Therapeutische Verstrickung

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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AFI
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Beitrag Di., 09.11.2021, 05:50

Das das so gekommen ist, bereue ich zutiefst. Nicht umsonst erstreckt sich die Abstinenz auch auf nahe Angehörige, wie ich jetzt merke. Es hat sich in den letzten Jahren so schleichend entwickelt und ich ärgere mich so, dass ich das nicht verhindert habe…

Sie war nach der Geburt ja ein halbes Jahr lang mit und später immer mal wieder weil er gefragt hatte, ob ich die Kinder wieder mitbringen will…Dann war es so, dass ich eine Zeit lang ab und zu lange im Krankenhaus war und sie hat angefangen ihm Bilder zu malen. Daraufhin hat er ihr Postkarten geschrieben und Geschenke gemacht…das ging dann eine Zeit lang so. Bis sie an Leukämie erkrankt ist und angefangen hat ihm zu schreiben weil ihr so langweilig war und sie das abgelenkt hat von ihren Schmerzen und ihren Kummer im KH. so ist er für sie irgendwie wichtiger geworden als ich selber realisiert habe.

Dann ist es zwischen ihm und mir ja so ‚eskaliert‘ als er meinte, dass er mich nicht gehen lassen kann und er mich nicht verlieren will und ich dann den Kontakt abgebrochen hatte und jetzt hab ich den Salat 🙈 ich dachte das wäre für sie nicht schlimm. Naja da habe ich mich doll getäuscht.

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Shukria
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Beitrag Di., 09.11.2021, 06:16

Mir wird immer klarer warum er dich nicht gehen lassen kann.
Mit welcher, vor sich ethischen Begründung, sollte er denn den lieebgewonnen Kontakt zu deiner Tochter einordnen?

Ist die Therapie zu Ende zwingst du ihn die Beziehung zu dir, als auch zu deiner Tochter zu reflektieren und eigentlich zu beenden. Er hat einen Gewinn aus dem Kontakt, vielleicht sogar weniger zu dir als zu ihr.

Ich bin mir nach dem was du erzählst nicht mal sicher ob es ihm eher um dich geht oder eher um deine Tochter und er Dich benutzt um an sie ranzukommen und nicht umgekehrt.

Kinder vermitteln eine andere Lebendigkeit, Lebensfreude als Erwachsene und vielleicht fehlt ihm dies im eigenen Leben.

Fakt ist, er benutzt sie und dich zur Befriedigung eigener, persönlicher Bedürfnisse. Warum solltest du, außer bei organisationsschwierigkeiten dein Kind mit zur Therapie bringen. Schon die Anregung finde ich übergriffig und verwickelnd.was soll denn da das Ziel sein? Was sollen die dort? Die haben doch ihr eigenes Leben unabhängig von deiner Therapie /den Wünschen deines Therapeuten. Der ist echt durchgeknallt.

Übrigens kann man auch mit Kindern ehrlich reden. Wie würdest du denn damit umgehen wenn jemand zb ein Onkel dir und deiner Tochter nicht gut tut und sie ihn trotzdem mag. Was würdest du als Erwachsene dann tun?

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AFI
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Beitrag Di., 09.11.2021, 06:55

Mein Freund und ich saßen jetzt auch die ganze Nacht wach und haben hin und her überlegt…das ist wirklich so krank alles…

Zum Glück haben wir vor ein paar Tagen den Stationsarzt hinzugezogen und seit dem kümmert er sich ja so gut er kann und malt auch mit unserer Tochter und liest ihr vor und sie nimmt es gut an und mag ihn auch gerne. Ich hoffe, dass wir so Stück für Stück von meinem Therapeuten wegkommen…die Postkarte die er gesendet hat habe ich in den Müll geschmissen und den Besuch am Freitag habe ich verschoben in der Hoffnung das meine Tochter es nicht mehr möchte….

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Shukria
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Beitrag Di., 09.11.2021, 07:10

Vielleicht ist das das kleinere Übel aber es fühlt sich beim Lesen auch irgendwie verstrickt an.

Diese Lösung,wieder übernimmt ein Fremder den Beziehungsaufbau zu deiner Tochter, klingt sehr isoliert, also als seid ihr als Familie sehr isoliert. Und auch dieses: hoffentlich will sie es dann nicht mehr. Damit schiebst du ein bisschen die Verantwortung für die Beziehungsgestaltung zum Therapeuten auf sie ab.

Habt ihr denn nicht jemanden in eurem Freundes/Bekanntenkreis der sich deiner Tochter annehmen kann, Freunde von ihr oder dir - jemanden der auch nach der Erkrankung für sie da bleibt? Jemand verlässlichen der generell für sie da ist außer dir?

So klingt es auch wieder verstrickt, zwar das definitiv kleinere Übel aber trotzdem liest es sich merkwürdig.

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AFI
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Beitrag Di., 09.11.2021, 08:10

Meine Eltern sind leider früh verstorben und auch mein Freund hat keine Familie mehr deshalb gibt es von der Seite aus leider niemanden. Ja Freunde haben wir aber die waren nie so Bezugspersonen für sie…

Meinem Therapeuten konnte sie immer sagen, wie doof sie ihre Eltern findet und hat ihm immer ihre Gedanken und sorgen mitgeteilt….

Naja…

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Shukria
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Beitrag Di., 09.11.2021, 09:11

AFI hat geschrieben: Meinem Therapeuten konnte sie immer sagen, wie doof sie ihre Eltern findet und hat ihm immer ihre Gedanken und sorgen mitgeteilt….
Mir war bis jetzt noch immer nicht wirklich klar wie sehr das verstrickt ist, da fehlen mir wirklich die Worte.

Ich mein Du gehst zu einer Therapie wo dein Therapeut quasi Informationen über dich, ohne dein direktes Zutun aus deinem privatem Umfeld erhält

Für deine Tochter entsteht eine emotionale Verbindung/Zuwendung die, von deiner Compliance ( in der Therapie) abhängig ist. Und der du dich auch noch verpflichtet fühlst, das jetzt nicht abzubrechen, weil ein sozialer Ersatz fehlt zumindest du annimmst das deine Tochter einen gleichwertigen Ersatz braucht.

Mir fehlen da einfach die Worte.

Vielleicht würde es dir helfen zu akzeptieren/anzutrauern das es nie wirklich Ersatz für Oma und Opa gibt/geben wird und das dein Kind trotzdem mit Beziehungen aus dem privaten gut aufwachsen kann.

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Montana
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Beitrag Di., 09.11.2021, 09:12

AFI hat geschrieben: Di., 09.11.2021, 08:10 Meinem Therapeuten konnte sie immer sagen, wie doof sie ihre Eltern findet und hat ihm immer ihre Gedanken und sorgen mitgeteilt….
Das ist eigentlich etwas sehr wertvolles. Und macht besonders deutlich, dass man es nicht "einfach" ersetzen kann. Ersetzen bestimmt, aber alles andere als einfach.

Ich finde es sehr nachvollziehbar, dass du über längere Zeit und ohne es zu merken in diese Situation geraten bist. Jeder einzelne Schritt dahin war vermutlich harmlos, aber in der Gesamtheit ist das Ergebnis echt krass.
Meine Tochter war sogar beim allerersten Termin mit meinem jetzigen Therapeuten dabei. Blöd, aber sie war ja noch viel zu klein für den Kindergarten und aus der Familie konnte da plötzlich keiner. Jetzt würde ich sie keinesfalls mehr mitnehmen und eher absagen. Inzwischen ist sie drei und versteht alles und erzählt es auch weiter.

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AFI
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Beitrag Di., 09.11.2021, 10:14

[/quote]

Mir war bis jetzt noch immer nicht wirklich klar wie sehr das verstrickt ist, da fehlen mir wirklich die Worte.

[/quote]

Es tut mir leid :/ Es ist schwierig das alles irgendwie verständlich rüber zu bringen :(

Das sich das alles so entwickelt, das habe ich nicht kommen sehen. Es wäre ja vielleicht auch in Ordnung gewesen, wenn mein Therapeut ein Therapeut geblieben wäre. Er ein Familientherapeut geworden wäre, so wie er es zum Schluss gerechtfertigt hat. Dann hätten wir eine therapeutische Begleitung gehabt, was ja auch sinnvoll gewesen wäre.

Aber es ist ja so gewesen, dass er zum Schluss kein Therapeut mehr war und immer übergriffiger wurde. Und ich nicht mehr wusste, wie ich damit umgehen soll, dass er mir schreibt, dass er sich solche Sorgen um mich macht und das er mich nicht verlieren will und das er sich um mich kümmern will. Das habe ich nicht mehr ausgehalten weil er immer noch in seiner Praxis saß und gesagt hat das es Therapie ist, ein ,Forschungsexperiment‘. Aus Verzweiflung habe ich ja dann den Kontakt abgebrochen und in dem Moment wusste ich noch nicht, das meine Tochter eine enge Bindung aufgebaut hatte….


Waldschratin
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Beitrag Di., 09.11.2021, 11:20

Hallo AFI,
hast du dich schon mal ans "Blaue Haus" in Stuttgart gewendet, die sind bestimmt gut vernetzt und wissen Anlaufstellen für "Leihopas/Leihgroßeltern". Vielleicht lässt sich so jemand finden, der deine Kleine im KH zu besuchen beginnen kann und sich ne neue Beziehung aufbauen kann?

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Sydney-b
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Beitrag Di., 09.11.2021, 11:56

Gibt es keine Geschwister, Onkel, Tanten oder Nichten?
Freunde von euch?
Schulkameraden?
Persönlich gesehen haben die beiden sich ja eher selten.
Es ging ja mehr ums Schreiben.

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Sydney-b
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Beitrag Di., 09.11.2021, 14:28

AFI, du könntest mit der Klassenlehrerin deiner Tochter sprechen.
Ich kenne es zB so, dass alle Mitschüler ihrer Klasse - die wollen - einen Brief/Bild an deine Tochter schicken.
Dann ist deine Tochter sehr lange damit beschäftigt, alle Briefe zu lesen und zu beantworten.
Dadurch kann sich ergeben, dass ein paar Klassenkameraden regelmäßig mit ihr schreiben.
Sich mit Gleichaltrigen auszutauschen ist sowieso sehr wichtig.
Auch in solchen Briefen kann sie mitteilen, wie "blöd" ihre Eltern gerade sind (deine Worte), dass der Aufenthalt im Krankenhaus doof ist, usw.
Für Kinder sind solche Kontakte extrem wichtig.
Erwachsene hat sie schließlich den ganzen Tag um sich.

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Zephyr
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Beitrag Di., 09.11.2021, 14:37

Liebe AFI,
was für eine schwierige Situation. Ich kann gut verstehen, dass du in der momentanen Lage nicht einfach den Kontakt zu deinem ehemaligen Therapeutin abbrechen möchtest.
Aber vielleicht wäre es eine Möglichkeit, einen Therapeuten für deine Tochter zu suchen? Jemanden, den sie dann nur für sich hat um ihm Dinge anzuvertrauen? Und vielleicht wird dadurch ihr Bedürfnis nach Kontakt zu deinem Therapeuten weniger?

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Solage
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Beitrag Di., 09.11.2021, 19:51

Ich finde toll, was Sydney-b vorschlägt.
Die Peergroup ist viel näher, als es ein übergriffiger alter „Opa-Therapeut „ sein kann.
Weil doofe Eltern verstehen bestimmt Gleichaltrige besser.


Waldschratin
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Beitrag Mi., 10.11.2021, 06:16

Warum nicht beides? ;-)
Ne olle Oma oder ein oller Opa zusätzlich zur Peergroup.

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lisbeth
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Beitrag Mi., 10.11.2021, 08:50

AFI hat geschrieben: Di., 09.11.2021, 10:14 Das sich das alles so entwickelt, das habe ich nicht kommen sehen. Es wäre ja vielleicht auch in Ordnung gewesen, wenn mein Therapeut ein Therapeut geblieben wäre. Er ein Familientherapeut geworden wäre, so wie er es zum Schluss gerechtfertigt hat. Dann hätten wir eine therapeutische Begleitung gehabt, was ja auch sinnvoll gewesen wäre.
Das glaube ich dir sofort, AFI.
Ich sehe die Hauptverantwortung da vor allem bei deinem Ex-Therapeuten. Der sich da selbst komplett überschätzt, der Grenzen missachtet und meint, in eurer Situation könne man die Grenzen schon aufweichen. Er hätte wissen *müssen*, was dadurch passieren kann und er hat es komplett ignoriert und ignoriert es immer noch. Und er weiß darum, dass er hier unethisch agiert, schon die Tatsache, dass er das jetzt alles hinter dem Rücken seiner Frau durchziehen will, spricht Bände... :kopfschuettel:
Und auch schon mit der Rolle als "Familientherapeut" hätte er eine Grenze überschritten, es sei denn, er kennt sich damit aus.

Was ich mich frage (und das ist nicht als Vorwurf gemeint, sondern aus Interesse): Wie liefen denn die Stunden ab, wenn deine Tochter mit dabei war als sie schon größer war? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich auf ein ernsthaftes Therapiegespräch einlassen könnte, wenn (m)ein Kind mit im Raum ist und zuhört, selbst wenn das Kind irgendwo in der Ecke sitzt und sich selbst beschäftigt, zB malt.

Dass das für dich sehr ambivalent ist, kann ich gut verstehen. Immerhin hat er dich über viele Jahre begleitet und da war sicher auch viel Gutes für dich dabei.

Für den Ablöseprozess ist es glaube ich wichtig, dass du dir ein richtiges Helfernetz aufbaust, das breit aufgestellt ist. Nicht eine einzelne Person, die wieder eine übergroße Rolle in eurem Leben spielt, sondern viele Menschen, denen du vertraust und die dir und deiner Tochter an vielen unterschiedlichen Stellen zur Seite stehen. Das können Freunde, Bekannte, auch Nachbarn sein. Klassenkameraden. Auch die Eltern von Klassenkameraden. Frag mal in der Klinik, ob ihr als Familie (oder deine Tochter für sich selbst) auch psychoonkologische Begleitung bekommen könnt. Selbsthilfegruppe für Eltern mit krebskranken Kindern. Da gibt es viele Möglichkeiten. Wichtig ist glaube ich, dass du anfängst, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und aktiv handelst und nicht drauf wartest, dass die Lösungen einfach so auftauchen.

Und: Schritt für Schritt. Du musst den Knoten nicht auf einen Schlag lösen. Da werden sicher noch viele lose Enden bleiben, die auch immer wieder nochmal an dir zerren werden. Dass du den Termin am Freitag abgesagt hast ist so ein Schritt. Und weiter brauchst du (jetzt) noch nicht schauen. Was danach kommt, wird sich zeigen.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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