Gar nichts fühlen - zerbrochene Elternbeziehungen

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christine_de
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Gar nichts fühlen - zerbrochene Elternbeziehungen

Beitrag Mi., 05.09.2018, 20:42

Hallo!

Es geht um mich und meine Mutter. Bis ich mit 21 von zu Hause ausgezogen bin hatten wir ein eher bescheidenes Verhältnis, was bis dahin meist durch alltägliche Streitereien bis hin zu größeren Vorwürfen geprägt war. Doch nachdem ich ausgezogen bin, gab es eine 180 Grad Wendung und ich konnte doch irgendwie was liebevolles zwischen uns erkennen.
Die Ehe meiner Eltern war keine, die aus Liebe enstanden ist, sondern weil ich unterwegs war und naja, dann muss man eben heiraten. Seit ich mich erinnern kann, haben sie nur gestritten und sich dann anschließend Monate lang angeschwiegen, bis sie sich dann aus heiterem Himmel wieder vertragen haben, natürlich ohne Aussprache. So war das schon immer.
Vor drei Jahren hat meine Mutter schließlich die Scheidung eingereicht, ohne meinen Vater davon in Kenntnis zu setzen, weil "ihm muss klar sein, dass das passiert". Ich bin zu seinem Geburtstagswochenende nach Hause gekommen, als sie mir dieses "Geständnis" gemacht hat und am folgenden Tag einfach weggefahren ist. Ich habe mich irgendwie gezwungen gesehen, es ihm zu sagen, weil ich es nicht für mich behalten konnte und nicht wollte, dass er es quasi über einen Brief erfährt.

Alles was danach passiert ist, war für mich nur schwer zu ertragen, u.a. weil sich das Alkoholproblem meines Vater erheblich verschlimmert hat, nachdem meine Mutter von einen Tag auf den anderen verschwunden ist, als er im Spätdienst war. Der Scheidungsprozess, der dann folgte, war beinahe schon filmreif inklusive der blutsaugenden Anwältin meiner Mutter.

Für mich haben sich Abgründe aufgetan. Zum Einen, mitanzusehen, wie sich mein Vater bis in den Tod trinken wollte und ich absolut machtlos war. Zum anderen, welche Charakterzuge zum Vorschein kommen, wenn aus einer zunächst persönlichen Entscheidung ("du musst mich als Frau verstehen") nun auf einmal Geld das wichtigste Thema wird und auf was man nicht alles Anrecht haben kann.

Die Beziehung zu meiner Mutter war ebenfalls zerbrochen, quasi nicht existent, weil ich auch etwa zwei Monate gar nichts von ihr gehört habe, doch nach einem halben Jahr haben wir uns wieder etwas angenähert, obwohl ich noch sehr distanziert und fast schon abweisend war. Mit der Zeit wurde es in kleinen Schritten immer ein weniger besser, sodass ich fast schon ein schlechtes Gewissen hatte, mich nicht genug um sie zu kümmern bzw Zeit zu verbringen, weil ich sie ja jetzt allein ist. Nach einem Jahr beichtete sie mir dann, dass sie vor einigen Tagen wieder geheiratet habe (etwa 4 Monate nach der offiziellen Scheidung), einen Mann, mit dem Sie schon ein Jahr zusammen war (etwa zwei Monate nachdem sie gegangen ist).

Ich wusste weder, dass sie in einer Beziehung war, noch dass eine Hochzeit ansteht. Die vergangenen Monate davor hatte ich mir nur ständig Vorwürfe gemacht, was für eine schlechte Tochter ich bin und dass ich mehr für sie da sein muss.
Und rückblickend war das, glaube ich, der Moment, wo etwas in mir implodiert ist und ein schwarzes Lochen zurückgelassen hat.

Seitdem versucht meine Mutter alles, um den Kontakt zu halten und das Verhältnis zu verbessern, aber jedes Mal wenn wir uns sehen, bin ich trotzdem distanziert, abweisend, genervt und wenn sie dann deswegen weint, spüre ich absolut nichts in mir.
Heute haben wir uns erneut getroffen und ich konnte einfach kein Gespräch halten, lächeln und so tun, als wäre alles in Ordnung. Irgendwann sprach sie mich dann an, was denn los sei und dann hab ich ihr gesagt, dass ich ihr doch noch nicht verziehen hab. Großes Geheule, "du brichst mir das Herz, ich habe dir alles verziehen, wie lange muss ich denn noch leiden etc." und ich spüre absolut nichts. Ich stand einfach nur ratlos da und wusste nichts mit ihren Emotionen anzufangen. Ich war weder aufgebracht, noch wütend, noch traurig, da war einfach nichts. Ich sehe, wie sehr ihr das Herzen geht und mein Instinkt sagt mir, ich sollte sie trösten, aber ich kann mich nicht dazu durchringen.

Ich wünschte, ich könnte ihr mit genauen Worten erklären, warum ich so herzlos und kalt bin, aber ich weiss nicht. Ja, ich hab ihr nicht wirklich verziehen, das ist klar. Aber was hält mich davon ab? Warum spüre ich nichts in mir drin, kann ihr aber auch nicht verzeihen? Es ist mir alles ein Rätsel, dass mich wahnsinnig macht.
Ich bin wirklich kein Streitsüchtiger Mensch, es gibt nichts auf der Welt, das mich mehr aus der Bahn wirft, wenn ich mit jemandem Streit habe und der Konflikt ungelöst in der Luft schwebt.
Normalerweise würde ich alles dafür tun, um den Frieden wieder herzustellen. Aber wieso kann ich das nicht? 3 Jahre sind vergangen und man könnte doch mal langsam wieder zur Ruhe kommen, aber alles was ich sagen kann ist "ich weiss nicht wieso, aber ich kann nicht."
Ich fühle mich wie ein kaputtes Gerät. Jemand drückt auf einen Knopf, erwartet eine Aktion, aber es passiert nichts und man weiß nicht, wo das Problem liegt.

Vielen Dank,
Christine

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Not_here
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Beitrag Mi., 05.09.2018, 22:49

Hallo christine_de!

Ohne deine Mutter zu verurteilen, scheint sie mir ein Mensch zu sein, der seine Bedürfnisse ergründet und sie dann durchsetzt. Weshalb sie diesen konkreten Weg gewählt hat, wie sie sich von deinem Vater scheiden lies, wird wohl nur sie wissen. Neutral betrachtet könnte man sagen, sie hätte es durchaus offener und rücksichtsvoller handhaben können, aber niemand ausser den beiden kann wirklich beurteilen, wie ihre Beziehung zueinander war. Vielleicht war es für sie der einzige gangbare Weg.

Was mich allerdings stutzig machte war deine Schilderung ihrer neuen Heirat. Man kann es so sehen, daß sie dich schonen wollte, indem sie die Beziehung zu ihrem jetzigen Mann verschwieg. Aber das scheint mir nicht der Grund dafür zu sein...
Würde man nicht vor der eigenen Hochzeit seinem Kind davon erzählen? Erst Tage später davon zu berichten ist für mich ein bisschen ein Sicher-gehen: ich will nicht, daß mir jemand in meine Entscheidungen hineinredet, deshalb erzähle ich erst im Nachhinein davon. Ausserdem sollte man meinen, wenn ihr die Beziehung zu dir wirklich wichtig ist, so hätte sie dir auf jeden Fall vorher von diesem wichtigen Schritt erzählt.

Das ist aber nur eine generelle Annahme. Menschen gehen eben unterschiedlich im zwischenmenschlichem Bereich miteinander um. Ich vermute eher, daß deine Mutter es so sieht, daß das nunmal Teil ihres Lebens ist und es niemanden etwas angeht, wie sie Dinge regelt. Damit zieht sie aber zwangsläufig eine Grenze zu anderen - wie in deinem Fall.

Das Tragische daran ist wohl, daß sie anscheinend wirklich eine gute Beziehung zu dir möchte, aber nicht sieht, daß sie es mit ihrer Art sich abzuschotten so leider nicht erreichen kann. Und das verletzt sie. Sie sieht nur deine reservierte Art, versteht aber nicht, daß diese eine natürliche Reaktion auf ihr Verhalten ist...

Ich denke jedenfalls, daß deine Gefühle oder besser gesagt, deine Nicht-Gefühle eine natürliche Reaktion sind.


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christine_de
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Beitrag Do., 06.09.2018, 17:21

Schade, dass hier plötzlich alle bisherigen Einträge verschwunden sind, einige konnte ich nicht mehr lesen (Arbeit). Aber es waren sehr interessante Kommentare, die mich zum Nachdenken gebracht haben, die ich mir jetzt gerne nochmal durchgelesen bzw. weitergeführt hätte.

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bashful
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Beitrag Mi., 26.09.2018, 10:57

Hallo Christine!

Wenn du nichts mehr spürst, könnte es sein, dass die Gefühle abgespalten sind. Da liegt dann mehr dahinter. Verurteile dich nicht dafür, suche dir lieber jemanden, der dir helfen kann, wieder an deine Gefühle ran zu kommen. Alleine ist das sehr schwierig bis unmöglich, denke ich.

Alles Gute dafür. Lg bashful

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Broken Wing
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Beitrag Mi., 26.09.2018, 11:04

Bei so einer Person wie der Mutter kannst du nie wissen, was passiert, wenn sie dich mal nicht leiden kann. Der Anwältin ist kein Vorwurf zu machen, das ist ihr Job. Wenn sie mitbekommen hat, wie sehr dein Vater gelitten hat und sich nicht einbremsen wollte/konnte, hau lieber ab. Könnte dich nämlich genauso treffen im Falle, dass eine größere Auseinandersetzung zwischen euch ansteht. Wenn du zu ihr halten willst, sei dir sicher, dass du notfalls hart zurückschlagen kannst.
Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir. [Nico Semsrott]

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Forit1986
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Beitrag Do., 04.10.2018, 16:19

Alleine ist das sehr schwierig bis unmöglich, denke ich.

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