Kommunikation mit schwerhöriger/dementer Mutter

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Charlie Foxtrott
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Kommunikation mit schwerhöriger/dementer Mutter

Beitrag Di., 18.10.2022, 19:03

Liebe Leute,
meine Mutter (86, leicht dement) hat ein Hörgerät, nimmt es aber kaum, denn "die Leute sprechen verkehrt." Insbesondere ich. Nun habe ich tatsächlich Stimmbandprobleme und habe infolge Gewalterfahrung eine zeitlang gestottert (Kindheit/Jugend) und rumms, hatte ich was hinter den Ohren ("Sprich mal richtig!").
Nun verlangt meine Mutter von mir, dass ich mich mit ihr unterhalte/mit ihr telefoniere. Ist aber ständig am Meckern, dass ich verkehrt spreche. Am Telefon merkt sie manchmal gar nicht, dass ich was sage. Und ich muss den Hörer 1/2 m vom Ohr weghalten oder mit Zimmerlautsprecher telefonieren, weil ihr Gebrülle so wehtut im Kopf. Seniorenhandys, mit denen man schön laut stellen kann und blue tooth Lautsprecher habe ich ihr schon empfohlen, lehnt sie aber ab, denn "man kann auch richtig sprechen, dann braucht man die Technik nicht." Sms lesen und schreiben packt sie nicht. Ich schaffe es einfach nicht, ihr etwas zu vermitteln. ich halte Vorträge vor Senioren, arbeite mit Förderschülern, die haben sich bei mir bedankt für die gute Arbeit, aber da bin ich wirklich überfragt.
Was tun? Ist es in dem Alter noch sinnvoll, sie zu erziehen? Also: So lange kein Hörgerät, dann kein Anruf, höchstens sms. Entweder Hörgerät oder es gibt keine Unterhaltung?
Bin auch für technische Tipps dankbar.

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Sydney-b
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Beitrag Di., 18.10.2022, 19:17

Könntest du ihr sagen, dass du nicht mehr mit ihr telefonieren möchtest, weil du davon Ohrenschmerzen bekommst?
Ihr aber dafür regelmäßig Briefe/Postkarten schreiben wirst.
Die Briefe müssen ja nicht lang sein. Diese kann sie auch immer wieder zur Hand nehmen und mehrmals lesen, auf den Postkarten das Bild ansehen...
Vielleicht braucht sie dadurch das ständige Telefonieren nicht mehr?

Wenn sie zudem leicht dement ist, ist eine "Erziehung" sowieso nicht möglich.

Wäre dies eine Möglichkeit für dich/euch?

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chrysokoll
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Beitrag Di., 18.10.2022, 19:19

was genau möchtest DU denn?
Möchtest du Kontakt mit deiner Mutter? Kannst du sie vielleicht auch eher besuchen?

Sie ist 86, du wirst also nicht mehr ewig mit ihr reden können.
Sie ist leicht dement, da wirken vermutlich "Erziehungsversuchen" schlicht nicht mehr.
Und du bist betroffen, weil genau das dich schon als Kind verletzt hat, das ist schwierig, aber du hast es immerhin erkannt.

Ich habe so eine ähnliche Situation für mich so gelöst: Ich halte sehr losen Kontakt mit meiner Mutter, mache das aber davon abhängig wie es MIR damit geht. Das heisst ich besuche sie mal, wenn es mir gut geht. Ich telefoniere und akzeptiere wie es läuft, weil ich sie nicht mehr ändern werde. Und ich lasse das wenn es mir schlecht geht.

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Charlie Foxtrott
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Beitrag Di., 18.10.2022, 19:32

Danke, ja, Briefe schreibe ich. Auch mit Fotos, weil Worte ja nicht mehr so gehen. In Zeiten, in denen ich beruflich/privat viel an der Backe habe, setzt mich das aber zu sehr unter Druck.
Auch beim Besuch. SIE will die Unterhaltung, tut aber nichts dafür, dass sie gelingt, sondern gibt mir die Schuld. Tja, und ich muss lernen, mich davon nicht antriggern zu lassen. Und es nicht so enden zu lassen, dass ich völlig verzweifelt und heulend am Telefon hänge, weil ich alles versuche, es aber nie genug ist.
Nein, ich möchte eigentlich keine Unterhaltung, denn ihre negative Weltsicht zieht mich zu sehr runter. Ich tue nur meine Pflicht und ver*** sie auch. Zum Beispiel möchte sie, dass ich anrufe, wenn ich zu Hause angekommen bin. Ich rufe sie aber noch vom Zug aus an, weil es dann noch hell ist (später würde sie sich Sorgen machen bzw. sie schon schlafen.)
Das einzige Telefon, mit dem sie einigermaßen klar kommt, steht bei mir zu Hause. Dort bin ich aber so selten. Um sie zu beruhigen, rufe ich aus dem Büro oder vom Handy aus an. An den Apparaten versteht sie aber nichts. Wie gesagt, sms kapiert sie auch nicht. Ich bin ja bereit, das Unvermeidliche zu akzeptieren, aber Sie ist m.E. die Fordernde, die anderen die Schuld an ihren Defiziten gibt.
Selbst habe ich gehörlose/blinde/geistig Behinderte im Freundes-/Bekanntenkreis. Die übernehmen jedoch Verantwortung.
Später gern mehr.

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Beitrag Di., 18.10.2022, 19:33

Charlie Foxtrott hat geschrieben: Di., 18.10.2022, 19:03
Was tun? Ist es in dem Alter noch sinnvoll, sie zu erziehen? Also: So lange kein Hörgerät, dann kein Anruf, höchstens sms. Entweder Hörgerät oder es gibt keine Unterhaltung?
Bin auch für technische Tipps dankbar.
Naja, es ist halt die Frage... was dir wichtig ist und was ihr wichtig ist, ihr wird wohl über kurz oder lang mehr das Gefühl reichen, dass jemand da ist und abhängig wie qualitativ hochwertig das Gespräch nun sein mag. Also warum ihr noch großarzig irgendwas vermitteln?
Diese Verletzungen, die sie da hervor holt... naja, sie ist 86 und dement. Ich glaube, diese Verletzungen sind mehr dein Problem und wohl nicht mehr so wirklich ihrs.

Ihr reicht ja vielleicht voll und ganz das Gefühl, dass da jemand am Telefon ist.
Alles andere muss du mit dir selbst klären.

Wie wichtig ist dir diese Zeit vor ihrem Tod oder bevor ihr Demenz weiter voranschreitet mit ihr?
"You cannot find peace by avoiding life."
Virginia Woolf

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Charlie Foxtrott
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Beitrag Di., 18.10.2022, 19:40

Könntest du ihr sagen, dass du nicht mehr mit ihr telefonieren möchtest, weil du davon Ohrenschmerzen bekommst?

Habe ich, kommt aber nicht an.

Ihr reicht ja vielleicht voll und ganz das Gefühl, dass da jemand am Telefon ist.

Stimmt, dachte ich auch schon, eigentlich ist es egal, wo sie reinspricht. Der Abschied hat ja schon begonnen.

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sebi
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Beitrag Di., 18.10.2022, 21:35

"Die Weisheit der Demenz" von Hildegard Nachum kann ich nur empfehlen.
"Jeder Mensch sucht nach Halt. Dabei liegt der einzige Halt im Loslassen." Hape Kerkeling

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chrysokoll
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Beitrag Di., 18.10.2022, 21:38

es scheint ja noch sehr viel Kontakt stattzufinden.

Vielleicht kannst du in dich gehen und dich fragen wie viel für dich (!) passend wäre. Das kann ja dann auch durchaus variieren. Und ja, dann macht sich deine Mutter eben mal Sorgen, dann ist sie eben mal gekränkt.

Noch ein Tipp von mir: Ich habe die Kontakte zu meiner Mutter auch unter dem Motto "gute Tat" abgeheftet für mich.
Wenn ich mit ihr rede, mich kümmere, ihr zuhöre, dann ist das eine gute Tat, die ich eben leiste. In dem Fall für sie und nicht für irgendjemand sonst in einem Verein oder so. Mit dem Gedanken kann ich mich viel besser distanzieren

Und ja, ich leiste diese gute Tat auch für mich, nachdem ich mit mir meinen Kompromiss gefunden habe wie viel Kontakt ich haben will, immer vor dem nahen Ende meiner Mutter. Denn auch meine Mutter ist sehr alt und krank und daher breche ich den Kontakt nicht völlig ab. Mit dem Gefühl der eigenen Entscheidung geht es mir jedenfalls viel besser, vielleicht hilft dir das ja auch.

Die alten und auch neuen Kränkungen bearbeite ich in der Therapie. Nicht mit ihr
Auch hier habe ich die Entscheidung getroffen dass es nichts mehr zu kären gibt.

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reddie
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Beitrag Di., 18.10.2022, 21:49

Es gibt Demenz-WGs, da wäre sie nicht alleine. Dort wird zusammen gekocht, musiziert, gespielt, Ausflüge gemacht... und jeder hat sein eigenes Zimmer.

Demenz erzeuget beim Betroffenen verständlicher Weise Ängste und Unsicherheiten und bei den Angehörigen ebenso.

Du könntest dich mal an eine Pflegeberatung wenden. Die kennen sich aus.

Alles Gute
reddie

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Gespensterkind
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Beitrag Mi., 19.10.2022, 06:08

Ich denke auch, dass es erforderlich ist, dass man zunächst mit sich selbst "klar kriegt", was und wie viel man leisten will, und was man möchte oder nicht möchte.
Auch bei älteren dementen Menschen darf man Grenzen setzen, wo man sie braucht.
Du musst Dich nicht Deiner Mutter zuliebe verbiegen, aber Du wirst auch nicht mehr groß was bei ihr verändern können. Ich finde es manchmal schwierig, sich dann so zurückzunehmen, dass es nicht zur Eskalation kommt. Aber es bringt nichts. Und ich nehme mich nur so weit zurück, wie es für mich okay ist. Ansonsten würde ich den Kontakt begrenzen.

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Takli
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Beitrag Mi., 19.10.2022, 07:50

Ich würde immer wieder sagen, daß du nicht lauter sprechen kannst. Notfalls würde ich ein bißchen schummeln und sagen, daß der Arzt dir geraten hat deine Stimme zu schonen. Vielleicht kommt es bei kontinuierlicher Wiederholung irgendwann bei ihr an und sie zieht ihre Schlüsse (wie auch immer die aussehen).

Meine Mutter möchte, seit mein Vater gestorben ist, auch täglich angerufen werden. Mit ihr habe ich das Problem, daß sie kaum was sagt und ich auch kein großer Unterhalter bin. Die Telefonate beschränken sich also hauptsächlich aufs Wetter und sind ansonsten sehr mühsam. Aber anscheinend sind sie ihr wichtig. Ich könnte darauf gern verzichten, mache es aber ihr zuliebe.

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Charlie Foxtrott
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Beitrag Do., 20.10.2022, 16:04

Danke Euch, es kamen noch wertvolle Hinweise und Erfahrungen! Ja, eigentlich geht es eher um etwas analog zur Angst eines Kindes, das hören will, dass die Mama noch da ist, nicht mehr so sehr um Inhalte.
Und Erziehung a la Angst aushalten lernen nur noch begrenzt möglich ist.
Ist ja auch nicht einfach: Mein Festnetztelefon ist angeblich kaputt (andere rufen dort problemlos an), am Handy versteht sie nichts, sms schreiben kann sie nicht und Briefe dauern, kann ich auch längst nicht so schnell und viel schreiben. Die Pflegeberatung der KK hat bei ihr sogar angerufen und gefragt, ob sie Hilfe braucht, nachdem ich dort war. Nein, braucht sie nicht.
Traurig ist für mich, dass sie mich mit Bergen von Geschenken (meist unbrauchbar) überhäuft, dabei wäre das größte Geschenk a) Hörgerät benutzen und b) Angst behandeln lassen bzw. nicht auf mich projizieren.
Tja, die Spannung aushalten ist dann an mir, wenn ich mal platt von der Arbeit komme und nicht gleich antworten kann. Immerhin habe ich neben einer VZ-Stelle eine hammerharte PTBS-Behandlung durchgehalten! :-P Am schlimmsten ist es, wenns mir nicht gut geht und ich was vorspielen muss, damit sie beruhigt ist.
Ich hatte noch die Idee, andere in der familie zu fragen, ob sie Übersetzer spielen können, bspw. erinnern, meine sms zu lesen oder vorzulesen.

Auch bei älteren dementen Menschen darf man Grenzen setzen, wo man sie braucht.
Ich habe die Kontakte zu meiner Mutter auch unter dem Motto "gute Tat" abgeheftet für mich.
Sehr gut!

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Sydney-b
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Beitrag Do., 20.10.2022, 17:07

Deine Mutter ist 86 und leidet unter Demenz.
Für Angehörige ist dies ein sehr schwieriger Umstand.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass du dir wünschst, dass deine Mutter ihre Hörgeräte tragen würde.
Nur kann es auch passieren, dass sie dadurch gar nicht besser hört.
Vieles hat einfach mit dem Verstand zu tun, nicht nur mit dem Gehör.

Was viele Menschen auch nicht wissen: Leute, die Hörgeräte tragen müssen regelmäßig (spätestens nach 8 Wochen!) zum Ohrenarzt.
Durch das Tragen von Hörgeräten produzieren die Ohren mehr Ohrenschmalz.
Dadurch hören diese Leute trotz Hörgeräte schlechter als ohne.
Durch vermehrten Ohrenschmalz entsteht im Hörgerät ein Pfeifen als Rückkopplungseffekt.
Sehr unangenehm ist das.
Nur wissen das die meisten alten (dementen) Leutchen nicht.
Sie merken nur, dass es unangenehm und störend ist, die Hörgeräte zu tragen.
Dazu kommt noch, dass diese winzigen Batterien regelmäßig ausgetauscht werden müssen.
Nicht allen alten Menschen gelingt dies problemlos.
Außerdem muss man mit Hörgeräten regelmäßig zum Akustiker.
Am besten jedesmal im Anschluss nach dem Besuch beim Ohrenarzt.
Die Hörgeräte müssen nämlich gereinigt werden, die Schläuchchen ersetzt werden usw.
In dem Alter schaffen es einige aber nicht mehr alleine, die Termine regelmäßig auszumachen und auch dort hinzukommen.
Dazu bräuchten sie regelmäßige Begleitung.....

Mit 86 Jahren ihre Angst behandeln lassen....
Wie soll das funktionieren?
Meinst du Medikamente?

Wie gesagt, Charlie, ich kann deine Situation sehr gut verstehen.

Nur wirst du wahrscheinlich nichts am Verhalten deiner Mutter ändern können, vor allen Dingen, weil sie dement ist.

Versuch, dein Handy leise zu stellen und dich nur bei ihr zu melden, wenn DIR danach ist.
Oder du löschst ihre Nummer aus dem Handy/blockierst ihre Nummer.
Nicht, um böse mit ihr zu sein, sondern dann kannst du auf das Festnetz Telefon ausweichen.
Da verstehst du sie ja besser.
Schließlich gab es mal eine Zeit, da gab es nur das Festnetz und das ging auch.

Liebe Grüße von Sydney

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Charlie Foxtrott
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Beitrag So., 06.11.2022, 12:12

Wow, Dinge können durchaus auch mal gut ausgehen! Sie hat gelernt sms zu lesen, will sich um ein neues, Hörgeräte taugliches Handy kümmern und hat Verständnis! Danke und fröhliche Grüsse!

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