Über das Fremdgehen

Alle Themen, die in keines der Partnerschafts-Foren passen, bei denen es aber in weitestem Sinne um Beziehungen, soziale Kontakte usw. geht, Adoption, Pflege usw.
Antworten
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Über das Fremdgehen

Beitrag Mi., 22.06.2016, 21:08

Das "Fremdgehen", seine Folgen und deren Verarbeitung nimmt in diesem Forum einen breiten Raum ein. Meist werden die threads durch die solcherart "Betrogenen" eröffnet, die sich nach dem "auffliegen" des Fremdgehens ihres Partners ihr Leid von der Seele schreiben und Hilfe beim Umgang mit dieser Situation erhoffen wollen. Das Leid für die Betrogenen ist oftmals beträchtlich, die Beziehung in einer existenziellen Krise. Darauf konzentrieren sich dann zumeist die Beiträge. Und auch der "Fremdgänger" leidet oftmals beträchtlich unter der von ihm verursachten Situation - wenngleich dies seltener thematisiert wird.

Dieses Phänomen "Fremdgehen" übt auch auf mich eine gewisse Faszination aus, obschon ich davon nicht im engeren Wortsinne betroffen bin - von meiner allerersten postpubertären Freundin wurde zwar auch ich mal zum "Betrogenen", aber daran schloß sich alsbald mein bisexuelles coming-out an, promiskuitives und polygames Sexualverhalten. Monogamie habe ich seither nie mehr prakiziert, nur "Fremdgänger" beiderlei Geschlechts als Partner promiskuitiver Sexualität erlebe seither ich immer wieder.

Wer fremdgeht, lebt in einer Beziehung, die explizit oder unausgesprochen als exklusiv monogam definiert ist. Mit diesem Versprechen der Treue sind Sexkontakte oder -partnerschaften ausserhalb der Beziehung nicht vereinbar - sie werden deswegen zuweilen sehr kunstvoll verheimlicht, finden hinter dem Rücken des Partners statt. Das ist in gewisser Weise bei Beendigung einer Beziehung legitim, wenn wir die "serielle Monogamie" als legitim erachten: sexuelle Beziehungen sind nicht mehr von vorneherein ausschließlich nach dem Vorbild der christlichen Ehe unauflöslich und auf Lebenszeit angelegt, die Lebenspartnerschaft ist für weite Teile der Bevölkerung durch die "Lebensphasenpartnerschaft" abgelöst worden: man schaut mal, wie weit man zusammen kommt. Es wird zwar wohl als schicklicher empfunden, wenn man nach dem Ende einer dieser Phasenpartnerschaften eine Art Karenzzeit vor dem Beginn einer neuen Beziehung eingeht, genießt vielleicht auch die Freiheit zu einer maßvollen Promiskuität, dem einen oder anderen "ONS", es findet das statt, was ich gerne polemisch: "Parkplatzsuchverkehr" nenne, denn aus so manchem "ONS" entwickelt sich dann alsbald wieder die nächste Phasenpartnerschaft - n = n+1. Und unter solchen Rahmenbedingungen kommt es natürlich auch leicht vor, daß eine neue Beziehung sich als Verhältnis anbahnt, die "Altbeziehung" noch nicht sofort aufgelöst wird. Man zögert, sitzt zwischen zwei Stühlen, während von zwei Seiten gekämpft wird: der Altpartner um die Erhaltung der Altbeziehung, das Verhältnis im Gegenteil um deren Beendigung und den Beginn einer "richtigen" Beziehung mit den neuen Partner. Vielleicht nicht gerade schön so etwas - aber es wird akzeptiert. Und eigentlich ist dieses Verhalten auch kein "fremdgehen" im engeren Sinne.

Auch das Verhalten von Partnern in bewußt nicht-monogam gestalteten "offenen" Beziehungen, insbesondere der "swinger" dürfte auch von Monogamen nicht als "Fremdgehen" angesehen werden: denn das wesentliche Element des Betruges fehlt hier gerade - und bei "swingern" nimmt der Beziehungspartner ja regelmässig an den anderweitigen Sexualkontakten und -partnerschaften aktiv teil. Auch wenn dieses polygam-promiskuitive Sexualverhalten auch heutezutage immer noch von der Mehrheit abgelehnt wird - es wird mehr oder weniger toleriert. Die etwaige moralische Verurteilung ist weitaus geringer als gegenüber dem Fremdgehen.

(Fortsetzung folgt)

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag Mi., 22.06.2016, 21:11

Das Spezifische am Fremdgehen liegt darin, daß der "Fremdgänger" seine bestehende Beziehung und eben auch deren monogamen Charakter durchaus nicht in Frage stellt, nicht beendigen will und auch keine "richtige" Beziehung zu seinem Sexpartner haben will. Mit diesem Sexpartner hat er einen "one-night-stand" oder zwei, wobei es nicht unbedingt um die ganze oder auch nur halbe Nacht gehen muß. "Casual sex" kann auch in der Mittagspause stattfinden. Trifft man sich öfters, nimmt das Ganze die Form einer Affaire, eines Verhältnisses an, das sich über Monate, Jahre, ja sogar: Jahrzehnte hinziehen kann. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn auch dieser Sexpartner keinerlei Interesse an einer "richtigen" Beziehung zu seinem "Affairenpartner" an den Tag legt, vielleicht sogar seinerseits in einer solchen "richtigen" Beziehung steht, die auch er nicht in Frage stellt. "Wir sind verheiratet - aber nicht miteinander." - so liest man es gelegentlich in Profilen von Swingerpaaren in einschlägigen Foren. "Gebunden - aber nicht angebunden." ist ein anderer häufiger Ausdruck für solche "Verhältnisse".

Und solche "g'schlamperten Verhältnisse" können sich auch nur über Jahre und Jahrzehnte hinziehen, weil der jeweils betrogene Partner nichts merkt. Der Fremdgänger bleibt ein liebevoller, fürsorglicher Beziehungspartner, auch sexuell wendet er sich keineswegs von seinem Beziehungspartner ab. Es herrscht "Friede - Freude - Eierkuchen", soweit das Auge reicht, bis eines Tages aufgrund dummer Zufälle das Fremdgehen, der Betrug "auffliegt" - manchmal sofort, sozusagen in flagranti, manchmal häufen sich merkwürdige Verdachtsmomente. Der Beziehungspartner wird mißtrauisch und beginnt zu schnüffeln. Manchmal entwickelt sich dieses Mißtrauen zu einer handfesten - und am Ende: völlig unbegründeten - Paranoia, manchmal erweist es sich nur all zu begründet. Der Betrogene fällt aus allen Wolken: nie hat er etwas bemerkt über all die Jahre - und das macht die Wut auf den Betrüger nur noch größer: was muß das nur für ein verkommener, völlig assozialer, verantwortungsloser, (für Linke:) faschistischer, (für PT-Forums-Grufties:) narzistischer Mensch sein, der über so lange Zeit ein Doppelleben führt, den liebevollen Partner "mimt" und dabei doch immer nur im Kopf bei seiner Affaire ist ... ?

So in etwa sieht der typische Verlauf aus, den man immer wieder auf's Neue erzählt bekommt. Einen weiteren Verlauf bekommt man normalerweise nicht erzählt: nämlich daß dieses Fremdgehen überhaupt niemals auffliegt, sich bis in Lebensalter hinein fortsetzt, in dem für sehr viele von ihrer Sexualität nur noch eine blasse Erinnerung übrig ist.

Ein anderer Verlauf wird auch nur selten in Foren wie dem unsrigen erzählt - "Meine Frau / mein Mann ahnt vielleicht etwas, aber sie / er sagt nix." Live In der promiskuitiven Szene dagegen hört man so etwas nicht selten.

Die "stillschweigende Toleranz", sofern dieses "nix-sagen" als bewußte Entscheidung des "Betrogenen" (der ja eigentlich garnicht mehr wirklich "betrogen", sondern wohlinformiert ist). Das mag für einige, die unter diesem Zustand keinen seelischen Leidensdruck verspüren, eine gangbare Lösung sein - andere ertragen es irgendwann nicht mehr, der Knoten platzt , oder es bilden sich psychische Symptome aus: der betrogene Partner, der zB der Kinder wegen nix sagt, des sozialen Status wegen ("Was sollen die Leute sagen?!"), aus wirtschaftlichen Gründen usw - der kann seelisch zugrunde gehen. Hier liest man manchmal davon, wenn der Leidensdruck so groß geworden ist, daß man es wenigstens in der Anonymität eines Internet-Forums einmal aussprechen will.

Und schließlich gibt es noch einen Verlauf, der schon bauartbedingt garnicht nicht erzählt werden kann: der betrogene Partner sieht, was läuft - aber dieses Sehen wirkt traumatisierend: der Betrogene kann das Bewußtsein diese Betruges nicht ertragen: er spaltet ab, dissoziiert, verleugnet und verdrängt. Dieser Verlauf kann erst dann erzählt werden, wenn nicht nur die Affaire(n), sondern auch diese Abwehrmechanismen "aufgeflogen" sind: das tun sie nicht selten spontan, manchmal auch in der Psychotherapie zumal bei einer Psychoanalyse, bei den den Abwehrmechanismen ja zielgerichtet entgegengearbeitet wird.

(Fortsetzung folgt)

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag Mi., 22.06.2016, 21:13

In dem Bewußtsein, daß diese kleine tour d'horizon über die Phänomenologie des Fremdgehens auch nicht ansatzweise vollständig ist (v.a. die mannigfachen Unterschiede bei den diversen sexuellen Orientierungen habe ich gänzlich unter den Tisch fallen lassen) möchte ich nunmehr zur Frage kommen: Wieso gehen die Leute eigentlich fremd, tun ihren Partnern, ihren Familien und letztlich ja auch: sich selbst - soetwas an ? Schließlich setzen sie viel auf's Spiel: ihre "Hauptbeziehung", an der sie ja gerade festhalten wollen und alles, was an dieser Hauptbeziehung hängt, und das kann viel sein, mitunter die ganze wirtschaftliche und soziale "Existenz". Ein Durchschnittsverdiener mit 2 kleinen Kindern, dessen Partner eben dieser Kinder wegen nicht erwerbstätig sein kann, und "neu gebaut hat" - der wird durch eine Trennung regelmässig "nachhaltig" ruiniert, und ein aufgeflogenes Fremdgehen ist nur allzu häufig der Grund oder zumindest der Anlaß für diesen Ruin.

Die Frage nach dem Fremdgehen setzt jedoch die Frage nach der Monogamie voraus.

Warum leben wir eigentlich monogam ? Die monotheistischen Religionen begründen dies mit einem göttlichen Gebot, daß aus dem Munde von Propheten offenbart worden ist. Die biologische Antropologie bezieht sich auf die Fortpflanzungsfunktion der Sexualität: nur in einer monogamen Beziehung sind Aufzucht und Pflege des Nachwuchses gewährleistet. Der Marxismus bemüht Gründe aus dem Bereich der politischen Ökonomie - "Über den Ursprung der Familie, des Eigentums und des Staates" von Friedrich Engels ist ein heute noch lesenswertes Buch, gerade in einer Zeit, in der "Kapitalismuskritik" wieder ganz schwer in Mode ist.

Doch wohl für die allermeisten braucht es für Monogamie gar keine Begründung: sie ist "normal" und alles andere irgendwie unnormal, unmoralisch, krank und ekelig. Es ist eine bewußt gefühlsmässige Einstellung: "Ich könnte garnicht anders leben, selbst wenn ich es wollte!" Sex mit jemandem haben: das können sich viele wirklich nur in einer monogamen Beziehung vorstellen - und gelegentlich trotzdem vorkommende "Ausrutscher" verursachen ernste Schuldgefühle bei dem Ausgerutschten, die mitunter sogar psychotherapeutischer Aufarbeitung bedürfen.

Die Psychoanalyse Freuds erklärt diese gefühlsmässige Neigung zur Monogamie aus dem Ödipus-Komplex heraus - dem zentralen, wichtigsten der "Psychodramen der Kindheit". Als Abschluß und Höhepunkt der "genital-ödipalen Phase", die sich meist wohl zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr abspielt, hat das Kind seine Genitalien als Sexualorgane entdeckt und betrachtet sich selbst damit als erwachsen. Es richtet ein starkes sexuelles Begehren auf den gegengeschlechtlichen Elter. Mit diesem erstrebt es eine exklusiv-monogame sexuelle Beziehung unter Verdrängung des gleichgeschlechtlichen Elters, der nunmehr als Konkurrent empfunden wird und dem gegenüber eine starke Eifersucht entwickelt wird. Das Kind will an dessen Stelle treten, im Grunde die symbiotische Beziehung zur Mutter wiederherstellen, die in der frühen oral-sensorischen Phase, dem Säuglingsalter, bestanden hatte - doch es scheitert, muß scheitern und zurückgewiesen werden. Alles andere wäre kindesmißbräuchlicher Inzest. Diese Zurückweisung durch den gleichgeschlechtlichen Elter, der das Kind möglichst liebevoll in seine Schranken weisen muß, das Obsiegen des Konkurrenten, des gleichgeschlechtlichen Elters, lässt diesen zum siegreichen Aggressor werden - eine traumatische Situation, die das Bewußtsein des Kindes überfordert. Es reagiert mit dem Abwehrmechanismus der identifikation mit dem Aggressor, introjiziert sich den Aggressor - den gleichgeschlechtlichen Elter, zumal sich dieser ebenfalls der vorangegangenen eifersüchtigen Feindseeligkeit des Kindes zum Trotz, ebenfalls liebevoll dem Kind annimmt: als Spiel- und Sportkamerad, als Beschützer und Führer aus der kleinen Welt der Familie hinaus in die "große weite Welt".

Aus dieser Introjektion des Aggressors erwächst das Über-Ich, das Ich-Ideal, das zugleich auch der Sitz unseres moralischen Empfindens ist, das auf der Inzestschranke als der Ur-Norm schlechthin aufgebaut ist: "Du sollst keinen Sex mit Deinem gegengeschlechtlichen Elter haben!"

Dieses Über-Ich wird sodann im weiteren Verlauf - regelmässig weit weniger dramatisch und nicht mehr traumatisierend - mit den Normen weiter aufgefüllt, die Erziehung und Sozialisation an das heranwachsende Kind herantragen und von ihm "internalisiert" werden. Zu diesen Normen gehört freilich auch die der heterosexuellen Monogamie - die mit dem ursprünglichen, ins Unbewußte abgedrängte Wunsch nach der exklusiv-symbiotischen, "monogamen" Beziehung auf eine Art und Weise harmoniert, die uns ohne Analyse kaum bewußt wird.

(Fortsetzung folgt)

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag Mi., 22.06.2016, 21:21

Ebensowenig wird uns bewußt, daß die Verliebtheit, mit der monogame Beziehungen regelmässig ihren Anfang nehmen, nichts anderes ist als eine Projektionspychose: der Verliebte projiziert in das Objekt seiner Begierde das Bild vom gegengeschlechtlichen Elter (oder eines anderen ehemaligen Objektes infantil-sexueller Begierde oder gar pädosexueller Beziehung) hinein. Dieses Bild ist idealisiert - die negativen Persönlichkeitsmerkmale sind abgespalten. Und ebenso ist die Beziehung, die der Glücklich-Verliebte mit seinem neuen Partner beginnt, nichts anderes als der Versuch einer Re-Inszenierung einer früheren Beziehung: nämlich derjenigen des gegengeschlechtlichen Elters zu seinem Partner, und zwar so, wie das ödipale Kind diese Beziehung in seiner Vorstellung führen wollte. Auch dieses Bild ist verfremdet, hat mit der tatsächlich erlebten Beziehung der Eltern mitunter wenig gemein.

Aber dieses Bestreben, die im Ödipuskonflikt verweigerte Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elter als Erwachsener nun doch noch führen zu können, steht in einem Konflikt zu dem zutiefst internaisierten Verbot der Sexualität mit diesem - die Inzestschranke "geht herunter", meist nicht vollständig sondern nur bis zu einem gewissen Teil und mit unterschiedlicher Ausprägung und Intensität. Aber die Auswirkung ist stets die einer unbestimmten, diffusen Hemmung, sich gegenüber einem geliebten Menschen wirklich sexuell vollständig zu öffnen, seine tatsächlichen sexuellen Bedürfnisse zur Befriedigung zu bringen.

Paradoxerweise ist es also gerade die emotionale Tiefe und große Innigkeit einer glücklichen Paarbeziehung, die eine vollständige sexuelle Erfüllung in dieser Beziehung verhindern kann. Gerade dann, wenn einer der Partner starke Rezente der infantilien Paraphilien aufweist, sieht er sich gerade gegenüber seinem geliebten Beziehungspartner daran gehindert, diese zu offenbaren und auszuleben, fühlt sich auf ein "gerade noch erlaubtes Minus" gegenüber seinen sexuellen Bedürfnissen beschränkt.
Die volle sexuelle Erfüllung ist in diesen Fällen nur mit einem Sexpartner möglich, der gerade nicht der geliebte Beziehungspartner ist, ja als Liebesobjekt völlig ungeeignet ist und dem gegenüber man - nach Freud - sogar idealerweise eine gewisse Verachtung empfindet.

Soweit ein - natürlich vergröbertes und verkürztes - Referat der Sexualtheorie Freuds, wie ich sie in den "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" von 1905 und in dem kurzen Aufsatz "Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens" von 1912 vorgefunden habe. In letzterem Aufsatz schreibt Freud: wir wären alle in der einen oder anderen Weise von dieser sexuellen Hemmung gegenüber dem Beziehungspartner betroffen, und erklärt genau damit die verbreitete Neigung zu Affairen und Verhältnissen, zu deren Partnern dann aber auch wieder eine eigenartige Treue erwachsen kann, die von gänzlich anderer Art ist, wie die Treue zum Beziehungspartner.

Hieraus schließe ich das folgende, was sich zumindest so nicht in den vorgenannten Schriften Freuds findet:

Die oftmals gestellte Frage, was ein Fremdgänger denn eigentlich an seiner Affaire finde, ist damit beantwortet: eben daß sie nicht die emotionale Beziehung ist, sondern eine große emotionale Distanz besteht. Die in der Affaire praktizierte Sexualität kann von ihrem äusseren Erscheinungsbild der in der emotionalen Beziehung praktizierten Sexualität sogar vollständig entsprechen - nur das Erleben ist ein anderes, wesentlich Freieres und Ungehemmteres.

Und nun stehen wir vor einem zweiten Paradoxon: dieses Freie und Ungehemmte sexuelle Erleben in einer Affaire wird von dem Fortbestand der emotionalen Beziehung zum Partner überhaupt erst ermöglicht. Diese emotionale Bindung an den Beziehungspartner zuhause verhindert, daß auch gegenüber den Affairenpartner jene Inzestschranke herunterfährt, und eine freie Entfaltung der Sexualität ermöglicht.

Damit sind wir dann bei dem dritten Paradoxon, daß sich die emotionale Beziehungspartnerschaft mit ihrer reduzierten Sexualität auf der einen Seite und die distanzierte Affairenpartnerschaft mit ihrer ungehemmten Sexualität auf der anderen Seite gegenseitig nicht etwa untergraben, wie man anzunehmen gewillt ist, sondern sogar stabilisieren: die Affaire ermöglicht es durch die Befriedigung von in der Beziehung unerfüllter Sexualität, die emotionale Beziehung aufrecht zu erhalten, die ihrerseits erforderlich ist, um die Sexualität in der Affaire vor der emotionalen Einschränkung durch die Inzestschranke zu schützen.

(Fortsetzung folgt)

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag Mi., 22.06.2016, 21:32

Liegen diese Verhältnisse also im Einzelfall tatsächlich vor, dann wird damit auch das Werturteil über den Fremdgänger beträchtlich relativiert: er "mimt" den treuen Beziehungspartner keineswegs, er bleibt es, ist es wirklich. Seine Gefühle für seinen Beziehungspartner sind unverändert, ja vertiefen sich sogar, weil eine schwere Hypothek von der Beziehung genommen ist: die notwendig unerfüllte Sexualität. Er ist keineswegs in Gedanken stets bei seiner Affaire, diese hat im Gegenteil zwar einen festen Platz in seinem Leben, aber einen sehr klar Begrenzten.

Auch der Betrug, das Hintergehen des Beziehungspartners ist notwendig, um die Emotionalität der Beziehung aus der Affaire herauszuhalten. Die Ehrlichkeit gegenüber dem Beziehungspartner würde den Affairenpartner zum Stellvertreter des Beziehungspartners werden lassen - mit der Freiheit und Ungehemmtheit des sexuellen Erlebens wäre es vorbei. Deswegen ist die "stillschweigende Toleranz" des Beziehungspartners, der hinter die Affaire, das Fremdgehen gekommen ist, vielleicht sogar die weiseste Lösung - wenn sie der Betrogene ertragen kann. Vielleicht gibt es so eine Art von halbewußtem Ahnen der Beteiligten, daß diese stillschweigende Toleranz der einen Seite für die verschwiegene Affaire auf der anderen Seite am besten geeignet ist, die emotionale Beziehungspartnerschaft langfristig zu erhalten. Vielleicht beruht diese Ahnung auf einer Gewissheit darüber, daß die Affaire gerade keine Gefährdung oder Beeinträchtigung der Beziehungspartnerschaft darstellt ? Vielleicht auf einem Interagieren zwischen den Unbewußten der Partner, eine Art von unbewußtem Einvernehmen ? Aber das ist nichts als Spekulation.

Auch kann ich die Frage nicht beantworten, wie die Schuldgefühle, welche die Affaire beim Fremdgänger verursacht, von diesem verarbeitet werden. Ich kann nur vermuten, daß das Bewußtsein, durch das Fremdgehen die emotionale Partnerschaft zu erhalten einerseits, und eine Art von kompensatorischer Willfährigkeit und Geneigtheit gegenüber dem Beziehungspartner ist, die es ermöglicht, diese Hypothek zu tragen, die an die Stelle der Hypothek der unerfüllten Sexualität getreten ist, und die beim Fremdgänger auf jeden Fall schwerer lasten würde.

Die Intensität des sexuellen Bedürfnisses, das innerhalb einer emotionalen Partnerschaft nicht befriedigt werden kann, dürfte die Letztursache dafür sein, ob ein Mensch zum Fremdgänger wird, oder mit dem "erlaubten Minus" der "Beziehungssexualität" sein Auskommen finden kann. Das ist eine Frage der individuellen Libidoökonomie, die allgemein niemals zu beantworten sein wird. Die sexuelle Libido der Menschen ist sehr unterschiedlich - und auch im Leben eines jeden einzelnen Menschen mitunter sehr starken Schwankungen unterworfen. Die ursprünglich sexuelle Libido kann bekanntlich in vielfältiger Weise "sublimiert" werden, auf kulturell höherstehende Gebiete zumindest teilweise verschoben werden - manchmal kann diese Sublimation so weit reichen, daß für genuine Sexualität buchstäblich "kein Saft mehr übrig ist" - der Mensch asexuell wird. Umgekehrt kann eine "Desublimation", der Verlust einer solchen Sublimation einen beträchtlichen Betrag an Libido freisetzen, der mangels anderweitiger Abfuhr in seinen ursprünglichen sexuellen Bereich "zu den Wurzeln" zurückkehrt und dort sodann mit Macht nach Abfuhr drängt. Der Verlust eines geliebten Arbeitsplatzes, an dem man sich "voll reingehangen" hat, mit dem man sich "100%-ig identifizieren" konnte kann eine solche Desublimation herbeiführen - auch dann, wenn die Arbeitslosigkeit verrmieden, alsbald ein Anschlußarbeitsplatz gefunden wird, der zwar keine wirtschaftlichen Einbußen mit sich bringt, aber der neue Arbeitsplatz nur ein "Job" ist, man lustlos und mechanisch seine Arbeit abspult, die Zeit "absitzt" und alle zwei Minuten nach der Uhr und dem Feierabend schielt. Man stelle sich etwa einen Zimmermann vor, der in Fachwerksanierung und Denkmalrekonstruktion seinen Traum vom Arbeiten mit Holz gefunden hatte, und nunmehr nur noch von Früh bis Spät genormte Fertigfenster in genormte Fensteröffnungen von genormten Mietskasernen hineinstopft - auch wenn diese Arbeit vielleicht sogar besser bezahlt, die Arbeitszeit kürzer ist: er bleibt bitter "unbefriedigt". Das ist ein schönes Beispiel für eine Desublimation, die einen plötzlichen Libidoüberschuß erzeugen kann, die einen bislang treu monogamen Beziehungspartner zum Fremdgänger werden lassen kann und der möglicherweise wieder zur Treue "zurückfindet", wenn er wieder auf einen Arbeitsplatz wechseln kann, der ihn voll ausfüllt.

(Fortsetzung folgt)
Zuletzt geändert von Möbius am Mi., 22.06.2016, 21:37, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Möbius
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 53
Beiträge: 1397

Beitrag Mi., 22.06.2016, 21:35

Auch eine stark von den infantilen Paraphilien geprägte Sexualität kann dazu führen, daß das "erlaubte Minus" der Beziehungssexualität bittere Defizite hinterlässt. Unser aller Sexualität kennt solche "Rezente infantiler Sexualität", von denen das Küßen wohl die weiteste Verbreitung gefunden hat und größte gesellschaftliche Akzeptanz genießt: es darf in aller Öffentlichkeit vollzogen werden, obschon es eigentlich eine Perversion ist, wie Freud in den "Drei Abhandlungen" so maliziös ausführt. Andere Paraphilien wie der eigentliche Oralsex, die (mutuelle) Masturbation, anale Sexualität usw usw sehen sich in unterschiedlichem Maße allgemeiner Ablehnung, ja Diskriminierung ausgesetzt, und haben es von daher mitunter sehr schwer, im "noch erlaubten Minus" der Beziehungssexualität einen Platz zu finden.

Am Ende dieses meines vielleicht doch zu kurz und unvollständig geratenen Abrisses meiner diffusen Gedanken zum Fremdgehen muß ich also meine eingangs geäusserte Behauptung, eine monogame Beziehung und Fremdgehen würden sich widersprechen - doch widerrufen. Es scheint so zu sein, als ob beides nicht nur miteinander trotz des logischen Widerspruchs vereinbar ist, sondern bei Vorliegen der geschilderten Voraussetzungen sich gegenseitig bedingen, ja stützen - zum Nutzen und Frommen aller Beteiligten.

An logische Widersprüche sollten wir uns gewöhnt haben. Schließlich ist es schon ein Menschenalter her, seit der große Mathematiker Kurt Gödel streng logisch bewiesen hat, daß ein widerspruchsfreies logisches System - logisch unmöglich ist.

"Leben durch Vernunft dividiert geht eben nicht null auf null aus." (Gerhard Zippelius)

(Fortsetzung folgt nicht)

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag