Wichtiges in Therapie verschwiegen

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Shukria
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Wichtiges in Therapie verschwiegen

Beitrag Mi., 20.11.2019, 22:57

Ich arbeite jetzt schon länger mit meiner aktuellen Therapeutin zusammen und es läuft sehr gut.

Derzeit sind wir so thematisch langsam am Ende der Therapie und es geht "nur noch" um Integration bzgl. des Alleinelassens bzw Wegschicken ohne Hilfe seitens Eltern und auch Lehrern denen ich mich damals anvertraut hatte beim Thema Sex. Missbrauch.

Ich habe seit diesen massiven Zurückweisungen vor 20jahren aus Scham/Angst in späteren Kontakten bei dem Thema etwas sehr Wichtiges immer verschwiegen/gelogen und fest in mir eingeschlossen. Womit ich jetzt bei der Integration erstmals aber nicht mehr gut klar komme. Damals dachte ich, wenn ich das sage werde ich genauso weggeschickt ohne Unterstützung wie als Kind. Inzwischen merke ich, es gehört zu mir und zur Integration das das da sein darf. Und es dämmert mir, das Wegschicken heute wahrscheinlich Quatsch ist und nicht passieren wird ABER ich hab nicht so richtig eine Idee wie ich das nach der langen Zusammenarbeit nun richtig stellen soll.

Mein "lügenkonstrukt" ist nicht groß aber ich fühle mich dennoch gefangen darin.
Habt ihr schon mal eurem Therapeuten erst nach Jahren etwas gesagt was ihr bewusst falsch erzählt habt um Euch zu schützen und wie haben die reagiert?
Wie ging es euch damit?

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Kirchenmaus
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Beitrag Do., 21.11.2019, 08:38

Hallo!

Also, bei mir war es kein "Lügenkonstrukt", sondern vermeintlich falsch erinnerte Zeitpunkte. Nach langer Zeit musste ich eine Zeitangabe eines einschneidenden Ereignisses aus der Kindheit um ein ganzes Jahr korrigieren, was mich sehr verunsichert und beschämt hat.

Meine Therapeutin hat das total locker aufgenommen. Sie meinte, dass auch ihr solche falschen Verortungen passieren, dass das ganz normal sei.

Thema vom Tisch.

(Übrigens hab ich dann ein paar Wochen später noch eine Korrektur der Korrektur vorgenommen – weil sich gezeigt hatte, dass meine ursprüngliche Version doch richtig war. War aber wieder weder schlimm noch spektakulär für sie.)

Vielleicht könntest du dir selbst gegenüber ein anderes Wort als "Lüge" benutzen? Es hatte sicher einen Sinn, dass du es so fest in dir eingeschlossen hast.
Vielleicht könntest du ihr gegenüber andeuten, dass es da noch etwas gibt, das sich erst jetzt zeigen kann – du deswegen ein schlechtes Gewissen hast – wie sie dazu steht. Hauptsache, ihr kommt ins Gespräch.

Nur Mut!
Kirchenmaus
Es ist in Ordnung, mich zu akzeptieren.


Jenny Doe
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Beitrag Do., 21.11.2019, 08:52

Hallo Shukria
Inzwischen merke ich, es gehört zu mir und zur Integration das das da sein darf. Und es dämmert mir, das Wegschicken heute wahrscheinlich Quatsch ist
Wenn du das so wie du es hier schreibst auch deiner Therapeutin erzählst, ich bin sicher, dass sie sich freuen wird zu hören, dass du heute so weit bist, dass du merkst, dass es zu dir gehört und du es nicht mehr wegschicken musst.
Vielleicht war erst mal eine Therapie des Verschweigens nötig, bis du an den Punkt angelangt bist, an dem du erkennst, dass das Verschwiegene ausgesprochen werden darf, dass es zu dir gehört und ebenfalls integriert werden möchte, ebenfalls einen Platz haben möchte.
Was ich aus dem Posting rauslese ist somit nicht "Lüge", sondern Therapieerfolg.
Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wie das Leben leben können, das uns erwartet (Joseph Campbell). Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen (Hermann Hesse).

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Kreativus50
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Beitrag Do., 21.11.2019, 08:59

Würde ähnlich rangehen, wie von Kirchenmaus beschrieben.
Wenn etwas direkt auszusprechen noch nicht geht, näher ich mich in enger werdenden Kreisen dem Thema.
Sozusagen " um den heißen Brei rumreden " und beim Anderen vorfühlen. Wenn es dann für mich passt = sicher genug ist, dann kann ich Alles aussprechen, aber erst dann.

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Montana
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Beitrag Do., 21.11.2019, 21:55

Ich finde es völlig normal, nicht "alles" zu erzählen. Wie könnte man das jemals tun, selbst wenn man wollte? Oft fallen mir später noch Dinge ein oder die Gewichtung ändert sich für mich. Es gibt also immer nur einen Ausschnitt von dir zu sehen. Und wenn du diesen jetzt um einen für dich besonders heiklen Aspekt vergrößern möchtest, dann sehe ich darin einen besonderen Vertrauensbeweis der Thera gegenüber. Sieht sie bestimmt auch so.
Wenn du dein kleines Kind rufst und es reagiert nicht sofort und du rufst immer wieder und irgendwann kommt es zu dir, was machst du dann? Ich würde mich freuen, damit es gerne zu mir kommt. Wer das Kind straft, weil es so spät reagiert hat, der macht alles kaputt. Wer das nicht glaubt, der probiere das mit einem Hund. Die zeigen einem das sehr klar.

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Shukria
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Beitrag Fr., 22.11.2019, 06:18

Montana hat geschrieben: Ich finde es völlig normal, nicht "alles" zu erzählen [....] oder die Gewichtung ändert sich [... ] Wer das Kind straft, weil es so spät reagiert hat, der macht alles kaputt.
Ich schwanke emotional/Kognitiv total zwischen
A) wenn ich Therapie mache, dann entscheide ich was ich wann wem erzähle und ohne das innerer Wegschliesen hätt es mich überfordert und das Einzuschätzen steht niemandem anderem zu als mir, es ist eh nur ne Dienstleistung. Also die Therapeutin und Beziehung weiterhin komplett ausblenden. Wenn die rumzickt kann ich jederzeit gehen...

Oder
B) ich kippe von mir was ich brauchte völlig zu ihr, Dann schieb ich vom Beziehungsaspekt her voll Panik. Also eigentlich nicht wirklich zu ihr als Person, weil ich ja gar nicht weiß wie sie reagieren wird, sondern in alte Erinnerungen rein. Zu ähnlichen Situationen für die gleiche Offenlegung aber mit anderen, wichtigeren Menschen die mein Vertrauen in sie völlig enttäuscht haben. Dann überwiegt "die wird sauer sein und mich genauso wegschicken wie früher zb die Vertrauenslehrerin"

Ich krieg da schwer einen stabilen Standpunkt dazwischen hin. Pendel permanent dazwischen hin und her. Beides ist ja nicht stimmig.
Weder wird sie wie meine Eltern oder diese Lehrerin reagieren noch kann ich nur auf mich schauen weil man immer in Beziehung ist zu dem anderen. Ich kann das mir da jemand gegenüber sitzt mit dem ich irgendwie in Beziehung bin nicht mehr völlig ausblenden wie die Jahre zuvor.

Und einfach vertrauen das sies als Therapieerfolg Werten wird krieg ich nicht wirklich hin, dafür fehlt die positive, irgendeine positive Erfahrung zu diesem Thema auf die ich da zurückgreifen kann

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Montana
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Beitrag Fr., 22.11.2019, 14:57

Einfach vertrauen wäre unrealistisch. Aber es wäre eine Möglichkeit, dass sie positiv reagiert. Und wenn sie es tut, dann verändert das deine Erwartungshaltung bei der nächsten solchen Situation um ein gaaanz kleines Stück. Und so kann es langsam besser werden. Ganz aufwiegen kann die negativen Erfahrungen nichts mehr. Die werden immer im Hintergrund lauern. Sie können aber ihre große Übermacht zugunsten einer realistischeren Einschätzung verlieren.

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Beitrag So., 24.11.2019, 10:50

Puh, ick trau mich dann wohl mal.

Ich merk auch, je mehr ich mich dabei auf mich konzentriere, also warum ich das jetzt auf mache (n muss) bin ich ein bissel von ihr, ihrer Reaktion abgelenkt.
Der Fokus liegt dann mehr bei mir, meinem Bedarf und nicht so sehr bei ihr, ob sie es gut findet/versteht. Dadurch fühle ich mich ein bißchen geschützter und nicht wieder so ausgeliefert.

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Beitrag Di., 26.11.2019, 22:08

Heute hab ich mich getraut und es mit ihr besprochen. Sie war nicht sauer oder so und meinte auch das sich von ihrer Seite aus nichts ändert dadurch wie sie mich wahrnimmt.

Einerseits ist es so sehr entlastend das diese "Lüge" nicht mehr zwischen ihr und mir steht, andererseits merke ich nach der Stunde erst so richtig das damit mein "Schutzschild" auch nicht mehr zwischen ihr und mir steht 🙄. Mir scheint das das Schweigen und Aufmachen hier für mich größer Relevanz hatte als für sie. Und ich dachte für sie! wäre es verstörender - aber es ist genau umgekehrt. Ich habe sehr mit der Akzeptanz /Einordnung der Wahrheit jetzt zu kämpfen, gar nicht sie.

Ich nehme mich jetzt selbst anders wahr/klarer, realistischer, ein bißchen fehlt mir das innere Wegbeamen in dieses Lüge und das ist sehr unangenehm. Ich fühle mich jetzt viel verletzbarer als mit der Unwahrheit und weiß noch nicht so richtig wie ich mit dieser neuen Situation jetzt umgehen kann.

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Montana
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Beitrag Di., 26.11.2019, 23:17

Dann siehst du doch jetzt sehr klar, welche Funktion diese "Lüge" hatte. Mich wundert das ehrlich gesagt nicht. Bestimmte Dinge einfach gar nicht in Worte zu fassen (nicht mal in Gedanken) hilft mir schon auch dabei, so zu tun als wäre es nicht wahr. Es auszusprechen ist etwas so krasses und großes und heftiges, dass das kaum möglich ist. Weil dann genau das passiert, was du gerade erlebst.

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Beitrag Mi., 27.11.2019, 11:48

Shukria hat geschrieben: Mi., 20.11.2019, 22:57 Mein "lügenkonstrukt" ist nicht groß aber ich fühle mich dennoch gefangen darin.
Habt ihr schon mal eurem Therapeuten erst nach Jahren etwas gesagt was ihr bewusst falsch erzählt habt um Euch zu schützen und wie haben die reagiert?
Wie ging es euch damit?
Ja, also so ähnlich. Zwar aus anderen Gründen, aber dann erst irgendwann später die Wahrheit erzählt.

Naja, wie hast sie reagiert? Therapeutisch halt :lol: also nicht so wie ein normaler Mensch.

Sondern ich habe es ihr halt erklärt, warum wieso weshalb...

Und sie hat halt gesagt, dass sie es nachvollziehen kann und dass es doch gut ist, dass ich es jetzt erzählt habe .... und mir dadurch n gutes Gefühl gegeben, dass ich es ihr erzählt habe.
Sie hat daraus keine große Sache gemacht.


Edit: Ok, habe gerade gelesen, dass du es ihr ja schon erzählt hast.
"You cannot find peace by avoiding life."
Virginia Woolf

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