Erfahrungen aus der Arbeit in der Psychiatrie

Hier haben Sie die Möglichkeit, anderen Ihre Erfahrungen zur Verfügung zu stellen - oder sie nach deren Erfahrungen im Kontext von klinischer Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie zu fragen.
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Anna-Luisa
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 16:44

Coriolan hat geschrieben: Mo., 23.12.2019, 16:34 So einfach landet man ja nicht unfreiwillig auf der Geschlossenen und wenn man unfreiwillig dort ist, ist es meist keine große Sache, noch einen zusätzlichen Beschluß für Zwangsmedikation obendrauf zu bekommen. Beim Gericht ist man durch die Unterbringung ja schon "bekannt".
Doch, es ist eine große Sache. Auch wer unfreiwillig auf der Geschlossenen ist, kann nur in seltenen Fällen zur Zwangseinnahme von Medikamenten verdonnert werden.

Dass man unfreiwillig auf der Geschlossenen landet, heißt noch lange nicht, dass weitere Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen.
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Coriolan
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:02

Schön, wenn du da andere Erfahrungen gemacht hast.

Ich hab's leider zu oft erlebt, wie schnell es bei den Untergebrachten zu weiteren Beschlüssen für Zwangsmaßnahmen kam.

Wie gesagt: Es kommt drauf an und hängt von mehreren Faktoren ab: Vom Grund für die Unterbringung, dem Krankheitsbild, dem Verhalten auf Station, der Geduld des Arztes, dem Richter,...
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stern
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:07

Nun, es lästern manchmal auch die HelferInnen beim Zahn- oder Allgemeinarzt... ziemlich unschöne Sache (finde ich), wenn man das als Patient doch mitbekommt, selbst wenn es einen nicht selbst betrifft. Wenn einem jedoch in der Psychiatrie (als Besucher) Patienten entgegenkommen, die mit sich selbst reden oder einen (verwirrt) anreden, würde ich nicht in jedem Fall die Hand ins Feuer legen, dass die eigene Paranoia trennscharf von Lästern unterschieden werden kann.

Und ich wage zu bezweifeln, dass in einem Zustand, der eine Zwangseinweisung rechtfertigte, in jedem Fall verschiedenes überblickt und glasklar beurteilt werden kann, ob Zwangsmaßnahmen zurecht angewendet wurden (die regelmäßig auch einen Richter benötigen). Das ist idR durchaus überprüfbar, aber wahrscheinlich am ehesten nach Entlassung oder zeitnäher von Angehörigen, die sich kümmern.
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Broken Wing
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:33

Da gibt es Krankenhäuser, die die Patienten nicht über ihre Rechte aufklären. Sie werden gelobt, wenn sie brav die verschriebenen Medikamente nehmen und den Zwangsinternierten wird in Aussicht gestellt, dass sie bei 'guter Führung' eher entlassen werden könnten. Obwohl das Versprechen meistens dann auch eingehalten wird, finde ich sowas äußerst daneben. Ich verhalte mich in so einem Fall gern schlecht und freue mich, wenn der Ententeich zusammenkommt und über mich lästert.

Das Personal braucht selbst Therapie. Muss jeder mit sich selbst ausmachen, mich würde es allerdings stören, von Personen behandelt zu werden, die Wahrnehmungsstörungen haben, an Minderwertigkeitskomplexen leiden oder schlicht nicht aus dem Bett kommen. Viele von uns hatten doch schwer Gestörte als Bezugspersonen und auch wenn diese sich in Therapie begeben hatten, richteten sie oft ungewollt schweren Schaden bei den eigenen Kindern an.
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Coriolan
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:42

Ich finde es auch strange, dass so viele "freiwillig" bleiben und wenn man nachfragt, sind die dann "unfreiwillig freiwillig" da, was bedeutet, die möchten eigentlich gehen, aber ihnen wird halt mit Beschluß gedroht, wenn sie gehen möchten also bleiben sie halt - offiziell freiwillig - da anstatt es auf einen (meist) 6-wöchigen Beschluß ankommen zu lassen.
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Anna-Luisa
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:43

Broken Wing hat geschrieben: Mo., 23.12.2019, 17:33 ....als Bezugspersonen...
Schräg finde ich es auch, wenn Patienten "Bezugspfleger" erhalten. Ungeachtet der Tatsache, dass der Patient vielleicht ausgerechnet diesen nicht mag. Und keine Beziehung zu ihm hat.
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Coriolan
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:48

Anna-Luisa hat geschrieben: Mo., 23.12.2019, 17:43 Schräg finde ich es auch, wenn Patienten "Bezugspfleger" erhalten. Ungeachtet der Tatsache, dass der Patient vielleicht ausgerechnet diesen nicht mag. Und keine Beziehung zu ihm hat.
Da könnte man ja ggf. noch wechseln aber ich finde es noch besser, wenn der Patient erst nach Wochen erfährt, dass er einen hat bzw. wer das überhaupt ist... :lol:
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Candykills
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:49

Das ist halt Pech, wenn man genau jemanden als Bezugspfleger bekommt, den man gar nicht abkann. Ging mir auch mal so...der Typ war so nen Schleimstiefel. Als ich dann wieder mal aufgenommen werden wollte akut, weigerte der sich mich auf diese Station aufzunehmen. Ich hab halt echt raushängen lassen, was ich von ihm halte - und diese Meinung hat sich bis heute nicht geändert. Vor allem hatte er gar nicht zu entscheiden, ob ich auf die Station aufgenommen werde oder nicht.

Ansonsten finde ich das Konzept Bezugspfleger gut, weil dann einer dabei ist, der sich intensiver mit einem befasst und als Ansprechpartner dient. Schräg finde ich das gar nicht.
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stern
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:50

Psychose ist nicht Psychose... aber in einem mir bekannten Fall habe ich es durchaus schon erlebt, dass antipsychotische Medikamente (hier in Form einer Spritze im Rahmen eines Hausbesuchs) überraschend schnell und gut angeschlagen haben, dass eine andernfalls wahrscheinlich nötige Einweisung verhindert werden konnte. Die Paranoia klang in dem Fall echt relativ zügig ab. Antipsychotische Medikamente haben tendenziell einen anderen Stellenwert und Wirkungsweise als z.B. antidepressive Medikamente. So ungern sie auch meist (verständlicherweise) genommen werden: Sie können Leid auch verkürzen.

Weiß nicht, ob ich das auf die Schnelle finde: Aber in einem Fall hat eine psychotische Patienten im Nachhinein sogar zu klagen versucht, weswegen die Klinik keine Medikamente verabreichte. Die Klinik hatte keine Handhabe, diese (zwangsweise) verabreichen zu können... also unterließ sie das. Die Patientin unternahm wohl einiges, was ihr nachträglich extrem peinlich war... und stellte sich später auf den Standpunkt, dass das verhindert werden hätte müssen. Mir geht es jetzt auch weniger darum, wie es sich genau zugetragen hat. Sondern darum, dass nach Abklingen der Psychose die Sichtweise zu Medikamenten und selbst zu Zwangsmaßnahmen durchaus eine andere sein kann. Und wie gesagt: Im Optimalfall schlagen diese auch gut an... und können so ist zu eine frühzeitigeren Verlegung oder sogar Entlassung beitragen.
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Anna-Luisa
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 17:53

Coriolan hat geschrieben: Mo., 23.12.2019, 17:48 Da könnte man ja ggf. noch wechseln aber ich finde es noch besser, wenn der Patient erst nach Wochen erfährt, dass er einen hat bzw. wer das überhaupt ist... :lol:
Ich finde bereits die Tatsache schräg, dass eine mir unbekannte Person zu meiner Bezugsperson erklärt wird.
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Coriolan
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 18:04

@ Candykills

Wenn das Bezugspflegesystem gut umgesetzt wird, finde ich es auch nicht verkehrt.
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Federchen
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 21:19

Ich fand es interessant, den Erfahrungsbericht zu lesen. Eine Bekannte von mir arbeitet auch als Pflegerin in einer Psychiatrie, meine beste Freundin ist Therapeutin.. und ich hab die Akutstation vor ein paar Wochen selbst von innen gesehen (offene).

Nachdem, was ich hier im Thread gelesen habe, wäre ich allerdings nie freiwillig hin gegangen. :-((

Basierend auf meiner eigenen Erfahrung würde ich in einem ähnlichen Fall nochmals hingehen. ;-) Glück gehabt..?


Coriolan
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 22:03

Glück? Vielleicht.

Aber wie Malia schon schrieb: Es gibt große Unterschiede und unsere Schilderungen bezogen sich ja hauptsächlich auf Geschlossene, weil der TE halt davon berichtet hat, wie er das Arbeiten dort erlebt.

Mir fiel schon auf, dass wir das Ziel, jemanden zu ermutigen, sich ggf. in einer Klinik Hilfe zu suchen, hier definitiv weit, weit verfehlt haben.

Dass es auf offenen Akutstationen oder gar Psychotherapiestationen noch einmal ganz anders aussieht, hatte ich mehrmals hier getippt, aber dann blöderweise doch nicht gesendet.

Ich finde es ja gut, wenn man sich rechtzeitig (ggf. auch in einer Klinik) Hilfe sucht - manche bekommen die dort ja auch. Und wenn man sich rechtzeitig Hilfe sucht, landet man - normalerweise - auch nicht auf der Geschlossenen.
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Anna-Luisa
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Beitrag Mo., 23.12.2019, 23:17

Federchen hat geschrieben: Mo., 23.12.2019, 21:19 Glück gehabt..?
Kommt wohl darauf an, was du unter Glück verstehst.
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Beitrag Di., 24.12.2019, 00:37

Ich habe bis heute nicht begriffen und werde es nie begreifen, wie denn gute Hilfe in einer Therapiestation aussieht. Und mittlerweile habe ich selbst Erfahrung vorzuweisen. Also ja, ich wurde tatsächlich nicht angegurtet oder so, aber es war nicht viel anders als depressiv im Bett zu liegen. Oder doch, ich musste total sinnloses, blödes Zeug machen, was unter dem Deckmäntelchen der Therapie an mich herangetragen wurde. Entweder man ist wirklich so doof, dass man sowas als geistige/körperlich anregend empfindet. Oder man gehört zu meiner Sorte, macht dicht und lässt alles über sich ergehen.
Die Therapiestation hat einen großen Nachteil: Man ist tatsächlich freiwillig dort und kann den Frust nicht an Anderen ablassen. Bei unfreiwilligem Aufenthalt geht das sehr wohl, wenn jemand blöd daherkommt. In etwa damit, dass Schach gespielt wird, es keine Regeln gibt und alle gewinnen. Hauptsache jeder macht mit und achtet auf sich selbst - oder so ähnlich.
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