Selbstmitleid

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stern
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 22:46

forcefromabove hat geschrieben:Laut Deiner Definition wären die meisten Depressiven voller Selbstmitleid, weil sie

a.) sich als lustlose Opfer, manchmal auch nur von der eigenen Unfähigkeit fühlen.
b.) selten Tatkraft, Energie und Entscheidungsstärke haben.
Ehrlich gesagt finde ich es auch nicht gerade leicht, Depression von Selbstmitleid genau abzugrenzen.

Was jetzt nicht unbedingt Merkmal einer Depression ist, ist eine Opferhaltung (kann aber natürlich individuell auch sein. Aber auch das absolute Gegenteil kann der Fall sein). Auch würde ich es so sehen, dass ausgeprägtes Selbstmitleid in einer Depression münden kann... in dem Fall wären die Übergänge dann eh fließend. Gemeinsamkeit von beidem: Ich persönlich halte beides für dysfunktional ("destruktiv"), wenn es nicht nur mal eine kürzere Phase ist, die reinigend wirkt. Und: Auch wenn man gerne sagt: "sich depressiv fühlen", so halte ich auch Depressivität nicht wirklich für ein Gefühl (also z.B. von Traurigkeit oder Trauer unterscheidet es sich... bei mir zumindest ganz deutlich... und oft spricht man bei Depressionen auch vom "Gefühl der Gefühllosigkeit").

Und ich gehe sogar noch weiter: Bei der Depression dürfte weitgehend Einigkeit herrschen, dass diese sich niemand aussucht, sondern eine Krankheit ist. Aber ähnlich sehe ich das auch für's Selbstmitleid oder Opfermentalitäten, dass sich das auch niemand aussucht... sondern irgendwo in der Biografie Gründe geben dürfte, warum jemand Selbstmitleid als (vermeintliche) Bewältigungsstrategie wählt (der nächste eine Depression... eine anderer vielleicht einen Zwang). Insofern
Da Selbstmitleid vorallem als Charakterschwäche gilt, wäre in der Folge eine
Depression keine " wirkliche" Krankheit, sondern eine krankheitsähnliche seelische
Schwäche, und das Stigma der persönlichen Fehlerhaftigkeit, das besonders Depressionen begleitet, wäre bestätigt.
würde ich eher sagen, dass auch dem Selbstmitleid etwas pathologisches inne wohnen kann, insbes. wenn wenn dieses Muster tiefergreifender in der Persönlichkeit verhaftet ist (du nennst es charkterschwäche, ich sehe es insofern ähnlich: und das wäre für mich ein weiterer Abgrenzungspunkt: Tiefergreifende Muster von Selbstmitleid tangieren eher die Persönlichkeitebene, bei Depressionen wird das, glaube ich, nicht so gesehen... bestenfalls bei einzelnen Formen). Nur zählt das (Selbstmitleid) dann, glaube ich, nicht als eigenständiges Krankheitsbild... kann aber durchaus Symptom mancher Krankheiten sein.

Ich glaube der Punkt ist auch: Selbstmitleid hat per se etwas, das negativ besetzt ist... und wie im auch im Thread deutlich ist: Selbstmitleid erzeugt bei einigen/vielen? instinktiv so etwas wie eine Abwehrhaltung... der Umgang mit Depressiven nicht in dem Maße (obwohl der je nach Grad auch sehr belastend sein kann... aber auf eine andere Art und Weise). Gut, ist jetzt auch verallgemeinernd und klischeebesetzt, was ich im folgenden schreibe (Asche auf meine Haupt):

Aber vielleicht macht die Botschaft den Unterschied: Dem depressiven geht es offensichtlich übel (und dieser neigt tendenziell zum Rückzug... sieht sich eh als Belastung und kommt evtl. gar nicht auf die Idee andere um Hilfe zu bitten). Selbstmitleid: Eher weinerlich (anstelle echtes Gefühl) mit so einer Botschaft: "Nimm du mir das ab". Und was mir auch schon öfteres aufgefallen ist (wobei ich mich aufs RL beziehe): Es wird dann gerne so eine Art Anspruchshaltung abgeleitet à la: Weil ich immer Opfer war, steht mir das jetzt zu (was auch immer)... und dieses einfordern (was einem depressiven eher fern liegt) erzeugt natürlich umso mehr Widerstand. Und das ist der Obergau für den sich selbstbemitleidenden, der dann auch noch darin bestätigt wird Opfer zu sein... und genau DAS GEGENTEIL erreicht, was er sich im Grunde des Herzens wünschst. Wenn so ein Muster tiefer sitzt, ist das vermutlich am sinnigsten auch mit einer Therapie anzugehen. Leiden tun IMO beide: Sowohl der Depressive als auch der, der in tiefgreifenden Mustern von Selbstmitleid/Opferrollen versunken ist, aus denen er sich nicht lösen kann.
Zuletzt geändert von stern am Mi., 15.06.2011, 22:51, insgesamt 1-mal geändert.
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kügeli
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 22:52

Ich sag nix gegen Abgrenzung. Es kommt nur drauf an, wie mans macht...
Jemand der abwertet, hat keinen Respekt.

Danke stern, schöne Zusammenfassung. Depressivität ist auch kein Gefühl. Traurigkeit, Trauer dagegen schon. "Rollen" gibt es für mich nicht, denn diese vermeintlichen "Rollen" hat sich ja niemand ausgesucht. Das macht ja kein Mensch freiwillig. Allein die Etikettierung eines Gefühls als "Rolle" finde ich schon widerlich, weil abwertend, so, als ob sich das jemand freiwillig ausgesucht hätte und auch jederzeit wieder ablegen könnte.
Selbstmitleid: Eher weinerlich (als echtes Gefühl) mit so einer Botschaft: Nimm du mir das ab.
seh ich ganz anders... ohne Botschaft "nimm mir das ab" - denn diese Botschaft ist eh sinnlos. Keiner kann einem anderen was abnehmen. Da kann man sich freundlich abgrenzen und gut ists.

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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:00

stern hat geschrieben: Und ich gehe sogar noch weiter: Bei der Depression dürfte weitgehend Einigkeit herrschen, dass diese sich niemand aussucht, sondern eine Krankheit ist. Aber ähnlich sehe ich das auch für's Selbstmitleid oder Opfermentalitäten, dass sich das auch niemand aussucht... sondern irgendwo in der Biografie Gründe geben dürfte, warum jemand Selbstmitleid als (vermeintliche) Bewältigungsstrategie wählt (der nächste eine Depression... eine anderer vielleicht einen Zwang)..
Klar ist Selbstmitleid ein dysfunktionaler Versuch das eigene Leiden zu verringern.

Aber ich denke wir sind uns hier alle einig, daß Selbstmitleid nicht hilft um eine leidhafte Situation zu verbessern. Von daher sollte eigentlich der intelligente Mensch irgenwann feststellen, hoppala, ich mach das jetzt schon xy Jahre und hoffe es hilft mir, aber mir geht es immer noch genauso mies. Jemand mit einem Funken gesundem Menschenverstand sollte doch eigentlich nach einer gewissen Zeit mal anfangen zu reflektieren daß diese Strategie keine Besserung bringt. Und ich denke tief drinnen wissen die Menschen die Selbstmitleid als Strategie verwenden das auch. Ich denke der Knackpunkt liegt darin daß dem Selbstmitleidigen eine echte Veränderung erstens zu viel Angst macht und sie zweitens zu anstrengend ist, da also auch eine Faulheitskomponente beteiligt ist und daß diese Leute verdammt gut trainiert im Verdrängen sind.

Und diese beiden, Feigheit und Faulheit gehören für mich schon in die Kategorie von Charakterproblem.

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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:06

sofa-held hat geschrieben:
Grundsatzdiskussionen haben ihre Tücken und man kann sich an den Begrifflichkeiten anstoßen. Z.b. denke ich genau wie Müki, dass Selbstmitleid sehr oft mit einer Narzissmusstörung verbunden ist - was ich aber -in scharfer Abgrenzung zu dem Wort "Charakterschwäche" als ernst zu nehmende Persönlichkeitsstörung begreife und weswegen ich einen Narzissmusgestörten nicht weniger Respekt entgegen bringe, als einem Depressiven. Ich sage ja auch nicht zum Depressiven, jetzt sei mal nicht so depressiv, das nervt.
Naja, hier ist doch die Abgrenzung, habe ich einen Funken Selbstreflektion und will etwas verändern oder habe ich das nicht.

Nach deiner Definition gibt es ja im Grunde garkeine Charakterprobleme sondern nur psychisch erkrankte Menschen, weil sich jede Form von Egoismus und antisozialem Verhalten irgendwie auf Narzissmus und sonstige psychische Beeinträchtigungen/Erkrankungen zurückführen lässt.

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stern
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:21

münchnerkindl hat geschrieben:Ich denke daß Selbstmitleid immer eine stark narzisstische Komponente hat und man es daher herkömmlicherweise durchaus als eine Charakterschwäche definieren kann.
Als histrionische Komponente könnte man es evtl. auch sehen... keine Ahnung, kam mir aber in den Sinn.
Aber ich denke wir sind uns hier alle einig, daß Selbstmitleid nicht hilft um eine leidhafte Situation zu verbessern.
ja, meines Eindrucks nach zumindest weitgehend *g*.
Jemand mit einem Funken gesundem Menschenverstand sollte doch eigentlich nach einer gewissen Zeit mal anfangen zu reflektieren daß diese Strategie keine Besserung bringt.
Gute Frage, aber schwere Frage. Ich würde sagen so gut wie jeder dysfunktionaler Bewältigungsstrategie wohnt inne, dass an ihnen (zumindest zunächst) festgehalten wird, obwohl sie dysfunktional ("destruktiv") sind... und wie gesagt, ich sehe zum Bleistift auch eine Depression, ES, Zwang, etc. als dsysfunktionalen Bewältigungsversuch. Würde in gewisser Weise nicht daran festgehalten werden, so würde sich eine solche Störung gar nicht erst manifestieren.

Was kann dazu motivieren an etwas dysfunktionalem festzuhalten. Ganz allgemein gesagt hat mich bisher immer folgende Erklärung am meisten überzeugt: Es hat AUCH einen Nutzen (bei einer ES könnte der z.B. sein, manche Gefühle nicht spüren zu müssen... Steigerung des Selbstwertgefühls: Ich bin beherrschter als andere, weil ich mit nur 100kcal täglich auskomme... und zur Klarstellung: Das ist NICHT das gleiche wie Krankheitsgewinn). Tja, jetzt müsste man diskutieren, welchen Nutzen Selbstmitleid haben kann... wobei es mir ehrlich gesagt etwas schwer fällt, mich hineinzuversetzen:

Aber vielleicht in der Tat sowas wie Angstvermeidung, wie du angesprochen hast (etwas zu verändern könnte vielmehr Angst auslösen... ist typischerweise bei Veränderungen auch so). Entlastung, da/wenn sich jemand findet, bei dem man belastende Dinge loswerden kann (wenn man sich dann besser fühlt, ist man vielleicht nicht mehr so veränderungsmotiviert), etc. Allerdings ist das individuell anzuschauen was dahinter steckt, weil die Gründe können IMO auch hochindividuell sein. However: Ich bin stark auf dem Tripp: Der Mensch handelt für gewöhnlich nutzenorientiert... und auch was heute dysfunktional ist, hatte mal einen Nutzen und hat vermutlich immer noch einen, sonst würde man es ja nicht als Bewältigungsmöglichkeit wählen oder beibehalten. Und wenn der Nutzen nur ist, dass das Erfahrungsrepertoire nix anderes kennt (und es in der Tat mühsam und Angst besetzter wäre, neue Wege zu gehen als an gewohntem festzuhalten).
Zuletzt geändert von stern am Mi., 15.06.2011, 23:23, insgesamt 1-mal geändert.
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münchnerkindl
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:22

sofa-held hat geschrieben:Um bei der Narzissmusstörung zu bleiben, das ist eine schwere Last. Das sucht sich keiner freiwillig aus.
Ich denke auch daß das eine schwere Last ist. Aber im Gegensatz zu dir habe ich bei einigen Menschen denen ich einen gewissen Narzissmus attestieren würde den Eindruck daß sie ihre Störung durchaus geniessen, also einen sekundären Krankheitsgewinn daraus ziehen (auf Kosten anderer natürlich) der so gross ist daß sie lieber die Störung behalten als sich anzustrengen daran was zu verändern.

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sofa-held
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:32

Glaub ich eben nicht. Wer die Krankheit hat, ist am Ende vereinsamt. Einer hier im Forum hat das mal sehr gut zusammengefasst: Zuerst hast du die A*Karte gezogen weil deine Persönlichkeitsgrenzen nicht richtig aufgebaut werden, später geben dir dann alle die Schuld weil du scheinbar einen Nutzen daraus ziehst.

Wo soll der Nutzen sein, den Narzissten haben? Keine ordentlichen Bindungen, Verlust aller wertvoller Kontakte, Risikoscheu, Angst vor Entblössung, Lernbehinderung, Zorn, Kränkung, Selbstmordtendenzen...Was mir so auf Anhieb einfällt, und da gibt es noch wesentlich mehr, ich seh da keinen Nutzen.

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kügeli
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:36

Ja, sofa-held, stimmt schon so.
Einer hier im Forum hat das mal sehr gut zusammengefasst: Zuerst hast du die A*Karte gezogen weil deine Persönlichkeitsgrenzen nicht richtig aufgebaut werden, später geben dir dann alle die Schuld weil du scheinbar einen Nutzen daraus ziehst.
Ich denke es ist wirklich ein Problem der Grenzziehung.

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stern
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Beitrag Mi., 15.06.2011, 23:53

sofa-held hat geschrieben:Glaub ich eben nicht.
Es ist zumindest eine Sichtweise, die manche VTler haben und durchaus auch praktizieren (aber keine Ahnung, ob das auch andere Schulen so sehen). Mich hat schlichweg noch keine andere Theorie überzeugt, warum der Mensch etwas beibehält, was NUR negativ ist. Ich nannte das Bsp. einer ES: Wenn daraus wesentliche Teile des Selbstwertgefühl gezogen werden (Figur, Bestätigung von außen, Besondere Selbstbeherrschung, weil man auf Nahrungsmittel usw. verzichten kann) so ist es schwer die ES abzulegen, solange nicht ein Selbstwert aufgebaut wird, der sich nicht nur aufs Körpergewicht und die restriktive Nahrungsaufnahme bezieht. Mir erscheint das irgendwie nachvollziehbar... auch wenn ein Kranker natürlich unter einigem leidet, ganz unbestritten... das wissen die meisten hier.
Wo soll der Nutzen sein, den Narzissten haben?
Mit dem Narzissmus triffst du mich jetzt an einem Punkt, wo ich nicht ganz sooo fit bin. Und unbestritten ist, dass die Störung dazu führen kann:
Keine ordentlichen Bindungen, Verlust aller wertvoller Kontakte, Risikoscheu, Angst vor Entblössung, Lernbehinderung, Zorn, Kränkung, Selbstmordtendenzen...
Was fällt mir ein: IMO kann Abwertung eines anderen bzw. arrogante, hochmütige Verhaltensweisen (wie es im ICD heißt) durchaus dazu dienen, sich nicht mit einem im Grunde labilien Selbstwert auseinandersetzen zu müssen. Ebenso wie die Spaltung (nach außen Darstellung der Grandiosität, im inneren das Gegenteil, sprich: ein labiler Selbstwert) verhindern sich mit den eigenen Selbstwertdefiziten auseinanderzusetzen. Ich würde eine solche Sichtweise also eher so verstehen: was ist aufzubauen (z.B. Selbstwert), dass dysfunktionales (zwanghafte Suche nach Bestätigung der eigenen WIchtigkeit durch andere) abgelegt werden kann... nicht als Schuldzuweisung oder gemeint in dem Sinne, dass es sich jemand bequem einreichtet, was die folgende Aussage inne hat: (denn leiden ist ja üblicherweise da, i.d.R sogar überwiegend)
Zuerst hast du die A*Karte gezogen weil deine Persönlichkeitsgrenzen nicht richtig aufgebaut werden, später geben dir dann alle die Schuld weil du scheinbar einen Nutzen daraus ziehst.
Würde man die "ES" oder den "Narzissmus" "wegnehmen" wollen, aber kein gesunden Selbstwertgefühl aufbauen, woraus würde derjenige dann seinen Selbstwert beziehen? Die Wahrscheinlichkeit ist dann eher hoch, dass derjenige dann wieder in die ES, etc. zurückfällt.

Gegenfrage: Warum behält jemand narzissistische Verhaltensmuster bei, wenn sie NUR negativ für denjenigen sind. Ergäbe für mich -so rein logisch gedacht- keinen Sinn. Und ich bin eine Mensch, der es so sieht, dass sehr vieles AUCH einen Sinn hat (was Leiden nicht im selben Atemzug ausschließt... sondern beides kann nebeneinander existieren). "Sinn" oder auch "Grund" ist vielleicht annehmbarer wie "Nutzen", rein begrifflich. Und ja, ich glaube, durchaus, dass sich dysfunktionale Strategien dadurch auszeichnen, dass sie früher (lebensgeschichtlich) mal einen Sinn/Grund hatten bzw. es einen Grund hatte, warum xy auf die (heute dysfunktional gewordene) Art und Weise zu bewältigen versuchte. Und heute noch irgendwelche Faktoren wirken, die das aufrecht erhalten. Und wie gesagt: Iss eine gar nicht mal so unübliche Sichtweise... btw. auch eine, die dazu beitragen kann, versöhnlich mit sich umzugehen (falls man wie z.B. ich oder viele andere hier eher "hart" mit sich ins Gericht zieht).

Vielleicht wird es so noch etwas klarer... aber auch klar: Niemand muss diese Sichtweise annehmen, mir hat sie mitunter jedoch schon geholfen.
Zuletzt geändert von stern am Do., 16.06.2011, 00:17, insgesamt 1-mal geändert.
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sofa-held
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Beitrag Do., 16.06.2011, 00:14

stern hat geschrieben:Und wie gesagt: Iss eine gar nicht mal so unübliche Sichtweise... btw. auch eine, die dazu beitragen kann, versöhnlich mit sich umzugehen (falls man wie ich, eher "hart" mit sich ins Gericht zieht).
Da habe ich ja gerade noch mal Glück gehabt.
Warum diese Verhaltensweisen nicht geändert werden? Das ist doch ein schleichender, unbewusster Prozess, gerade weil die egoistische Ausprägung erst mal auch viele Vorteile mit sich bringt, jetzt kann sich die Störung optimal ausbreiten und eine Krankheitseinsicht wird hinausgezögert.
Und weil, das beschreibst du weiter oben, eine Labilität damit einher geht. Narzissten schwanken sehr stark, fühlen sich oft winzig klein, haben kein sicheres, stabiles Ich auf das sich beziehen können. Hinter der starken Fassade wohnt ein kleines verängstigtes Ich.

Wobei ich betonen möchte, dass Narzissmusstörungen sicher nur ein Grund für das heiß diskutierte Selbstmitleid sind. Das "Selbstmitleid" kann auch ganz andere Ursachen haben, war jetzt nur ein Beispiel.

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münchnerkindl
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Beitrag Do., 16.06.2011, 00:17

stern hat geschrieben:
Keine ordentlichen Bindungen, Verlust aller wertvoller Kontakte, Risikoscheu, Angst vor Entblössung, Lernbehinderung, Zorn, Kränkung, Selbstmordtendenzen...
Was fällt mir ein: IMO kann Abwertung eines anderen bzw. arrogante, hochmütige Verhaltensweisen (wie es im ICD heißt) durchaus dazu dienen, sich nicht mit einem im Grunde labilien Selbstwert auseinandersetzen zu müssen. Ebenso wie die Spaltung (nach außen Darstellung der Grandiosität, im inneren das Gegenteil, sprich: ein labiler Selbstwert) verhindern sich mit den eigenen Selbstwertdefiziten auseinanderzusetzen. Ich würde eine solche Sichtweise also eher so verstehen: was ist aufzubauen (z.B. Selbstwert), dass dysfunktionales (zwanghafte Suche nach Bestätigung der eigenen WIchtigkeit durch andere) abgelegt werden kann... nicht als Schuldzuweisung oder gemeint in dem Sinne, dass es sich jemand bequem einreichtet, was die folgende Aussage inne hat: (denn leiden ist ja üblicherweise da, i.d.R sogar überwiegend).
Ich denke aber daß der Narzisst das was er aus der Störung hat durchaus als einen Gewinn sieht. Der Narzisst weiss doch zB garnicht wie befriedigend echte soziale Beziehungen sind da er sie nicht kennt. Dafür bezieht er eine eigene Aufwertung aus der Abwertung anderer Menschen. Und seien wir uns mal ehrlich, jeder von uns kennt doch die Befriedigung die man daraus ziehen kann mal fies zu sein. Nur daß das ein "Normalo" halt hie und da mal tut, der Narzisst hat die Ausbeutung und Instrumentalisierung anderer Menschen zu seinem emotionalen Haupterwerb gemacht. und da er ja echte soziale Beziehungen nicht kennengelernt hat fehlt ihm dabei vordergründig nichts.

Ausserdem ist der Narzisst aufgrund seiner Grössenwahnfantasien nicht zu Selbstreflektion oder Selbstkritik fähig, da diese ihn und sein Tun ja in Frage stellen würden.

Und daher hat ein Narzisst statt echter Trauer Selbstmitleid, da er die Ursache jedlicher Probleme nicht bei sich sucht sondern irgenwo aussen und wenn irgenwdas nicht passt selbstverständlich der Narzisst nichts daran ändern kann weil er ein armes Opfer ist.

Ich denke mal Menschen verharren in solchen Zuständen weil es erstens der Weg des geringeren Widerstandes ist, also eine Veränderung eine grosse Anstrengung bedeuten würde und auch weil es völlig über den Horizont von Menschen die in so einem Muster gefangen sind geht daß eine andere Art zu leben viel befriedigender sein könnte.

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münchnerkindl
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Beitrag Do., 16.06.2011, 00:20

sofa-held hat geschrieben: Wobei ich betonen möchte, dass Narzissmusstörungen sicher nur ein Grund für das heiß diskutierte Selbstmitleid sind. Das "Selbstmitleid" kann auch ganz andere Ursachen haben, war jetzt nur ein Beispiel.
Der Grund ist aber wie beim Narzissmus immer irgendwo ein schwach ausgeprägtes Selbstwertgefühl.


Eremit
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Beitrag Do., 16.06.2011, 00:22

Ich habe oft den Eindruck, daß Selbstmitleid eine Kompensationshandlung ist, weil die jeweilige Person ihr eigentliches, tatsächliches Leid nicht (mehr) "findet" (finden will?). Tatsächlich ist es doch so, daß alle Menschen ihr Leid - ihr wahres Leid - größtenteils vor sich selbst verstecken (und somit vor der Umwelt).

Selbstmitleid ist kontrollierbar, dosierbar. Das ist echtes Leid nicht. Echtes Leid kann zwar produktiv gelebt werden, kann aber auch sehr destruktiv sein und das Selbst in den Abgrund reißen und zerstören, viel schneller und leichter als jedes aufgesetzte Selbstmitleid, oder nicht? Zumindest wirkt es auf mich wie ein großes Versteckspiel...

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sofa-held
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Beitrag Do., 16.06.2011, 00:33

Eremit hat geschrieben:Ich habe oft den Eindruck, daß Selbstmitleid eine Kompensationshandlung ist, weil die jeweilige Person ihr eigentliches, tatsächliches Leid nicht (mehr) "findet" (finden will?).
Eremit, ich finde deine Erklärung gerade sehr schön.
münchnerkindl hat geschrieben:immer irgendwo ein schwach ausgeprägtes Selbstwertgefühl.
vielleicht kann das so verallgemeinert werden...
münchnerkindl hat geschrieben:h denke aber daß der Narzisst das was er aus der Störung hat durchaus als einen Gewinn sieht.
Glaube ich eben nicht. Das ist so ein Oszillieren zwischen Größe und Angst davor in den Abgrund zu stürzen. Die Grandiosiät wird dauernd bedroht, das ist wie über dünnes Eis laufen. Narzissmus ist ein absolut faszinierende weil in allen Stufen und Schattierungen existierende Erkrankung und ich finde es jetzt nicht passend, die Selbstmitleids-Debatte, die ja eigentlich nur klären soll, was ist Selbstmitleid, jetzt auf eine "Was-ist-NPS?"-Diskussion zu verengen.

Kinders, geht ihr heute gar nicht mehr ins Bett!


Eremit
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Beitrag Do., 16.06.2011, 00:48

Hm. Pathologische Narzissten kommen mir sehr gespalten vor. Ich glaube, Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben ihr tatsächliches Leid so weit in sich verstaut und versteckt, daß sie nicht einmal mehr zu "normalem" Selbstmitleid in der Lage sind. Sie brauchen ja immer Projektionsflächen im Außen, oder nicht? Selbstmitleid funktioniert ja auch ohne externe Projektionsflächen. Wenn pathologische Narzissten fähig wären zu Selbstmitleid, dann wären sie nicht so abhängig von der Meinung ihrer Mitmenschen - irgendwie würde das wiederum ihren Narzissmus negieren...

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