Selbstmitleid

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.
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stern
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Beitrag Do., 16.06.2011, 10:29

Müki hat geschrieben:Ich denke aber daß der Narzisst das was er aus der Störung hat durchaus als einen Gewinn sieht.

hm, mglw. meinen wir ähnliches, benennen es nur anders. Begrifflich finde ich mittlerweile "Funktion" besser als z.B. Nutzen, Gewinn, Grund, Sinn... und zwar weil zum Bleistift eine Spaltung eben auch eine Funktion hat... z.B. die Funktion eben mit bestimmten Seiten, Strukturen, Prozessen oä eben nicht in Kontakt zu kommen, weil sonst die Psyche aus den Latschen kippen würde. Also Funktion als Selbstschutz i.w.S., was in der früheren Lebenswirklichkeit auch durchaus viel Sinn machte ("funktional war"), heute aber nicht mehr unbedingt viel Sinn macht, sondern vielmehr dysfunktional ("destruktiv") wurde (weil daraus heute auch reichlich Leiden erwächst... und andere Bewältigungsstrategien an sich angemessener wären, die aber noch nicht zur Verfügung stehen).

Und so kann man IMO aus vielen destruktiven Bewältigungsstrategien (wozu ich auch z.B. Selbstmitleid zähle) AUCH eine Funktion ableiten, die es erfüllen soll. Wie gesagt: Braucht niemand anzunehmen, ich kann mit d. Sichtweise mitunter viel anfangen, weil sie auch dazu dienen kann, etwas versöhnlicher zu sehen (anstelle sich z.B. fertig zu machen: Wie destruktiv gehe ich eigentlich mit xy um... warum muss ich zu solchen absurd Strategien greifen, usw. Wenn man das lebensgeschichtlich näher aufdröselt, kann man zumindest zu dem Ergebnis kommen, dass es damals vielleicht gar nicht sooo absurd war, z.B. sich sich zu verletzten (z.B. weil die Psyche anderweitigen Schmerz gar nicht verkraftet hätte, und man dann vielmehr z.B. in einer Psychose dekompensieren hätte können, usw. Mag teils auch nur ein schwacher Trost sein, kann aber einer sein).
Eremit hat geschrieben:Ich habe oft den Eindruck, daß Selbstmitleid eine Kompensationshandlung ist, weil die jeweilige Person ihr eigentliches, tatsächliches Leid nicht (mehr) "findet" (finden will?). Tatsächlich ist es doch so, daß alle Menschen ihr Leid - ihr wahres Leid - größtenteils vor sich selbst verstecken (und somit vor der Umwelt).
Empfinde ich auch als stimmige Definition, die ich auch gut mit der von Debussy zusammenbringen (mit der ich wie gesagt ebenfalls viel anfangen kann), sprich: das Selbstmitleid als etwas abgekoppeltes, das stattdessen dazu dient etwas anderes zu kompensieren... z.B. in Kontakt mit seinem eigentlichen Leid, seiner Trauer, Traurigkeit, etc. zu kommen.
Echtes Leid kann zwar produktiv gelebt werden, kann aber auch sehr destruktiv sein und das Selbst in den Abgrund reißen und zerstören, viel schneller und leichter als jedes aufgesetzte Selbstmitleid, oder nicht? Zumindest wirkt es auf mich wie ein großes Versteckspiel...
In dem Punkt bin ich aber ein bisschen hin- und hergerissen... und zwar mit folgender Begründung: Ich denke viel Leid entsteht gerade daraus, dass man eben NICHT mit sich selbst in Kontakt ist (der Depressive z.B. nicht, dessen Leid durch durch irgendwelche depressiven Wolken, Sinnlosigkeits"gefühlen" etc. überdeckt ist. Auch derjenige nicht, der sich die Arme aufschneiden muss, weil er seinen eigentlichen Schmerz eben nicht aushalten kann. Der gespaltene Narzisst nicht, der nur ENTWEDER mit seiner selbstwertlabilen Seite in Kontakt kommt ODER mit seiner "grandiosen" (bzw. evtl. verhindert die Spaltung gänzlich mit dem labilen Selbstwert in Kontakt zu kommen). Und auch derjenige, der in tiefem Selbstmitleid hängt ist gerade nicht sonderlich gut mit sich in Kontakt... gerade wenn man die Definition zugrunde legt, dass das Selbstmitleid anderes kompensieren soll (z.B. die Auseinandersetzung mit dem worunter man eigentlich leidet). Insofern passt auch "Versteckspiel" in allen Fällen gut... weil das "eigentlich Leid" hinter anderem (wie Sinnlosigkeitsgedanken, Opfermentalitäten, etc. versteckt ist). Und ja, das kommt mir gerade in puncto Selbstmitleid auch noch in den Sinn: Es kann in der Tat leichter auszuhalten sein, sich mal so richtig als arme Sau zu fühlen, die von allem und jedem ungerecht behandelt wird, als wirklich in Kontakt mit dem eigentlichen Schmerz zu kommen oder in Kontakt mit Eigenanteilen oder was weiß ich.

Und insofern: Wenn man wirklich in Kontakt mit sich ist, ist das eigentliche, "echte" Leid meiner Erfahrung nach endlich... sicher auch schmerzhaft, aber nicht zerstörerisch... es ebbt mit der Zeit auch wieder ab... ja, ich finde das Bild von Wellen treffend. Dann wenn ich etwas kompensieren muss (egal auf welchem Weg... vermutlich aber auch bei Selbstmitleid als Kompensationsstrategie), ist meine ganz deutliche Erfahrung, dass dann Prozesse in Gang gesetzt werden, die sich hochschaukeln, zerstörerisch sein können, schwer begrenzbar sind.

IaW: Destruktive Bewältigungsstrategien schaffen sich zusätzliches Leid (im Fall von Selbstmitleid z.B., dass sich andere Menschen u.U. abwenden... usw.) = Verlagerung
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stern
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Beitrag Do., 16.06.2011, 11:13

Noch ein Nachtrag zu Kompensationshandlungen/-strategien: Das fiese daran ist, sie binden ja für gewöhnlich viel Energie. Und um die Kompensation aufrecht erhalten zu können ist im Zeitverlauf üblichweise sogar zunehmend Krafteinsatz erforderlich (der bei nicht wenigen dann auch irgendwann in der Erschöpfung endet).

Bsp. zu Verdeutlichung, das vielleicht etwas klischeehaft an den Haaren herbei gezogen ist (habe aber ansonsten den Verdacht, dass ich auf einer zu abstrakten Ebene bleibe):

Jemand hat lebensgeschichtlich gelernt (bzw. die bittere Erfarung gemacht), Zuwendung gibt's nur, wenn es mir schlecht ging. Da können sich dann vielleicht auch Muster ausbilden die so eine Art Opferhaltung/Selbstmitleid begünstigen (denn dann kriege ich vielleicht etwas Zuwendung... deswegen war es früher vielleicht auch mal eine "nützliche" Strategie, weil's dann ein Minimum an Zuwendung gab. Wenn's mir gut geht, habe ich das anscheinend nicht verdient, usw.). Effekt HEUTE aber vielmehr ("dysfunktional", destruktiv): Andere Menschen wenden sich ab... was wie gesagt zusätzliches Leid schaffen kann (z.B. Einsamkeit). Da das absolut vermieden werden soll, ist zunehmend mehr Energie und evtl. gesteigerte Strategien nötig, um ein Miminum an Zuwendung zu finden. Ganz fies ist dann, wenn die bisherige destruktive Bewältigungsstrategien (mangels anderer Alternativen) noch gesteigert werden... und zunehmend das Gegenteil vom gewünschten eintritt. Dann verharrt man zunehmend in einem Teufelskreis, der zunehmend schwerer zu durchbrechen ist. Plus: von seinem eigentlichen=ursprünglichen Leid entfernt man sich zunehmend mehr, was Kompensationsstragien für gewöhnlich auch an sich haben (z.B. auch wenn man wie ich phasenweise in Arbeit/Lernen/Ablenkung geflüchtet ist anstelle sich mit dem eigentlichen auseinanderzusetzen... führte dann auch in die Depression... und wie gesagt: ich kann sowas auch recht losgelöst von Schuldkategorien sehen, die in gewisser Weise ja auch eine Kompensationsfunktion haben können: Wenn ich mich unangebrachte Schuldgefühle habe, so können die auch verhindern, dass ich mit den eigentlichen Gefühlen in Kontakt komme). Klar ist auch: Destruktive Muster sind manchmal ohne PT schwer zu durchbrechen, aber dafür gibt's ja PTen.
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Beitrag Do., 16.06.2011, 14:28

Hinweis Admin: diverse off-topic-Beiträge, persönliches Hickhack, Hijack-Postings etc. wurden in den Bereich "Hamsterräder" verschoben.


montagne
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Beitrag Do., 16.06.2011, 15:49

Selbstmitleid hat für mich immer was davon andere in unangemessener Weise verantwortlich zu machen für sein Leid (ob man dies nun bewusst empfinden kann oder nicht) und auf dieser Position zu verharren. Immer neue Gründe finden darin zu verharren.

Akut mag Selbstmitleid entlastend und sogar förderlich sein. Es ist ja emprisch erwiesen, dass psychisch gesunde menschen sich etwas positiver sehen und Verfehlungen etwas stärker externalisieren. Und depressiv Strukturierte wiederum sich und Welt oft ziemlich realistisch sehen.

Wenn man Verfehlungen akut, kurzfristig auf andere oder die Umstände schiebt und doch in der Ecke seines Bewusstseins irgendwo weiß, nächstes mal muss man sich auch slebst mehr anstrengen, es anders anstellen ist es gut. Man kommt voran und kratzt sich den Selbstwert nicht zu sehr an.

Wenn man aber die anderen, die vermeintlich Verantwortlichen für das Scheitern beginnt zu verfolgen und verachten. Oder wenn man resigniert und sich einredet, die welt sei SO unfair und es sei SO nutzlos.
Dann hat man ja kaum noch Energie um weiter zu machen. Man gräbt sich selbst das Wasser ab. Die eigene Energie und auch die Kontakte, die man noch hat und die jeder braucht.

Und ich denke da wirds kritisch. Wenn man eben aus der selbstmitleidigen Haltung "Die anderne sind Schuld, wegen ihnen Leide ich so, die Welt ist ungerecht, mir wird nichts gegönnt"-nicht heraus kommt.

Diese Sichtweise unterstellt natürlich das eine postive Weiterentwicklung, der Versuch eines positiven lebensweges erstrebenswert ist. Das ist meine Meinung, muss aber ja nicht für alle gelten.
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bittersweet
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Beitrag Do., 16.06.2011, 16:13

hallo alle,
ich verfolge gebannt den thread, die vielen aufschlussreichen erklärungen und definitionen. hier wurden viele sehr beeindruckende beiträge geschrieben.
für mich stellt sich, ganz unabhängig von dem im einzelfall tatsächlich zugrundeliegenden problem und dessen definition (depression, narzisstische persönlichkeitsstörung, rücksichtsloses oder selbstmitleidiges gejammere) die praktische frage, wie ich es im akutfall schaffe, auf solche personen nicht mit agression oder rückzug zu reagieren sondern im günstigsten fall sogar eine durchbrechung des teufelskreises bewirken kann. oder zumindest einen kurzen moment der reflexion - was ja auch schon ein erfolg wäre in solchen fällen.
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Waldschratin
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Beitrag Do., 16.06.2011, 16:18

Mit "Verantwortung abgeben wollen" hat das für mich auch viel zu tun.

Wobei "Verantwortung abgeben" ja (zeitweise) auch was Gutes und Entlastendes sein kann,wie du schon beschrieben hast,Montagne.

Ich seh Selbstmitleid aber weniger an bestimmte Störungen gebunden,ich denke,das kann man sozusagen "in jeder Lebenslage" zu nem "Instrument" machen. (KANN - nicht muß)

Und dann kanns wirklich schnell destruktiv werden,für den Selbstmitleidigen selber - aber noch mehr für sein Umfeld.

Ich bleib dabei: Die Dosis macht das Gift.

Hallo Bittersweet,
da gehts mir ganz genauso wie dir!
Da suche ich auch noch nach Lösungen...

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kügeli
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Beitrag Do., 16.06.2011, 16:34

Gewaltfreie Kommunikation hilft, Bittersweet, wenn du mit Menschen, die deiner Meinung nach zu sehr "selbstmitleidig" sind, umgehen willst. Ich hatte oben irgendwo ein Beispiel gebracht, wie man sich, ohne den anderen zu verletzen, abgrenzen kann.

Über GfK findet man viel im Internet. Ist einfach zu lernen.

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stern
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Beitrag Do., 16.06.2011, 16:53

bittersweet hat geschrieben:die praktische frage, wie ich es im akutfall schaffe, auf solche personen nicht mit agression oder rückzug zu reagieren sondern im günstigsten fall sogar eine durchbrechung des teufelskreises bewirken kann. oder zumindest einen kurzen moment der reflexion - was ja auch schon ein erfolg wäre in solchen fällen.
Gute Frage, aber schwer zu beantworten.

Zum einen glaube ich, dass ich meine Gefühle (z.B. aufkommender Ärger, etc. - wobei das jetzt zumindest für meinen Teil nicht das typischste Gefühl ist, das dann hochkommt) nicht wirklich beeinflussen kann... sondern ein Gefühl meldet sich "einfach" (oder eben auch nicht). Wenn emotional zu viel (bei mir) ausgelöst wird, ist die Gefahr hoch, dass ich dann nicht mehr sooo angemessen damit umgehen könnte, wie ich mir es wünschen würde... und ein Gespräch dann bestenfalls vertage (außer jemand reizt mich bis auf die Knochen... also masochistisch bin ich dann auch nicht. Also ich versuche für gewöhnlich jemanden anzurechnen, welche Absicht er/sie haben könnte). Ansonsten heißt Ärger verspüren ja nicht im selben Atemzug, dass ich das in Form von Aggression oder Rückzug in die Tat umsetzen muss (geht aber wie gesagt evtl. nur bis zu einem gewissen Grad an Ärger... denn wenn zuviel emotional bei einem selbst ausgelöst wird, umso geneigter ist man für gewöhnlich dem auch Taten folgen zu lassen).

Innere Distanz haben bzw. ggf. aufbauen... in dem Sinn, dass ich gefestigt genug bin, dass Erleben des anderen nicht 1:1 zu absorbieren (z.B. dass ich im Gespräch mit einem depressiven nicht dessen Erleben absorbiere... ebenso nicht das Erleben eines Menschen, der gerade im Selbstmitleid versinkt). Ansonsten kann ich die Dinge auch gar nicht mehr aus einer anderen Warte sehen als der andere.

Trotzdem aber versuchen einen Perspektivenwechsel zu vollziehen (Sicht des anderen), was auch dazu beitragen kann versöhnlicher mit dem anderen umzugehen... und eben nicht Rückzug anzutreten oder aggressiv zu werden. Aber Grenze siehe oben: Nicht absorbieren lassen, sonst wird man ja selbst auch noch handlungsunfähig. Bzw. im RL hatte ich es dann echt schon so erlebt, dass ich mich habe so reinziehen lassen, während der andere im selben Ausmaß "aufgeblüht" ist, in dem es mir "schlechter" ging.

Evtl. auch Worte propylaktisch mit Bedacht wählen... trotzdem sehe ich es (erfahrungsgem.) so: Selbst wenn ich das mache, kann ich kaum beeinflussen was der andere daraus macht.

Was man bewirken kann: Von solchen Gedanken bin ich für gewöhnlich relativ frei, weil ich das, was ich in jemanden bewirken kann für denkbar gering halte... bzw. besser gesagt: Es liegt eben nicht in meinem Einfluss, ob jemand meine Ideen zur eigenen Reflexion nutzt. Teufelskreise bei jemanden zu durchbrechen wollen wäre nochmals ungleich schwieriger. Gerade wenn jemand irgendwelche Muster schiebt, die aufgrund der Biografie fester verankert sind. Umso mehr gilt das bei Krankheiten. Da kann ich dann bestenfalls darauf hinweisen, ob derjenige nicht meint, eine PT könne helfen... von eigenen Erfahrungen erzählen, etc. Wenn ein Gespräch mehr bewirkt... umso besser, aber ich mit dieser Erwartungshaltung gehe ich nicht ran.

Gleichwohl versuche ich aber, wie angedeutet, nicht so masochistisch zu sein, dass ich mir 17 plus x mal die selbe Leier anhören würde/könnte... (ich glaube das geht aber vielen so). Und ich glaube durchaus, dass jeder Mensch Grenzen hat. Also wenn man in einer Tour entwertet werden würde, da ist's menschlich, dass man sich das nicht unbedingt antun möchte (evtl. auch gar nicht kann)... so sehr man auch berücksichtigen würde, dass der andere ja leidet. Es liegt eben insbes. in der Verantwortung des anderen, wie dieser mit anderen Menschen umgeht... und wenn jemand heftig zuschlägt, mein Gott, dann muss er eben die harte Schule gehen, indem er der Erfahrung macht, dass andere so nicht mit sich umgehen lassen.

Tendenziell glaube ich auch: Je versöhnlicher man mit sich selbst umgehen kann, umso leichter kann man das mit anderen. Aber zu einer Kommunikation gehören eben zwei... und ich versuche die Verantwortung beim anderen zu belassen auf welche Art und Weise er sich einbringen mag.
Zuletzt geändert von stern am Do., 16.06.2011, 17:06, insgesamt 2-mal geändert.
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montagne
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Beitrag Do., 16.06.2011, 16:56

die praktische frage, wie ich es im akutfall schaffe, auf solche personen nicht mit agression oder rückzug zu reagieren sondern im günstigsten fall sogar eine durchbrechung des teufelskreises bewirken kann. oder zumindest einen kurzen moment der reflexion - was ja auch schon ein erfolg wäre in solchen fällen.
Das ist ja auch ein bisschen eine Retterphantasie, oder? Man hilft dem anderen und das ganz schmerzfrei.
Ich denke das wird beim Selbstmitleid, wie bei vielen psychischen Problemlagen nicht gehen. Weil sie auf Verkennung, auf Selbsttäusschung, Illusion beruhen. Der Weg raus geht nicht anders, als über DEsillusion und Ent-täuschung, und das tut weh.

Ich denke auch es ist gar nicht sinnvoll jegliche Aggression oder Rückzugstendenz zu unterdrücken oder zu umgehen oder zu besser. Es sind ja gefühle, die Sinn und Berechtigung haben. carö schrieb und, da stimme ich zu.. es ist auch eine Dynamik. und manchmal provoziert der Selbstmitleidige so lange, unbewusst, bis der andere eben die Hände in die Luft wirfst und ruft: "Jetzt hör auf mit deinem Selbstmitleid, ich kanns nicht mehr ertragen!" Vielleicht war das der Kick, dend er Selbstmitleidige gebraucht hat um aus seiner temporären Illusion zu erwachen. Weil ein Teil von ihm schon wusste, es ist eine Illusion, aber ein anderer Teil diese nicht loslassen wollte.

Manchmal brauchen Menschen diesen Anstoß von außen, führen ihn herbei. Soll nun nicht heißen, das ich dafür bin Menschen, die im Selbstmitleid baden gernell anzuschnauzen.
Ich denke nur, die Aggression, die entsteht ist irgendwo Teil einer berechtigten Dynamik, die darauf hinaus läuft, dass der andere geheilt werden will. Und auch das Auslagern unerträglicher Gefühle auf den anderen. Die Aggressionen die der anderen spürt, sind vllt. Aggressionen, die der Selbstmitleidige auf sich selbst hat. Aber er kann sie nicht ertragen. Viele Menschen können diese Aggressionen, gar den Gedanken, ich bin selbst Schuld, nicht ertragen und lagern ihn auf andere aus.

Heilsam ist es dnan, wenn der andere dies zurück wirft, aber in abgeschwächter Form. Die Aggressionen und Beschuldigung also erst contained und dann abgeschwächt und modifiziert ausdrückt, zurück wirft. So, dass der Selbstmitleidige es ertragen kann.
Aber das ist wirklich eine sehr heikler Balance-Akt, der nicht selten den raum einer Therapiesitzung braucht und die Aufgeräumtheit eineR TherapeutIn. Es kann im leben klappen, muss aber nicht.

Ich denke, da sist der Punkt weshalb man sich als Laie nicht mit Anforderungen überfrachten (lassen) sollte. Und gütig mit sich umgehen sollte, wnen eine Interaktion mal nicht so gelingt, wie man sich das gewünscht hätte.
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bittersweet
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Beitrag Do., 16.06.2011, 18:58

montagne hat geschrieben: Das ist ja auch ein bisschen eine Retterphantasie, oder?

eher purer eigennutz - geht's dem gegenüber besser, geht's mir auch besser.


danke stern und montagne. mir fällt es schwer, mich in diesen fällen abzugrenzen. bis ich es bemerke, kochen schon die emotionen hoch und die reaktionen fallen oft dementsprechend unglücklich aus.
Innere Distanz haben bzw. ggf. aufbauen... in dem Sinn, dass ich gefestigt genug bin, dass Erleben des anderen nicht 1:1 zu absorbieren (z.B. dass ich im Gespräch mit einem depressiven nicht dessen Erleben absorbiere... ebenso nicht das Erleben eines Menschen, der gerade im Selbstmitleid versinkt). Ansonsten kann ich die Dinge auch gar nicht mehr aus einer anderen Warte sehen als der andere.
Ich denke nur, die Aggression, die entsteht ist irgendwo Teil einer berechtigten Dynamik, die darauf hinaus läuft, dass der andere geheilt werden will. Und auch das Auslagern unerträglicher Gefühle auf den anderen.
...

Ich denke, da sist der Punkt weshalb man sich als Laie nicht mit Anforderungen überfrachten (lassen) sollte. Und gütig mit sich umgehen sollte, wnen eine Interaktion mal nicht so gelingt, wie man sich das gewünscht hätte.
das sind für mich wertvolle ^schlüsselsätze.

@kügeli: ich sehe, dass du leidest und wünsche dir kraft auf dem weg zur genesung

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stern
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 07:09

bittersweet hat geschrieben:bis ich es bemerke, kochen schon die emotionen hoch und die reaktionen fallen oft dementsprechend unglücklich aus.
Ich würde dennoch sagen, dass es nicht unbedingt eine "Überreaktion" sein muss. Sondern in der Regel erhält ja jede "Nachricht" auch eine Botschaft (und ich glaube, für solche Botschaften haben die meisten Menschen auch ein sensibles Gespür). Iss ja in dem Thread, soweit ich mich erinnere, auch schon von einigen angesprochen worden: Die Botschaft (im Zusammenhang mit Selbstmitleid) kann zum Bleistift sein "gib' mir Zuwendung" oder "rette mich"... wogegen ja erstmal nix einzuwenden ist. Der Punkt ist, wenn das nicht artikuliert wird, sondern rein demonstriert wird, dann kann das sauer machen... umso mehr, wenn eine (unterschwellig kommunizierte) Anspruchshaltung an den Tag gelegt wird bzw. der andere sich in der Schuld sehen soll/schlechtes Gewissen haben soll... weil es dann auch eine manipulative Komponente haben kann (wobei ich wie gesagt nicht soweit gehe, dass ein manipulative Charakter jedem Selbstmitleid innewohnt... aber es kann auch manipulative Züge annehmen, muss aber nicht). Und nöö... das ist auch nicht aus der Luft gegriffen, natürlich gibt es das auch. Und das sind dann IMO ganz üble Dynamiken, die dann entstehen können, mit denen es echt schwer umzugehen sein kann.

Natürlich kann man dem dann x Dinge entgegensetzen (was dann auch versöhnlicher stimmen kann): Z.B. derjenige ist sich vermutlich dessen nichtmal bewusst und macht das nichtmal absichtlich... Ausdruck einer Notlage... vor dem Hintergrund der Biografie verständlich... oder es wird sein Gründe haben, die sich mir gerade nicht erschließen, usw. Oder wie montagne sagt:
Heilsam ist es dnan, wenn der andere dies zurück wirft, aber in abgeschwächter Form. Die Aggressionen und Beschuldigung also erst contained und dann abgeschwächt und modifiziert ausdrückt, zurück wirft. So, dass der Selbstmitleidige es ertragen kann.
Aber: Genauso legitim ist es, seinen eigenen (durchaus berechtigten und vielleicht sogar hoch angemessen) Emotionen beachtung zu schenken (und wie gesagt: es muss nichtmal Überreaktion sein, wenn die Emotionen dann sehr stark sind), und sich zu sagen: Nee, darauf kann ich mich nicht einlassen. Plus Ansprüche, dviel (wenn überhaupt etwas) bewirken können herunterzuschrauben und die Verantwortung dafür beim anderen zu belassen. Denn man selbst ist eben auch nur ein Mensch. Und klar kann ich mich bemühen "hilfsbereit" zu zeigen (was mir eigentlich auch öfters nachgesagt wird). Aber ich kann nicht den Anspruch an mich stellen, damit so umgehen zu können, wie ein Therapeut das können sollte. Sondern ich bin auch nur ein Mensch, mit vielleicht auch ein paar Päckchen, der nur nach bestem Wissens und Gewissen handeln kann,. Insofern bin ich insoweit auch ziemlich auf einer Linie mit montagne:
Aber das ist wirklich eine sehr heikler Balance-Akt, der nicht selten den raum einer Therapiesitzung braucht und die Aufgeräumtheit eineR TherapeutIn. Es kann im leben klappen, muss aber nicht.
Umso schwieriger wird es nämlich in der Tat, wenn man noch ein paar eigene Muster einbringt (was der Regelfall sein dürfte), die ebenfalls nicht gerade förderlich sein können (z.B. sich nicht hinreichend abgrenzen zu können, was btw. genauso Gründe hat, wenn man das nicht gut an. Oder man selbst durch irgendetwas "getriggert" wird. Oder jemand dockt an eine eigene Retterphantasie an, woraus auch gut und gerne schwierige Dynamiken entstehen usw.) Dann kann sich die Destruktivität einer solchen Dynamik gut und gerne mal potenzieren.

Und im RL versuche ich das so zu handlen: Wenn eine Dynamik destruktiv wird (und Maßstab ist dann meine subjektive Wahrnehmung... eine andere habe ich ja nicht *g*), dann ist (zumindest zunächst) Schicht im Schacht... und im Zweifel ist dann auch wurscht, woran oder an wem das gerade liegt (also das kann genauso gut an mir liegen). Denn erfahrungsgem. bringt es dann nicht viel ein solches Gespräch aufrecht zu erhalten... sondern im Zweifel schaukelt sich das dann erst recht noch hoch. Bestenfalls vertagen, aber das erwähnte ich schon. Wie gesagt: Man kann sich durchaus bemühen, denke auch das ich das mache im RL (aber mit manchen Einschränkungen, wo es einfach für mich nicht geht)... aber keine Übererwartungen an sich stellen, wenn ein Gesprächsverlauf eskaliert (und am besten auch möglichst wenige/keine Erwartungen an den anderen richten, was das Gespräch bewirken soll). Sicher nicht ultima ratio, aber ein möglicher Weg.
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montagne
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 07:49

@stern: Deshalb schreibe ich ja, manchmal braucht es wohl den schützenden raum und die aufgeräumtheit einer Therapeutin.
Ich denke das auch so wie du. Ich bringe auch meine Geschichte ein und meine Gefühle. Und die haben auch ihre Berechtigung. und ich darf auch überfordert sein und mich entweder zurückziehen oder sagen "Ich kanns nicht mehr hören."
eher purer eigennutz - geht's dem gegenüber besser, geht's mir auch besser.


danke stern und montagne. mir fällt es schwer, mich in diesen fällen abzugrenzen. bis ich es bemerke, kochen schon die emotionen hoch und die reaktionen fallen oft dementsprechend unglücklich aus.
Kann ich nachvollziehen. geht mir auch so.
Ich komme aber immer mehr dahinter, dass das, was ich fett markiert habe ein Glaubenssatz ist, der so nicht immer stimmen muss. Ich denke in diesem Glaubenssatz liegt die Schwierigkeit, wenn uns jemand begegent, der überzogen selbstmitleidig agiert.
Weil überzogenes Selbstmitleid immer eine aggressive, abwehrende Dynamik erzeugt. (Es sei denn es treffen sich zwei, die sich zusammen drin suhlen.) Und gleichzeitig hat man den Anspruch an sich, es dem anderen recht zu machen, etwas zu tun, damit es ihm besser geht, obwhl man gerade Aggressionens schiebt und eigentlich auch spürt, ohne Ent-Täuschung wirds nicht geht. Ist ein Konflikt, in den man sich da bringt.

Wir machen uns vom anderen abhängig. Warum bitte muss es dem anderen erst gut gehen, damit es mir gut geht? Warum muss ich es dem adneren immer Recht machen? UND: Nur weil ich ihn einmal vor den Kopf stoße, weil ich sagen, Beispiel: "Du, hör auf zu jammern, du hast es slebst zu verantworten, weil..."
Klar,d er andere wird vllt. nicht grad erfreut sein, sowas zu hören. Später wird er es vllt. einsehen können. und selbstw enn nicht und slebst wenn ICH überzigen reagiert habe, der andere wird doch drüber hinweg kommen.
Ich rede hier von Freunden oder guten bekannten, Partner. Da mus es doch auch mal möglich sein, eine Dissonanz zu haben, ohne Angst, das der andere bis ans Ende des lebens sauer auf einen ist. und ohne, das eine kritische Anmerkung zu einem Punkt als Generalabwertung aufgefasst wird.
amor fati

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kügeli
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 08:12

Nur weil ich ihn einmal vor den Kopf stoße, weil ich sagen, Beispiel: "Du, hör auf zu jammern, du hast es slebst zu verantworten, weil..."
Du könntest es ohne Bewertung formulieren, z.b.so:
Ich kann es nicht mehr ertragen, wenn du jammerst. Würdest du bitte damit aufhören?

Ich würde den Teilsatz mit der Verantwortung weglassen. Denn der ist eine negative Wertung und nicht schön. Du kannst nicht beurteilen, ob jemand anders etwas selbst zu verantworten hat.

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Dampfnudel
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 08:37

Ich habe mal gelesen, dass man einen Unterschied zwischen "Verantwortung" und "Schuld" machen sollte. Demnach trägt man zwar nicht immer die Schuld dafür, dass man zu bestimmten Reaktionen neigt, aber die Verantwortung dafür, ob man sie zeigt, trägt man dennoch selbst. Und ich glaube durchaus, dass man gelegentlich auch von außen beurteilen kann, wie viel jemand zu einer bestimmten Situation beigetragen hat. Oft sogar besser als derjenige selbst. Die Frage ist eher, ob es sinnvoll ist, ihm das zu sagen, wenn er es absolut nicht hören will.
Alles hat seine Zeit.


montagne
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Beitrag Fr., 17.06.2011, 08:38

Doch natürlich kügli, kann ich das.
Wenn ich weiß (weil ich dabei bin), dass mein Partner jeden Tag eine ganze Tafel Schokolade isst und dann klagt, das die Hose zu eng ist und das Gewicht steigt,
wenn ich weiß (weil er es mir oft erzählt hat), das mein Kumpel lieber mit nem Bier in der Sonne lag, statt für die Klausur zu lernen und dann über eine miese Note klagt,
dann haben diese Menschen diese unangenhmen Konsequenzen zu verantworten.

Ich habe aber das dumpfe Gefühl du verwechselst Verantwortung mit Schuld, ebenso wie du Selbstmitleid mit Selbstmitgefühl verwechselst. Und wie du auch normales Selbstmitleid mit überzogenem Selbstmitleid, um das es hier ja viel geht verwechselst. Und du verwechselst vllt. auch BEurteilung und VERurteilung.
Ich sage nicht, mein Partner ist ein schlechter Mensch, weil er viel Schokolade ist und dann zunimmt und die Hose kneift.


Ich denke, wenn ich offen sprechen darf, ich erlaube mir das mal:
Du kannst nicht trennen, zwischen Verantwortung die du, die jeder Erwachsene zu tragen hat, für sich und für sein Leben. Und der Situation als man dir sehr weh tat, als Kind? Ein Kind ist nie Schuld, es trägt nie die Verantwortung dafür, wenn man es psychisch, physisch, sexuell misshandelt. Es tragen IMMER die Täter Verantwortung UND Schuld NIE das Kind.
Du warst NIE verantworltich und schuldig, für das was man dir als Kind antat. Kannst du das fühlen?

Aber du bist verantwortlich, für das was du als Erwachsene tust. Wenn ich heute zu dir sagen, du bist verantwortlich für dis und das. Zum Beispiel auch wie du hier mit Usern umspringst und wie es dann auf dich zurückreflektiert, dann impliziert das in keiner Weise, das du damals verantwortlich warst.

Und es geht hier auch nicht um Selbstmitgefühl, Selbstmitleid, das jemand empfindet, der Opfer von Misshandlungen wurde. Es geht doch hier um Selbstmitleid, ja auch weinerliches oder wütednes Gejammere, über alltägliche Dinge.

Ich denke, wenn man diese Trennungen versteht, fühlt, braucht man keine Angst haben vor den begriffen Verantwortung und Selbstmitleid. Dann kann man es auch mal ertragen, wenn einem das so gesagt wird. und dnan kann man das jemandem anderes auch mal sagen.
dazu sind Freundeund Partner AUCH da. Einem unbequeme Wahrheiten zu sagen.
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