Unclear memories

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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Möbius
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Beitrag Mi., 07.06.2017, 20:16

@ Bumpam

1) Die "Psycho-Szene" ist voller Idiosynkrasien. Dieses höchst vornehme Fremdwort meint hier: sehr eigen-artige Vorstellungen in einer Art von Subkultur, deren Realitätsbezug zumindest anzweifelbar ist.

Mein Lieblingsbeispiel für die "Psycho-Szene" ist der sexuelle (oder emotionale) Mißbrauch durch einen - meist männlichen - Therapeuten. Gäbe es derart viele solcher Mißbrauchsfälle in der Psychotherapie, wie immer wieder hier und andernorts im Netz berichtet wird - die Psychotherapie wäre als solche schon längst als gemeingefährlich verboten. Der Hintergrund ist meiner Meinung nach: sehr viele - meist weibliche - Patienten können ihre eigenes sexuelles Begehren (die sogenannte "Übertragung") gegenüber dem Therapeuten nicht ertragen, und projizieren ihr eigenes Begehren in den Therapeuten hinein. Zumindest ist das meine Vermutung aus meiner Beschäftigung mit einigen dieser Fälle. Ich selbst jedenfalls bin gegenüber diesen Berichten inzwischen äusserst mißtrauisch geworden.

Und die "induzierte Erinnerung" wird von mir auch gerne in die gleiche Ecke gestellt. Wieder ist es ein "Abwehrmechanismus" gegen das "wiedererlebte Trauma". Dieses Wiedererleben ist ja seinerseits häufig traumatisierend. Da greift man gerne aus dem Netz die - möglicherweise realistischen - Berichte über Fälle von "induzierten Erinnerungen" auf: "Das ist bei mir genauso ! Der Therapeut hat mir das nur eingeredet, suggeriert ! Das war in Wirklichkeit nie so gewesen !"

2) Daß man sich an die eigene Kindheit nicht erinnern kann bzw. idR nur an banale Ereignisse liegt m.E. einerseits daran, daß Kinder schon an sich wegen ihrer geringen psychischen Belastbarkeit sehr zur Verdrängung neigen und dann an der "Amnesie der Kindheit", die bei den allermeisten, auch und gerade den "Normalen" auftritt. Ihre Ursache liegt wohl im Ödipus-Konflikt, den man ein "kulturell programmiertes Trauma" nennen kann, das für die Entwicklung zum Erwachsenen durchlitten werden muß. Eine "Nebenwirkung" ist eben: diese Amnesie, die insbesondere alle Erinnerungen an die infantile Sexualität erfasst - und damit an die für die psychische Entwicklung wichtigsten Ereignisse. Denn der gemäß diesem kulturellen Programm durchlaufene Ödipus-Konflikt verursacht u.a. eine massive Sexualeinschüchterung, die nach Freud zur sogen. "Latenzperiode" führt, in der keine Sexualität mehr gelebt wird, auch keine Autoerotik. Mein Therapeut meinte mal, Freud hätte insofern geirrt - eine Latenz gäbe es nicht. Ich selbst bin mir da unsicher. Jedenfalls ist diese Latenz heutezutage sicherlich seltener und kürzer, als zu Freuds Zeiten - alleine des internets wegen.

Diese "Amnesie der Kindheit" ist jedenfalls ffür sich genommen noch kein Anzeichen dafür, daß irgendein schreckliches Trauma hinter dieser Amnesie verborgen sein könnte - mit Ausnahme des Ödipus-Konfliktes, an den wir uns ja auch nicht zu erinnern pflegen. Dieses kulturell normale Trauma birgt indessen so manche Risiken, wenn es nicht richtig verarbeitet werden kann - oder wenn es wie bei mir, durch den massiven sexuellen Mißbrauch durch die Eltern und andere, überhaupt nicht "programmgemäß" durchlaufen werden konnte.

Das ist bei Dir ja wohl etwas anders - es gibt ja wohl einen Grund, warum Du Dich mit diesen "unklaren Erinnerungen" herumplagst.

Gruß
Möbius

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Bumpam
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Beitrag Do., 08.06.2017, 07:04

Hallo Möbius.
HHmmm. Also ich oute mich jetzt gleich: ich bin keine Freudianerin. Und – ich entschuldige mich vielmals, das ist wohl jetzt nicht besonders höflich, ich weiss aber leider nicht, wie ich es sonst formulieren könnte – jetzt ist mir auch erneut sehr deutlich, warum.
Zu der Frage wie hoch die Missbrauchswahrscheinlcihkeit in einer Psychotherapie tatsächlich ist, gibt es meines Wissens keine belastbaren Daten. Mich erinnert nur die Erklärung, das sei in der Mehrzahl doch eher projiziertes (infantiles?) sexuelles Begehren, verdammt an die Erklärung für die in den analytischen Sitzungen des Herrn Freud auftauchenden Erzählungen seiner Klientinnen über Erlebnisse sexuellen Missbrauchs. Und dass man noch im späten 20. Jahrhundert mehrheitlich der Meinung war, inzestuöser sexueller Missbrauch sei etwas höchst Seltenes. Ich persönlich würde mich jedenfalls ganz sicher nicht trauen, eine Einschätzung zu geben, ob die Erzählungen hier im Forum alle/mehrheitlich/selten der (forensischen) „Wahrheit“ entsprechen.
Der Hauptgrund warum mich diese Interpretation so aufbringt ist allerdings die Wiederbelebung der Täterworte. Du willst es doch auch. Das ist schlimm für alle die es erleben mussten, unvorstellbar schlimm. Und bei aller Überzeugung, dass auch Missbrauchsopfer eine eigene Sexualität haben, bin ich mir auch recht sicher, dass es ein hohes Retraumatisierungspotential hat, wenn neuerlich jemand von aussen erklärt, wie diese aussieht, auszusehen hat, an wen sich das Begehren richtet, in welchen Situationen es auftritt.
Was die lückenhafte Erinnerung an die Kindheit betrifft: Genau, das in sich ist kein „Beweis“ für irgendwas. Kein Symptom und auch kein psychopathologischer Befund ist ein „Beweis“ für irgendwas. Man kann (und mehrere Psychiater haben das bei mir so befundet) sagen, das Ausmass der Amnesie ist auffallend. Es ist auffallend, dass auch im aktuellen Leben Gedächtnislücken bestehen, die durch normale Vergesslichkeit nicht erklärbar sind. Aber genau – das in sich bringt zumindest mich auch nicht weiter bei der Frage, die mich quält: Was ist denn nun eigentlich passiert? Warum sehe ich diese Bilder?
Liebe Grüsse
Bumpam


isabe
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Beitrag Do., 08.06.2017, 07:28

Möbius hat geschrieben:Gäbe es derart viele solcher Mißbrauchsfälle in der Psychotherapie, wie immer wieder hier und andernorts im Netz berichtet wird - die Psychotherapie wäre als solche schon längst als gemeingefährlich verboten
Das ist eine Argumentation im Stil von: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf".

Die meisten missbräuchlichen Handlungen durch Therapeuten werden nie irgendwo angezeigt, schon alleine deshalb, weil sie niemand solche o.g Chauvisprüche anhören möchte. Aber auch deshalb, weil die Betroffenen selbst nicht genau wissen, ob ihre Erlebnisse "schlimm genug" waren und ob sie nicht selbst schuld waren, weil sie selbst "es doch auch wollten".

Da also die meisten Vorfälle unangezeigt bleiben, ist es unmöglich, zu sagen, wie viele Therapeuten tatsächlich ihre Patienten sexuell missbrauchen. Viele Therapeuten (genaue Prozentzahl sowie Quelle erinnere ich nicht mehr) geben zu, schon einmal sexuellen Kontakt zum Patienten gehabt zu haben, und zwar mit der Begründung: "Ich dachte, es würde helfen".

Die therapeutische Beziehung (v.a. die analytische) weist ja starke Parallelen zur Eltern-Kind-Beziehung auf, und beiden ist ähnlich, dass der Eine mit Macht ausgestattet ist und der Andere mehr oder weniger ausgeliefert ist. Das Patienten-Kind liebt den Analytiker-Vater (manchmal betrifft das auch -Mütter) und sieht zu ihm auf und möchte zurückgeliebt werden. Die Geschehnisse innerhalb des Praxiszimmers sind von der Außenwelt abgeschlossen, wie auch das, was im "trauten Heim" passiert, nicht von außen einsehbar ist, sodass Gewalt hinter verschlossenen Türen nahezu unbemerkt ausgeübt werden kann. Da Psychotherapeuten häufig selbst psychische Verletzungen erlitten haben, ist die Möglichkeit, dass sie diese durch die Beziehung zum Patienten "heilen" möchten (indem sie ihre narzisstischen Bedürfnisse befriedigen möchten), sehr präsent und real und keinesfalls das Produkt von Kleinen-Mädchen-Träumen.

Dem gegenüber stehen die Therapeuten, die vernünftig arbeiten. Aber es gibt eben auch die Anderen. Und da darf natürlich nicht (mehr) weggeschaut werden (s. Mathias Hirsch, Goldmine und Minenfeld). Die Tatsache, dass Patienten sich in ihre Therapeuten verlieben und sich häufig eine erotische Beziehung wünschen, bedeutet nicht, dass dieselben Patienten sich eine "story" ausdenken. Es scheint da nicht einmal einen Zusammenhang zu geben, ansonsten erbitte ich eine Quelle zu diesen Unterstellungen.
Studien zufolge gebe es circa 600 Grenzüberschreitungen pro Jahr. „Jedoch weniger als ein Prozent der Patienten kann seine Rechte geltend machen“, beklagte sie
https://www.aerzteblatt.de/archiv/12193 ... erte-Hilfe


isabe
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Beitrag Do., 08.06.2017, 07:50

http://www.berliner-zeitung.de/rund-zwo ... --15020614
Bei Befragungen von Psychotherapeuten, ob sie in ihrem Leben je sexuelle Kontakte zu Patienten hatten, bejahen das rund zwölf Prozent der männlichen Therapeuten und etwa drei Prozent der weiblichen Therapeuten, so die Psychotherapeutin Monika Becker-Fischer. "Wir gehen davon aus, dass mindestens zehn bis 20 Prozent der Patientinnen mindestens einmal Opfer von sexuellem Missbrauch sind
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/15020614 ©2017

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Möbius
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Beitrag Do., 08.06.2017, 09:41

Hallo Bumpam,

zunächst will ich einem Mißverständnis vorbeugen: daß Kindesmißbrauch, auch kindesmißbräuchlicher Inzest erschreckend häufig sind, ist mir bekannt. Nach den Schätzungen bei Egle et alt.: "Mißbrauch - Mißhandlung - Vernachlässigung" sind es 5-10% aller Kinder, die in diesem unserem Lande mißbraucht werden. Allerdings sind es wirklich "nur" Schätzungen. Der von mir sehr geschätzte Inzest-Experte Mathias Hirsch hat in dem - allerdings schon etwas älteren - Buch "Realer Inzest" mal schön referiert, wie alleine zum Thema Inzest die wenigen Datenerhebungen, die es überhaupt seinerzeit gab, methodologisch so weit voneinander abwichen, daß sie "inkomensurabel" erscheinen.

Mein geäussertes Mißtrauen bezieht sich auf die häufigen Behauptungen von Mißbrauch von weiblichen Patienten durch männliche Psychotherapeuten in der "Psycho-Szene" im Internet.
Ich habe diesen Berichten zunächst aufgeschlossen gegenübergestanden, mich mit einigen Fällen näher in den entsprechenden threads befasst und in einem Falle sogar sehr intensiv - in all diesen Fällen ist alsbald ein gewisses Mißtrauen entstanden, das in diesem letztgenannten Fall sogar zu der positiven Überzeugung geworden ist, daß die Darstellung der Patientin falsch ist. Ich bin von Hause aus Jurist, habe mich während meiner Berufstätigkeit als Anwalt recht intensiv mit forensischer Tatsachenfeststellung befasst - kaum jemand wird schließlich häufiger belogen, als Anwälte von ihren Mandanten ... jedenfalls traue ich mir so eine Glaubwürdigkeitsanalyse auch heute noch zu - durch die Psychoanalyse bin ich ja insofern auch nicht gerade dümmer geworden, glaube ich.

Aber das ist letztlich "OT" ... ich will dieses Beispiel jetzt nicht weiter auswalzen und zu Deinen Erinnerungen und Gedächtnislücken zurückkommen:

Das Gedächtnis funktioniert auch im "normalen Betrieb" lückenhaft. Das Erlebte wird nur zu einem Bruchteil gespeichert, der aber normalerweise ausreichend ist, um das Erlebte "halbwegs vollständig" zu rekonstruieren. Was gespeichert wird, hängt zu einem Großteil davon ab, worauf der bewußte "Fokus" des Beobachtenden bei seiner Wahrnehmung gerichtet ist. Auch das ist bei der forensischen Tatsachenfeststellung, insbesondere der Bewertung von Zeugenaussagen, von sehr großer Bedeutung. Sehr viele Zeugen sind sich ja der juristischen Relevanz ihrer Wahrnehmungen durchaus nicht bewußt - vor allem die Zeugen in Zivilprozessen, in denen es nicht um "Verbrechen" geht, sondern die Auslegung von Verträgen usw.

Es ist auch so, daß es - Freud folgend - ein "Vorbewußtes" gibt, eine Zwischenstufe zwischen Bewußtem und Unbewußten. Was in das Vorbewußte abgesunken ist, kann verhältnismässig leicht wieder zu Bewußtsein geholt werden - zB Fremdsprachen, die wir einmal erlernt und häufiger gesprochen haben, aber dann in Jahren und Jahrzehnten "vergessen" haben. Ergibt sich erneut die Gelegenheit oder gar Notwendigkeit, sich dieser Sprache zu bedienen, tauchen mehr oder weniger schnell immer mehr Fähigkeiten in dieser Sprache auf, das Vokabular wird immer reichhaltiger.

Natürlich liegt die Annahme nahe, daß aktuelle Erinnerungslücken auch dadurch erzeugt werden können, daß Wahrnehmungen und Erlebnisse mit intrusivem Charakter dissoziiert bzw. vollständig verdrängt werden. Diese Wahrnehmungen und Erlebnisse können an sich völlig banaler Natur sein - aber eine gewisse, hochrelevante Ähnlichkeit mit einem früheren, hochtraumatischem Erleben haben. Dafür können Kleinigkeiten ausreichen. Mein Therapeut berichtet in einem seiner Bücher von einem Fall einer von ihm hypnotisierten Patientin, die plötzlich aufstand und ihn ohrfeigte. Es kam sofort heraus, daß sie ihren Mißbrauchstäter in den Therapeuten projiziert hatte - weil der Therapeut zufällig an diesem Tag eine schwarze Cordhose trug, eben wie der Täter bei der Tat.

(Fortsetzung folgt)
Zuletzt geändert von Möbius am Do., 08.06.2017, 09:45, insgesamt 1-mal geändert.

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Möbius
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Beitrag Do., 08.06.2017, 09:43

Es gibt von Freud ein sehr lustig zu lesendes Buch "Zur Psychopathologie des Alltagslebens", in dem es genau um diese Dinge geht: die berühmten "Freudsche Fehlleistungen": Vergessen, Vergreifen, nicht-auffinden-können von benötigten Gegenständen ... und natürlich auch den zum Bestandheil der Alltagskultur gewordenen "Freudschen Versprecher". Ich bin selbst von diesen Fehlleistungen im hohem Maße betroffen, die sich aktuell v.a. gegen die Therapie, die Psychoanalyse richten.

In einem drastische Fall konnte ich beim Aufbruch zu einer Analysesitzung den Wohnungsschlüssel nicht finden - er stak, wo er bei mir hingehört: innen in der Wohnungstür. Dort hatte ich mehrfach nachgesehen und mein Unbewußtes hat mir ein Erinnerungsbild eines "leeren" Türschlosses in meine Wahrnehmung hineinprojiziert - es war eine regelrechte Halluzination gewesen. Zwar banal und letztlich folgenlos - aber doch auch irgendwie erschreckend, wie weit solche pathologischen Prozeße reichen können.

Du selbst kannst m.E. Gewissheit über Dein mutmaßliches Trauma nur auf 2 Wegen erreichen: Hypnose oder Psychoanalyse. Von Hypnose weiß ich Garnichts, von Psychoanalyse einiges. Sie ist "hardcore", setzt ein recht hohes Maß an psychischer Stabilität voraus. Diese Roßkur will ich heute nur mehr bei einem entsprechend hohen Leidensdruck anempfehlen. Es ist auch so, daß die Psychoanalyse regelmässig zu einer Verschlechterung der Symptome, zu einer deutlichen Verminderung der Lebensqualität führt - wenn sich das verdrängte Trauma nämlich "mit Händen und Füßen" gegen seine Aufdeckung wehrt. (Eigentlich sind es ja die "Abwehrmechanismen", die sich wehren.)

By the way:

Gestern abend, beim Schreiben meines Beitrages, der Dich so in Rage brachte, habe ich selbst eine weitere Erinnerung an meine Kindheit gehabt: ich sah mich selbst mit nacktem Unterkörper "auf dem Töpfchen" - es muß also ein Foto sein, an das ich mich erinnert habe. Heute nachmittag ist wieder eine Analysesitzung - sie wirft ihre Schatten schon voraus ...

Gruß
Möbius

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Möbius
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Beitrag Do., 08.06.2017, 10:05

Ich will noch etwas hinterherschieben zu der Frage "Warum sehe ich diese Bilder?":

Unerträgliches wird aus dem Bewußtsein durch die "Abwehrmechanismen" entfernt und ins Unbewußte verschoben. Dieser Vorgang ist nicht punktuell, sondern muß permanent unter einem beträchtlichen Aufwand von seelischer Energie aufrecht erhalten werden, etwa so, wie man einen eingetauchten Schimmkörper permanent mit Kraft unter Wasser halten muß, um ihn davon abzuhalten, wieder an die Oberfläche zu kommen. Diese seelische Energie fehlt an anderen "Baustellen", wo sie eigentlich gebraucht würde und das kann an sich schon Symptome auslösen.

Nach einer kryptischen Bemerkung Freuds (in "Totem und Tabu") haben jedoch die Abwehrmechanismen die Tendenz, sich irgendwann "in den Dienst des verdrängten Traumas" zu stellen und es wieder ins Bewußtsein und häufig auch in Form von "affektiv neugefärbten Re-Inszenierungen" (Anna Freud: "Das Ich und die Abwehrmechanismen") in die Aussenwelt zu tragen. Die wohl tragischste Form dieser Re-Inszenierungen sind diejenigen der Verkehrung ins Gegenteil: aus früheren Opfern sexueller Gewalt oder auch sonstiger gewaltsamer Mißhandlungen ausserhalb der sexuellen Sphäre - werden im späteren Leben: Täter.

Nicht verarbeitete Traumata unterliegen dem "Wiederholungszwang" - jede dieser Re-Inszenierungen ist ein Versuch des Unbewußten, die unterbliebene Verarbeitung nachzuholen, das Verdrängte zu "integrieren". Eine weitere tragische Form dieser Re-Inszenierungen ist das "Serienopfer", das aus den Vergewaltigungsfällen bekannt ist: die Opfer - Frauen - werden nach einer ersten Vergewaltigung immer wieder vergewaltigt, weil sie unter dem Diktat des Wiederholungszwangs immer wieder Kontakt zu "Tätertypen" aufsuchen und sich gegen deren Ansetzen zu sexueller Gewalt nicht im mindesten wehren können obschon objektiv die Möglichkeit zur Flucht oder Herbeirufen von Hilfe usw. bestehen würde.

Das Auftauchen von beängstigenden Bildern, die man in die eigene Lebensgeschichte nicht einzuordnen vermag, erscheint insofern noch eine relativ milde Äusserungsform dieses Wiederholungszwanges - sofern es überhaupt so ist. Mir erscheint diese Annahme zwar traumatologisch schlüssig, aber für solche "Bilder" kann es auch andere Erklärungen geben. Es wäre unseriös auch für mich als psychoanalytischen Dilettanten jetzt zu sagen: da gibt es garantiert ein Trauma, daß nach Verarbeitung drängt ! Aber der Verdacht ist wohl nicht unbegründet.

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stern
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Beitrag Do., 08.06.2017, 10:57

Erinnerungen, die z.B. unter Hypnose aufgedeckt werden, gelten nach Meinung von Fachleuten als besonders unzuverlässig. Also ich sehe keine andere Möglichkeit als manches offen zu lassen (andere Situationen sind klarer). Und ich habe alle Anhaltspunkte abgeklappert, die ich im Äußeren abklappern konnte. Das hat manches, was ich erinnerte bestätigt. Diese "Überprüfung" war jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt möglich, so dass wesentliches offen bleibt. Es gibt auch Anhaltspunkte, dass es anders gewesen sein könnte (aber das ist auch vage und kein definitiver Beweis. Lediglich eine alternative Möglichkeit)... und würde nicht so gut zu meinem Erleben passen. Aber das ist ja auch die Frage: Wie valide ist das eigene Erleben in diesem Fall.

Lieber wäre mir natürlich auch ein klares ja oder nein (somit sehe ich auch nicht den Aspekte, dass man etwas nur nicht wahrhaben will. Denn das könnte man dann einfacher haben). Aber ich weiß nicht, ob das sooo entscheidend ist. Denn man kann ja trotzdem mit/an Auswirkungen arbeiten, die es auf jeden Fall gibt... unklar bleibt dann höchstens, worauf diese zurückgehen. Möglich wäre ferne, dass es ein anderes Trauma gab, der Geist aber sozusagen falsche Verknüpfungen erstellt hat.

Im EMDR macht ich mal die Erfahrung (bzgl. neuerer, klarer Situationen), dass diverse Aspekte durchaus einen realen Kern hatten... die Kombination dieser Geschehnisse, aber ziemlicher Humbug war. Insofern bin ich bzgl. innerer Bilder auch etwas skeptisch... noch nicht einmal flashbacks werden als 1:1 Abbild der äußeren Realität angesehen.

Nun, vielleicht bildet sich mal eine deutlichere innere Gewissheit heraus... das wäre dann evtl. einfacher, schätze ich (wäre es "false", könnte man es entsprechend abheften... wäre es "true" würden Zweifel entfallen und es wäre obendrein eine stimmige Erklärung für Teilaspekte). Aber ich finde, es tut auch keinen sooo großen Abbruch, wenn man den definitiven Wahrheitsbeweis nicht antreten kann. Und so oder so: Ein Trauma ist bereits vorbei... eigentlich kann man immer nur direkt an Auswirkungen bzw. im Hier und Jetzt ansetzen.
Liebe Grüße
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Möbius
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Beitrag Fr., 09.06.2017, 20:19

"Zur Geschäftsordnung" weise ich darauf hin, daß Stern und isabe von mir ignoriert werden. Die beiden werden von mir nicht als Gesprächspartner akzeptiert, ihre Aussagen sind für mich ohne jede Relevanz.

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stern
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Beitrag Fr., 09.06.2017, 21:01

"Die Unzuverlässigkeit der Erinnerungen in Trance ist ebenfalls belegt; die drückt sich in einer Tendenz zur Konfabulation aus, d.h. zum Ausfüllen von Gedächtnislücken mit objektive falschen Aussagen, die dann für wahr gehalten werden."
Quelle: https://books.google.de/books?id=pQMbDA ... ig&f=false

"Erinnerungen, die unter Hypnose oder unter Medikamenteneinfluss "wieder aufgedeckt" werden, sind besonders unzuverlässig."
Quelle: https://books.google.de/books?id=ekR-Bg ... ig&f=false
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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(alte Weisheit)


mio
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Beitrag Fr., 09.06.2017, 22:41

Ich sage es mal so:

Es scheint immer eine "Kombination" zu sein, aus einer "Erinnerung" aus der "Tiefe" und irgendwie "hinzugedichtetem" oder "verfälschtem". Sei es nun aufgrund von "Erwachsenenlogik" oder auch aufgrund von "falscher Kombinatorik".

Auf was ich IMMER hören würde, sind die Körpersymtomatiken. Denn die SIND echt. Und da würde ich auch versuchen anzusetzen, Ergebnisoffen. Und stets unter dem Aspekt, dass ich mich da auch "vertun" kann.

WENN es die "richtige Stelle" ist, an der man ansetzt, dann wird es hart, ganz hart. Aber dann verändert das "Harte" was, wenn korrigierend vorgegangen wird (= Integration) an der Symtomatik. Wenn es die "falsche Stelle" (oder eine Missinterpretation) ist, bleibt die Symtomatik bestehen.

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Möbius
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Beitrag Sa., 10.06.2017, 10:59

@ mio

Verdrängte oder dissoziierte Erinnerungen müssen nicht unbedingt stets äussere Tatbestände, Umweltreize zum Inhalt haben - es können auch innerpsychische Tatbestände sein: Gefühle, Affekte, Wünsche, Ängste ...

Es ist ja gerade das Inzestbegehren des "ödipalen" Kindes, das in der Regel unerfüllt bleibt, das sehr viele psychische Störungen verursachen kann, wenn seine Zurückweisung, das Unterliegen gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elter nicht richtig verarbeitet werden können - diese Entdeckung steht ja ganz am Anfang der Psychoanalyse.

Körperliche Symptome bei Erinnerungen habe ich bei mir häufig, aber durchaus nicht regelmässig feststellen können. Es sind die "schweren" Erinnerungen, die das Gesamtgefüge der Psyche, des "Selbst" erschüttern, die sich bei mir dann häufig in körperlicher Symptomatik niederschlagen: ein Schmerz, ein Gefühl von Zerstörung - "Riß, Auslaufen, Verbluten ..." - wird in die Brustgegend projiziert, man wird "wie vom Schlag getroffen", der Kreislauf geht in den Sturzflug ... aber das ist wohl bei jedem Menschen individuell. Diese Symptome tauchen bei mir auch meist nur beim ersten Wieder-Erinnern auf. Wiederholungen hat es lediglich in einem Fall gegeben: als ich mich an das Genital meiner Mutter wieder erinnerte. Daraufhin hat es in mehreren Fällen "Schläge" gegeben, als ich derartige Abbildungen in der Pornographie gesehen habe. By the way: Schläge habe ich ja tatsächlich in überreichem Maße erhalten gehabt - es kommt nicht von ungefähr, daß diese "Phantom-Schläge" mit sexuellen Erinnerungen, Flashbacks oder Intrusionen einhergehen.

Lieben Gruß
Möbius

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Bumpam
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Beitrag Sa., 10.06.2017, 11:35

So viele Antworten inzwischen, vielen Dank!

@isabe: Vielen Dank fürs Raussuchen des Artikels – leider ist die Studie, die angeführt wird je schon 10 Jahre alt. Ich finde allerdings dass es zumindest belegt, dass es dieses Thema in einem relevanten Ausmass gibt, auch wenn ich doch hoffe, dass sich inzwischen etwas getan hat, und diese Horrorzahlen (und 10% Therapeuten die sexuelle Kontakte in der Therapie ZUGEBEN, finde ich wirklich erschreckend) nicht mehr die heutige Situation wiederspiegeln.

@stern: ich finde das was Du schreibst, so wie es da steht, schon in sich schlüssig. Ja, die traumatischen Ereignisse sind vorbei. Aber für mich stellt es ein erhebliches Problem dar, so im Unklaren zu sein, womit ich es zu tun habe: da triggert mich etwas – jetzt, hier – also Folgeerscheinung, genau, darum geht’s in der Therapie, die zu bearbeiten. So. Nachdem ich aber nicht weiss was passiert ist, ist es schwierig bis sogar unmöglich herauszufinden, WAS mich eigentlich getriggert hat. Noch dazu wo es bis heute so ist, dass ein erheblicher Trigger ja auch damit verbunden ist, dass mir dann „Zeit fehlt“.
Das andere – diese verdammten Bilder, und die anderen flashbacks – ist ja auch nur in der Therapie bearbeitbar, wenn ich es dort irgendwie beschreibe, in Worte fasse – und damit ist unweigerlich schon eine Interpretation verbunden. Soll ich mich damit zufrieden geben, dass die Narrative die ich bisher gefunden habe, tatsächlich zu einer Verbesserung geführt haben? Und das als „vorläufige Wahrheit“ so stehen lassen? Und was, wenn es nun doch nicht stimmt? Könnte es nicht sein, dass es dann genau DESWEGEN entlastend wirkt, weil ich mich mit der eigentlichen „Wahrheit“ dann nicht auseinandersetzen muss?

@mio: Warum findest Du Körpersymptome zuverlässiger als andere Intrusionen? Und den Rückgang dieser Symptomatik einen besseren Gradmesser als den einer anderen? Ich frag das deshalb, weil sich bei mir im Verlauf der Therapie einiges verbessert hat, die Amnesien deutlich abgenommen haben, ich besser schlafe und mich auch stabiler fühle – aber die psychosomatischen Schmerzen, die ich habe, seit ich denken kann, sich für mich noch nicht merklich verändert haben bislang.

Nochmals vielen Dank und liebe Grüsse
Bumpam

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Bumpam
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Beitrag Sa., 10.06.2017, 11:55

@ Möbius:
So viel Antwort, vielen Dank!
Ich bin mir nicht sicher, ob ich auch alles richtig verstanden habe, hier jedenfalls meine Gedanken zu dem von Dir Geschriebenen:
- Ich kann das Misstrauen bezüglich der Berichte jetzt besser verstehen, wenn ein persönliches Erleben dahinter steckt, belogen und ausgenutzt worden zu sein. Mir würde sowas sehr weh tun, und mich misstrauisch machen
- Das was Du beschreibst mit dem Wohnungsschlüssel kenn ich in vielerlei Varianten, und es hat früher meinen Alltag erheblich erschwert – Sachen die verschwanden, andere von denen ich keinen Plan hatte wo sie her waren, alles Mögliche was ich dauernd vergessen, verloren, sonstwas hatte – ich hielt mich immer schon für den schussligsten Menschen der Welt. Bis ich zu arbeiten anfing, und dort aber keinerlei Schlampigkeit zutage trat. Das hat mich sehr überrascht damals. Und ich konnte mir gar keinen Reim drauf machen. Obwohl ich das freudsche Konzept der „Fehlleistung“ schon seit der Schulzeit kannte – dass das was mit mir zu tun haben könnte, darauf bin ich nie gekommen…..
- Ich bin mir leidlich sicher, dass Hypnose nicht hilfreich ist in der Frage der (forensichen) Wahrheitsfindung. Ich denke, dass die Gefahr im Gegenteil besonders gross ist, zu konfabulieren. Und Psychoanalyse kommt für mich aus mehreren Gründen nicht in Frage. Meine panische Angst vor Abhängigkeit, meine panische Angst vor Nähe, das hochfrequente Setting…. Die Liste liesse sich noch lange fortsetzen. Und wiederum bin ich auch nicht so recht überzeugt, dass die Therapiemethode die Wahrheitsfindung irgendwie begünstigt (wobei das natürlich eh nur mein Ziel ist, nicht das der Therapie generell)
- Ad Neuinszenierungen: ja, das kenne ich auch. Da ist die Abwehr sehr sehr gross mich mit diesen Erinnerungen zu befassen, die aus dem Erwachsenenalter stammen, und deren Wiederauftauschen für mich sehr schmerzhaft ist. An denen merk ich auch, dass schmerhafte Erinnerungen, auch wenn sie von aussen Verifizierung haben, generell eine „traumartige“ Qualität haben, so als wäre es gar nicht richtig passiert.

Liebe Grüsse
Bumpam

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Möbius
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Beitrag Sa., 10.06.2017, 21:50

@ Bumpam

Es liegt mir fern, Dich zu einer Analyse drängen zu wollen. Ich habe schon geschrieben: die Analyse ist schon an sich "Psychotherapie hardcore" und es gibt einige Diagnosen, bei denen die Analyse kontraindiziert ist. Das hindert mich allerdings nicht, Dir nochmals die "Psychopathologie des Alltagslebens" von Freud anempfehlen zu wollen. Das Buch hilft ungemein, eigene Fehlleistungen zu verstehen - und sie nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Analyse dieser Fehlleistungen ist auch sozusagen "Psychoanalyse softcore". Man kann sie sich verhältnismässig leicht selbst aneignen und braucht in der Regel nicht zu tief in die Abgründe der eigenen Psyche zu tauchen.

Ich schreibe viel, weil ich durch die Hand denke. Ich schreibe also auch zu Deinen Problemen vornehmlich in meinem eigenen Interesse.

Gruß
Möbius

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