Halbtagspraxis auf Kosten psychisch Kranker?

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Tristezza
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Halbtagspraxis auf Kosten psychisch Kranker?

Beitrag Mo., 28.07.2014, 07:41

"Womöglich brauchte es vor allem längerer Öffnungszeiten in den Praxen jener 18.702 ärztlichen und psychologischen, sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die hierzulande Kassenpatienten betreuen. Denn nur jeder Zwanzigste (genau sind es 957) steht den Kassenpatienten zu mindestens 80 Prozent der vorgegebenen wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden zur Verfügung. 12.019 Psychotherapeuten, also zwei Drittel, halten ihre Praxis dagegen an weniger als die Hälfte der Zeit für Kassenpatienten offen."
Genaueres im Artikel "Halbtagspraxis auf Kosten psychisch Kranker": http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/w ... picks=true

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sandrin
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 08:10

Danke für den Link, Tristezza. Dass es dieses Phänomen gibt, wusste ich. Die Ausmaße waren mir aber nicht bewusst. Ist schon krass, was da abgeht. "Hobbypraxis" ist wohl wirklich der passende Begriff.

Ich wäre dafür, dass man Therapeuten mit Kassenzulassung dazu verpflichtet, eine Mindestanzahl an Stunden zu leisten, oder ihnen andernfalls diese entzieht, sodass die Kapazitäten für andere Therapeuten frei werden, die vielleicht keine Zulassung erhalten, weil das Kontingent an einem Ort ausgeschöpft ist. Das kann es ja wohl nicht sein.

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stern
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 08:41

Bei den Krankenkassen ist das Unverständnis groß. „Es kann doch nicht sein, dass Psychotherapeuten einen vollen Sitz innehaben, aber nur halbtags für gesetzlich Versicherte die Praxis öffnen“, sagt Johann-Magnus von Stackelberg, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankeversicherung. „Mit so einem Verfahren reden wir ein Systemversagen daher, was es gar nicht gibt.“
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/w ... 65-p2.html
Neu war mir das auch nicht... die Dimension weiß ich aber nicht. Und man muss mal überlegen, wo es vergleichbares gibt.

Was schon möglich ist: Das ein Therapeut eine halbe Zulassung verkauft, glaube ich.

Was ich nicht glaube: Dass ein Therapeut weniger arbeitet, um mehr Privatpatienten nehmen zu können... sondern eher um halbtags/"weniger" zu arbeiten (Kinder, Familie, mehr Zeit...)... aber sich die Option offenhalten will, evtl. Zeiten wieder aufzustocken (was ja nicht mehr geht, wenn der halbe Platz verkauft ist).

Und wenn das in der Bedarfsplanung dann nicht gut genug berücksichtigt ist (weiß ich nicht sicher), dann kann wieder jeder sagen: es gibt doch genug PT. Und so wälzen es die KK wieder auf die PT ab.

Nur seltsam, warum es doch so ein Wartezeitenproblem gibt, wenn es wirklich ausreichend PT geben soll.
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chaosfee
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 09:07

Also es gibt ja wohl keinen Arbeitszwang hierzulande. So etwas hatten wir schon einmal... allerorten wird für mehr Teilzeitmöglichkeiten gekämpft, und bei einem der psychisch stressigsten Berufe soll es ausgerechnet einen Zwang zur Vollzeit geben? Ich möchte von keinem Therapeuten behandelt werden, der sich 30 schlecht oder gar nicht vorbereitete Therapiestunden in die Woche quetscht, um seine Zulassung zu behalten, und dann damit überfordert ist. Das geht dann nicht nur zulasten des Therapeuten, sondern auch der Patienten, die a) nicht mehr auf einen wirklich präsenten und egagierten Therapeuten zählen können und b) schlimmstenfalls fallen gelassen werden, wenn der Therapeut das Pensum nicht 40 Berufsjahre durchhält und dann irgendwann selbst durch den Stress erkrankt. Die Selbstfürsorge, die die Therapeuten uns immer predigen, sollte man ihnen selbst auch zugestehen.

Das ist doch wieder mal ein klassisches Ablenkungsmanöver der Krankenkassen. Man könnte ja auch ganz einfach die realen Kapazitäten der Therapeuten erfassen und Kassensitze danach vergeben. Es werden ja wohl nicht mit einem Schlag morgen alle 95% Teilzeit-Therapeuten anfangen, 40 Wochenstunden Therapie zu machen. Warum gehen denn die Krankenkassen überhaupt davon aus, dass Therapeuten 29 Therapiesitzungen/Woche durchführen? Wenn man schon weiß, dass die meisten weniger arbeiten, dann kann man diesen Durchschnittswert ja auch einfach niedriger ansetzen.
"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." Adorno

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stern
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 09:14

chaosfee hat geschrieben:Also es gibt ja wohl keinen Arbeitszwang hierzulande. So etwas hatten wir schon einmal... allerorten wird für mehr Teilzeitmöglichkeiten gekämpft, und bei einem der psychisch stressigsten Berufe soll es ausgerechnet einen Zwang zur Vollzeit geben?
Zwang zur Vollzeit würde ich auch als falsch erachten... aber genauso faktische Halbtagsstelle mit Vollzeitzulassung. So wird ja vorgaukelt: Die Kapazität ist 38h , während faktisch nur die Hälfte geleistet wird (je nach Thera). Sondern wenn jemand eine Halbtagspraxis haben will, dann gibt es eben nur einen halben Platz. Und so kann ein weiterer halber Platz geschaffen werden mit einem weiteren "Halbtags-Thera".
Das ist doch wieder mal ein klassisches Ablenkungsmanöver der Krankenkassen. Man könnte ja auch ganz einfach die realen Kapazitäten der Therapeuten erfassen und Kassensitze danach vergeben.
Eben. Das sehe ich ähnlich.

Wenn man sich stattdessen an der potentiellen Kapazität orientiert, ist doch logisch, dass mehr vergegaukelt wird als tatsächlich vorhanden ist.
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Jenny Doe
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 09:29

Mir erzählte mal eine Thera (also nicht repräsentativ), dass sie nicht jeden Tag vollen 8 Stunden arbeiten könnte, weil der Therapeutenjob viel abverlangen würde.

Ich fänds nicht okay, wenn man alle Therapeuten verpflichten würde, Vollzeit zu arbeiten. Burn-Out ist unter Therapeuten eh schon genug verbreitet. Ich fänd besser, wenn man die Anzahl der Therapieplätze neu berechnen würde und berücksichtigen würde, wie viele Voll- und Teilzeittherapeuten es gibt. Denn auch Therapeuten sollten ein Recht drauf haben, nur Teilzeit arbeiten zu müssen, egal aus welchem Grund.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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hope_81
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 10:07

Die Therapeuten, die ich kenne, arbeiten nebenbei noch an Unis und geben Seminare an Ausbildungsinstituten.
Ich kenne eigentlich keinen, der sich Zeit für die Familie nimmt, ganz im Gegenteil. Aber auch ich bin da sicher
nicht repräsentativ in meiner Aussage.

Ich denke weiter, dass sie sich in solchen Fällen eine Praxis teilen sollten. Andersherum wäre es vielleicht auch
gar nicht so verkehrt, die Kassensitze aufzustocken

Der Job eines Therapeuten ist hart, aber das sollten die sich wirklich vorher überlegen. In keiner anderen Sparte gibt es so etwas.

Ich denke das ganze System gehört general überholt und vor allem wird es wirklich mal Zeit für gewissen Leitlinien.

Aber.....Das hatten wir ja schon oft.
Das Beste, was du für einen Menschen tun kannst, ist nicht nur deinen Reichtum mit ihm zu teilen, sondern ihm seinen eigenen zu zeigen.
Benjamin Disraeli

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Tigerkind
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 10:11

Ich denke auch das System muß ganz neu überholt worden, ist wohl mittlerweile ziemlich eingstaubt, eine weitere Möglichkeit wäre auch den HP-Psychs eine Kassenzulassung zukommen zu lassen.
Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.

-George Orwell-

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stern
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 10:17

Die "einfachste" Möglichkeit wäre aus meiner Sicht, "einfach" die Anzahl der kassenzugelassenen Therapeuten zu erhöhen bzw. die Bedarfsplanung (die fragwürdig sein soll) zu erneuern. Genug Anwärter, die gerne einen Kassensitz hätten, gibt es... nur werden die Kassensitze ja spärlich verteilt, weil es ja aaangeblich keinen PT-Mangel gibt. Wie man das trotz der Wartezeitproblematik behaupten kann, ist mir schleierhaft.

Klar, man wälzt die Ursächlichkeit der Wartezeitproblematik auf alles mögliche ab...
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Jenny Doe
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 10:36

@ stern,
Die "einfachste" Möglichkeit wäre aus meiner Sicht, "einfach" die Anzahl der kassenzugelassenen Therapeuten zu erhöhen bzw. die Bedarfsplanung (die fragwürdig sein soll) zu erneuern. Genug Anwärter, die gerne einen Kassensitz hätten
Das würde keinen Unterschied machen, fürchte ich. Klienten haben ja seit einiger Zeit das Recht, wenn sie keinen Therapeuten finden, zu einem approbierten nicht kassenzugelassenen Therapeuten zu gehen. Ich habe gestern erst gelesen, dass dieser Zugriff verzehntfacht hat. (Ich finde den Text nicht mehr ). Doch es reicht immer noch nicht.
Irgendeine Lösung muss gefunden werden, denn die Kosten für Psychotherapie steigen rapide an. Klar macht sich Therapie unter dem Strich bezahlbar, aber dennoch explodieren die Kosten. Ich glaube nicht, dass das noch lange so weitergehen gehen kann und wird.
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Widow
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 11:22

Zum Thema "Wartezeiten" hier eine interessante aktuelle Erhebung:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/5 ... -Patienten

Ist halt alles nicht so einfach ...
Gruß
w

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Tristezza
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 11:27

Jenny Doe hat geschrieben:Das würde keinen Unterschied machen, fürchte ich. Klienten haben ja seit einiger Zeit das Recht, wenn sie keinen Therapeuten finden, zu einem approbierten nicht kassenzugelassenen Therapeuten zu gehen. Ich habe gestern erst gelesen, dass dieser Zugriff verzehntfacht hat.
Aber wenn es mehr kassenzugelassene Therapeuten gäbe, dürften die Patienten nicht mehr in dem Maße auf nicht kassenzugelassene zugreifen. Und es gäbe nicht mehr die Gefahr des Missbrauchs dieser Regelung durch kassenzugelassene und andere Therapeuten, die auf diese Weise den höheren Privatsatz einstreichen wollen. Siehe Artikel:
"... die Psychotherapeuten können Kassenpatienten wie die Privatkundschaft abkassieren: ,Abgerechnet werden kann in der Regel das ein- bis 3,5-fache des bei der jeweiligen Leistung aufgeführten Gebührensatzes' ... Das schürt den Verdacht, dass sie mit schmalen Öffnungszeiten das Angebot für Kassenpatienten künstlich verringern, um dann für privat abgerechnete Behandlungen zur Verfügung zu stehen. ... In Hamburg, so erzählt man sich bei den Krankenkassen, wollten Psychotherapeuten teilweise allerdings gar keine Kassenzulassungen mehr haben. Sie kämen mit der Kostenerstattung bestens zurecht."


Widow
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 12:02

Zu dem "Verdacht", den der FAZ-Artikel in, wie ich finde, übrigens unverschämter Weise selbst "schürt":
Entweder man hat eine Kassenzulassung, dann muss man GKV-Patienten darüber behandeln (und kann nicht vormittags die Kassenzulassung nutzen und nachmittags den Privatsatz), oder man hat keine Kassenzulassung, dann kann man nur über den Privatsatz abrechnen.

Der Unterschied beläuft sich in den tiefenpsychologischen Verfahren auf 11,50 Euro (üblicherweise wird mit dem 2,3fachen Gebührensatz abgerechnet - der 3,5fache findet nur bei extrem komplizierten Fällen Anwendung und muss in einem langwierigen Verfahren beantragt werden, dessen Ausgang keineswegs sicher ist).
11,50 Euro sind im Hinblick auf das normale Kassenhonorar jetzt nicht sooo irre viel ...
Und angesichts der "Sicherheit", die ein Kassensitz bietet, glaube ich nicht, dass ein Therapeut allzu gern darauf verzichtet.

In der Verhaltenstherapie beläuft sich der Unterschied auf knapp 20 Euro pro Sitzung (das liegt daran, dass die VT später in die Gebührenordnung aufgenommen worden ist und man sie damals mit "mehr" ansetzte, weil man davon ausging, dass die ganze Gebührenordnung bald überarbeitet werden und der VT-Satz dann als "Muster" für die anderen therapeutischen Schulen dienen würde - hat nur leider bis heut nicht geklappt ...).
Angesichts der Tatsache, dass heutzutage etwa 90% der angehenden TherapeutInnen eine VT-Ausbildung machen (weil die deutlich kostengünstiger, schneller und leichter zu absolvieren ist - u.a. wird sehr viel weniger "Selbsterfahrung" gefordert, und wie sehr die an die Substanz gehen kann, das wissen hier in diesem Forum wohl viele ...) und mit Blick darauf, dass ein Kassensitz schon mal 100.000 Euro kosten kann (den muss man, weil es so wenige davon gibt, dem Vorgänger abkaufen!), kann das Kostenerstattungsverfahren für VTs lohnenswert sein.
Aber die arbeiten dann, wie gesagt, komplett (und nicht etwa "in Teilzeit", wie es der Artikel fälschlicher-, vielleicht auch böswilligerweise suggeriert) ohne Kassenzulassung.
Zuletzt geändert von Widow am Mo., 28.07.2014, 12:11, insgesamt 1-mal geändert.

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stern
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 12:08

Teilweise gibt es sogar so lange Wartezeiten, dass Therapeuten schon gar keine Warteliste mehr führen können, weil diese nicht abgearbeitet werden kann... und mithin ein Erstgespräch gar nicht erst angeboten wird.

Ich bin jedenfalls gespannt, wie sie sich das bei mir gestalten wird. Die erste PT war unsicher, ob sie ein Erstgespräch anbieten soll (eben wegen ihrer langen Liste)... ist auch nicht das erste Mal, dass es mir so ergangen ist oder davon hörte (und zwar bereits ohne irgendein Detail zu kennen, worum es geht).
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pandas
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Beitrag Mo., 28.07.2014, 13:36

Ich sehe Änderungsbedarf nicht daran, Druck auszuüben auf die bisher kassenzugelassenen Therapeuten, diese 36 Stunden pro Woche abzuarbeiten (-wer will schon einen in dem Sinne beruflich gestressten Therapeuten-), sondern die Kontigente an Zulassung zu verändern, d.h. mehr approbierte (meist nachrückende, jüngere, sehr gut ausgebildete) Therapeuten zuzulassen.

Die im Artikel vom Eingangspost skizzierte Problematik ist aber im Real gar nicht so sehr auf Lasten der Patienten, denn es gibt das Kostenerstattungsverfahren, das sich in den letzten Jahren in der Praxis durchgesetzt hat, d.h. für den Patienten leichter geworden ist, es durchzusetzen, zumindest bei einigen Krankenkassen. Krankenkassen, die die Kostenerstattung ablehnen, sind aber verpflichtet, den Patienten dann AKTIV (Nennung von kassenzugelassenen Therapeuten mit freien Plätzen) bei der Suche zu helfen.

Für den Patienten hat die derzeitige Praxis kassenzugelassene Therapeuten und Therapeuten mit Kostenerstattung (die dann in der Tat eine Privatpraxis betreiben, eventuell mit Nebentätigkeiten und "richtigen" Privatpatienten; aber beides dürfen oder praktizieren kassenzugelassene Therapeuten desöfteren auch; beliebt sind bei zweiteren Lehrtätigkeiten) den Vorteil, dass er/sie

a) in der Tat faktisch schneller einen Platz bekommen kann - Therapeuten in Kostenerstattung nehmen sogut wie umgehend (wenn sie nehmen), da sie dies schlicht müssen, da sonst keine Kostenerstattung bewilligt wird. Manche Therapeuten, die Kostenerstattung anbieten, sind natürlich ebenfalls ausgelastet und weisen ein Erstgespräch ab - ich habe aber die Beobachtung gemacht, dass durch einen Markt mit kassenzugelassenen Therapeuten und Therapeuten, die in Kostenerstattung arbeiten, ein guter Therapeut für jede/n auffindbar ist.
Krux ist, dass sicherlich nicht jede/r Therapiesuchende von dem Kostenerstattungsverfahren Kenntnis hat.

b) die Varianz an Therapeuten in ihrer jeweiligen Schwerpunktsetzung etc. erhöht sich so.

Dass Patienten die Verantwortung haben, bei den Terminen für Erstgesprächen flexibler zu sein, sehe ich als falsch an - da fehlt wohl das Verständnis dass manche Menschen Vollzeit o.ä. arbeiten und meistens vormittags so gar nicht realisierbar ist.
Therapeuten hingegen scheinen oft relativ früh Feierabend zu machen, d.h. die Teilzeit-Verteilung liegt großteils auf frühen Stunden minus Freitag. DAS halte ich für krisierbar an Therapeuten. Alle anderen Gesundheitsdienstleister arbeiten an mehreren Tagen die Woche spät, geschweige denn Klinikpersonal.

Ansonsten bekommen Therapeuten durch die Kostenerstattung dasselbe Honorar nach der EBM wie die kassenzugelassenen Therapeuten.
Im Unterschied zu diesen könnten sie aber private Zuzahlungen verlangen, das tuen sie aber meistens nicht.

Bei sehr langen Wartelisten von kassenzugelassenen Therapeuten gehe ich meist davon aus, dass diese mit Ärzten, Kliniken u.ä. zusammenarbeiten und eher wenig totale Fremdpatienten über Telefon annehmen ...
... ansonsten wären die gravierenden Unterschiede nicht erklärbar ...

Im übrigen dürfen, um es nochmals zu betonen, kassenzugelassene Therapeuten auch Privatpatienten nehmen, Selbstzahler oder Privatkasse. Mit diesen handeln sie den Preis selbst aus.
Denn wer einen kassenzugelassenen Sitz hat, darf in den selben Räumen eine Privatpraxis betreiben.
Dass die mehr zahlenden Patienten dann eine gute Zeit erhalten, z.b. nachmittags oder abends, kommt desöftern vor.
Wobei ich auch gelesen habe, dass Therapeuten behaupten, dass machen sie nur, wenn sie alle ihnen zustehenden Kassenplätze vergeben haben - angesichts der im Artikel genannten Kapazitätserfordernis kann ich mir aber nicht vorstellen, dass dem so ist.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

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