Was versteht ihr unter 'Arbeitshaltung'

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Rezna
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Beitrag Di., 06.04.2010, 13:19

Hallo, Rotkarierte, was du so schreibst, das könnte fast ich geschrieben haben, vom aktuellen Gefühl her, der Sehnsucht nach Lebensenergie und dem völligen fehlen derselben. Was man auch anfängt, nichts macht wirklich Spaß und ermüdet schnell - und als Grundton des Ganzen dann dieser Anspruch, dass es endlich mal "was werden sollte". Genau genommen liege ich auf der Lauer in meiner Höhle und warte, dass die Lebensenergie am Höhleneingang vorbei läuft und ich dann raus krallen und sie packen kann - um dann endlich wieder die Dinge tun zu können, die mir Spaß machen - ach was, um überhaupt wieder wissen zu können, was will ich, was sind meine Wünsche, was macht mir überhaupt Spaß und was sind meine Ziele.

Die innere Arbeitshaltung muss ich wohl auch stark überdenken. Die hat sich im Laufe meines Lebens sehr verändert. In der Schule fühlte ich mich nur gezwungen und manipuliert - dass man am Lernen und sonstigem Freude haben könnte, das wurde mir weder beigebracht, noch habe ich das selber erfahren. Nachdem ich über ein Jahrzehnt in der Schule gelernt hatte, dass man sich nur zu zwingen und zu quälen hat um den Ansprüchen von Eltern und Lehrern zu genügen, wurde ich gefragt was ICH will. Bis dahin hatte ich es zu einem Großteil verlernt, etwas zu wollen. Sollte jetzt tatsächlich die Zeit kommen, in der ich das machen "darf" was ICH will? Naja. Natürlich nicht. Kein Chef bezahlt einen dafür, etwas zu tun was einem Spaß macht oder was man will. Das was man will oder einem Spaß macht bringt kein Geld. Also weiter, ich habe mich als Person, meine Wünsche und Bedürfnisse ganz klein zusammengefaltet und nach hinten in die Höhle gelegt, um vorne, im Rampenlicht quasi, super gut zu funktionieren. Statt dem Ausleben meiner Person kam das Heischen um Anerkennung. Ich verlegte mich darauf, nur ein einziges Bedürfnis befriedigt zu bekommen: Harmonie (als Gegengewicht zu den Gewalt/Angsterfahrungen der Kindheit). Ich hätte mir wohl Körperteile abgehackt, nur um in Frieden sein zu können, und zumindest nicht geschimpft zu werden. Wenn - selten mal - positive Anerkennung kam, dann schwebte ich. Und schob dabei mit meiner Zehenspitze meine zusammengefalteten Bedürfnisse weiter in die Höhle hinein, nach dem Motto: Es funktioniert ja auch so. Ein Grund mehr, meine Bedürfnisse zu ignorieren.
Das Ende dieser Taktik erlebe ich heute. Burnout und Depression. Ich kämpfe und finde nicht mehr zu mir. Ich bin leer gelaufen und wenn man mich nach meinen Wünschen und Bedürfnissen fragt, bin ich ÜBERfragt. Selbst wenn es um die banalsten Dinge geht... nicht um die großen Lebensfragen. Ich kann stundenlang vor einem Regal im Geschäft stehen, weil ich den Anspruch habe, etwas zu kaufen das ICH WILL. Und ich weiß es nicht. Ich gebe irgendwann frustriert auf und nehme eben IRGENDWAS.
Meine Arbeitshaltung war mehr ein "Quäl dich, du Sau" und nun soll ich lernen, als Arbeitshaltung so etwas wie Entfaltung zu spüren. Mir ist als wäre ich blind und man würde mich zwingen die Farbe Kobaltblau zu mischen. Jegliche Ratschläge schaue ich mit großen Augen an, ich verstehe wohl rational was man meint... aber ich habe persönlich keinen Zugang.

Derzeit habe ich Zeit zur Verfügung und könnte alles machen was ich will. Und was tu ich? Ich schummle mich durch die Tage wie ein Dieb - habe das Gefühl, die Zeit nicht wert zu sein die ich habe. Wenn ich etwas anfange, das mir "Freude" machen soll, empfinde ich es leer, schal, das Interesse ist weg und es ermüdet mich. Ich solle Kurse besuchen, auch wegen der sozialen Kontakte - aber schon nur in Gedanken verfalle ich entweder in Starre, Angst oder habe Fantasien in denen ich dort alles kurz und klein schlage. Letzteres wohl ein Ausdruck meiner Machtlosigkeit - weil ich nach all den Jahren einfach nicht mehr ertragen will, zu etwas gezwungen zu werden. Kurse, Schulen, Arbeit aber zwingen einen zu etwas. DAS ist das Symptom meiner Arbeitshaltung. Weil ich darin (noch) nicht Entfaltung sehe sondern eben Zwang - so war es bisher - auch wenn ich selber mich gezwungen habe.

Naja, ich wollte damit nur ausdrücken, dass ich das Dilemma kenne - es deswegen aber nicht ändern kann. Arbeitshaltung kann vieles meinen. Ich denke, bei dir ist es auch mehr Zwang (besser zu sein, verdammt noch mal Freude zu haben, es richtig zu machen,....) als Entfaltung... wie man sich diese Gabe zurück erobert? Keine Ahnung. Ich suche noch.

Was mir bei dir auf fiel: Du schriebst, du könntest nichts. Klavierspielen kannst du doch. Ich würde weniger dazu übergehen, mich wieder einem Lehrer unterzuordnen - aber du kannst Leuten vielleicht dein Wissen vermitteln. Als nicht Klavierstunden nehmen - sondern geben. Wäre das ein Ansatz?
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Beitrag Di., 06.04.2010, 15:57

@ Candle: Du hast recht und doch lähmt mich die Angst. Ich habe diese Idee mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit selbst schon gehabt.

Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie sich das anfühlt, wenn man selbst vor ehrenamtl. Tätigkeiten Angst hat, wenn eigentlich schon kleine Dinge in der Öffentlichkeit große Überwindung kosten (einen Fahrschein in der Straßenbahn am Automaten lösen, die Mülltonnen zur Straße schieben, wenn jemand zuschaut, oder sich im Yogakurs zu bewegen...diese Aufzählung könnte ich jetzt sehr lange weiterführen)
Ich habe einfach bei allem, was ich tue, das Gefühl, mich blöd und ungeschickt anzustellen. Mich aufs Messer zu blamieren. Jeder soziale Kontat kostet mich viel Kraft. Und doch hast du natürlich recht, ich muss mich zu irgendwas aufraffen.

Hallo Arta,
danke für deine ausführliche und offene Antwort. Es berührt mich sehr, in welchen Bildern du dein Befinden beschreibst. Wie lange befindest du dich schon in dieser Phase? Hattest du früher an vielen Dingen Freude? Du schreibst, du hast deine Bedürfnisse zusammengefaltet, also kannst du dich erinnern, sie früher schon wahrgenommen zu haben?
Ich selbst zweifel inzwischen( oder habe es wohl vergessen), ob es eigentlich jemals so war, dass ich intrinsische Motivationen hatte.

Mein Klavierspiel war damals wahrscheinlich in erster Linie eine Fluchtmöglichkeit von zuhause in ein Internat und ein Weg zu etwas Wahrgenommen-Werden und Anerkennung und Zughörigkeitsgefühl zu anderen als eine durch echte intrinsische Motivation gesteuerte Beschäftigung. Dann bekam das ganze eine extrem leistungsorientierte Dynamik und es gab absolut kein zurück. Endete mit einem völlig unpassenden Beruf als Musiklehrer. Ich hab das nur wenige Wochen durchgehalten.

Dann schnell Flucht in die eigene große Familie und wie bei dir eine ziemlich ausgeprägte Harmoniesucht. Ich habe echt alles getan, um meine Familie immer wieder zusammenzuhalten, um schwere Krisen durchzustehen.
Das hat enorm viel Lebensenergie gekostet und ich bin dabei ziemlich ausgebrannt. Nun ist mit einem Schlag die große Leere zuhause ausgebrochen...
Aber meine innere Leere begann schon vor einigen Jahren, vielleicht als die Kinder allmählich größer wurden und ich begriff, dass es nichts EIGENES gibt. Nichts!
Arta hat geschrieben: Das Ende dieser Taktik erlebe ich heute. Burnout und Depression. Ich kämpfe und finde nicht mehr zu mir. Ich bin leer gelaufen und wenn man mich nach meinen Wünschen und Bedürfnissen fragt, bin ich ÜBERfragt. Selbst wenn es um die banalsten Dinge geht... nicht um die großen Lebensfragen. Ich kann stundenlang vor einem Regal im Geschäft stehen, weil ich den Anspruch habe, etwas zu kaufen das ICH WILL. Und ich weiß es nicht. Ich gebe irgendwann frustriert auf und nehme eben IRGENDWAS.
Ja, Arta, diese Gedanken sind mir auch sehr vertraut!
Wie geht es dir mit den Dingen, die dich in deiner Wohnung umgeben? Hast du da auch manchmal das Gefühl, dass sie dir nur deine innere Leere widerspiegeln? Ich habe so oft das Empfinden, dass ich meine Umgebung einfach nicht mit "Leben", mit meinem inneren Empfinden erfüllen kann, also einfach nie so ein Gefühl von "das ist meins, das brauche ich, das liebe ich, damit mache ich gern dieses oder jenes..." wahrnehmen kann. So, als wäre alles nur eine leere Hülle.

Arta, wie bekommst du deinen Alltag hin? Du scheinst auch zu versuchen, trotz der Depressionen so gut es geht zu funktionieren.
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candle
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Beitrag Di., 06.04.2010, 16:25

Rotkarierte hat geschrieben:@ Candle: Du hast recht und doch lähmt mich die Angst. Ich habe diese Idee mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit selbst schon gehabt.
Da müßtest Du dann wirklich mal ins Kalte Wasser springen, anders wird es nicht gehen.

Das Gute ist ja, dass Ehrenamt freiwillig ist. Du kannst erstmal schnuppern und gucken. Es gibt nicht so einen Arbeitsdruck.

Was mir noch einfällt um unter Gleichgesinnte zu kommen: Selbsthilfegruppen

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Rezna
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Beitrag Di., 06.04.2010, 18:53

Rotkarierte hat geschrieben:Hattest du früher an vielen Dingen Freude? Du schreibst, du hast deine Bedürfnisse zusammengefaltet, also kannst du dich erinnern, sie früher schon wahrgenommen zu haben?
Ich selbst zweifel inzwischen( oder habe es wohl vergessen), ob es eigentlich jemals so war, dass ich intrinsische Motivationen hatte.
Eine gute Frage. Ich stelle derzeit viel in Frage - suche zugleich aber auch. Derzeit ist es für mich ein Fortschritt, wenn ich mich nicht verdamme oder verurteile. Nichts tun oder sinnloses tun, ohne mich dafür selber runter zu ziehen. Ich muss das lernen. Einen Film ansehen, ein Spiel spielen - ohne nebenbei irgend etwas anderes zu machen um mich vom "genießen" abzulenken... mal einfach wirklich sinnlos sein dürfen und dadurch Sinn finden... Meine Bedürfnisse und Motivationen von damals sind nicht zwangsläufig dieselben wie heute. Das erwarte ich immerhin auch nicht mehr. Manchmal habe ich das Gefühl, ich wurde erst vor wenigen Tagen geboren und muss erst herausfinden, wie man lebt, was ich mag und was nicht. Es ist dies nicht die schlimmste Vorstellung. Ich darf nur nicht dabei im Hinterkopf haben, dass ich ja schon ein halbes Leben hinter mir habe und ja eigentlich ganz wo anders sein SOLLTE. Oder ich sollte zumindest anerkennen können, dass ich mich geirrt habe. Ich habe eine Form von Leben gewählt und bin immerhin so früh drauf gekommen, dass es so nicht geht, dass ich eine Kehrtwendung machen kann. Schlimm wäre es, wenn ich erst am Sterbebett drauf käme. Nur ist es verdammt schwer, die inneren Systeme neu zu justieren. Ich arbeite ja nicht nur gegen etliche Jahre Erziehung durch Außen sondern auch ebenso viel Zeit an Selbstverleugnung und Selbstunterdrückung. Ich habe brav fortgeführt was andere begonnen haben - und Erfolge gaben mir recht dabei. Dass alles zerbrochen ist, ist eigentlich eine gewaltige Chance.

Rotkarierte hat geschrieben:Wie geht es dir mit den Dingen, die dich in deiner Wohnung umgeben? Hast du da auch manchmal das Gefühl, dass sie dir nur deine innere Leere widerspiegeln?
Ich hatte, als ich noch mit meinem Ex wohnte, ein eigenes Zimmer. Ich habe es in all den Jahren nie wirklich genutzt. Jetzt wo du das sagst fällt mir wieder meine Symptomatik auf. Das Zimmer war bereits fast fertig, an der Ausstattung hätte man nur unter großer Mühe und Zerstörung etwas ändern können. Ich "fügte" mich also den Gegebenheiten und passte mich lieber an, als Staub aufzuwirbeln (durchaus wörtlich). Dadurch aber fühlte ich mich dort nie wohl, es war nie MEINS. Es ist... ja... leer. Auch wenn es wirklich schön ist - es ist leer und auch heute noch der Raum, den ich am seltensten betrete. Ich suche bereits eine neue Wohnung. Ich habe in den letzten Monaten versucht, MEINS daraus zu machen - aber fast 50% der Wohnung benutze ich nicht. Ich bewege mich auf ganz wenigen - immer den selben - Quadratmetern. Leer... hm... unbelebt... das trifft es eher. Ich habe mich gewöhnt - aber es ist nicht Ausdruck meines Wesens. Zweckmäßig. Aber ich wüsste auch kaum, wie ich es besser machen soll. Andere empfinden sie schon sehr individuell... vielleicht erkenne ich mich nur selber nicht in dem was ich mache.

Rotkarierte hat geschrieben:Arta, wie bekommst du deinen Alltag hin? Du scheinst auch zu versuchen, trotz der Depressionen so gut es geht zu funktionieren.
Derzeit gestatte ich mir, nicht zu funktionieren. Ich habe jahrelang gespart, um mir Zeit zu "kaufen". Also ein Jahr daheim bleiben zu können - um EBEN GENAU - mich zu finden, zu tun was ich will. Weil ich eben schon gespürt habe, dass ich mich im "normalen" Leben nicht leben kann. Dass sie dann aber die Antwort auf ein Burnout ist und nach solchen Jahren statt findet - und ich mich nicht eifrig entfalte sondern nur versuche, emotional zu überleben und IRGENDWIE wieder zu Ressourcen zu kommen - so war das nicht gedacht - ist aber wohl die logische Konsequenz. Immerhin betrüge ich mich nicht, in dem ich diese Auszeit DOCH NICHT nehme sondern sie mir nur wie eine Karotte an der Stange vor mir her schiebe. Ohne Burnout und Co. hätte ich mir diese Auszeit nicht gestattet. Immerhin... es fällt mir schwer es so zu fühlen - aber ich kann es als einen ERFOLG werten, keinen "Alltag" zu haben und nicht funktionieren zu müssen - und - das zulassen zu können. Aber es ist schwer, echt schwer. Manchmal denke ich mir schon - lieber wie bisher weitermachen - dieses Elend kenne ich ja schon, was solls.
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MrN
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Beitrag Mi., 07.04.2010, 09:04

Rotkarierte hat geschrieben: Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie sich das anfühlt, wenn man selbst vor ehrenamtl. Tätigkeiten Angst hat, wenn eigentlich schon kleine Dinge in der Öffentlichkeit große Überwindung kosten (einen Fahrschein in der Straßenbahn am Automaten lösen, die Mülltonnen zur Straße schieben, wenn jemand zuschaut, oder sich im Yogakurs zu bewegen...diese Aufzählung könnte ich jetzt sehr lange weiterführen)
Ich habe einfach bei allem, was ich tue, das Gefühl, mich blöd und ungeschickt anzustellen. Mich aufs Messer zu blamieren. Jeder soziale Kontat kostet mich viel Kraft. Und doch hast du natürlich recht, ich muss mich zu irgendwas aufraffen.
Und wie ich mir das vorstellen kann.

Ich hab jetzt seit knapp zwei Jahren keine persönliche Verantwortung mehr übernommen. Früher, als ich mich noch leistungsfähig und erfolgreich gefühlt habe, da haben mir Spaziergänge, Wanderungen in der Natur Abstand und Muße verschafft. In den vergangenen 15 Jahren habe ich diese Fähigkeit allmählich verloren, weil ich immer die "verlorene" Zeit beklagt habe. Vor etwa vier, fünf Jahren verlor ich mein Zeitgefühl komplett. Seitdem lebe ich nur noch für den Augenblick. Doch in Wirklichkeit ist es eher so, daß ich ständig mit dem Gefühl umherlaufe, meine Zeit sinnlos zu vergeuden. Seit knapp zwei Jahren bin ich nun nicht mehr beruflich tätig. Erst im vergangenen Sommer verspürte ich wieder einmal so etwas wie Freude beim Sitzen in der Sonne oder beim Bummeln durch den Park. Jetzt nach dem Winter (oder besser der Zeitumstellung) überwiegen wieder die Schuldgefühle.
Eigentlich ist das immer so, wenn mich etwas aus dem Rhythmus bringt, den ich eigentlich schon längst nicht mehr habe.

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MrN
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Beitrag Mi., 07.04.2010, 09:09

Rotkarierte hat geschrieben: Wie geht es dir mit den Dingen, die dich in deiner Wohnung umgeben? Hast du da auch manchmal das Gefühl, dass sie dir nur deine innere Leere widerspiegeln? Ich habe so oft das Empfinden, dass ich meine Umgebung einfach nicht mit "Leben", mit meinem inneren Empfinden erfüllen kann, also einfach nie so ein Gefühl von "das ist meins, das brauche ich, das liebe ich, damit mache ich gern dieses oder jenes..." wahrnehmen kann. So, als wäre alles nur eine leere Hülle.
Ja, auch das kenne ich.
Im Grunde ist die Wohnung derzeit das Einzige, was mich noch mit dem alten sinnlosen Leben verbindet, was den Neuanfang stört. Vielleicht hilft ja ein großer Kehraus mit Generalinventur frischen Wind in die vier eigenenWände zu bekommen!? Der Gedanke verfolgt mich, seit ich nun ständig zuhause bin. Aber ich schrecke davor zurück, weil ich Angst vor den Erinnerungen habe, die hier überall vergraben sind.

Dann vielleicht doch lieber ins Kloster????

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Beitrag Mi., 07.04.2010, 09:49

MrN hat geschrieben:Im Grunde ist die Wohnung derzeit das Einzige, was mich noch mit dem alten sinnlosen Leben verbindet, was den Neuanfang stört.
Hast du schon eine konkrete oder auch nur vage Vorstellung, wie dein Neuanfang aussehen könnte? Was genau wäre dann anders als in "dem alten sinnlosen Leben"?
Welche äußeren Bedingungen und welche inneren Einstellungen wären anders als früher? Hast du dafür schon ein sicheres Gefühl, eine klare Vorstellung gefunden?

Ja, so eine Zeit in einem Kloster kann einen sicher ein Stück weit näher zu sich selbst finden lassen.

Du schreibst, dass jetzt wieder die Schuldgefühle überwiegen, wenn du durch den Park bummelst oder in der Sonne sitzt. Ich kenne solche Gedanken auch und bringe sie bei mir damit in Zusammenhang, dass ich es mir im Innersten wohl nicht wert bin, gerade auch, weil ich nicht viel geleistet habe. So ein minderwertiges Gefühl im Vergleich zu den vielen Menschen, die jeden Tag auf Arbeit gehen.
Ich war gerade ein paar Tage im Urlaub, war viel Spazieren, hatte eigentlich jeden Grund zum Genießen und Glücklichsein. Doch es fühlte sich bei jedem Schritt an, als wäre nur mein Körper dort und würde automatisch laufen, als wäre meine Seele jedoch ganz weit weg oder wie durch eine Glasscheibe von allem getrennt. Das ist, als wäre ich von meinen Gefühlen wie abgschnitten, oder als würde ich sie mir verbieten oder mir nicht gönnen. Schuldgefühle?

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Beitrag Mi., 07.04.2010, 10:44

Rotkarierte hat geschrieben: es fühlte sich bei jedem Schritt an, als wäre nur mein Körper dort und würde automatisch laufen, als wäre meine Seele jedoch ganz weit weg oder wie durch eine Glasscheibe von allem getrennt. Das ist, als wäre ich von meinen Gefühlen wie abgschnitten, oder als würde ich sie mir verbieten oder mir nicht gönnen. Schuldgefühle?
Das hört sich eher nach dem Phänomen an, das man "Dissoziation" oder "Depersonalisation" nennt !
Ich kenne das auch: Es ist, als ob man sich selbst von aussen betrachtet und nicht ganz "bei sich" ist. Man hat keinen rechten Zugang zu seinen Gefühlen und versteht sich selbst nicht mehr. Ein sehr unangenehmer Zustand. Ist es so ?

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Beitrag Mi., 07.04.2010, 11:23

Hallo zwackel,

ja, genauso ist das. Wenn ich zuhause bin, fällt mir dieser zustand weniger auf, aber wenn ich draußen bin ist alles so unwirklich.
Kann man da was dagegen tun? Wie geht das wieder weg?
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Beitrag Do., 08.04.2010, 20:01

...ich möchte nochmal zurück zum Thema "Arbeitshaltung".
Ich bin da noch immer unsicher, was genau damit gemeint sein könnte.

Hab da nochmal so herumgegoogelt und fand irgendwo eine Verbindung zum Thema "Frustrationstoleranz".

http://www.palverlag.de/frustrationstoleranz.html:

"Frustrationstoleranz bedeutet, wie der Name schon sagt, unsere Toleranz gegenüber Frustrationen (Enttäuschungen). Wenn wir eine hohe Frustrationstoleranz haben, dann lassen wir uns von Niederlagen, Problemen, Enttäuschungen und Misserfolgen nicht lähmen. Unser Durchhaltevermögen ist also hoch. Wenn wir eine geringe Frustrationstoleranz haben, dann geben wir bei Problemen und Widerständen rasch auf, sind entmutigt und resignieren oder werden wütend."

Ich denke fast, meine häufige Resignation bei Beschäftigungen hat was damit zu tun. Bin noch am Grübeln, aber ich denke das ist auch mein Thema.
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candle
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Beitrag Do., 08.04.2010, 20:06

Vielleicht willst Du ja auch gar nicht arbeiten? Kann es ja auch geben?

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Beitrag Do., 08.04.2010, 21:56

Hallo Candle,

von einer "richtigen" Arbeit bin ich wirklich meilenweit entfernt. Ich würde gern arbeiten können wie andere Leute!
Ich bin oft verzweifelt, wenn mir bewusst wird, dass ich von meinem Mann so finanziell abhängig bin.
Aber ich muss mir einfach eingestehen, dass ich mir mit meinen diversen psychischen und physischen Problemen da selbst massiv im Weg stehe.

Du kannst mir aber glauben, dass mich das alles mehr als ankotzt!!! Aber ich würde mir in die eigene Tasche lügen, wenn ich mir eine Vollzeitarbeit zutrauen würde.
Ich habe vor 2 Jahren eine Umschulung, die ich eigentlich total interessant fand, nach 3 Monaten abbrechen müssen, da ich irgendwann fix und alle war. Weil ich wochenlang überhaupt keinen Schlaf mehr fand (hab seit 10 Jahren chronische Schlafstörung-aber ohne Stress von außen ist mit Medikamenten wenigstens noch etwas Schlaf möglich), weil ich dann zu meinen Depressionen noch eine starke Angstsymptomatik entwickelte und mich wegen starken S.-gedanken dann aus allem Stress rauslösen musste.

Ich wäre schon froh, wenn ich mir stundenweise eine sinnvolle und mir Freude machende Beschäftigung zutrauen würde und auch finden könnte.

Aber ich werde mich jetzt um eine ehrenamtliche Arbeit kümmern. Das habe ich mir fest vorgenommen. Ich muss die Sommermonate nutzen, denn von September bis Februar schlägt dann wie in jedem Jahr meine chronische Bronchitis wieder fürchterlich zu und dann bin ich so gut wie zuhause "angetackert".

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MrN
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Beitrag Di., 13.04.2010, 08:07

Rotkarierte hat geschrieben: Hast du schon eine konkrete oder auch nur vage Vorstellung, wie dein Neuanfang aussehen könnte? Was genau wäre dann anders als in "dem alten sinnlosen Leben"?
Welche äußeren Bedingungen und welche inneren Einstellungen wären anders als früher? Hast du dafür schon ein sicheres Gefühl, eine klare Vorstellung gefunden?
Im Moment fehlt mir jedes sichere Gefühl. An einer klaren Vorstellung habe ich zuletzt gearbeitet, als ich noch im Beruf tätig war. Nachdem ich zunehmend feststellen mußte, daß meine Selbstverwirklichung in dem professionellen Rahmen nicht mehr möglich war, hatte ich konkrete Ausstiegspläne. Allerdings reichte meine Kraft nach der Arbeit nicht mehr, um diese mit dem gehörigen Nachdruck zu verfolgen. Das hatte verschiedene Gründe. Jedenfalls hab ich dann an einer Stelle resigniert, bin zusammengebrochen. Seitdem hätte ich zwar jede Menge Zeit, aber mir fehlen das Selbstvertrauen und die Motivation, das jetzt zu tun.
Bin voll in die Versagerrolle abgerutscht.

Ziemlich sicher ist für mich nur, daß alles viel leichter wäre, wenn ich mich frisch verlieben könnte, und meine Partnerin dann meine Pläne gut fände und mich bei diesem Neuanfang unterstützte. Oder ich bräuchte einen Lottogewinn (der Jackpot wäre gut), dann müßte ich niemanden von meinen Vorstellungen überzeugen, um an Startkapital zu kommen.

Klingt beides nicht sehr realistisch.
Ich hatte vorgehabt, meine berufliche Reputation zu nutzen, um für meine Idee zu werben. Das käme mit einem Total-Burnout sicher schlecht. Momentan schrecke ich vor den einfachsten Verbindlichkeiten zurück, da kann ich keine weiteren Verpflichtungen übernehmen. Daher die Resignation.

Schließlich könnte ich den (ehrgeizigen) Plan auch ganz sausen lassen. Als Yogalehrer und Sachbuchautor würde ich mich bestimmt gut machen. Aber auch das wären ja wieder Verpflichtungen, die ich erst übernehmen kann, wenn ich mein sonstiges Leben geregelt bekomme.

Und dabei ist mir derzeit halt das im Wege:
Rotkarierte hat geschrieben: Das ist, als wäre ich von meinen Gefühlen wie abgschnitten, oder als würde ich sie mir verbieten oder mir nicht gönnen.
LG
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Beitrag Do., 15.04.2010, 16:20

Hallo MrN,

du liest dich echt ziemlich resigniert. Tut mir leid, dass du gerade so wenig "Land" siehst.
Was du selbstkritisch über deine Befindlichkeiten schreibst, könnte ich auch geschrieben haben; an vielen Tagen fühlt es sich genauso an:
MrN hat geschrieben: Bin voll in die Versagerrolle abgerutscht. MrN


Was mir auffiel ist dein Gedanke,
MrN hat geschrieben: daß alles viel leichter wäre, wenn ich mich frisch verlieben könnte, und meine Partnerin dann meine Pläne gut fände und mich bei diesem Neuanfang unterstützte. MrN
Ich meine, gelesen zu haben, dass du veheiratet bist? Sorry, falls ich da was verwechseln sollte. Fall du also in einer Partnerschaft bist-wie steht denn deine Frau zu deinen Plänen?

Ich brauche leider auch oft das Gefühl, da steht jemand hinter mir, findet die Idee gut, gibt mir auch ein wenig Motivation. Aber irgendwie frage ich mich manchmal, müsste ich nicht selbst genug intrinsische Motivation haben und etwas einfach nur aus mir selbst heraus durchziehen? Aber das erscheint mir auch oft schwierig und oft nicht erfüllend.

Naja, MrN, wünsch dir alles Liebe, Rotkarierte.
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Beitrag Do., 15.04.2010, 18:24

Hallo!

Ich meine es nicht negativ: Was hast Du denn Dein Leben lang gemacht? Ich denke, da wird auch etwas Positves bei rumkommen.

Ich habe im Moment so Angst, dass ich einmal völlig arbeitsunfähig sein könnte. Das wäre mein Ende.

candle
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