Mein Vater und ich - Selbstzweifel und der Weg raus

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Theory
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Mein Vater und ich - Selbstzweifel und der Weg raus

Beitrag Do., 28.04.2022, 06:56

Hi zusammen,

Ich habe nun Zeit gehabt, über meine letzten Jahre, meine Erfahrungen, zu reflektieren. Mir sind viele Hindernisse, Schwierigkeiten, viel Leid, viel Wut und viel Trauer begegnet. Ich bin in einer Phase, in der ich erkenne, dass der gemeinsame Nenner, die gemeinsame Ursache jeweils unter anderem in einer ser schwierigen Beziehung bis heute zu meinem Vater liegt.

Ich bin heute an einem Punkt, wo ich kaum mehr Kontakt zu ihm habe - und den auch nicht wünsche. Er zeigte von sich nie die Seite eines verständnisvollen, empathischen Vaters, der unterstützt.. Leider konnte er selbst nur die Seite des Tyrannen zeigen, der Wut und Zorn auslebt, der abwertet, dich, ungeachtet dessen, ob du Kind oder Jugendlicher bist, dich mit Worten erwürgt, dich fertig macht.

Ich habe heute viel Mühe, mein Mindset zu „korrigieren“, die Stimmen in meinem Kopf, meine Glaubenssätze, umzukehren. Ein Kernthema begegnet mir aber immer und immer wieder - und sie stellt sich als Ursache heraus, warum ich in all den Jobs die ich bisher hatte, hinter meinem eigentlichen Potential blieb. Und das ist: der Glaube an mich selbst. Ich habe trotz meiner Erfolge, solche Selbstzweifel. Diese kommen natürlich genau in jenen Momenten, in welchen es dringend notwendig wäre, selbstbewusst zu sein, sich zu behaupten.

Ich habe heute in mich reingehört: ich möchte meinen Vater nicht mehr sehen, nicht mehr mit ihm sprechen. Wir haben keinen „offenen“ Streit - aber meine Geduld und meine Empathie für seine hilflose Art sind leider aufgebraucht/erschöpft.

Ich suche nun nach Wegen, wie ich mir selbst das geben kann, was ich nicht erhielt. Ich kann nicht rückgängig machen, dass er nicht das geben konnte, was ich brauchte. Aber ich kann nun nach vorne schauen und mir das selbst geben.

Wie kann ich es nun also rausschaffen aus diesen Selbstzweifeln? Aus dem Gefühl, ein „Impostor“ zu sein, obwohl jeder einzelne Erfolg auch berechtigt und hart erarbeitet war bisher?

Gibt es hier positive Beispiele von Menschen, die eine schwierige, belastete Beziehung zu ihrem Vater haben, und es hinbekommen haben, zufrieden, gesund und glücklich zu werden, auch wenn der Vater darin keine unterstützende Rolle gespielt hat?

Vielen Dank für jede Erfahrung, die ihr teilt.

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candle.
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Beitrag Do., 28.04.2022, 07:26

Hallo Theory,

Ich bin ja auch nicht in der Lage meine Potenzial zu leben.

Jetzt möchte ich eine Anmerkung machen: Es gibt immer zwei Elternteile. Nur einen für alles verantwortlich zu machen geht meiner Meinung nach nicht.

LG candle
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Philosophia
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Beitrag Fr., 29.04.2022, 05:54

Es ist ok, die Eltern oder einen Elternteil nicht mehr sehen zu wollen, wenn sie einem nicht gut taten oder tun - eigentlich sogar richtig gut, weil das die Chance zur Loslösung ist und die Chance, sich mehr anderen und hoffentlich gesünderen Kontakten zu widmen.
Ich glaube, der Schmerz bleibt immer ein Stück weit. Aber, so meine Erfahrung, nach einigen Jahren kann doch vieles Neue auf die innere Festplatte geschrieben, und ja, so manch Altes überschrieben werden.
Das mit den Selbstzweifeln finde ich auch nicht so leicht - und ja nach Tagesverfassung sind die mal stärker, mal weniger stark ausgeprägt. Mir hilft auf diesem Weg, immer mehr Meins zu machen und auch nein zu sagen. Mich nicht für alles zu entschuldigen, mir Fehler an mir zu erlauben.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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Theory
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Beitrag Mi., 11.05.2022, 07:04

Danke für eure Antworten.

Ich habe nun mittels einer einfachen Fragetechnik für mich herausgefunden, dass der Glaubenssatz „Mein Vater lehnt mich ab“ so tief sitzt, dass ich mir die Welt ohne diesen Satz nicht vorstellen kann. Ich denke, der Grund ist: ich bin so aufgewachsen, dass mein Vater mich nur geliebt hat, wenn ich so war und mich so verhielt, wie er es „gut fand“. Entsprechend habe ich lange ein Dasein als „angepasstes Kind“ gefristet. Meine Strategie war es lange, angepasst zu sein, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Die wenigen Konflikte (mit ihm), die ich dann hatte, konnte ich nicht vermeiden und waren jedes Mal „wie die Hölle“ :kopfschuettel:. Es waren dabei jeweils Themen, wo ich etwas unbedingt wollte und tat, und es nicht verheimlichen konnte und er seinen Unmut und seine Meinung darüber geäußert hatte.

So konnte ich selbst mit 27 Jahren kein neues Auto kaufen, weil er der Meinung war, dass man das nicht tut. Er hat mich monatelang für „blöd“ und „unvernünftig“ bezeichnet, obwohl ich jeden Euro davon selbst verdient und bezahlt habe. Schließlich habe ich es getan, aber die Besuche zu Hause waren auf ein absolutes Minimum reduziert und erst Monate später hat er sich schließlich damit abgefunden.
Dies verhielt sich so mit jeder größeren Lebensentscheidung - sei es meine Beziehung, sei es mein Wohnsitz, sei es meine Arbeit, selbst die Wahl meiner Freunde wurde bewertet und verurteilt.

Seine herrische Meinung, sein Wort „gilt“ also und die Mutter unterstützt dies. Die Folge sind ständige Konflikte und mittlerweile, wo wir alle „groß“ sind, kommt kaum jemand mehr zu Besuch (Vermeidungsstrategie).

Beispiel aus dem Alltag: ich erzähle davon, dass wir jeden Tag dankbar sein sollten über das Leben und dass es uns gut geht.
Er erwidert: „Erzähle das mal den Ukrainern!!“ Und: du hast ja keine Ahnung - schüttelt den Kopf und wird aggressiv in der weiteren Kommunikation.

Meine Schwester „steigt aus“ in solchen Momenten und vermeidet jegliche weitere Diskussion. Wenn ich hingegen dabei bleibe, und mich darauf einlasse, führt das zu immer aggressiverer Dialektik, die kaum zu beruhigen ist. Die Lösung ist dann nur Ablenkung/Themenwechsel. Entsprechend ist kaum ein offenes, ehrliches Gespräch möglich - jeder erzählt sich nur noch „Oberflächliches“, kaum jemand erzählt, was er so treibt/tut, aus Angst, verurteilt, bewertet oder „aggressiv in Frage gestellt zu werden“.

Es ist, als ob man diesem Menschen keine Widerworte geben dürfte - jegliche andere Meinung wird direkt angegriffen,in Frage gestellt, und man wird direkt „als blöd“ oder „hat keine Ahnung“ bezeichnet. Der Ausdruck ist direkt unterlegt mit Aggression und Wut, „auf Angriff gebürstet“.

Jetzt, wo ich älter werde, habe ich keine Lust mehr darauf, mit meiner eigenen Meinung hinterm Berg zu halten. Ich will so sein dürfen, wie ich bin, mit meiner eigenen Haltung und Meinung, ohne dass diese von anderen als „dumm, blöd, idiotisch“ beurteilt wird.

Leider ist aber jeder Besuch mitterweile für mich eine Last - da jeder von uns auf Eiern tritt, kaum etwas erzählt, alles nur oberflächlich bleibt und man „nur schnell wieder weg“ will, nach ein paar gezwungenen Worten. Ich finde es so schade, und ich mag das nicht. Aber was wäre ein Weg da raus?

Wie begegnet man einem alten Herren, der der ernsthaften Meinung ist, alles müsse so sein, wie er es sagt? Völlig ohne Kompromiss, ohne jegliche Chance auf Einsicht?

Einfach den Kontakt abbrechen?

Irgendwelche Ideen/Vorschläge?

Und wie gehe ich selbst mit dem Gefühl der Ablehnung am besten um? Letztlich ist dies ja auch die Ursache für meine Selbstzweifel - ich habe sehr lange nicht meine Wahrheit gelebt, sondern „im angepassten Kind“. Entsprechend kann ich mir heute gar keine andere Welt vorstellen, als eine, in der ich selbst als Reaktion auf ihn lebe - mein Leben also nicht als „Strategie, um nicht abgelehnt zu werden“, sondern mutig zu mir stehe und tue was mir mein Herz sagt. Ständig ist dieses Gefühl der Ablehnung in mir, eine Welt ohne sie ist für mich nicht vorstellbar…

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Takli
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Beitrag Mi., 11.05.2022, 08:01

Gott, das was du schreibst könnte fast von mir sein. Wobei mein Vater weniger aggressiv war, sondern mehr bedürftig fordernd und moralisch manipulierend. Mit anderen Meinungen konnte mein Vater allerdings auch nicht umgehen und daß ich eigene Vorstellungen von meinem Leben hatte, gefiel ihm gar nicht. Entsprechend abwertend hat er reagiert.

Mein Vater ist mittlerweile verstorben und ich muß gestehen, daß ich ihn nicht vermisse. Zu Lebzeiten habe ich, genau wie du, den Kontakt so gering wie möglich gehalten und die Kommunikation so oberflächlich wie möglich. Als er körperlich und geistig immer mehr abgebaut hat, verlohr er an Bedrohlichkeit für mich. Die Rollen kehrten sich um und er war mehr mit sich selbst beschäftigt.

Der Kontakt zu meinen Eltern war für mich immer eine schwere Bürde. Ich habe sehr häufig mit dem Gedanken gespielt den Kontakt abzubrechen, wollte das meiner Mutter aber nicht antuen. Ich bin froh, daß diese Zeiten jetzt vorbei sind.

Ich hoffe du kannst einen guten Weg für dich finden!

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Sinarellas
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Beitrag Mi., 11.05.2022, 08:03

> Aber was wäre ein Weg da raus?

Du hast nicht viele Möglichkeiten.
Mach dir bewusst, dass du niemals die Anerkennung / Zuwendung erhalten wirst, die du so schmerzlich vermisst. Er wird sich nicht ändern, egal was du tust. Diese kindlichen Bedürfnisse haben sicherlich schon immer irgendwo gefehlt, er ist nicht "einfach so irgendwann wegen irgendwas geworden" sondern so ist er. Radikale Akzeptanz der Situation.

Du kannst nur dich und deine Einstellung / Beziehung zu ihm korrigieren.
Du könntest versuchen, den Kontakt auf Smalltalk komplett zu verschieben, sämtliche emotionale Themen und insbesondere alles aus deinem Leben raushalten, um zu sehen, ob man so eine Grundbasis für die Kommunikation findet.
Du kannst seine Anfeindungen abblocken lernen, also hinnehmen, ein paar Sprüche finden und auf ein anderes Thema schwenken. Mach dir nichts vor, er wird sich da nicht ändern und du wirst deine Erwartungen niemals erfüllt bekommen. Ergo erstmal ganz weit unten anfangen.

Man könnte auch den Kontakt erstmal für ein halbes Jahr pausieren, also kein treffen, sich abwenden, maximal ein Telefonat oder eine Messengernachricht, je nachdem ob er das nutzt. Dann sehen, ob man sich oberflächlich wieder etwas annähern kann.

Mir ist ähnliches, nach Kontaktabbruch, jahrelangem 0 Kontakt und folglichem höflichem Smalltalk eine Art der Beziehung gelungen. Ich habe gelernt mich von den kindlichen Bedürfnissen trauernd zu verabschieden und mir meine "Zuneigung" und "Wertschätzung" woanders etwas zu holen.
..:..

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chrysokoll
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Beitrag Mi., 11.05.2022, 14:13

Theory hat geschrieben: Mi., 11.05.2022, 07:04
Wie begegnet man einem alten Herren, der der ernsthaften Meinung ist, alles müsse so sein, wie er es sagt? Völlig ohne Kompromiss, ohne jegliche Chance auf Einsicht?

Einfach den Kontakt abbrechen?

Irgendwelche Ideen/Vorschläge?
wie "man" das macht ist unterschiedlich, die Frage ist doch was du willst und kannst.
Und ja, du kannst den Kontakt abbrechen oder auf ein absolutes Minimun reduzieren
Du kannst an der totalen Oberfläche bleiben, dir selber sagen das ist dein Vater etc.
Mir persönlich geht es besser sobald ich für mich eine Entscheidung getroffen habe, ich hab minimalen, oberflächlichen Kontakt mit meiner Mutter, mehr nicht.
Immer mal wieder werde ich deutlich, sag ihr auch dass ich sofort gehe wenn sie jetzt nicht aufhört (aufhört mich zu kritisieren, zu verlachen, schlecht zu machen, das ganze Repertoire hat die drauf)
Das wirkt dann immer mal für ein halbes Jahr. Du siehst, ich fahre so eine Mischtatik, halte allerdings alle wichtigen Punkte meines Lebens komplett raus.

Und für mich ist wichtig diese Themen in einer Therapie aufzuarbeiten, ich möchte nämlich für mich die Chance haben da rauszukommen, das rate ich dir auch. Das dauert, da ist hart, das gelingt vermutlich nie ganz. Aber es ist eine gute Möglichkeit


Waldschratin
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Beitrag Mi., 11.05.2022, 17:40

Theory hat geschrieben:Ständig ist dieses Gefühl der Ablehnung in mir, eine Welt ohne sie ist für mich nicht vorstellbar…
Das klingt sehr "entschlossen", sehr "absolut" für mich...

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