie gesagt es muss nicht der Wahrheit entsprechen und frag sie ob sie das kennt..
Beispielsweise, Deine süße ist von der Wippe gefallen, Du hast Dich hilflos gefühlt, dachtest Du könntest ihr helfen, doch es ging nicht und dann frag sie, ob sie das kennt...
Kann es sein, dass sie abgetrieben, eine Fehlgeburt hatte, oder sonst was?
Find es raus
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli

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hope_81
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 19:59

Hi Cat,
ja ich denke der Vorfall mit der Treppe war ein sogenannter "Trigger", sprich ein Auslöser für ein anderes, vielleicht verdrängtes Gefühl. Ich denke Depressionen kommen nicht von ungefähr, es sei denn sie liegen an einem Fehler im Hirnstoffwechsel. Da ich aber nichts von Tante x weiß, kann ich nur mutmaßen.
Ich würde auf keinen Fall die humoristische Schiene wählen.
Mir eher etwas überlegen, wie ich an "des Pudels Kern käme".
Eben in dem ich erzähle, dass die Kleine unter meiner Obhut auch mal schaden genommen hat und indem ich ihr sage wie ich damit umgegangen bin...
Direkte Ansprache wird ihrerseits zu einem "dicht machen" führen, also musst Du die Gesprächstaktik indirekt darauf lenken... Sprich von Dir, lass Dir was einfallen, wie gesagt es muss nicht der Wahrheit entsprechen und frag sie ob sie das kennt..
Beispielsweise, Deine süße ist von der Wippe gefallen, Du hast Dich hilflos gefühlt, dachtest Du könntest ihr helfen, doch es ging nicht und dann frag sie, ob sie das kennt...
Kann es sein, dass sie abgetrieben, eine Fehlgeburt hatte, oder sonst was?
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Benjamin Disraeli

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Black Cat
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 20:05

Das wäre wirklich schlimm, wenn meine Tochter - die ihr, denke ich, sehr geholfen hat, aus den Depressionen herauszukommen - jetzt der Auslöser für neue Depressionen wäre. :( Zumal die Kleine doch gar nichts damit zu tun hat... aber ich werde mal ein bißchen die Fühler ausstrecken... und wenn ich auch nichts herausfinden kann, ich werde versuchen, für sie da zu sein und sie aufzubauen!
Danke.

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hope_81
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Beitrag Mo., 09.07.2012, 20:10

Deine Tochter ist nicht der Auslöser, sondern die Situation.
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli


Groenland
neu an Bo(a)rd!
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Beitrag Di., 04.09.2012, 14:21

Ja das stimmt!

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